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KirchenjahrEvang. Kirchenjahr: Überblick |
Die Evangelische Kirche beging den 3. Sonntag nach Trinitatis. Evangelium ist das Gleichnis vom verlorenen Schaf. In der Epistel erzählt der Apostel Paulus von der Barmherzigkeit, die er erfahren hat. Predigttext war die Erzählung vom Oberzöllner Zachäus bei Lukas im 19. Kapitel. (Dieser Abschnitt ist zugleich das Evangelium für das Kirchweihfest, das an diesem Sonntag begangen wurde.) |
PredigttextSie können Texte auch
online in der Lutherbibel nachlesen. |
19 1 Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. |
Predigt |
39
Jahre Kirchweihe "Ich muß heute in deinem Haus einkehren." Und: "Heute ist diesem Hause Heil widerfahren." Diese beiden Zusagen aus dem Mund Jesu habe ich als Pfarrer von Herzen gerne gehört: 39 Jahre lang haben inzwischen Menschen in diesem Haus die Nähe Gottes erfahren - wenn auch nicht jeder an jedem Sonntag. Und auch heute verspricht er seine Nähe. Aber sie wissen ja: man darf sich Bibelverse nicht einfach nach Gefallen und Belieben herauspicken wie die Zeugen Jehovas. Und so steht dann auch hier: "Bei einem Sünder ist er eingekehrt." Auf dem Weg nach Jerusalem Die Erzählung vom kleinen, dicken Oberzöllner Zachäus im Feigenbaum hat sicher auch mit uns heute zu tun, aber sie lockt uns zuerst in eine andere, in eine vergangene Zeit und Welt: Es geschieht an dem Tag, bevor Jesus in Jerusalem einzieht. Zusammen mit vielen Pilgern aus seiner galiläischen Heimat ist Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zum Passafest. Die Menge ist in Feststimmung, ja in Siegesstimmung: Beim Einzug werden sie ihn als Messias, als den versprochenen Retter des Volkes bejubeln. Möglichst schnell wollen sie ihr Ziel erreichen. Möglichst schnell wollen sie nach Jerusalem kommen, und nicht noch kurz vor dem Ziel lange aufgehalten werden. Aus unserer heutigen Warte würden wir kritisch sagen: Jesus soll ihre Wünsche und Sehnsüchte befriedigen. Und aus dieser Euphorie und ihrem Egoismus heraus übersehen sie, was am Weg liegt. Aber im Nachhinein ist man ja immer klüger: Wären wir damals dabei gewesen, hätten wir uns wahrscheinlich auch von der brodelnden Menge begeistern lassen. Jesus enttäuscht die Menschen Und so trübt Jesus die Feststimmung immer wieder: Kurz bevor sie in die Stadt Jericho hineingekommen sind, hat er sich in ihren Augen viel zu ausführlich mit einem dreckigen, blinden Bettler am Wegrand beschäftigt. Ein anderer Evangelist nennt auch seinen Namen: Bartimäus. Der hielt doch mit seinem "Kyrie eleison. Herr, erbarme dich." wirklich die ganze Wallfahrerkolonne auf, und seinetwegen mußten alle stehenbleiben. Und hatte Jesus sie nicht ein paar Tage auf dem Weg schon enttäuscht und verwirrt, als er entgegen allen ihren großen Hoffnungen vom Leiden erzählte, das ihn in Jerusalem erwarte. "Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war." So heißt es in der Lutherübersetzung. Und nun enttäuscht er sie schon wieder: Wieder läßt er die fromme Menge stehen und wendet sich einem Einzelnen zu, und noch dazu einem Zöllner, noch mehr: einem Oberen der Zöllner. Er war reich, heißt es. Und das hieß für die Menschen damals: Sein Geld war unehrlich verdient. Es war schmutziges, erpreßtes Geld. Und sagte Jesus nicht eben erst auf dem Weg - wir lesen es vor der Erzählung vom blinden Bartimäus - , daß ein Reicher nicht in das Reich Gottes kommen kann, so wenig, wie ein Kamel durch ein Nadelöhr paßt. Zöllner: zwischen den Stühlen Zöllner waren Gauner, ganz bestimmt. Die Wirtschaftskriminellen der damaligen Zeit sozusagen. Doch weil wir aus unserer heutigen Warte beide Seiten sehen können, könnte man sagen, sie waren ihrerseits auch nur Gefangene eines verkehrten Systems. Sie waren geradezu zwangsläufig Gauner, sie mußten betrügen. Warum? Die Zollstationen mitsamt ihren Einnahmen wurden von der römischen Besatzungsmacht an den Meistbietenden verpachtet. Und der mußte dann ganz einfach sehen, wie er sein im Voraus bezahltes Pachtgeld wieder hereinholen, denn er wollte ja auch seine Familie ernähren. Jesus sehen Dieser Zachäus also will Jesus sehen. Wir wissen nicht, warum. War es echtes Interesse: Die Suche nach dem Heil in seinem unheilen Leben? War es reine Neugierde: Man hatte ja schon so viel von ihm gehört. "Er begehrte Jesus zu sehen, wer er wäre." so heißt es. Wir dürfen ja nicht allzu schnell die fromme Lösung suchen, daß er unzufrieden war mit seinem Leben, daß er sich nach Heil und Erlösung und wahrem Leben gesehnt hat. Vielleicht fühlte er sich auch ganz wohl in seiner Haut und hatte sich längst mit seiner vom Geld versüßten Außenseiterrolle abgefunden. Ganz egal, ob er sich nun auch selbst als einen Verlorenen oder Ausgestoßenen empfand, die Menge sah ihn so. Zum jüdischen Volk gehörte er nach ihrer Meinung nicht mehr. Er hatte sich durch sein Verhalten selbst ausgestoßen: durch seine Geschäftsbeziehungen mit den Römern und durch seinen Betrug am eigenen Volk. Auf der Suche Es kommt, wie es kommen muß: Die Menge, die in der Hauptstraße Jerichos am Wegrand steht und neugierig den Pilgerzug betrachtet, läßt den neugierigen Oberzollsekretär nicht durch. Jetzt kann man es ihm endlich einmal zeigen, dem kleinen, dicken Fettsack. An der Zollstation hat er das Sagen. Wie oft sind sie von ihm schon gedückt worden. Wie oft haben sie gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Nun zeigen sie es ihm. Fest geschlossen sind ihre Reihen. Da läuft er ein Stück voraus und klettert auf einen Maulbeer-Feigenbaum, um einen besseren Überblick zu bekommen. Maulbeerfeigenbäume wachsen auch heute noch in der Oase Jericho: Knorrig, mit kurz über dem Boden beginnenden, weit ausladenden Ästen und dicht belaubt. So richtig geschaffen als Ausguck, in dem man nicht gleich selbst gesehen werden kann. Was will Zachäus dort? Weiß er eigentlich selber, was er will? Weiß er, warum er sich da auf dem Baum zum Gespött der Menge macht? Neugierig ist er, ein Suchender. Jesus entdeckt den Suchenden. Und wieder scheint er die fromme Menge ganz bewußt zu provozieren, indem er diese ganz skandalöse Einladung ausspricht. "Ich muß heute in deinem Hause einkehren." Gibt es nicht genügend Fromme in Jericho, bei denen man übernachten und einkehren kann, um Kraft zu schöpfen für die letzte Etappe, den steilen Anstieg nach Jerusalem am nächsten Tag? Die Tischgemeinschaft galt damals neben der sexuellen Gemeinschaft als die engste Beziehung zwischen Menschen. Seine Gäste hat man sich ganz bewußt und nach strengen Maßstäben ausgesucht. Und am Ende der Geschichte wird Jesus dann sogar noch eins draufsetzen: Nicht nur, daß er einkehrt bei diesem Mann, sondern er verspricht ihm die jüdischen Verheißungen. Was dem Abraham versprochen wurde und dem jüdischen Volk gilt, gilt auch ihm. "Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn." Zachäus gehört dazu. Das hat ihm schon lange keiner mehr gesagt. Nie hätte Zachäus damit gerechnet, daß Jesus, der Fromme, der Rabbi zu ihm ins Haus kommen würde. Er wäre auch nie auf die Idee gekommen, ihn einzuladen. Liebe verändert Was passiert da in ihm? Wir können es nur vermuten: Zum ersten Mal seit langer Zeit redet ihn jemand mit seinem Namen an. Zum ersten mal kommt jemand zu ihm, ohne ihm Vorwürfe zu machen oder ihn anzufeinden. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat jemand ein ehrliches Interesse an ihm als Person, an ihm als Mensch. Und auch dieser Gauner und Römerfreund ist ja ein Mensch hinter seine Gaunerschale. Er ist Familienvater. Er hat ein Herz. Er hat Sehnsüchte. Er will geliebt sein. Und dann eines der schönen und ermutigenden Geheimnisse des christlichen Glaubens: Wer Liebe erfährt, der kann auf einmal auch Liebe erwidern. Sogar der, der dauernd nur Ablehnung und Haß erfahren hat und dadurch immer verstockter und hartherziger geworden ist. Sein finanzielles Unrecht, das ihm ja schon lange bewußt war, will er nun wieder gut machen. Er, der an Gütern Reiche, aber an Liebe und Zuwendung Arme, kann von seinem Reichtum hergeben, nachdem er den Reichtum der Liebe erfahren hat. Und der Alltag? Daß damit seine Probleme wohl erst beginnen, sei nur nebenbei gesagt: Wie wird es am nächsten Tag weitergehen? Wenn er ehrlich ist, kann er nicht lange überleben. "Ich habe das Geld aber schon verplant." wird seine Frau sagen. "Du bringst die Preise durcheinander." werden seine Kollegen schimpfen. Wird er also am nächsten Tag aufwachen und sagen: Wie blöd muß ich gestern gewesen sein? Oder wird er in Zukunft ein wenig weniger betrügen? Wird er seinen Beruf ganz aufgeben? Wird er sich für gerechtere Verhältnisse bei der Vergabe des Zolls einsetzen? Sehr schnell kommt es manchmal zu spontanen Entschlüssen und zu begeisternden Situationen im Glaubensleben. Situationen, wo man auf einmal ganz fest glauben und von Herzen bekennen kann. Und am nächsten Tag holt einen der Alltag wieder. Und dann muß es sich zeigen, wie ich meine Begeisterung und meinen Glauben in den Alltag hinüberretten kann. Jesus und der Einzelne Doch ganz egal, was sich nun praktisch tut, viel oder wenig, langsame oder schnelle Veränderungen: Es ist etwas geschehen mit diesem Zachäus, daß er nicht so bleiben kann, wie er war. Und wenn das geschieht, dann gibt es nichts anderes mehr, dann ist Dringlichkeit notwendig: Steig eilend herunter! Heute noch will ich bei dir einkehren! Entscheidend aber ist die Reihenfolge: Ihm ist Heil widerfahren, nicht weil er diese Wiedergutmachung leisten will. Sondern das Heil, das ihm mit dem Besuch Jesu begegnet ist, hat ihn zu einem neuen Menschen mit einem neuen Verhalten verwandelt. So wird an Zachäus, wie vorher schon an Bartimäus, beispielhaft deutlich, wozu Jesus auf dieser Welt war und ist. Nicht, um der Allgemeinheit und der Masse zu willen zu sein. Um den Einzelnen geht es ihm. Niemand wird verloren gegeben. Auch und vor allem die nicht, für die es in den Augen ihrer Umgebung keine Rettung geben kann. Und wir? Zum guten Schluß: Wo finden wir uns wieder in dieser Geschichte? Oder mit einem Fremdwort: Mit wem identifizieren wir uns? Mit dem suchenden Außenseiter Zachäus? Oder mit einem einzelnen Teilnehmer in der frommen, anständigen aber doch auf Abstand bedachten Menge? Oder gar mit dem Beispiel Jesu? Oder überall ein bißchen? Manchmal sind wir in der frommen Menge. Wir achten auf Anstand und Abstand zu denen, in deren Nähe man in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen wird. Vielleicht auch den Reichen gegenüber, deren Reichtum uns suspekt ist. Manchmal gelingt es uns auch, Gemeinde Jesu zu sein und nach seinem Vorbild auf die zuzugehen, die unsere Nähe, unsere Liebe und Zuwendung suchen: die Einsamen, die In-sich-gekehrten, die darauf warten, daß die Liebe ihren harten Panzer durchbricht. Und manchmal sind wir selbst die Suchenden. Die mit innerer Leere trotz äußeren Reichtums. Die da heimlich darauf warten, daß einer kommt, sie mit Namen anspricht, bei ihnen einkehrt und ihnen mit Liebe begegnet. Im Heiligen Abendmahl, das wir dann feiern, sind wir eine oder einer von vielen, aber doch spricht uns Christus wie den Zachäus ganz persönlich an: "Heute noch will ich in deinem Hause einkehren." Amen |
Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857 |