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Die Predigt vom 8. Juli 2001: »Der werfe den ersten Stein ...«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 4. Sonntag nach Trinitatis. Evangelium ist das warnende Gleichnis Jesu vom Splitter und Balken im Auge. In der Epistel erinnert Paulus daran, daß einmal jeder ohne Ausnahme sich vor Gott verantworten muß. Predigttext ist die Jesusgeschichte von der Ehebrecherin aus Johannes 8:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Predigt

  Zurück ins Mittelalter?

Sie erinnern sich wahrscheinlich noch an die riesengroßen Buddhafiguren, die vor ein paar Monaten in Afghanistan zerstört wurden. Kein Appell von außen konnte sie retten, auch nicht, daß sie von der UNESCO zum einzigartigen Weltkulturerbe erklärt worden waren. Die Machthaber in Afghanistan haben dort das islamische Recht, die Scharia, streng eingeführt. Und die gilt nicht nur in religiösen Dingen, sondern bestimmt das ganze Leben. Nach islamischer Vorstellung ist aber eine Abbildung Gottes verboten. Positiv muß man sagen, daß in Afghanistan nach dem jahrelangen Kriegs- und Drogenchaos dadurch nun Ruhe und Ordnung eingekehrt ist - Friedhofsruhe halt. Damals wurde schon darauf hingewiesen, daß in diesem Fall zwar das Geschrei der Welt groß war, daß es aber nur wenige Schlagzeilen wert ist, wie die Machthaber dort mit der Freiheit der Menschen, vor allem der Würde der Frauen umgehen.

Oder ein anderes Beispiel aus Afrika: Im afrikanischen Staat Nigeria steigen die Spannungen zwischen den Christen und den Muslimen, die bisher gut zusammengelebt haben. In einer Provinz wurde die Scharia streng eingeführt: Ein Viehdieb war der erste, dem die Hand abgehauen wurde. Ein 15-jähriges Mädchen mit einem unhehelichen Kind, erhielt (trotz Vergewaltigung) 80 Stockhiebe. Ein Ehebrecher wurde zwar noch nicht gesteinigt, doch der Gouverneur würde auch das durchsetzen, sagte er.

Seitensprung – mach's mit

Wir mögen den Kopf schütteln über so viel Rückfall ins Mittelalter, aber ich bitte drei Dinge zu bedenken: Im Alten Testament unserer Bibel lesen wir nichts anderes. Im sog. christlichen Mittelalter ging es auch in Deutschland nicht anders zu. Und vor allem: Unsere heutige Zeit fällt in das andere Extrem. Kein Wunder, daß die islamische Welt über uns im Westen den Kopf schüttelt:

Da wird z.B. regelmäßig auf der letzten Seite der Zeitung zu privaten Swingerclubs eingeladen. Englisch "to swing": hin und her schwingen. Sogenannte "tolerante" Ehepaare treffen sich zum Ringelreihen. Oder: Die sog. Seitensprung-Agenturen, wo man sich einen passenden Partner für eine Nacht aussuchen kann, erleben eine Blüte. Oder auf den Plakatwänden können Sie lesen: "Seitensprung - mach's mit!" Gemeint ist: mit Kondom.

Zwischen den Extremen

Jesus zeigt einen Weg zwischen beiden Extremen: Dem Extrem der Menschenverachtung, die vor allem Frauenverachtung ist. Und dem Extrem der Freizügigkeit, die gar keine Grenzen und Regeln mehr kennt: Jesus nennt Sünde Sünde. Er nennt sie beim Namen. Aber die Würde des Menschen steht ganz oben. Sie kennen die Geschichte vermutlich:

3 Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu Jesus, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Todesstrafe für Ehebruch?

Ja, so steht es im Alten Testament: Der Bruch der eigenen Ehe oder der Einbruch in eine fremde Ehe ist ein todeswürdiges Verbrechen. 5. Mose 22,22: Wenn jemand dabei ergriffen wird, daß er einer Frau beiwohnt, die einen Ehemann hat, so sollen sie beide sterben, der Mann und die Frau, der er beigewohnt hat; so sollst du das Böse aus Israel wegtun. Der Gerechtigkeit halber muß man sagen, daß diese scharfe Regelung zur Zeit Jesu in der Praxis gar nicht mehr durchgesetzt wurde: Schon der im Judentum sehr bekannte Rabbi Akiba, der etwa 20 Jahre nach Jesus lebte, hat in seiner schriftgelehrten Auslegung die Tötungsvorschrift ganz außer Kraft gesetzt mit dem Hinweis, dann müsse man ja das halbe Volk steinigen. Andere jüdische Ausleger sagen: Eigentlich kann das Ganze in der Praxis gar nicht passieren: Mindestens zwei Zeugen müssen nach dem Gesetz dabei gewesen sein. Wenn das so ist, hätten sie aber entweder wegschauen oder eingreifen müssen, sonst sind sie selbst schuldig.

... die Männer läßt man laufen

Da hat man also eine Frau in flagranti bei einer außerehelichen Beziehung erwischt. Der Liebhaber konnte sich entweder aus dem Staub machen, oder man hat ihn von Mann zu Mann augenzwinkernd und großzügig laufen lassen. Man bringt sie in aller Öffentlichkeit zu Jesus, dem Rabbi: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Egal, wie er antwortet, kommt er in die Zwickmühle: Lehnt er die Strafe ab, lehnt er das Gesetz ab, und lästert damit Gott. Läßt er die Strafe zu, hat er vor dem Volk, das auf seiner Seite steht, verloren.

Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Jesus läßt sich auf ihren Weg und ihre Argumentation nicht ein. Er läßt sich nicht ihre Logik aufzwingen. Er schreibt mit dem Finger im Sand und tut so, als habe er nichts verstanden. Die Ausleger zerbrechen sich den Kopf, was damit gemeint ist: Notiert er passende Bibelstellen? Braucht er ganz einfach Zeit? Will er die Ankläger provozieren? Auf jeden Fall ist viel frommer Eifer, viel Aufgeregtheit im Spiel, die Jesus durch sein Zögern erst einmal mäßigt: Nicht aus dem Bauch heraus entscheiden. Erst einmal tief durchatmen und Zeit lassen, damit eine vernünftige Lösung möglich wird.

... der werfe den ersten Stein

7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Jawohl, die Frau hat nach den Vorstellungen und Regeln ihrer Zeit gesündigt. Und die Strafe dafür ist bekannt. Jesus redet den Ehebruch nicht klein. Und er rüttelt auch nicht am Gesetz. Aber was steht höher: Das Gesetz oder der Mensch? Und auf einmal werden aus den Anklägern unversehens selbst Angeklagte. Sie geben sich die Antwort selber:

8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus kostet seinen Triumph nicht aus. Die ihre Steine fallen lassen und davonschleichen, dürfen still gehen und ohne Vorwurf. 10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Drei Finger zeigen zurück

Gesündigt hat die Frau, die guten Ordnungen Gottes übertreten. Das hat aber auch der Mann, der entwischt ist. Das haben auch die, die genüßlich aus ihren Versteck heraus zugeschaut haben. Es ist wie bei den drei Fingern, die auf einen zurück zeigen, wenn man mit zweien auf andere zeigt.

Ich verstehe die Geschichte als Auslegung des heutigen Evangeliums: Lk 6,36: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Oder ein paar Vers später: Lk 6,42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Geschiedene wieder trauen?

Die Sünde beim Namen nennen, aber doch im Geist Jesu mit dem Menschen umgehen. Was bedeutet das vielleicht heute? Die Klatschzeitungen erzählen im Moment davon, daß das erzbischöfliche Ordinariat in München dem Schauspieler Heiner Lauterbach eine kirchliche Trauung seiner zweiten Ehe verweigert hat. Mit gutem Grund verweist die katholische Kirche auf die Unauflösligkeit der Ehe.

Ich meine aber doch, die Evangelische Kirche sei auf der Spur Jesu, wenn sie Geschiedenen auf ihre ernste Anfrage hin diese Trauung nicht verweigert. Das heißt ja nicht, daß das einfach so mir-nichts-dir-nichts geschieht, so als ob nichts gewesen wäre. Im Gespräch mit dem Paar kommt auf den Tisch, daß Ehe nach der Vorstellung Jesu in guten und in bösen Tagen auf Lebenszeit gedacht ist, daß die Nichteinhaltung eines Eheversprechens keine Lappalie ist, daß das sechste Gebot weiterhin gilt, keine verstaubte jüdische Angelegenheit ist, sondern gute Ordnung Gottes, die die Partner schützt, vor allem den schwächeren Partner. Aber wenn es nun einmal so weit gekommen ist, daß einer nur noch den anderen quält, dann muß, meine ich, nach dem Vorbild Jesu nicht nur gefragt werden: Was gebietet das Gesetz? Sondern auch: Was gebietet die Liebe? Gott will, daß Leben gelingt, und nicht, daß einer dem anderen, oder daß zwei sich das Leben zur Hölle machen.

Ein Segen bei der Scheidung?

Noch einen Schritt weiter: Pfarrer haben einen Gottesdienst entworfen, wo zwei Menschen, die im Frieden auseinandergehen wollen, weil es wirklich und beim besten Willen nicht mehr geht, auch in einer Art Segnung auseinander gehen können. Dazu gehört, daß Schuld bekannt und um Vergebung gebeten wird. Es wird ausgesprochen: Ich habe verletzt und ich bin verletzt worden. Und einer vergibt dem anderen und läßt ihn frei. Man läßt einander in Frieden gehen.

Und nun fragen die Kritiker: Wie kann man Ehebruch segnen? Wie kann man Scheidung segnen? Man kann doch nur Ehe segnen. Und ich würde sagen: Es ist dasselbe Mißverständnis wie in der Jesusgeschichte. Jesus hat nicht gesagt "Schwamm drüber". Er hat Sünde beim Namen genannt, aber der Frau einen neuen Anfang ermöglicht. Und genauso wird in einer solchen Segenshandlung ja nicht das Unrecht gesegnet. Unrecht bleibt Unrecht. Menschen werden gesegnet für einen neuen Anfang.

Aber ich gebe zu: Man kann es leicht mißverstehen, und der Grat zur Beliebigkeit ist schmal. Aber wie sagte Jesus noch: Lk 6,37 Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Und Lk 6,42 Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de