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predigt[e].de

Die Predigt vom 22. Juli 2001: »Eine Liebeserklärung«


Kirchenjahr

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Feiertagskalender (Tabelle)

  Die Evangelische Kirche beging den 6. Sonntag nach Trinitatis, dessen Thema im Kirchenjahr die Erinnerung an die Taufe ist. Evangelium ist der Tauf- und Missionsbefehl Jesu, Epistel das Verständnis der Taufe bei Paulus. Predigttext war der Zuspruch des Propheten Jesaja Kapitel 43:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  43 1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.

Predigt

  Ein Gottesdienst im Wald

Für jeden Sonntag des Jahres steht ein ganz bestimmter Bibeltext im kirchlichen Kalender. Bevor ich die Bibelworte für den heutigen Tag aufgeschlagen habe, hatte ich schon verschiedene Vorstellungen, worüber ich gerne reden würde, und was zu dieser Gelegenheit heute morgen passen könnte:

Das Nachdenken über die Natur z.B., wie im ersten Lied des heutigen Morgens. Wir sitzen in Gottes freier Natur. Alle Sinne sind angesprochen: Wir atmen eine ganz andere Luft als in der Kirche. Wir hören ganz andere Töne. Wir haben anderen Boden unter den Füßen. Wir werden zur Dankbarkeit eingeladen: zur Dankbarkeit für die Schöpfung, zur Dankbarkeit, daß das anfängliche Bangen um das Wetter sich in Wohlgefallen aufgelöst hat.

Oder vom Verein her, der eingeladen hat: Man könnte daran erinnern, was die Gemeinschaft und der Zusammenhalt für ein Geschenk sind. Vom Erlebnis, wie eine Menge miteinander feiert, und wie man sich von der Menge auch einmal treiben und tragen lassen kann. Von der Dankbarkeit dafür, daß Menschen zusammenhelfen, um ein solches Fest auf die Beine zu stellen. Von der Bitte um Kraft und Geduld für die, die jetzt drei Tage auf den Beinen sind. In der Bibel wird die christliche Gemeinde bildlich mit dem menschlichen Körper verglichen, wo jedes Glied seine spezielle Aufgabe und Begabung hat, jedes Glied gleich wichtig ist, und wo nur im Zusammenspiel aller das Ganze gelingt.

Oder drittens speziell von Sportverein her: Nachdenken über die Ziele, die man sich setzt, und die man hartnäckig verfolgt. Nachdenken aber auch über den fairen Kampf und die fairen Mittel auf dem Weg zum Ziel. Nachdenken vielleicht auch, wie sehr inzwischen Geld und Sport miteinander verknüpft sind, wie Geld oft zum Schmiermittel für einen reibungslosen Betrieb wird: nicht nur wenn es darum geht, daß ein neuer IOC-Präsident gekürt werden soll, sondern auch bis hinunter in die untersten Spielklassen hinein.

Die Bibel bürstet gegen den Strich

Und nun wollte bei der Vorbereitung für heute morgen das Bibelwort so gar nicht in eine der drei Richtungen passen. Gott sei Dank sieht dann vieles nach einmal Schlafen und auf den zweiten Blick doch wieder anders aus. Und mir ist klar geworden: Wäre das wirklich die Bibel, wenn wir einfach heraussuchen würden, was uns gerade paßt und was wir gerne hören möchten? Dann hört nämlich auf einmal die Bibel auf uns, und nicht, wie es eigentlich sein soll, wir auf die Bibel. Wäre das wirklich die Bibel, wenn wir immer nur mit dem Strich gestreichelt würden, und nicht auch einmal gegen den Stich gebürstet? Es führt ja im Leben nicht weiter, wenn ich nur den Stimmen zuhöre, die mich bestätigen. Nein, ich brauche immer wieder einen Stachel, eine Korrektur, ein unbequemes Wort, eine Kritik, einen Fingerzeig - oder wie heute einen Zuspruch. Und, o Wunder, auf den zweiten Blick paßt dann auch ein unerbetenes Wort in die Situation, mit der es auf den ersten Blick nichts zu tun hatte.

43 1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.

Eine Liebeserklärung

Nein, das paßt auf den ersten Blick nicht unbedingt in die Situation heute morgen in Gottes freier Natur, mitten in der Weite seiner Schöpfung. Es ist eher ein Wort für das stille Kämmerlein, unter vier Augen mit Gott. Ein ganz persönliches Wort, das keine Zuhörer oder Zuschauer brauchen kann. Ein intimes Wort, wie eine Liebeserklärung nicht für den Marktplatz oder die große Versammlung gedacht: "Ich kenne dich", sagt Gott. "Hab keine Angst, egal was auf dich zukommt. So bedrohlich die Wasserwogen deines Lebens über dir zusammenschlagen mögen, du wirst von ihnen nicht verschlungen werden. Sie werden dir vielleicht bis zum Hals gehen, aber du wirst nicht ersaufen und untergehen. Und wenn das Feuer des Lebens über dich kommt, alle die heißen und brenzligen Situationen, durch die du durch mußt, dann wirst du nicht zugrunde gehen. Du bist getauft. Du gehörst zum mir. Dein Heiland bin ich. Dein Heil will ich, dein Wohlergehen, Gesundheit an Leib und Seele."

Und doch paßt das Wort auf den zweiten Blick auch auf uns hier im Wald, inmitten von Gottes Natur und Schöpfung, ausgeliefert dem Wetter, der Sonne, dem Wind, oder wenn es sein muß, dem Regen, den die Welt genauso notwendig braucht. Es paßt, weil es uns als Geschöpf anredet: 1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht. Wir sind ein Glied der umfassenden Schöpfung Gottes, auf die beim Waldgottesdienst automatisch unser Blick fällt. Ein wenig mehr Demut stünde uns an, wenn wir wie im ersten Lied eingereiht werden in Himmel und Sonne, Wind und Regen und Wolken, Sturm und Sand und Baum. Wir haben keinen Anspruch darauf, daß es beim Waldfest nicht regnen darf. Und auch der Ätna war schon da, bevor die Menschen an seinem Rand gesiedelt haben.

Der Mensch - eine Einzelanfertigung

Und das zweite Thema, das in angerissen habe: die Kraft und der Segen der Gemeinschaft. Auch dazu wollen die Verse auf Anhieb nicht passen. Es beginnt schon bei der Anrede: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Der Einzelne ist angesprochen, du und ich, nicht die Masse, nicht die Gemeinschaft, nicht die Gemeinde, nicht der Verein. Und doch, meine ich, sei diese Korrektur wichtig: Wir müssen als Gemeinschaft zusammenhelfen, wir sollen guten Gewissens zusammen feiern, wir dürfen auch einmal in der wogende Menge aufgehen - aber wir dürfen uns darin nicht auch verlieren. Dazu ist unsere Würde zu groß und wertvoll. Wir sind ja nicht einer unter vielen in Gottes großer Massentierhaltung, sondern wir sind Einzelanfertigungen und Sonderstücke des Schöpfers. Wir sind nicht namenlose Einzelne inmitten einer großen Masse, sondern wir tragen einen Namen und Gott kennt uns mit Namen. So ähnlich wie ein Schäfer 200 Schafe hat, die für uns Außenstehende völlig gleich aussehen und völlig gleich blöken, aber doch kennt er jedes einzelne davon.

So schön also ein Festtrubel ist: Laßt uns nicht blöken, wenn alle blöken. Laßt uns nicht auf die Tische steigen, wenn alle auf die Tische steigen. Laßt uns nicht zweideutige Lieder singen, wenn alle es tun. Laßt uns nicht saufen, weil andere es vormachen. Laßt uns auch inmitten der großen Gemeinschaft die Würde behalten, die Gott uns zugedacht hat.

Du mußt nicht gewinnen!

Und das dritte, worauf ich angesprochen habe: Diese Worte des Propheten Jesaja, sie wollen auf den ersten Blick auch nicht so recht passen in die Gemeinschaft des Sportes, mit seiner gemeinsamen Anstrengung und dem gemeinsamen Zieles, das man verfolgt. Erinnern Sie sich noch an die schöne Predigt von Vikar Aschoff hier an dieser Stelle: Da erzählt der Apostel Paulus davon, daß das Leben wie auf einer Stadionlaufbahn ist. Wie man gemeinsam einem Ziel nachstrebt und untereinander auch in Konkurrenz ist. Wie selbstverständlich jeder gewinnen will. Und wie man dafür trainieren und auch Entbehrungen auf sich nehmen muß.

Und hier in diesen Worten des Jesaja geht es überhaupt nicht um unsere eigenen Anstrengungen: Hier steht überhaupt nichts davon, was wir tun sollen und müssen, damit es gelingt. Hier steht nichts von der gemeinsamen Anstrengung. Die Worte sind einfach nur Zuspruch, einfach nur gute Worte: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.

Und auch diese Korrektur ist wichtig und heilsam: Wir erhalten unseren Wert und unsere Würde nicht durch Leistung und nicht durch Geld. Geld regelt nicht alles. Hat das wirklich noch mit Sport zu tun, wie gegenwärtig die Fernsehrechte für die Spiele verschachert werden? Oder ist ein Verein, der bei der Hauptversammlung bekanntgeben muß, daß er einigen seine sportlichen Ziele nicht erreicht hat, kein guter Verein mehr? Oder ist der deutsche Stolz wirklich ernsthaft verletzt, wenn Jan Ulrich nicht den 1. Platz, sondern vielleicht nur den 2., oder, was Gott verhüte, gar den 3. Platz bei der Tour macht? Und was ist mit uns, wenn wir einmal keine Leistungen mehr bringen können: durch Verschleiß, Krankheit oder Alter? Da sind die Worte aus dem Mund Jesajas wie Balsam auf die Wunden der Frustration: Ich bin, was ich bin, nicht durch das Urteil anderer, nicht weil ich ein gut geschmiertes Rädchen in der Masse bin, nicht weil ich mich durch meine Leistungen heraushebe, - sondern weil Gott ja zu mir gesagt hat und weiterhin sagt. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de