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KirchenjahrEvang. Kirchenjahr: Überblick |
Die Evangelische Kirche begeht den 17. Sonntag nach Trinitatis, bei dem es um den Glauben geht. Evangelium ist die Erzählung vom Glauben der kanaanäischen Frau, Epistel der Hinweis des Paulus, dass der Glaube aus der Predigt kommt. Der Predigttext handelt vom Blind sein im wörtlichen und auch übertragenen Sinn. Johannes 9: |
PredigttextSie können Texte auch
online in der Lutherbibel nachlesen. |
35 Es kam vor Jesus, daß sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? 36 Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's? daß ich an ihn glaube. 37 Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. 38 Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an. 39 Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. 40 Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? 41 Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde. |
Predigt |
Leben
plätschert so dahin Normalerweise läuft ja unser tägliches Leben sehr geregelt und in festen, eingefahrenen Bahnen vor sich hin. Manche beschreiben es wie ein kleines Wässerchen, das Tag für Tag vor sich hin plätschert. Und unversehens ist wieder ein Jahr vergangen. Andere sagen: Ich habe das Gefühl, ich lebe nicht, sondern ich werde gelebt. Meinen Rhythmus bestimmt jemand anders. Und dann warten die einen sehnsüchtig auf das Wochenende, wo sie endlich sie selber sein dürfen. Und die anderen fürchten sich vor dem Wochenende, weil da der feste Rhythmus fehlt und auf einmal eine Leere da ist. ... und dann macht es einen Sprung Die entscheidenden Situationen sind dann die, wo dieses Gleichmaß des Lebens auf einmal unerwartet durchbrochen wird, und das Leben sozusagen einen Sprung macht. Da wird aus dem dahinplätschernden Wässerchen auf einmal ein Sturzbach, der einen mitreißt. Oder das Wässerchen versiegt fast ganz, und man geht wie durch eine Dürre oder Wüste. Jeder wird sich an solche Situationen seines Lebens erinnern können. Von einschneidenden Erlebnissen redet man dann. Oder auch von Sternstunden. Sie können einem ein Licht aufgehen lassen. Sie können einen weiterbringen. Sie können einem eine neue Sicht des Lebens eröffnen. Sie können einen aber auch aus der Bahn werfen. Sie können einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Und beim näheren Hinschauen merken Menschen: Die meisten dieser Situationen haben sie nicht selbst inszeniert, auch nicht ausgesucht, sondern sie kamen einfach auf sie zu, ob sie wollten oder nicht. Sie mußten sich ihnen ganz einfach stellen und kamen hinterher als andere heraus, die wir zuvor waren. Hoffentlich! - Denn solche Situationen fragen uns mitten im Gleichmaß des Lebens auf einmal nach dem Sinn. Sie fragen uns nach dem Ziel und dem Wohin. Sie fragen: Wer bist du? Wozu bist du da? Wo gehst du hin? Sie fragen uns nach unserem Glauben. Sie fragen uns nach dem, worauf unsere Füße fest stehen können. Da gingen ihm die Augen auf Von einem solchen Menschen wird im 9. Kapitel des Johannesevangeliums erzählt: von einem Menschen, dessen Leben Jahr um Tag gleichmäßig vor sich hin plätscherte, um dann auf einmal aus heiterem Himmel eine ganz neue Wendung zu nehmen. Von einem Menschen, dessen Welt von heute auf morgen eine andere geworden war: Ein Blinder wird sehend. Oder, was dem Evangelisten Johannes fast noch wichtiger war: Einem Menschen gehen die Augen auf. Und das gilt ja sehr oft auch in einem übertragenen Sinn. Und genauso darf es in dieser Geschichte auch verstanden werden. Da sitzt ein von Geburt an Blinder jahraus jahrein an der gleichen Stelle und bettelt. Von Geburt an kennt er es nicht anders. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern er sorgt auf diese Weise für seinen und seiner Angehörigen Lebensunterhalt. Jesus, von seinen Jüngern herausgefordert, erzürnt durch die Frage, warum dieser Mensch so gestraft sei, gibt ihm sein Augenlicht wieder. Nur keine Unruhe! Doch jetzt beginnen die Probleme erst: Die Nachbarn wundern sich. Am liebsten wäre ihnen, es wäre gar nicht der Bildgeborene, sondern einer, der ihm ähnlich sieht. Dann wäre nämlich die Welt weiterhin in Ordnung, und man könnte die Sache abhaken. Man führt den Geheilten zu den Pharisäern. Die sollen die Sache beurteilen. Doch bei diesen strengen Frommen erregt nun nicht so sehr die Heilung Aufsehen, sondern die Tatsache, daß sie am Sabbat, am strengen Ruhetag geschah. Sie fragen den Geheilten nach dem Wundertäter. Er kennt ihn nicht: Er konnte ihn ja nicht sehen. Und die Heilung war erst nach ihrer Begegnung geschehen. Aber je mehr sie auf ihn eindringen, und die Sache ungeschehen machen wollen, desto mehr verteidigt er seinen Helfer. Mit dem Ergebnis, daß die Frommen den ungebildeten Mann, von dem sie sich in Glaubensfragen belehrt fühlen, aus der Gemeinde hinauswerfen. Glaubst du? Und nun kommt diese Szene, wo dem Mann, dem sozusagen erst körperlich die Augen geöffnet wurden, nun auf entscheidende Weise die Augen aufgetan werden. Wirklich heil werden ist mehr als nur körperlich gesund werden: Es kam vor Jesus, daß sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's? daß ich an ihn glaube. Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an. "Glaubst du?" Das ist bei einem einschneidenden Erlebnis die entscheidende Frage. Und der Geheilte hört sie, wie er sie damals zu seiner Zeit hören mußte: "Glaubst du an den Messias, an den von Gott Gesandten?" Es geht in dieser Erzählung sozusagen darum, wie Glaube erst einmal nur angestoßen wird durch eine lebensentscheidende Situation, und wie er dann zaghaft entsteht und wächst. Glaube wächst in dieser Geschichte, indem man dem Geheilten keine Ruhe läßt, indem man ihn ins Gespräch verwickelt und gleichsam zum Nachdenken und zum Bekenntnis zwingt. Die wunderbare Genesung hat ihn zwar aus der Bahn geworfen, aber doch keinen Glauben geweckt. So schnell läßt sich ein einschneidendes Erlebnis nicht verarbeiten. Glaube entsteht bei ihm, angebahnt durch dieses Erlebnis, erst in der persönlichen Begegnung mit Jesus, nachdem ihm die Augen aufgegangen sind. Und wenn es unter uns passiert? Wie viele solcher einschneidenden und bahnbrechenden Erlebnisse mögen täglich um uns herum geschehen. Aber sie bewirken keinen Glauben, weil Menschen möglichst schnell wieder zum alten Rhythmus, zur gewohnten Tagesordnung übergehen. Ja nicht nachdenken! Ja nicht diskutieren! Das Ganze ruhen lassen! Ja, ein Erlebnis allein bewirkt keinen Glauben wirken, wenn nicht die persönliche Begegnung mit einem glaubenden Menschen hinzukommt, der einem hilft, dieses Erlebnis als eine Begegnung mit Gott zu verstehen. Und so geht es dem Evangelisten Johannes in dieser Geschichte um ein Sehen und ein Blindsein mehr in einem übertragenen Sinn: Sehend ist, wer Augen für Gott hat. Sehend ist, wem die Augen aufgehen für den Sinn seines Lebens. Und blind ist, wer keine Augen für Gott hat. Blind ist, wer Gott nicht entdecken kann oder sogar hartnäckig nicht entdecken will im Gang seines Lebens. Das zeigt die Fortsetzung: Sehend, und doch blind Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde. Die Pharisäer stehen hier für Menschen, die in ihrer Zeit blind waren für Gott, der ihnen in Jesus begegnen wollte. Tragisch ist, daß gerade die Festigkeit ihres Glaubens sie hinderte: Mit beiden Beinen standen sie auf dem Boden ihrer Heiligen Schrift. Ihr Glaube war wirklich fest. Er war fest gefügt. Er war dadurch aber auch festgefahren, nicht mehr entwicklungsfähig, nicht mehr offen für Neues, nicht mehr offen für Überraschungen. Was nicht sein darf, das nicht sein kann: Der Blinde kann nicht sehend geworden sein. Jesus kann nicht der Bote Gottes sein. Sie müßten sonst sich und ihre Meinung ändern. Ihr Weltbild müßte sich ändern. Wenn Jesus deswegen von ihrer Sünde spricht, dann meint er nicht, daß sie moralisch schlechte Menschen wären. Nein, sie waren durchaus hochanständig. Sünde meint im tieferen Sinn die Trennung von Gott: Sie sind Sünder, weil sie Gott nicht an sich heranlassen. Weil sie ihm nicht erlauben, daß er sie korrigiert und weiterführt. Was nun? Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. Gericht, das meint hier nicht wie sonst im Neuen Testament die Entscheidung am Ende des Lebens oder am Ende der Welt. Gericht ereignet sich nach dem Johannesevangelium schon hier und heute, mitten in unserem Leben, wenn einem ein einschneidendes Erlebnis die Frage stellt: Was nun? Gebe Gott, daß wir dann offene Augen bekommen dafür, daß er etwas von uns will, und auch, was er von uns will. |
Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857 |