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predigt[e].de

Die Predigt vom 21. Oktober 2001: »Wege aus der Gewalt«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den 19. Sonntag nach Trinitatis. Die Evangelische Männerarbeit hat für diesen Sonntag aufgerufen, einen Gottesdienst zum Thema „Zur Hoffnung berufen – Wege aus der Gewalt“ mit Männern und für Männer zu gestalten. Das ist in der Auferstehungskirche geschehen. Predigttext war die Erzählung von Kain und Abel im 1. Buch Mose Kapitel 4:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Predigt

  Den Terror verstehen?

Es gibt sie: die wenigen, die derzeit in den USA zaghaft versuchen, sich in die Beweggründe des islamischen Terrors hineinzudenken. Sie versuchen zu verstehen, woher ein solcher abgrundtiefer Hass kommen könnte, der zu solchen menschenverachtenden Taten anstiftet. Sie rechtfertigen das Geschehene damit keineswegs, nein. Aber, sobald sie laut denken, schlägt ihnen öffentliche Verachtung entgegen: Journalisten, Schriftstellern und anderen kritischen Geistern. Zu verstehen versuchen, das ist nicht "in" im Moment, wo zum Kampf des Guten gegen das Böse aufgerufen wird.

Ich versuche zu verstehen, warum Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat: mitten im Alltag, gezielt und in voller Tötungsabsicht. Kain und Abel im 1. Buch Mose Kapitel 4: (Text siehe oben)

Ich versuche, den Mörder zu verstehen

Ich versuche, den Kain zu verstehen: seinen Neid und seinen Zorn, die er nicht bändigen konnte. Kain und Abel: Eine typische Männerrivalität. Was nicht heißt, dass es nicht die gleiche Rivalität auch zwischen Frauen gibt.

Kain und Abel: Die Rivalität zwischen dem Älteren und dem Jüngeren. Die Rivalität zwischen dem Erstgeborenen und dem Zweitgeborenen. Fast meint man, der Ausgang der Geschichte sei schon in die Wiege gelegt: Dem hebräischen Text kann man entnehmen, wie Eva in Jubel ausbricht, als ihr ein Sohn geboren wird: (Sie) gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. Kain auf deutsch: "Gewinn", "Geschenk". Ein Sohn als erstes Kind! Was kann einer orientalischen Frau Besseres passieren? Und dann kommt Abel: Abel, hawäl, auf deutsch "Windhauch", "vergängliches Lüftchen". Ein schwächliches Kind offenbar von Anfang an. Beide haben verschiedene Gaben und ergreifen verschiedene Berufe.

Geschwister-Rivalität

Kain und Abel: Das ist Rivalität zwischen dem Kleinen und dem Großen, die Rivalität zwischen dem Stärkeren und dem Schwächeren. Kain und Abel: Das ist die Rivalität zwischen dem Erfolgreichen und dem Erfolglosen, die sich doch beide bemühen. Der ewige Zweite, der ewige Kleine hat auf einmal Erfolg.

Vom Menschen ist die Rede in den ersten Kapiteln der Bibel, nicht von ganz bestimmten Menschen, sondern vom Menschen an sich, von dir und mir. Der Mensch: Er ist zuerst einmal typisch Mann und Frau, Adam und Eva, so sagen es die beiden ersten Kapitel. Der Mensch: Er ist auch typisch Bruder und Schwester, Kain und Abel, so sagt es das vierte Kapitel. Von den gleichen Eltern geboren, aber dennoch verschieden.

Wenn es ganz einfach nicht gelingt

Und nun der springende Punkt: Dem einen gelingt es und dem anderen nicht. Arbeit und Opfer von Abel werden von Gott gnädig angesehen, Arbeit und Opfer von Kain nicht. Und es wird nicht gesagt, warum. Es steht nicht da, dass Kain etwas falsch gemacht hätte. Es steht nicht da, dass Kain von Hause aus der Böse gewesen sei und Abel der Gute. Das alles hat man von ihrem Ausgang her erst später in die Geschichte hineingelesen, um die eigentlich schwierige Frage zu umgehen: Es ist allemal einfacher und bequemer zu sagen: Kain war der Böse. Es ist leichter als die Frage: "Hat das jetzt sein müssen, lieber Gott? Hast du nicht gesehen, dass beide sich bemühen? Warum musst du so einseitig Partei ergreifen? Kannst du dir nicht denken, wohin das führt?"

Nein, die Geschichte von Kain und Abel ist nicht die Geschichte von einem Guten und einem Bösen. Keiner ist von Hause aus der Gute und der Böse. Der Böse, das ist ja doch immer der andere, je nachdem, wo ich stehe. Wo sind in Nordirland die Guten und wo die Bösen? Wo sind in Israel und Palästina die Guten und wo die Bösen?

Vom Umgang mit dem Misserfolg

Kain und Abel. Das ist die Geschichte der Rivalität, die Geschichte von Gelingen und Misslingen, von Erfolg und Überheblichkeit, von Kränkung und Neid. Wie gehe ich damit um? Wie gehe ich um damit, dass ich auf einmal unerwarteten und unverdienten Erfolg habe? Macht er mich hochmütig und stolz? Und noch mehr auf der anderen Seite: Wie gehe ich um damit, dass auf einmal jemand besser ist als ich? Dass auf einmal jemand mehr Erfolg hat? Dass auf einmal jemand beliebter ist? Dass er im Vordergrund steht?

Wie gehe ich um mit gekränktem Selbstbewußtsein? Mit angekratzter Mannesehre? Mit beruflichem Misserfolg? Mit Frustration? Von Kain und Abel etwas zu lernen, heißt, etwas über sich als Mensch zu lernen: von der Eifersucht, von der Konkurrenz, vom Misserfolg, von gekränkter Ehre, vom Gemobbtwerden, von aufkommendem Hass, von finsterem Blick, von grantigen Rückzug, von Racheplänen, von Verstrickung in Rechtfertigungsversuche, Beschwichtigung und Lüge: "Soll ich meines Bruders, meiner Schwester Hüter sein?" "Kannst du nicht besser aufpassen, Gott? Warum hast du es ihm gelingen lassen, und nicht mir? Warum hast du es soweit kommen lassen, lieber Gott?"

Männerarbeit in der Kirche

"Zur Hoffnung berufen... Wege aus der Gewalt." So heißt das Jahresthema der evangelischen Männerarbeit in Bayern für das Jahr 2001. Deeskalation ist ein wichtiges Stichwort: Alles zu tun, dass Gewalt nicht eskaliert. Das Gewalt und Gegengewalt nicht zu einer endlosen und sich steigernden Spirale werden. An die Gewalt im Alltag hat man da gedacht: An die versteckte Gewalt zwischen Mann und Frau. An die Gewalt gegen Kinder. An die Gewalt frustrierter Jugendlicher in U-Bahnen oder an Haltestellen. Dass die Gewalt im Weltmaßstab nun so eine neue Qualität gewinnen würde, damit konnte bei der Suche des Themas damals niemand rechnen.

Wege aus der Gewalt

Wege aus der Gewalt zu suchen, sollte der Predigttext über Kain und Abel anregen: Kain hat den Weg aus der Gewalt nicht gefunden. Gekränkter Stolz ist zu vollendeter Gewalt geworden. Er ist nicht nur ein Totschläger, sondern auch ein Mörder geworden: 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Das ist Vorsatz und Heimtücke. Das ist kalt geplant. Welchen Weg aus der Gewalt hat ihm Gott gewiesen: Seinen Zorn, die Sünde, die vor der Tür lauert, beherrschen. Das ist wohl die eigentliche Männlickeit: Kämpfe gegen mich selbst gewinnen. Die Gefühle von Aggression in mir entdekken, wahrnehmen und beherrschen. Wut und Zorn in mir kontrollieren. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.

Das ist ein Weg aus der Gewalt: Trotz Wut und Zorn das Gespräch nicht abbrechen. Kain senkt die Augen. Das Gespräch mit dem Bruder bricht ab. Wehe, wenn das Gespräch abbricht. Wehe, wenn man sich nicht mehr in die Augen schauen kann! Wehe, wenn Wut und Frust nur noch hinuntergeschluckt werden.

Und Abel: Hätte er es merken können, dass sein Gegenüber so finster dreinblickt? Deeskalation: Als der Unbeteiligte, der nicht die Hand hebt, alles in der eigenen Macht Stehende tun, dass aus dem finsteren Blick des Gegenübers nicht die finstere Tat wird. Alles tun, dass es nicht weiter eskaliert. Alles tun, dass die Spirale der Gewalt sich nicht ewig weiter dreht.

Es gibt keinen Heiligen Krieg

Kain und Abel: Gott greift ein in die Spirale der Gewalt. Gott will nicht die Blutrache und die Todesstrafe. Das Böse wird beim Namen genannt, aber der Böse soll am Leben bleiben: 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände.

Auf diesen Gott kann sich niemand berufen, der die Welt eindeutig in gut und böse einteilt. Auf diesen Gott kann sich niemand berufen, der zum gerechten und heiligen Krieg einlädt, auf welcher Seite auch immer.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de