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Die Predigt vom 2. Dezember 2001: »Nicht müde werden«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 1. Sonntag im Advent. Evangelium ist der Einzug Jesu in Jerusalem, Epistel das Leben angesichts der nahen Ankunft Gottes. Predigttext war ein Abschnitt aus dem Hebräerbrief Kapitel 10 zum gleichen Thema:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  23 Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; 24 und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken, 25 und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, daß sich der Tag naht.

Predigt

  Gott vor der Tür

"Advent, Advent, ein Lichtlein brennt; erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier; dann steht das Christkind vor der Tür." So ist Advent für die Kinder. Wer aber im Glauben erwachsen geworden ist, weiß: Dabei darf man nicht stehen bleiben, sonst wird Advent nur noch lieblich und kitschig. "Dann steht das Christkind vor der Tür." Das heißt: Gott steht vor der Tür. Gott ist drauf und dran, bei mir anzuklopfen. Nur ein paar Zentimeter trennen mich von ihm.

Adventlich leben bedeutete bei den ersten Christen: Stell dich darauf ein, dass, wie es im folgenden Predigttext heißt, "der Tag nahe" ist. Der jüngste Tag kommt noch zu deinen Lebzeiten. Nachdem das nicht eingetreten ist, haben sich die nachfolgenden Generationen immer schwerer damit getan. Gott steht vor der Tür: Da denken Menschen eher an den persönlichen Tod. Wenn jemand durch die letzte Tür geht und dahinter Gott begegnet. Oder sie denken an eine einschneidende Lebenssituation, wo sie Gott fasst schon die Hand reichen konnten, wo er schon bei ihnen an die Tür geklopft hat. Von daher ist der Advent für den erwachsen gewordenen Glauben eine ernste, eine nachdenkliche Zeit. Am Altar hängt das violette Parament wie in der Passionszeit und am Buß- und Bettag.

Mit dem Gott vor der Tür leben

Wie lebt man adventlich? Wie lebt man in dem Wissen, dass Gott vor der Tür steht? Wir hören Worte aus dem Hebräerbrief. Die sind zwar an die 1.900 Jahre alt, aber die damaligen Adressaten haben doch eines mit uns gemeinsam: Weil Tod und Auferstehung Jesu schon über zwei Generationen zurück liegen, ist die erste Begeisterung vorbei. Mit seinem Kommen für alle, mit einem jüngsten Tag zu Lebzeiten hat man damals schon nicht mehr gerechnet. So stellt sich eine Ernüchterung, eine Glaubensmüdigkeit ein. Der Glaube muss sich im harten Alltag bewähren. Da ruft der Schreiber des Hebräerbriefs – wir kennen seinen Namen nicht – die Gemeinde auf:

23 Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; 24 und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken, 25 und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, daß sich der Tag naht.

Nicht „ich“, sondern „wir“

Das erste, was mir beim Lesen aufgefallen ist: Wenn Gott vor der Tür steht, dann heißt es nicht wie bei einem Schiffsuntergang "Rette sich, wer kann." Adventlich leben ist eine Gemeindeangelegenheit. Nicht "ich", sondern "wir"! Ziel ist sozusagen, dass man nicht alleine, sondern gemeinsam durchs Ziel läuft. Gemeinde soll sich nicht aus lauter Einzelkämpfern zusammensetzen. Die Zusammenarbeit ist entscheidend. Deswegen danke ich allen herzlich, die in der vergangenen Woche mitgeholfen haben, dass die Kirche pünktlich zum neuen Kirchenjahr innen neu strahlt. Noch mehr zupackende Hände können wir brauchen, wenn wir im Frühjahr mit dem Vorplatz das nächste Vorhaben anpacken. Und ich bin überzeugt: Wir werden sie auch bekommen.

Und das zweite, was mir aufgefallen ist: Der Schreiber des Briefes möchte ja, dass sich etwas tut. Er möchte, dass die Leser als Gemeinde vorankommen. Aber er tut das nicht mit Kritik, sondern mit Ermutigung und Aufmunterung: Mit einem dreimalige "Lasst uns". Also nicht: "Macht jetzt endlich. Schaut, dass ihr voran kommt." Sondern: Lasst uns. Lasst uns zusammenhelfen. Gegen die Glaubensmüdigkeit. Gegen die Gemeindemüdigkeit. Gegen die Gottesdienstmüdigkeit.

Erstens also: Gegen die Glaubensmüdigkeit

23 Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat.

Hoffnung, das ist im Hebräerbrief Glaubenshoffnung. Hoffnung ist sozusagen der in die Zukunft gerichtete Glaube: Die Festigkeit hier und jetzt in diesem Moment, das ist Glaube. Die Festigkeit für die Zukunft, das ist Hoffnung. Ob Gott seine Versprechen wirklich erfüllt, das war die bohrende Frage, als damals der Tag Gottes ausblieb. Und diese Frage bohrt auch heute immer wieder neu, wenn Menschen länger auf Gott warten müssen. Da geht oft genug die Festigkeit verloren. Da trägt der Boden nicht mehr. Deswegen der Aufruf: Nicht wanken! Nicht ins Wanken geraten! Nicht den Boden unter den Füßen verlieren! Denn Gott ist und bleibt treu. Du musst aber auch warten lernen.

Zweitens: Gegen die Gemeindemüdigkeit

24 Laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken.

Glaubensmüdigkeit führt leicht auch zu einer Gemeindemüdigkeit: Man sieht den anderen nicht mehr. Doch Glaube und Leben gehören zusammen. Gemeinde kann ich nicht allein sein. Gemeinde können wir nur miteinander sein.

"Aufeinander achten" steht da: Damit ist nicht die Neugier gemeint, die sich den Stoff für den nächsten Tratsch holt. Aufeinander achten, d.h.: Den anderen wahrnehmen. Spüren, wie es ihm geht. An seinem Gesicht, an seiner Stimme, an seinem Gang erkennen, dass etwas nicht stimmt. Acht geben, dass niemand durch das soziale Netz fällt. Dazu gehört auch, mit offenen Augen und Herzen im Gottesdienst zu sitzen: Den Gast entdecken, der vielleicht zum ersten Mal da ist, und ihn freundlich annehmen. Eine verstohlene Träne oder ein trauriges Gesicht nicht übersehen. Aber auch einmal einen, der stört, freundlich darauf hinzuweisen. Nicht so, dass er beim nächsten mal daheim bleibt, sondern wieder kommt.

"Einander anreizen" steht da: Nicht in dem Sinne von reizen oder herausfordern. Sondern: Einander Mut machen, einander gut zureden. Einen Dank aussprechen, damit jemand beim nächsten Mal auch gerne wieder hilft. Aber auch: Jemanden herzlich zur Mithilfe einladen, der bisher noch nicht mit im Boot sitzt. Entdecken, was er oder sie kann.

Brot für die Welt

Was dieses miteinander Glauben und Handeln angeht, machen uns der 1. Advent und "Brot für die Welt" aber auch darauf aufmerksam, dass Gottes Gemeinde größer ist als die Saas, größer als die Auferstehungskirche, größer als Bayreuth, größer als Deutschland. "Der ferne Nächste", so heißt eine Zeitschrift von "Brot für die Welt". Die ganze Welt ist eine Familie.

Und drittens: Gegen die Gottesdienstmüdigkeit

25 Lasst uns nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen.

Glaubensmüdigkeit und Gemeindemüdigkeit zeigen sich zuerst in Gottesdienstmüdigkeit. Da könnten wir eigentlich recht zufrieden sein mit dem Zustand der Gemeinde: Wir haben keinen zurückgehenden Gottesdienstbesuch, Gott sei Dank. Er steigt leicht und liegt mit sechs Prozent über dem Durchschnitt. Aber zufrieden geben darf man sich damit nicht. Wenn man jemand fragt, worin sich Evangelische und Katholiken unterscheiden, dann wird z.B. auf die katholische Messpflicht, auf die Gottesdienstpflicht hingewiesen. Und die höchste evangelische Freiheit bedeutet dann: Glauben kann ich auch ohne die andern.

Der Schreiber des Hebräerbriefes mahnt eindringlich, sich nicht aus den Gottesdiensten und Gruppen zurückziehen. Ich halte seine Mahnung für ganz wichtig, nicht, weil es eine Gottesdienst-pflicht gäbe, der man verbissen nachkommt, sondern weil man sonst den Segen der Gemeinschaft verliert. Vereinzelung ist gefährlich, auch für den Glauben. Vereinzelung bedeutet Entwurzelung. Wer nicht die christliche Gemeinschaft sucht, dem geht eben genau das ab, was vorhin gesagt wurde: Dass einer den anderen ermutigt, freundlich anschaut, tröstet, spürt, wenn es ihm schlecht geht, ein offenes Ohr hat, ihn einmal in den Arm nimmt, usw.

Für den Gottesdienst werben

Wenn Ihnen Gottesdienst gut tut, dann erzählen Sie um Gottes und der Menschen Willen davon. Laden Sie zum Gottesdienst ein. Nicht allgemein, sondern einen ganz bestimmten Menschen. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie diese Einladung vielleicht dreimal aussprechen müssen, bevor sie gehört wird. Verabreden Sie sich mit jemand, wenn es ihm oder ihr hilft. Helfen Sie über die Schwelle, wenn sie beim ersten Mal zu hoch ist. Und bleiben Sie nüchtern und ehrlich, denn nicht jeder Gottesdienst kann ein Erlebnis sein.

23 Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; 24 und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken, 25 und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, daß sich der Tag naht.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de