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predigt[e].de

Die Predigt vom 13. Januar 2002: »Der sanfte Revolutionär«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 1. Sonntag nach Epiphanias, der die Taufe Jesu zum Thema hat. Evangelium ist der Bericht davon aus dem Matthäusevangelium, Epistel der Aufruf des Paulus zu einem Leben, das vor Gott bestehen kann. Predigt war das sog. „Gottesknechtslied“ aus Jesaja 42:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  Der Herr hat gesagt: Hier ist mein Beauftragter, hinter dem ich stehe. Ich habe ihn erwählt, ihm gilt meine Liebe, ich habe ihm meinen Geist gegeben. Er wird den Völkern meine neue Rechtsordnung verkünden. Er schreit nicht und macht keinen Lärm. Er hält keine lauten Reden auf den Straßen. Das geknickte Schilfrohr zerbricht er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er meiner Rechtsordnung bei allen Völkern Geltung verschafft hat. Die Bewohner der fernsten Inseln warten darauf, was er ihnen zu sagen hat.

Predigt

  Von der alltäglichen Gewalt

Von Gewalt unter Jugendlichen war dieser Tage im Kurier zu lesen: Gewalt in der Schule, auf dem Pausenhof, Gewalt an der Businsel auf dem Markt. Auch vom Totschweigen der Gewalt konnte man lesen, von Einschüchterung. Sind das einzelne Ausnahmefälle? Oder ist das, was da unter den Jugendlichen geschehen ist, gar ein Spiegelbild unserer Gesellschaft? Lernen es die Klein von den Großen? Lernen sie es schon zu Hause? Braucht man es gar, um überhaupt irgendwie voranzukommen?

Wie steht es bei Euch Konfirmanden? Wer steht vorne dran in der Klasse, in der Gruppe: Die Kräftige, die Starke, die Lautstarke, die sich durchsetzen und zupacken kann? Oder die Sanfte, die Stille, die sich nicht nach vorne drängt, aber im Stillen wirkt. Wer steht vorne dran? Wer ist das Vorbild?

Reif für eine Bundeskanzlerin?

Wie ist es in unserer Gesellschaft? Wer steht vorne im Beruf, in der Politik, in der Öffentlichkeit: Der Starke, der Laute, der Medienwirksame, der Gerissene? Oder der Sanfte, der Stille, der ohne großes Getöse wirkt und Rücksicht nimmt auf die Schwachen?

Politisch würde man die Frage vielleicht formulieren: Ist unsere Gesellschaft reif für eine Frau als Bundeskanzlerin? Ist sie reif für einen Rollstuhlfahrer als Bundeskanzler?

Leider ist die Antwort ziemlich klar: Im allgemeinen ist der Starke, Laute und Rücksichtslose der Erfolgreiche, bei dem es scheinbar mühelos vorangeht. Und wie werden derzeit in der Politik die Probleme wieder gelöst: in Nordirland, in Israel. Nicht durch Gespräche. Nicht durch Vernunft. Nicht durch Aufeinanderzugehen. Nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch: Mit Gewalt und Gewalt und Gegengewalt, mit der Macht des Stärkeren.

Der sanfte Revolutionär

Kann das das letzte Wort sein? Ist da nicht wenigstens ein Funken Hoffnung auf Änderung? Gott sei Dank merken wir es in dieser Welt immer wieder: Die Starken, Lauten und Rücksichtslosen mögen oft genug vorne dran sein. Die Vorbilder und die Beliebten sind sie nicht unbedingt. Ja, oft genug sind sie es auch nicht, die am Ende die Nase vorn haben. Gott sei Dank, so sagen und erfahren wir öfter, gibt es auch noch eine Gerechtigkeit. Ja, denen die still und beharrlich für Gerechtigkeit und für die Schwachen sorgen, denen wird es letztlich gelingen, nicht den lauten, den polternden und den Kraftmeiern. So lese ich es im Predigttext für heute, und ich will diese Hoffnung beharrlich festhalten. Hören Sie beim Propheten Jesaja Kapitel 42, Vers 1-4 (in der modernen Übersetzung der Guten Nachricht):

Der Herr hat gesagt: Hier ist mein Beauftragter, hinter dem ich stehe. Ich habe ihn erwählt, ihm gilt meine Liebe, ich habe ihm meinen Geist gegeben. Er wird den Völkern meine neue Rechtsordnung verkünden. Er schreit nicht und macht keinen Lärm. Er hält keine lauten Reden auf den Straßen. Das geknickte Schilfrohr zerbricht er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er meiner Rechtsordnung bei allen Völkern Geltung verschafft hat. Die Bewohner der fernsten Inseln warten darauf, was er ihnen zu sagen hat.

Wer ist der „Gottesknecht“?

Wer ist dieser Beauftragte Gottes, von dem hier die Rede ist? Wer ist der "Knecht Gottes", wie es Martin Luther übersetzt? Der Prophet Jesaja lässt das offen. Ganze Bücher sind schon darüber geschrieben worden. Hinter vielen Menschen kann Gott stehen. Nicht nur einem hat er seinen Geist gegeben. Jeder kann zu seinem Beauftragten werden.

In ganz besonderer Weise aber haben die Christen schon immer Jesus Christus als Gottes Beauftragten in dieser Welt verstanden. Im Bericht von seiner Taufe, also von seiner öffentlichen Beauftragung, hieß es vorhin: Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Eine enge Verbindung zu Gott

Was bei Jesaja vom Wesen und vom Auftreten des Beauftragten steht, gilt aber auch von Jesus in einem besonderem Maße: Der Herr hat gesagt: Hier ist mein Beauftragter, hinter dem ich stehe. Ich habe ihn erwählt, ihm gilt meine Liebe, ich habe ihm meinen Geist gegeben.

Jesus stand in einem ganz besonderen Verhältnis zu Gott. Wie kein anderer konnte er zu Gott voll Vertrauen "Vater" sagen. Wie kein anderer hat er sich voll und ganz auf ihn verlassen. Gottes Geist kam geradezu sichtbar auf ihn herab. Weil er diesen Geist und diese enge Verbindung zu Gott hatte, konnte er reden und handeln als sei Gott selbst da.

Ein sanftes und leises Auftreten

Er schreit nicht und macht keinen Lärm. Er hält keine lauten Reden auf den Straßen.

Jesus hat im Stillen geholfen und kein Aufhebens darum gemacht. Er hat sich nicht wie ein Marktschreier oder Wunderheiler selbst in den Mittelpunkt gestellt, um bewundert zu werden. Wenn er jemand heilte, nahm er ihn auf die Seite. Es war eine ganz persönliche Angelegenheit zwischen ihm und diesem Menschen.

Das Recht der Zöllner und Huren

Er wird den Völkern meine neue Rechtsordnung verkünden.

Deutlich und ohne Angst sagte Jesus den Menschen, auch den einflussreichen, was recht ist vor Gott und was nicht. Er lehrte die Menschen unterscheiden zwischen dem, was Gott will, und dem, was Menschen an Gesetzen aufstellen, die die Freiheit nehmen. Er hörte auch nicht auf damit, als er merkte, dass man ihm als dem unbequemen Mahner ans Leben wollte. Neu war seine Rechtsordnung insofern, als er Unrecht wirklich deutlich Unrecht nannte, aber trotz allem den Menschen liebte. Das brachte er zum Ausdruck: Gott unterscheidet Person und Sache. Gott hasst das Unrecht, aber er lässt den Menschen, der es tut, nicht fallen. Deswegen wandte er sich den Zöllnern, Sündern und Huren zu.

Das Recht der Schwächeren

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Nicht das Recht des Stärkeren galt bei Jesus, sondern das Recht des Schwächeren. Wer in seinem Leben angeknackst ist wie ein Stab, der nur noch von wenigen Fasern zusammengehalten wird, der soll nicht ganz gebrochen werden. Wessen Leben am Verlöschen ist wie ein Docht, dem soll es nicht ganz ausgeblasen werden. Um eben diese Menschen: die Kranken, die Ausgestoßenen und Alten kümmerte sich Jesus. Denen war er ganz nahe.

Ist der sanfte Jesus gescheitert?

Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er meiner Rechtsordnung bei allen Völkern Geltung verschafft hat.

Beharrlich und geduldig hat Jesus trotz aller Anfeindungen dieses leise Programm der Liebe durchgehalten - aus unserer heutigen Sicht leider nur ein paar Jahre bis zum allzu schnellen, bitteren Ende am Kreuz. Und da liegt auch das Problem dieses Textes. Jesus als der Beauftragte Gottes ist zusammengebrochen. Gottes Recht kam nicht bei allen Menschen zur Geltung, wo doch Jesaja sagte: er wird nicht müde und bricht nicht zusammen.

Ist Jesus damit in seinem Auftrag gescheitert? Ist sein Programm überhaupt gescheitert? Die Bibel sagt: Jesus mag nach menschlichen Maßstäben gescheitert sein, Gewalt und Rücksichtslosigkeit scheinen damals gewonnen zu haben. Doch Gott hat sich zu diesem stillen und sanften Revolutionär der Liebe bekannt. Er hat ihn durch seine Auferweckung zum Herrn über alle Welt eingesetzt. Die, die an ihn glauben, sollen auf dieser Erde sein Werk weiterführen und in seine Fußstapfen treten. Und viele, auch Nichtchristen, haben das getan, mögen äußerlich gescheitert sein, und haben doch diese Welt verändert: Franz von Assisi, Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Martin Luther King, Nelson Mandela, Mutter Teresa ...

Beauftragte Gottes im Kleinen

Wir alle könnten im Kleinen solche Beauftragte Gottes in dieser Welt sein. Als Söhne und Töchter Gottes bezeichnet uns die Bibel. Wir sind getauft. Gott setzt große Hoffnungen in uns, ein wenig mehr Recht und Gerechtigkeit in diese Welt zu bringen. Ja, wenn da nicht immer wieder das Gefühl des Scheiterns wäre! Es braucht die Geduld, den langen Atem. Nicht der schnelle Erfolg ist entscheidend, sondern der langfristige. Nicht den Starken, den Lauten und Mächtigen soll es gelingen. Sondern den Stillen, Beharrlichen und Sanften wird Gottes Zukunft gehören. Wir brauchen mehr davon.

Wir brauchen Menschen mit Zivilcourage: Menschen, die bei Gewalt nicht wegschauen, aber auch nicht dreinschlagen, sondern den Jesusweg dazwischen finden. Jugendliche, die die Kraft der Argumente und nicht die Kraft der Fäuste in sich entdecken. Politiker, deren Zukunftsvisionen nicht nur die Länge einer Legislaturperiode haben. Mutige Politiker in Israel und Nordirland, die sich auf ihre Bibel besinnen und Hände reichen. Nur ihnen wird es gelingen, sagt Jesus:

Glücklich die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Glücklich, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Glücklich die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de