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Die Predigt |
Die Geburtsstunde
des christlichen Europa
Ein einmaliges Ereignis. Ein geschichtsträchtiges Ereignis, ohne
dass wir heute vielleicht nicht Gottesdienst feiern würden: die
Geburtsstunde der christlichen Kirche auf europäischem Boden.
Bis zu jenem Tag haben die Wege des Apostels Paulus nur bis nach Kleinasien,
also in die heutige Türkei, geführt. Nun überquert
der die Ägäis hinüber ins heutige Griechenland und
setzt zum ersten Mal einen Fuß auf europäischen Boden.
Eine Geschäftsfrau mit Namen Lydia wird die erste europäische
Christin und damit unser aller Ururururgroßmutter im Glauben.
Ein Predigttext, der eine Geschichte erzählt. Deswegen lohnt
es sich zu fragen: Wie war das damals? Aber auch: Was bedeutet das
für uns heute? Biblische Geschichte ist dazu da, dass sie durchsichtig
wird und ein Licht wirft in unser heutiges Leben. Wie entsteht und
wächst heute Gemeinde? Wie kommt einer zum Glauben und wie bleibt
er dabei?
Paulus lässt sich führen
Vor dem vorhin verlesenen Abschnitt wird erzählt, wie Paulus
mit seinen Begleitern die schon bestehenden Gemeinden in Kleinasien,
der heutigen Türkei, besucht und sie stärkt. Es sind christliche
Gemeinden, die auf seiner ersten Reise ein paar Jahre zuvor entstanden
waren. Dann wollen sie weiter, nach Westen an die Küste, doch
– so heißt es – „es wurde ihnen vom heiligen
Geist verwehrt“. Sie kamen weiter ins Landesinnere und wollten
nun nach Norden zum Schwarzen Meer, doch wieder (Zitat) „ließ
es der Geist Jesu nicht zu“. Welche Hindernisse sich da ergaben
und woran Paulus und seine Begleiter das Wirken des Heiligen Geistes
erkannten, wird nicht gesagt. Auf jeden Fall landen sie schließlich
an der Küste der Ägäis, dort, wo in noch älterer
Zeit das sagenhafte Troja gelegen hatte.
So eine auf den Geist Gottes hörende Demut täte auch uns
heute immer wieder gut. Paulus wusste: Die eigenen Pläne müssen
nicht unbedingt auch die Wege Gottes sein. Er hat auch in dem, was
nicht ging, Gottes Führung erkannt. Er hat sich nicht schmollend
in die Ecke gesetzt und mit Gott gehadert, der seine Pläne zunichte
macht. Auch durch Hindernisse kann Gott einen Weg zeigen.
Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf
Was macht Paulus nun in dieser Situation, wo nicht recht klar ist,
wie es weitergehen soll, wo alle seine eigenen Pläne danebengegangen
sind? Er legt sich erst einmal schlafen. Auch diese Ruhe und Gelassenheit
täte uns gut. Paulus legt sich schlafen. Sicher auch vor Müdigkeit.
Aber doch in dem Bewusstsein, dass der Gott, der ihn bis hierher geführt
hat, ihm auch zeigen würde, wie es weitergeht.
Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien
(also aus Griechenland, aus Europa) stand da und bat ihn: Komm herüber
und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, (und dann
springt die Erzählung um in die Augenzeugenbeschreibung) da suchten
wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin
berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
Eine Erscheinung bei Nacht. Ein Traum? Eine Vision? Ganz egal, wie
es gewesen sein mag, Paulus bekommt Gewissheit, wie es weitergehen
soll. Wie Gott einem Menschen Gewissheit schenkt, ist seine Sache.
Jetzt gibt es kein Zögern mehr.
Und auch das täte uns gut: Getrost und mutig anpacken, was wir
als richtig und wichtig erkannt haben. Da hat einer z.B. erkannt,
dass er mehr Sport treiben, oder sich mehr seiner Familie widmen oder
der Kirchengemeinde wieder näher kommen müsste, und dann
schiebt er es doch wieder vor sich her auf die lange Bank. Jene bekannten
lange Bank, auf der sich manches im Leben von selbst erledigt.
Nein, in Gottes Namen, wir müssten wie Paulus öfter einen
mutigen Schritt tun hinüber in ein neues Land. Und was im persönlichen
Leben gilt, das gilt auch für das Leben einer Kirchengemeinde
und alle ihre Planungen. Wir brauchen solche Visionen, solche Zukunftsbilder
wie Paulus, wie es weitergehen soll, auch wenn wir sie vielleicht
heute und morgen nicht erreichen.
Die Frauen sind die ersten
Im Text folgt nun die Beschreibung des Schiffahrts- und Landweges
bis in die römische Militärstadt Philippi. Es heißt,
Paulus und seine Begleiter blieben erst einmal einige Tage, wohl um
sich in der fremden Stadt und der noch fremderen Kultur zurechtzufinden.
In jeder fremden Stadt, in die er kam, ging Paulus immer erst in die
Synagoge, also das jüdische Versammlungshaus, um dort seinen
Glauben an Jesus Christus weiterzusagen. In Philippi gab es offenbar
keine Synagoge. So suchte Paulus zwei Kilometer außerhalb am
Fluss nach einem Gebets- und Versammlungsort. Am Fluss deshalb, weil
Synagogen bzw. Versammlungsorte wegen der im jüdischen Glauben
üblichen religiösen Waschungen normalerweise fließendes
Wasser in der Nähe hatten.
Am Sabbattag gingen wir hinunter vor die Stadt an den Fluss, wo
wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten
mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
Und wieder läuft alles anders, als Paulus sich das so gedacht
hat: Die Erscheinung in der Nacht hat ihn nach Europa gerufen, doch
in der Stadt interessiert sich niemand für ihn. Es gibt nicht
einmal eine anständige Synagoge. Und dann sitzen nur ein paar
Frauen beieinander, die nach jüdischer Vorstellung gar keinen
rechtschaffenen Gottesdienst begehen können. Zehn Männer
ab der Konfirmation müssen nach jüdischer Sitte mindestens
da sein. (Da müssten auch bei uns oft genug Gottesdienste ausfallen!)
Zu alledem war Paulus, so kann man es aus seinen Briefen herauslesen,
auch kein großer Frauenfreund. Also einseitig zugespitzt: Ein
Mann ruft ihn im Traum, aber was er vorfindet, sind nur ein paar Frauen.
Aber auch jetzt kann Paulus seine Vorbehalte zurückstellen und
sich auf Gottes Wege einlassen:
Wir setzten uns (so war es im jüdischen Gottesdienst üblich)
und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine gottesfürchtige
Frau (gottesfürchtig nannte man Menschen, die sich für den
jüdischen Glauben interessierten) mit Namen Lydia hörte
zu; der tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf acht hatte,
was von Paulus geredet wurde.
Ohne Gespräch und Austausch kein Glauben
Wie wird also ein Mensch Christ, auch heute noch, oder wie bleibt
er es? Wie wird er im Glauben gestärkt?
Er muss zuallererst einmal sich der frohen Botschaft aussetzen: Christ
wird man nicht, Glauben stärkt man nicht, indem man im Saft seiner
eigenen gewachsenen Überzeugungen schmort. Ein Wort von außen
ist notwendig: Ein Wort, das uns im Lesen oder Hören der Bibel
begegnet. Ein Wort der Predigt, live oder auch in Radio und Fernsehen.
Ein Wort eines geistlichen Menschen. Es gibt Glauben und Glaubensstärkung
nicht ohne das Hören.
Und dann folgt etwas, was nicht mehr in unserer Hand liegt: Der Herr
tat ihr das Herz auf. Nicht umsonst bitten wir um den Heiligen Geist
im Gottesdienst, der uns verstehen lässt, was wir hören.
Nur dann kann geschehen, dass die Predigt für uns nicht mehr
Rede über Gott, sondern Rede Gottes ist.
Warum bei den anderen Frauen neben Lydia damals dieses Wunder des
Verstehens nicht geschah, wissen wir genauso wenig, wie wir heute
wissen, warum in einem Gottesdienst mit denselben Worten die einen
angesprochen werden und die anderen nicht. Es ist auch nicht unsere
Sache und es wäre v.a. auch gar nicht schlimm, wenn der- oder
dieselbe, die an einem Sonntag nichts aufgenommen hat, am nächsten
Sonntag wiederkäme, um dann zu denen zu gehören, denen ein
Licht aufgeht.
Als sie aber mit ihrem ganzen Haus getauft war, bat sie uns und
sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt
in mein Haus und bleibt da.
Ziemlich schnell ging es damals mit der ersten Taufe auf europäischem
Boden. Und wie es üblich war, wurde neben der Hausherrin auch
die ganze Großfamilie in den neuen Glauben mit eingeschlossen.
Da steckt etwas Wichtiges drin: Glauben fällt schwer, wenn da
nicht eine ganze Familie sich einig ist und an einem Strang zieht.
Und noch wichtiger ist jene Frage der Lydia an den Paulus und seine
Begleiter: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube ... Ob
man wirklich glaubt, kann sich nur in der christlichen Gemeinschaft
erweisen. Ob man glaubt und wie man glaubt, zeigt sich allein im Gespräch
der Christen untereinander, in dem man sich auch einmal in Liebe korrigieren
lassen kann. Deswegen sind in der Gemeinde die Gruppen, die Gespräche
und Begegnungen so wichtig. Und deswegen haben die auch nur halb recht,
die betonen, dass man auch ohne die Gemeinde im stillen Kämmerlein
ein Christ sein kann. Man kann, aber die entscheidenden Impulse, die
einen weiterbringen, die fehlen.
Deswegen: Schön, dass Sie gekommen sind. |
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