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predigt[e].de

Die Predigt vom 3. Februa 2008 (Estomihi):
»Frömmigkeit und/oder Gerechtigkeit?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag vor der Passionszeit mit Namen Estomihi („Sei mir ein starker Fels“). Sein Themen sind der Weg zur Passion und der Aufruf zur Liebe. Evangelium (1. Lesung) war die Leidensankündigung Jesu und Epistel (2. Lesung) das „Hohelied der Liebe“ des Paulus. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) waren Worte des Propheten Jesaja im 58. Kapitel:
Predigttext
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Der Predigttext
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. 3 »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?« -
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Predigt
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Die Predigt

Reden und Tun müssen zusammenpassen

Bei meinen Besuchen und Gesprächen begegne ich ja nicht nur Kirchgängern und treuen Gemeindegliedern. Viele von denen entschuldigen sich dann auch, dass man sie so selten im Gottesdienst oder bei anderen Veranstaltungen sieht. Manche versuchen sich aber auch zu rechtfertigen mit dem altbekannten Argument, dass die, die regelmäßig in die Kirche „rennen“, ja auch nicht besser sind. Am Sonntagmorgen tun sie fromm und gleich nach dem Gottesdienst und unter der Woche sieht es dann ganz anders aus.
Ich gehe normalerweise nicht darauf ein, weil ich meistens den Eindruck habe, es sucht jemand nur eine Rechtfertigung, warum er selber nicht in den Gottesdienst kommt. Aber egal, ob solche pauschalen Vorwürfe stimmen oder nicht, sie zeigen doch eines: Von einem Christenmenschen erwartet man, dass Sonntag und Werktag, dass die Frömmigkeit und das tägliche Leben, dass das Reden und das Tun zusammenpassen sollen. Sonst sind wir nicht glaubwürdig.

Wendezeit vor 2.500 Jahren

Einen ähnlichen Vorwurf machte damals der Prophet Jesaja, als er sagte:
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.
2.500 Jahren sind diese Worte schon alt. Die Heimatvertriebenen, so würde man mit einem heutigen Wort sagen, sind wieder zu Hause. Fast 50 Jahre, zwei Generationen lang, war ein großer Teil des Volkes in der Verbannung in Babylonien. Nun ist das Volk wieder vereint: Die, die nicht verschleppt worden waren, und die Heimkehrer machen sich gemeinsam an den Wiederaufbau. Sie schöpfen Kraft in der Erinnerung an die sprichwörtliche „gute alte Zeit“. Doch es geht nicht so voran, wie man sich ausmalte. Und so hadern sie mit Gott, der ihnen trotz ihrer Frömmigkeit den Erfolg verweigert.
Der Prophet Jesaja als der geistliche Begleiter des Volkes legt seinen Finger in die Wunde: Die Frömmigkeitsübungen der guten alten Zeit mögen ernst gemeint sein, aber sie sind nichts anderes als erstarrte Rituale. Was in dieser Wendezeit wirklich ansteht, fehlt: Eine gelebte soziale Gerechtigkeit. So lässt Gott den Propheten ausrichten:
(Text siehe oben.)

Frömmigkeit und soziale Gerechtigkeit

Der Prophet kritisiert nicht die Frömmigkeit überhaupt, sondern eine Frömmigkeit, die die Augen verschließt vor den sozialen Problemen der Zeit. Eine Frömmigkeit, die nur mit Gott ins Reine kommen will, aber den Mitmenschen vergisst. Und als eine Säule der damaligen Frömmigkeit greift er sich speziell das Fasten heraus.
Aus diesem Grund ist wohl auch dieser Text für den Sonntag vor der Fastenzeit ausgesucht worden. Fasten war in der Evangelischen Kirche über lange Zeit hinweg als katholisch angesehen und verpönt. Bei den meisten war nur noch die Gewohnheit übrig, am Karfreitag kein Fleisch zu essen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, u.a. durch Aktionen wie „Sieben Wochen ohne“. Freiwillig eine Zeitlang auf etwas verzichten: Alkohol, Süßigkeiten, oder was auch immer. Dagegen wenden sich die Prophetenworte, so wie ich sie verstehe, nicht. Es sei denn, jemand meint, Gott müsse ihn für sein Fasten belohnen:
Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. 3 »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?«
Oder auch die andere Versuchung, dass man seine Frömmigkeit vor den Menschen und vor Gott heraushängen lässt:
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?
Doch dann die Hauptkritik des Jesaja: Alle eure Frömmigkeit hat nur dann einen Sinn, wenn Ihr darüber die soziale Gerechtigkeit nicht vergesst.
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.

Kritik an den Herren

Nicht so sehr der Wiederaufbau des Tempels war in den Augen des Propheten in der damaligen Wendezeit wichtig. Nicht so sehr die Wiederherstellung alter religiöser Ordnungen und Werte. Sondern ein Auge auf die Verlierer der Wende. Ein Auge auf die, die bei der Geschwindigkeit der Entwicklung nicht mitkommen:
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Wie schön könnte man mit diesen Worten auf die Verantwortlichen in den großen Konzernen einschlagen: Die wegen billigerer Löhne Arbeitsplätze gnadenlos von Deutschland nach Rumänien verlagern. Die Arbeitsplätze abbauen und gleichzeitig Manager mit Millionenabfindungen in den Ruhestand schicken.
Oder wie schön könnte man sich über die Politiker ereifern, die für ihre Bürger Kürzungen beschließen und gleichzeitig ihre Diäten erhöhen. Oder die sich von ihrem alten Ziel, dass ein Prozent des Bundeshaushalts für Entwicklungshilfe eingesetzt werden sollte, von Jahr zu Jahr weiter entfernen.
Die Kritik hat natürlich ihre Berechtigung, und die Kirchen dürfen hier auch kein Blatt vor den Mund nehmen. Doch im Rahmen einer Predigt ist die Gefahr doch groß, dass immer die anderen die Bösen sind. Die Gefahr ist groß, dass man sich sehr schnell einig ist und gemeinsam mit den Fingern in eine Richtung zeigt.

Sind immer die anderen die Bösen?

Jesaja wendet sich nicht nur an die Großen, an die Verantwortlichen, an die Regierenden. Soziale Gerechtigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe, eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft:
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
Wenn also heute Morgen auf dieser Kanzel hier diese Prophetenworte verlesen werden, dann kann es nicht nur und nicht so sehr um die Gerechtigkeit im Weltmaßstab oder im deutschen Maßstab gehen. Wo könnten wir hier in unserer Gemeinde, hier in unse¬rem Stadtteil gemeint sein, wenn Jesaja sagt:
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Wo sind wir angesprochen: als Glieder einer Kirchengemeinde, als Bürger eines Stadtteils, als Mitglieder in einem Verein, als Nachbarn Tür an Tür, als Familienmitglieder?
Könnte die Kritik des Jesaja auch uns gelten: Fromm seid ihr ja. Ihr besucht eure Gottesdienste. Euer Gemeindeleben ist rege. Aber wie stets mit eurem kranken Nachbarn, mit der ratlosen Freundin, mit der einsamen Großmutter... Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Entzieh dich nicht. Drück dich nicht. Verschließ die Augen nicht.

Sieben Wochen Verschwendung

Die Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ lädt in diesem Jahr nicht wie üblich zu sieben Wochen Verzicht, sondern zu sieben Wochen Verschwendung, zu sieben Wochen ohne Geiz ein. Was ist damit gemeint? Ich lese einige Sätze aus dem Aufruf (www.7-wochen-ohne.de):

„Unser diesjähriges Motto irritiert und reizt zugleich: Verschwendung – 7 Wochen ohne Geiz. Die Kirche ruft zu Verschwendung in der Fastenzeit auf? Das geht nun wirklich nicht! Doch es geht. Sogar sehr gut! ... Eine geizige Welt schlittert in eine zweite, in eine soziale Klimakatastrophe – außen die Erderwärmung, innen die Eiszeit kalter Berechnung. ... Denken Sie in den nächsten Wochen nicht darüber nach, zu welcher Entbehrung Sie sich als Nächstes überwinden, sondern fragen Sie sich, wem Sie der Nächste sein können. Verschwenden Sie Menschlichkeit – ihre Menschlichkeit! ... Fasten Sie und verschwenden Sie Zeit an Ihre Freunde, verschwenden Sie Ihr Geld für eine gute Sache, verschwenden Sie Liebe, genießen Sie, bleiben Sie genießbar.“
Sieben Wochen Zeit verschwenden, Menschlichkeit verschwenden. Sieben Wochen mit mehr Aufmerksamkeit für einen Menschen, dem ich eigentlich schon länger hätte Zeit gönnen wollen oder sollen. Der als Kranker oder Einsamer auf mich wartet: daheim oder im Krankenhaus oder im Altenheim. Sieben Wochen Zeitverschwendung für den Ehepartner, der auf uns wartet. Sieben Wochen Zeitverschwendung für Kinder oder Enkelkinder, die auf uns warten.

Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de