Reden
und Tun müssen zusammenpassen
Bei meinen Besuchen und Gesprächen begegne ich ja nicht nur
Kirchgängern und treuen Gemeindegliedern. Viele von denen entschuldigen
sich dann auch, dass man sie so selten im Gottesdienst oder bei
anderen Veranstaltungen sieht. Manche versuchen sich aber auch zu
rechtfertigen mit dem altbekannten Argument, dass die, die regelmäßig
in die Kirche „rennen“, ja auch nicht besser sind. Am
Sonntagmorgen tun sie fromm und gleich nach dem Gottesdienst und
unter der Woche sieht es dann ganz anders aus.
Ich gehe normalerweise nicht darauf ein, weil ich meistens den Eindruck
habe, es sucht jemand nur eine Rechtfertigung, warum er selber nicht
in den Gottesdienst kommt. Aber egal, ob solche pauschalen Vorwürfe
stimmen oder nicht, sie zeigen doch eines: Von einem Christenmenschen
erwartet man, dass Sonntag und Werktag, dass die Frömmigkeit
und das tägliche Leben, dass das Reden und das Tun zusammenpassen
sollen. Sonst sind wir nicht glaubwürdig.
Wendezeit vor 2.500 Jahren
Einen ähnlichen Vorwurf machte damals der Prophet Jesaja, als
er sagte:
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften
nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet,
hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.
2.500 Jahren sind diese Worte schon alt. Die Heimatvertriebenen,
so würde man mit einem heutigen Wort sagen, sind wieder zu
Hause. Fast 50 Jahre, zwei Generationen lang, war ein großer
Teil des Volkes in der Verbannung in Babylonien. Nun ist das Volk
wieder vereint: Die, die nicht verschleppt worden waren, und die
Heimkehrer machen sich gemeinsam an den Wiederaufbau. Sie schöpfen
Kraft in der Erinnerung an die sprichwörtliche „gute
alte Zeit“. Doch es geht nicht so voran, wie man sich ausmalte.
Und so hadern sie mit Gott, der ihnen trotz ihrer Frömmigkeit
den Erfolg verweigert.
Der Prophet Jesaja als der geistliche Begleiter des Volkes legt
seinen Finger in die Wunde: Die Frömmigkeitsübungen der
guten alten Zeit mögen ernst gemeint sein, aber sie sind nichts
anderes als erstarrte Rituale. Was in dieser Wendezeit wirklich
ansteht, fehlt: Eine gelebte soziale Gerechtigkeit. So lässt
Gott den Propheten ausrichten:
(Text siehe oben.)
Frömmigkeit und soziale Gerechtigkeit
Der Prophet kritisiert nicht die Frömmigkeit überhaupt,
sondern eine Frömmigkeit, die die Augen verschließt vor
den sozialen Problemen der Zeit. Eine Frömmigkeit, die nur
mit Gott ins Reine kommen will, aber den Mitmenschen vergisst. Und
als eine Säule der damaligen Frömmigkeit greift er sich
speziell das Fasten heraus.
Aus diesem Grund ist wohl auch dieser Text für den Sonntag
vor der Fastenzeit ausgesucht worden. Fasten war in der Evangelischen
Kirche über lange Zeit hinweg als katholisch angesehen und
verpönt. Bei den meisten war nur noch die Gewohnheit übrig,
am Karfreitag kein Fleisch zu essen. Das hat sich in den letzten
Jahren geändert, u.a. durch Aktionen wie „Sieben Wochen
ohne“. Freiwillig eine Zeitlang auf etwas verzichten: Alkohol,
Süßigkeiten, oder was auch immer. Dagegen wenden sich
die Prophetenworte, so wie ich sie verstehe, nicht. Es sei denn,
jemand meint, Gott müsse ihn für sein Fasten belohnen:
Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe.
3 »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien
wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?«
Oder auch die andere Versuchung, dass man seine Frömmigkeit
vor den Menschen und vor Gott heraushängen lässt:
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag,
an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen
lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?
Doch dann die Hauptkritik des Jesaja: Alle eure Frömmigkeit
hat nur dann einen Sinn, wenn Ihr darüber die soziale Gerechtigkeit
nicht vergesst.
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften
nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet,
hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.
Kritik an den Herren
Nicht so sehr der Wiederaufbau des Tempels war in den Augen des
Propheten in der damaligen Wendezeit wichtig. Nicht so sehr die
Wiederherstellung alter religiöser Ordnungen und Werte. Sondern
ein Auge auf die Verlierer der Wende. Ein Auge auf die, die bei
der Geschwindigkeit der Entwicklung nicht mitkommen:
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los,
die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch
gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch
weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach
sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide
ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Wie schön könnte man mit diesen Worten auf die Verantwortlichen
in den großen Konzernen einschlagen: Die wegen billigerer
Löhne Arbeitsplätze gnadenlos von Deutschland nach Rumänien
verlagern. Die Arbeitsplätze abbauen und gleichzeitig Manager
mit Millionenabfindungen in den Ruhestand schicken.
Oder wie schön könnte man sich über die Politiker
ereifern, die für ihre Bürger Kürzungen beschließen
und gleichzeitig ihre Diäten erhöhen. Oder die sich von
ihrem alten Ziel, dass ein Prozent des Bundeshaushalts für
Entwicklungshilfe eingesetzt werden sollte, von Jahr zu Jahr weiter
entfernen.
Die Kritik hat natürlich ihre Berechtigung, und die Kirchen
dürfen hier auch kein Blatt vor den Mund nehmen. Doch im Rahmen
einer Predigt ist die Gefahr doch groß, dass immer die anderen
die Bösen sind. Die Gefahr ist groß, dass man sich sehr
schnell einig ist und gemeinsam mit den Fingern in eine Richtung
zeigt.
Sind immer die anderen die Bösen?
Jesaja wendet sich nicht nur an die Großen, an die Verantwortlichen,
an die Regierenden. Soziale Gerechtigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe,
eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft:
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie
eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit
und dem Hause Jakob seine Sünden!
Wenn also heute Morgen auf dieser Kanzel hier diese Prophetenworte
verlesen werden, dann kann es nicht nur und nicht so sehr um die
Gerechtigkeit im Weltmaßstab oder im deutschen Maßstab
gehen. Wo könnten wir hier in unserer Gemeinde, hier in unse¬rem
Stadtteil gemeint sein, wenn Jesaja sagt:
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach
sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide
ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Wo sind wir angesprochen: als Glieder einer Kirchengemeinde, als
Bürger eines Stadtteils, als Mitglieder in einem Verein, als
Nachbarn Tür an Tür, als Familienmitglieder?
Könnte die Kritik des Jesaja auch uns gelten: Fromm seid ihr
ja. Ihr besucht eure Gottesdienste. Euer Gemeindeleben ist rege.
Aber wie stets mit eurem kranken Nachbarn, mit der ratlosen Freundin,
mit der einsamen Großmutter... Entzieh dich nicht deinem Fleisch
und Blut! Entzieh dich nicht. Drück dich nicht. Verschließ
die Augen nicht.
Sieben Wochen Verschwendung
Die Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ lädt in diesem
Jahr nicht wie üblich zu sieben Wochen Verzicht, sondern zu
sieben Wochen Verschwendung, zu sieben Wochen ohne Geiz ein. Was
ist damit gemeint? Ich lese einige Sätze aus dem Aufruf (www.7-wochen-ohne.de):
„Unser diesjähriges Motto irritiert und reizt zugleich:
Verschwendung – 7 Wochen ohne Geiz. Die Kirche ruft zu Verschwendung
in der Fastenzeit auf? Das geht nun wirklich nicht! Doch es geht.
Sogar sehr gut! ... Eine geizige Welt schlittert in eine zweite,
in eine soziale Klimakatastrophe – außen die Erderwärmung,
innen die Eiszeit kalter Berechnung. ... Denken Sie in den nächsten
Wochen nicht darüber nach, zu welcher Entbehrung Sie sich als
Nächstes überwinden, sondern fragen Sie sich, wem Sie
der Nächste sein können. Verschwenden Sie Menschlichkeit
– ihre Menschlichkeit! ... Fasten Sie und verschwenden Sie
Zeit an Ihre Freunde, verschwenden Sie Ihr Geld für eine gute
Sache, verschwenden Sie Liebe, genießen Sie, bleiben Sie genießbar.“
Sieben Wochen Zeit verschwenden, Menschlichkeit verschwenden. Sieben
Wochen mit mehr Aufmerksamkeit für einen Menschen, dem ich
eigentlich schon länger hätte Zeit gönnen wollen
oder sollen. Der als Kranker oder Einsamer auf mich wartet: daheim
oder im Krankenhaus oder im Altenheim. Sieben Wochen Zeitverschwendung
für den Ehepartner, der auf uns wartet. Sieben Wochen Zeitverschwendung
für Kinder oder Enkelkinder, die auf uns warten.
Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein
Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird
schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du
schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
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