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predigt[e].de

Die Predigt vom 2. März 2008 (Lätare):
»Von Gottes enttäuschter Leidenschaft«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 4. Sonntag in der Passionszeit mit Namen Lätare („Freut euch!“). Sein Thema ist die Lebenshingabe. Evangelium (1. Lesung) war Jesu Wort vom Weizenkorn und Epistel (2. Lesung) Worte des Paulus vom Trösten und Getröstet werden. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) waren Worte aus dem Propheten Jesaja Kapitel 54:
Predigttext
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Der Predigttext
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
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Die Predigt
Worte, die durchdringen

Bei Todesfällen und Schicksalsschlägen kann man erleben, wie wenig unsere eigenen Worte ausrichten, auch wenn sie noch so gut gemeint sind. Sie erreichen das Herz nicht. Sie können den Panzer der Trauer nicht durchdringen. Und dann kommen in unserer Hilflosigkeit Trauernden gegenüber solche Floskeln wie „Kopf hoch!“ oder „Es wird schon wieder.“
Doch es gibt Bibelworte, die entwickeln eine ganz andere Kraft. Das kann man dann bei einer Trauerfeier manchmal erleben, dass mit einem solchen Wort auf einmal jemand den Kopf hebt, dass Bewegung in ein versteinertes Gesicht kommt. Es gibt sie, diese alten bewährten Worte, die auch den Panzer der Trauer durchdringen können. Worte, in denen sich jemand von Gott verstanden und unmittelbar angesprochen fühlt, z.B. dieses:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Bei einem Todesfall oder anderen einschneidenden Erlebnissen geraten wirklich vorher felsenfest stehende Berge ins Wanken, gerät die geordnete Welt aus den Fugen, ereignet sich eine Art seelisches Erdbeben.
Und dann hört jemand: „Es mag im Moment wirklich alles über dir zusammenbrechen, aber ich, Gott, lasse dich nicht fallen. Ich habe dich nicht vergessen. Ich habe mich nicht von dir zurückgezogen. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag."
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Wenn der Glaube zu zerbrechen droht

Ein Wort des Propheten Jesaja. Die ersten Hörer dieses Wortes waren vor 2.500 Jahren Menschen in Israel. Sie hatten auch ihre Katastrophe, ihr seelisches Erdbeben hinter sich. Vielen ist der Glaube zerbrochen, als die Babylonier damals die Stadt Jerusalem mitsamt dem Tempel dem Erdboden gleich machten, und die entscheidenden Schichten der Bevölkerung in die Verbannung führten.
Und dann tritt nach fast 50 Jahren Trauerarbeit der Prophet Jesaja im Exil an die Öffentlichkeit und verkündet dem Volk die überraschende Wende: Keineswegs hat sich Gott von ihnen abgewandt, als sie in die Verbannung mussten. Er hat auch in dieser Zeit das Heft der Geschichte in der Hand gehalten. Sie selbst, die Israeliten, hatten sich in eine Sackgasse manövriert. Und er hat sie nicht aufgehalten. Er hat sie laufen lassen. Aber nun:
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

(Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja Kapitel 54.)

Ein enttäuschter Gott

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
50 Jahre lebten sie in der Verbannung. Die meisten aus der ersten Generation waren schon weggestorben, ohne die Heimat wieder zu sehen. Viele in der zweiten Generation hatten sich mit der neuen Lage arrangiert. 50 Jahre, für Gott ein Augenblick, wörtlich: so kurz wie ein Augenzwinkern.
Eine Art erzieherische Maßnahme, so sieht es der Prophet: Gott handelt wie ein Vater, der aus Enttäuschung und Ärger für kurze Zeit nicht mehr mit seinem Kind redet, sich ihm für kurze Zeit entzieht. Er spürt: Jetzt muss er einmal Härte zeigen, auch wenn es ihm selber am schwersten fällt.

Ein leidenschaftlicher Gott

8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
Ja, Gott hat nicht nur für einen Moment weggeblickt und die Sache laufen lassen. Er war gekränkt. Er war zornig. Er hat sich geärgert. Zorn und Liebe schließen sich nicht aus. Wer liebt, ist auch leidenschaftlich. Zorn ist nicht das Gegenteil der Liebe. Das Gegenteil der Liebe ist die Gleichgültigkeit. Und Gott war es eben nicht gleichgültig, wo sein Volk stur und kopflos hingerannt ist.
Und dann wieder dieser himmelweite erlösende Gegensatz vom Vers vorher: Zorn für die Dauer eines Augenzwinkerns – aber ewige Gnade.
Warum Gott sich für einen Moment zurückgezogen hat, warum er zornig war, steht nicht hier. Von Schuld redet der Prophet Jesaja nicht, nur von der enttäuschten Leidenschaft Gottes. Gott kartet nicht nach. Er tritt nicht nach. Er schmiert nicht die Vergangenheit genüsslich aufs Butterbrot. Wer diese Leidenschaft entdeckt, mit der Gott ihm nachgeht, der entdeckt automatisch auch, wo er vorher in die Irre gegangen ist. Es ist allemal fruchtbarer, selbst seine falschen Wege einzusehen, als sie von anderen vorgehalten zu bekommen.

Ein treuer Gott

9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Die Israeliten werden von Jesaja an ihre Geschichte erinnert: Wisst Ihr nicht, wie es damals bei Noah war? Wo Gott nach der Sintflut zum selben Ergebnis kam wie vor der Sintflut: dass alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist. Und Gott also - ganz menschlich gesagt - erkennen muss, dass alles Strafen nichts hilft.
21 Und der HERR ... sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. 22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8,21-22)
Diese Zusage Gottes wiederholt und erneuert Jesaja nun am Ende der Verbannungszeit. Gottes Treue bleibt bestehen, auch wenn es für kurze Zeit anders ausgesehen haben mag.

Gott reicht neu die Hand

Und dann abschließend dieses so bekannte, starke Wort:
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Gottes „Gnade“, wörtlich übersetzt: seine Verbundenheit, seine Treue stehen unerschütterlich. Seine Friedenszusage fällt nicht.
Von „Bund“ spricht die Bibel, wenn Gott den Menschen von sich aus die Hand reicht, wenn er von sich aus eine Bindung und eine Verpflichtung eingeht.
Gott geht mit Noah einen Bund ein und rettet ihn und seine Familie aus der Sintflut. Gott schließt mit Abraham einen Bund, dass er ihm das verheißene Land geben will und er zum Vater vieler Völker werden soll. Gott bekräftigt am Berg Sinai unter Mose seinen Bund mit dem Volk Israel und verspricht Treue auf tausend Generationen.
So wie Jesaja hatte im Alten Testament noch nie jemand von der Nähe Gottes geredet. Und doch wurde, so würden wir es als Christen vom Neuen Testament her sagen, Gottes Leidenschaft wieder enttäuscht. Und so tut Gott in Jesus den letzten entscheidenden Schritt. Er lässt seine Nähe nicht nur warmherzig ankündigen, sondern er kommt selber und wird in Jesus einer von uns. Dieser neue Bund hebt die alten Bundesschlüsse und Versprechen Gottes nicht auf, aber er geht weit darüber hinaus. „Dies ist der neue Bund in meinem Blut“. Das wird uns im Abendmahl immer neu zugesprochen.

Reifen auf dem Lebensweg

50 Jahre Gottverlassenheit in den Augen der Menschen. Für Gott selber ein Augenzwinkern. Wären die Israeliten für diese Gnadenzusage aus dem Mund des Jesaja schon eher reif gewesen? Reift jemand ohne Trauerarbeit? Reift jemand ohne die Möglichkeit, sich im Rückblick auf die eigenen Irrwege und Abwege zu besinnen?
Ich denke an die Angefochtenen unter uns. An die, die eine Zeitlang oder gar endgültig an Gott zweifeln: Müssen sie vielleicht auch erst geduldig durch die Anfechtung ihrer Babylonischen Gefangenschaften hindurch, bis die Erkenntnis reifen kann, dass Gott trotz allem treu bleibt?
Dem dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard wird das Wort zugeschrieben: „Leben muss man das Leben vorwärts, aber verstehen kann man es nur rückwärts.“ Wer Erschütterungen und seelische Erdbeben erlebt, kann noch nicht gleich verstehen. Er muss erst einmal nach vorne leben, bis dann wie bei den Israeliten einmal der Zeitpunkt kommt, wo eine Rückschau möglich wird: eine Rückschau auf die eigenen Wege und auf Gottes Wege mit mir.
Und dann ist es ein Segen, wenn es auch heute Menschen gibt, die wie Jesaja im Auftrag Gottes einem Menschen sagen: Gott hat dich nicht vergessen, egal, was gewesen ist. Sein Bund steht: Erinnere dich an die Zusage deiner Taufe. Erinnere dich an die Zusage deiner Konfirmation. Komm zum Abendmahl. Da reicht dir Gott neu die Hand.
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de