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predigt[e].de

Die Predigt vom 9. Juni 2002 (2. Sonntag nach Trinitatis):
»Mann beißt Hund oder: Kirche und Kommunikation«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag nach Trinitatis. Er hat als Thema die einladende Kirche. Evangelium ist das Gleichnis Jesu vom Festmahl, Epistel das Gleichnis des Paulus von der Kirche als Bau aus vielen Steinen. Predigttext war ein Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief Kapitel 9:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  16 Denn daß ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muß es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! 17 Täte ich's aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich's aber nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut. 18 Was ist denn nun mein Lohn? Daß ich das Evangelium predige ohne Entgelt und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache.
19 Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. 21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden - obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.

Predigt

  Einladende Kirche

Das Evangelium vom Festmahl gibt das Thema für den heutigen Sonntag vor: Einladende Kirche sollen wir sein. Gottes Einladung weitergeben wie die Knechte im Gleichnis, die der Hausherr aussendet, damit sie seine Einladung überbringen. Wir laden nicht zu uns ein, der Einladende ist und bleibt Gott.

Einladende Kirche, das ist beides: das einladende Kirchengebäude und die einladende Gemeinde mit allen ihren Gruppen und Menschen. Wenn wir im Moment die einladende Seite, die Vorderseite unserer Kirche erneuern, dann nicht um der Steine oder um der Kunst willen, sondern um der Menschen willen, die hier mit offenen Armen empfangen werden sollen. Auf die Boten kommt es an, auf die Art, wie die Einladung ausgesprochen wird. Darum geht es Paulus im 1. Brief an die Korinther Kapitel 9, wenn er von sich als dem Boten spricht. Zwei Dinge schneidet er an: die Frage des Geldes und die Art, wie er auf die Menschen zugeht. Zuerst das Geld:

Job oder Berufung?

16 Denn daß ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muß es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! 17 Täte ich's aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich's aber nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut. 18 Was ist denn nun mein Lohn? Daß ich das Evangelium predige ohne Entgelt und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache.

Mit unseren heutigen Begriffen ist Paulus ein Hauptamtlicher, einer, der in der Kirche sein Geld verdient. Ohne Frage steht ihm sein Lohn zu. Doch an diesem Punkt möchte er wie ein Ehrenamtlicher behandelt werden. Um Gottes Willen, um des Evangeliums willen, nicht um des Geldes Willen tut er seinen Dienst. Deswegen verdient er sich mit seinem erlernten Beruf Zeltmacher in den Städten, in denen er wirkt, seinen Lebensunterhalt selbst. Als Broterwerb, als einen Beruf, den man sich aussucht, kann er seinen Evangelistendienst nicht ansehen. Er weiß sich von Gott gerufen, ja geradezu gedrängt, gezwungen. Er kann nicht anders. Das ist ein klein wenig so, wie wenn heute zwischen Job und Beruf unterschieden wird: Beim Job geht es ums Geldverdienen, aber zu einem Beruf gehört auch eine Berufung.

Aber Paulus tut sich schwer mit seinen Argumenten: Überraschenderweise können die Korinther ihn mit seinem Verzicht auf Entlohnung nicht verstehen. Sie verweisen auf andere, die sich ganz selbstverständlich von der Gemeinde freihalten lassen. Ist er vielleicht kein richtiger Apostel? Oder wie wir heute sagen würden: Was nichts kostet, taugt offenbar nichts. Sei es, wie es will. Auf jeden Fall erhält sich Paulus seine Freiheit. Er kommt nicht in den Verdacht, seine Worte vielleicht vom Geld abhängig zu machen. Diesen leisen Verdacht hat er nämlich bei anderen.

Gewinnend auf Menschen zugehen

Die Boten und das Geld. Und noch das zweite Thema: Wie redet und verkündigt man einladend? Oder wie Paulus es ausdrückt: Wie gewinnt man Menschen für Gott, nicht für sich selbst?

19 Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. 21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden - obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.

Dass Paulus sich durch seinen Brotberuf sein Geld verdient, hat auch noch eine zweite Seite: Er kennt das Leben. Er weiß, wie es im Alltag zugeht. Die Arbeiter und kleinen Leute können ihm nicht vorwerfen, er rede über sie hinweg. Wenn einer mit den Menschen lebt und arbeitet, dann ergeben sich die Gespräche von alleine.

Den Menschen "aufs Maul schauen"

Paulus kann anknüpfen am wahren Leben. So ähnlich wie Jesus mit seinen Gleichnissen anknüpft an den alltäglichen Erfahrungen der Menschen seiner Zeit. Wer anderen Menschen etwas weitersagen will, darf nicht warten, bis die Menschen zu ihm kommen. Er selber muss zu den Menschen gehen. Wer etwas weitersagen will, darf nicht warten, bis die Hörer seine Sprache sprechen und sich auf sein gedankliches Niveau hinaufbegeben. Er muss selber die Sprache der Hörer sprechen.

So haben es auch die Missionare gemacht. Die ersten, die aus Bayern nach Papua-Neuguinea oder nach Afrika gegangen sind, haben erst einmal jahrelang mit den Menschen den Alltag geteilt, ihre Sitten kennengelernt, ihre Sprache gelernt, v.a. auch die Feinheiten zwischen den Zeilen, bevor sie mit ihrer Verkündigung angefangen haben.

Auf verschiedene Menschen verschieden eingehen

So behält sich Paulus auf der einen Seite seine Freiheit, macht sich aber um des Evangeliums willen, wie er sagt, freiwillig zum Knecht seiner Hörer: In der Weltstadt Korinth hatte Paulus mit Christen zu tun, die vorher Juden waren und mit solchen, die vorher Heiden waren. Ihre Traditionen waren grundverschieden. Er aber als geborener und studierter Jude, der jedoch in einer griechischen Umgebung groß geworden war, konnte und wollte auf beide eingehen. Er hat dabei Dinge gesagt und getan, die die jeweils andere Seite nicht verstanden hätte. Er hat sich dadurch auch Missverständnissen ausgesetzt.

Den Juden ist er ein Jude geworden. Denen, die unter dem Gesetz sind, ist er einer unter dem Gesetz geworden. Mit Gesetz sind hier die religiösen Vorschriften des Alten Testaments gemeint, Speisevorschriften zum Beispiel. Davon hat ihn Christus nach seiner Überzeugung befreit. Er schenkt seine Nähe, man kann sie sich nicht durch das Einhalten von Regeln verdienen. Aber um seine Hörer dort abzuholen, wie sie erzogen worden sind, geht er auf sie ein. Er würdigt ihre Bemühungen. Er spricht ihre Sprache. Er teilt ihr Leben. Was würde es helfen, wenn er seine Freiheit heraushängen lassen würde, wenn er seine Gastgeber oder Gesprächspartner provozieren würde und es dann gar nicht mehr zu einem sinnvollen Gespräch kommen würde?

Nähe oder Beliebigkeit?

Allen bin ich alles geworden. So sagt Paulus zusammenfassend. Eine Gratwanderung, ganz gewiss: Wie weit kann man den Menschen um des Evangeliums willen entgegenkommen? Wo ist die Grenze? Wo biedert man sich an? Wo redet man ihnen nach dem Mund? Wo hängt man sein Fähnlein nach dem Wind?

Schauen Sie in die aktuelle Politik: Wie weit darf man, um Wählerstimmen zu gewinnen, auf Stimmungen eingehen? Ist um der 18% willen jeder Tabubruch erlaubt? Das ist der Unterschied zu Paulus, der hier auch wenig Skrupel hat: Er will nichts für sich erreichen. Er will unter allen Umständen und mit allen Mitteln Menschen für das Evangelium, für Gott gewinnen. Dass er allen alles wird, bedeutet nicht Beliebigkeit und bedeutet auch nicht, dass er den Kern seiner Botschaft verleugnet.

Als Kirche von anderen lernen?

Vielleicht kann Kirche aber auch vom schlechtesten Vorbild noch etwas lernen: Wie können wir heute einladende Kirche sein? Wie machen wir uns bemerkbar in der Öffentlichkeit? Welche Tabus müssen um des Evangeliums willen vielleicht auch gebrochen werden? Es stimmt ja leider, dass die normalen Meldungen heute keine Aufmerksamkeit mehr erregen. Die Journalisten lernen: "Hund beißt Mann." Das interessiert niemand. Aber: "Mann beißt Hund." Das ist eine Schlagzeile.

Wie gewinnen wir z.B. die Jugend? Die unter uns, die es ohne Anbiederung echt und ehrlich können, die müssen und sollen auch die Sprache der Jugendlichen sprechen und jugendliche Methoden verwenden.

Viele Arbeiter hat die Kirche verloren. Die es können, müssen die Sprache der Arbeiter sprechen und sich zu ihnen hin begeben.

Wirtschaft und Management haben mit der Kirche wenig am Hut. Die es können, müssen sich in ihre Kreise begeben, ihre Art zu leben kennenlernen und ihre Sprache sprechen.

Kirche im Internet, Kirche auf den großen Plakatwänden, Kirche in der Kinowerbung, Pfarrer in Talkshows - warum nicht? Ich glaube, der Paulus, der sich damals der modernsten Medien bedient hat, hätte heute keine Angst davor und hätte sich wohl wieder Mißverständnissen ausgesetzt.

Der Inhalt darf nicht verloren gehen

Im Bild gesagt: Die Verpackung des Evangeliums darf ruhig die buntesten Farben annehmen, das schreiendste Outfit haben, der Inhalt aber, der Kern, der muss bleiben. Verpackung und Inhalt dürfen nicht verwechselt werden. Eine Gratwanderung, ich weiß.

So ziehen heute die einen die Grenzen weiter, die anderen ziehen sie enger. Die einen warnen: Ihr verkauft euch an den Zeitgeist. Die anderen sagen: Wenn wir nicht auf den modernen Menschen zugehen und seine Sprache sprechen, wie können wir ihn mit dem Evangelium erreichen?

Und die Gemeinde?

Was bedeutet das nach 40 Jahren für unsere Gemeinde? Was ist heute dran? Ich habe keine Patentantworten. Ich denke, wir müssen sie gemeinsam finden. Zu seinem Dienstantritt vor über 40 Jahren hat der damalige Kreisdekan Burkert an Spieß geschrieben: "Es steht vor Ihnen eine neue, sehr schöne, aber auch sehr schwere Arbeit. Sie müssen eigentlich ziemlich von vorne beginnen, wenn Sie die große künftige Gemeinde Saas sammeln wollen. Da müssen Sie laufen, laufen, laufen, von Haus zu Haus und jede Gelegenheit wahrnehmen, mit der stark sozialistischen Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Sie brauchen zu diesem Kontakt den Takt des weisen, geduldigen, liebenden Christen, der auch zuhören, warten, schweigen und aufnehmen kann, der aber sein Ziel nicht aus dem Auge läßt." Das gilt auf der einen Seite heute noch. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ganz andere neue Herausforderungen. Denken Sie als Gemeinde mit. Phantasieren Sie mit. Beten Sie mit. Der Pfarrer kann es nicht allein.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de