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predigt[e].de

Die Predigt vom 15. Juni 2008 (4. Sonntag nach Trinitatis):
»Der Feind an meiner Seite«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 4. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist der Umgang untereinander in der Gemeinde. Evangelium (1. Lesung) war Jesu Gleichnis von Splitter und Balken im Auge und Epistel (2. Lesung) der Aufruf des Paulus, nicht zu richten. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war aus dem Römerbrief Kapitel 12:
Predigttext
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Der Predigttext
17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
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Die Predigt
Menschen, die es einem schwer machen

Sie sind in der Stadt unterwegs und sehen schon weitem jemand kommen, dem Sie nicht unbedingt begegnen wollen. Er hat sie noch nicht wahrgenommen. Vielleicht wechseln Sie die Straßenseite. Vielleicht gehen Sie in ein Geschäft. Vielleicht nehmen Sie einen Umweg über die nächste Seitenstraße. ...
Es gibt Menschen, mit denen man ganz einfach nicht zurechtkommt, Menschen, denen man lieber aus dem Weg geht: Einen Nachbarn vielleicht, einen Arbeitskollegen, einen Schulkameraden, einen Verwandten, einen ehemals guten Bekannten.
Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, es läge am anderen: Ein Mensch, der es einem beim besten Willen schwer macht, mit ihm auszukommen. Ein Mensch, der keine Gelegenheit auszulassen scheint, einem etwas auszuwischen oder Schlechtes über einen zu reden. Vielleicht geht er auch nur auf die Nerven. Vielleicht redet er zu viel.
Nun - kennen Sie da einen Menschen? Dann lade ich Sie zu einem kleinen Experiment ein: Machen Sie in Gedanken neben sich ein wenig Platz in der Bank. Links oder rechts, das ist egal. Und nun setzen Sie diesen Menschen ganz einfach einmal in Gedanken neben sich. Sie meinen, das geht nicht? Doch, doch, bei etwas Phantasie und guten Willen schon. Halten Sie ein wenig Abstand, damit Sie sich nicht zu sehr aneinander reiben. Und bleiben Sie einmal eine Predigt lang nebeneinander sitzen. ...

Haben Sie einen Feind?

Und wenn Ihnen jetzt niemand eingefallen ist? Wenn Ihnen niemand Böses will. Dann seien Sie von Herzen dankbar, aber hören Sie doch weiter zu. Dieses kleine Experiment ist hilfreich für die Bibelworte, die nun folgen. Sehr persönliche Worte, unbequeme Worte, wenn man sie wörtlich nimmt. Der Apostel Paulus im 12. Kapitel seines Briefs nach Rom:
17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Von einem „Feind“ redet Paulus hier. Wir würden vielleicht nicht ganz so weit gehen, wenn wir an jenen Menschen denken, um den es geht. Feind, das ist schon ein hartes Wort. Aber Böses hat man vielleicht von ihm erlebt. Und Rachegefühle, die hier beschrieben werden, sind einem vielleicht nicht fremd.
Wie gehe ich nun damit um: mit ihm, diesem Menschen, und dem, was ich von ihm erlebe. Wie gehe um mit meinen Gefühlen gegen ihn?

Feinde zu Freunden machen

Zum Einstieg und zum Nachdenken eine kleine Geschichte:
„Von einem alten chinesischen Kaiser wird berichtet, dass er das Land seiner Feinde erobern und sie alle vernichten wollte. Später sah man ihn mit seinen Feinden speisen und scherzen. »Wolltest du nicht die Feinde vernichten?« fragte man ihn. »Ich habe sie vernichtet«, gab er zur Antwort, »denn ich machte sie zu meinen Freunden!«“
Einen Feind haben, das ist für manche eigentlich ganz schön: Man hat ein Feind-bild. Man hat einen Sündenbock. Man muss sich nicht lange damit beschäftigen, welchen Anteil man selbst an der Sache hat.
Wer aber nicht so leben will, der sollte alles tun, damit mögliche Feinde zu Freunden werden. Feinde wollen nicht bekämpft und besiegt, sondern gewonnen werden. Denn Feinde, die wiederum angefeindet werden, werden ja doch nur noch feindseliger. Die Feindschaft und das Böse haben ein Grundgesetz: Sie wollen immer mehr. Sie können nicht aufhören. Sie zwingen uns in diesen bösen Kreislauf: „Wie du mir, so ich dir.“ oder „Wie du mir, so ich dir noch ein bisschen mehr.“ Nur wenn einer anfängt, dieses Gesetz zu durchbrechen, kann etwas anders werden.

Wer muss damit anfangen?

Was kann ich tun, damit ein Feind nicht mehr ein Feind zu sein braucht? Das ist der entscheidende Kern der Worte des Paulus. Was macht er? Er dreht die Fragerichtung um. Er fragt nicht, wie sonst immer gefragt wird: Was muss der andere tun, damit es besser wird zwischen uns. Er fragt: Was muss, was kann ich tun?
Paulus schreibt den Christen in der Stadt Rom. Er kennt die Menschen dort nicht. Er war nie dort. Er schreibt auch nicht, weil er von bestimmten Problemen in der Gemeinde dort wüsste. Das heißt doch nichts anderes als: Ganz egal, wie und wo Christen leben, es gibt solche Feindschaft untereinander, doch Christen sollen die ersten sein, die diesen Kreislauf des Bösen und der Feindschaft durchbrechen.

Schielen Sie in Gedanken einmal vorsichtig zur Seite: Hin zu dem Menschen, den Sie neben sich gesetzt haben. Wer muss anfangen? Er oder Sie? ...

Auch mein Feind ist geliebt

Warum können und sollen gerade Christen einen ersten Schritt tun? „Geliebte“, spricht Paulus die Christen in Rom an. „Meine Lieben“ übersetzt Luther etwas ungenau. Da Paulus die Christen in Rom nicht persönlich kennt, handelt es sich hier nicht einfach nur um eine freundliche Begrüßung. Er spricht sie an als von Gott Geliebte. Wer anders könnte diesen Mut und diese Kraft aufbringen, über den eigenen Schatten zu springen und einem Menschen, der einem Böses will, freundlich entgegenzukommen? Wer anders als einer, der sich selbst von Gott geliebt und gehalten weiß. „Ich bin ein von Gott geliebter Mensch. - Und trotz allem, was da zwischen uns steht: Der andere oder die andere auch.“

Schielen Sie in Gedanken noch einmal vorsichtig auf die Seite zu ihrem unsichtbaren Nachbarn: Da sitzt ein Mensch. Da sitzt ein Geschöpf Gottes. ...

Den Teufelskreis durchbrechen

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen wird Paulus ganz praktisch: Was sollte man als Christ nicht tun? Und: wie könnte man versuchen, es besser zu machen?
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Rächt euch nicht selbst, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“
Durchbrecht als Christen den Teufelskreis, den Kreislauf des Bösen. Zahlt nicht mit gleicher Münze heim. Legt kein weiteres Holz ins Feuer. Gießt kein Öl nach. Vielleicht kann das Feuer langsam ausgehen, soweit es an euch liegt.
Überlasst es Gott, wie er mit einem Menschen umgehen will, der Böses tut, Euch oder andere hintergeht. Aber überlasst es ihm wirklich! Wünscht einem anderen auch nicht auf Umwegen das Unheil auf den Hals, indem Ihr sagt: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gründlich.“ Als ob Ihr ganz genau wüsstet, wer der Böse ist und was Gott vor hat.

Sich kreativ wehren

Was sollen wir statt dessen tun? „Wehrt euch“, sagt Paulus, „aber wehrt euch mit anderen Mitteln“:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.“
Sich überhaupt nicht wehren, nur erdulden oder aus dem Weg gehen, bremst ja den Kreislauf des Bösen und der Feindschaft nicht. Der andere spürt eher, dass er einen bequemen Gegner gefunden hat und wird noch mehr gereizt. „Überwinde den anderen. Überwinde den Bösen oder das Böse.“ Also: „Wehr dich“, sagt Paulus. „Geh auf den anderen ein. Aber setze ihm Gutes entgegen! Überrasche ihn, verblüffe ihn, beschäme ihn, indem Du nicht so reagierst, wie er es erwartet. Bring öffentlich Verständnis auf für den, der heimlich Falsches über dich verbreitet. Geh aktiv auf den zu, der die Begegnung mit Dir scheut. Vielleicht kannst Du ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen.“
„Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
Was ist mit diesem Bild gemeint? Ganz klar wird es nicht aus dem Text. Am ehesten ist dieses Bild aus den Sprüchen Salomo noch so zu verstehen: Wenn Du in dieser überraschenden und unerwarteten Weise auf den anderen zugehst, dann muss ihm seine Unbarmherzigkeit so heiß und unangenehm werden, als hätte er glühende Kohlen auf seinem Kopf.

Und wenn der andere nicht will?

Vielleicht haben Sie jetzt schon die ganze Zeit auf die Seite geschielt, hin zu jenem, den Sie da in Gedanken neben sich gesetzt haben. Vielleicht haben Sie sich gedacht: „Das ist ja alles schön und gut. Wie viel habe ich ihm gegenüber schon versucht. Aber nichts hat gefruchtet.“
Paulus sieht auch das, wenn er sagt:
„Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
„Soviel an euch liegt.“ Das nimmt ernst, dass manche noch so große Bemühung von unserer Seite erfolglos bleiben kann. Aber das Grundsätzliche ist damit nicht außer Kraft: Du bist von Gott geliebt. - Aber er oder sie auch.
In diesem Sinn verabschieden Sie sich nun wieder von Ihrem unsichtbaren Nachbarn. Vielleicht hat sich ja schon ein klein wenig geändert, nachdem Sie so nah nebeneinander waren. Und wenn nicht: Sie müssen sich ja nicht gleich mögen. Aber gegenseitiger Respekt, das wäre schön. Wie gesagt: Sie sind von Gott geliebt – aber der andere auch.
Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de