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Die Predigt |
Menschen, die es
einem schwer machen
Sie sind in der Stadt unterwegs und sehen schon weitem jemand kommen,
dem Sie nicht unbedingt begegnen wollen. Er hat sie noch nicht wahrgenommen.
Vielleicht wechseln Sie die Straßenseite. Vielleicht gehen Sie
in ein Geschäft. Vielleicht nehmen Sie einen Umweg über
die nächste Seitenstraße. ...
Es gibt Menschen, mit denen man ganz einfach nicht zurechtkommt, Menschen,
denen man lieber aus dem Weg geht: Einen Nachbarn vielleicht, einen
Arbeitskollegen, einen Schulkameraden, einen Verwandten, einen ehemals
guten Bekannten.
Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, es läge am anderen:
Ein Mensch, der es einem beim besten Willen schwer macht, mit ihm
auszukommen. Ein Mensch, der keine Gelegenheit auszulassen scheint,
einem etwas auszuwischen oder Schlechtes über einen zu reden.
Vielleicht geht er auch nur auf die Nerven. Vielleicht redet er zu
viel.
Nun - kennen Sie da einen Menschen? Dann lade ich Sie zu einem kleinen
Experiment ein: Machen Sie in Gedanken neben sich ein wenig Platz
in der Bank. Links oder rechts, das ist egal. Und nun setzen Sie diesen
Menschen ganz einfach einmal in Gedanken neben sich. Sie meinen, das
geht nicht? Doch, doch, bei etwas Phantasie und guten Willen schon.
Halten Sie ein wenig Abstand, damit Sie sich nicht zu sehr aneinander
reiben. Und bleiben Sie einmal eine Predigt lang nebeneinander sitzen.
...
Haben Sie einen Feind?
Und wenn Ihnen jetzt niemand eingefallen ist? Wenn Ihnen niemand Böses
will. Dann seien Sie von Herzen dankbar, aber hören Sie doch
weiter zu. Dieses kleine Experiment ist hilfreich für die Bibelworte,
die nun folgen. Sehr persönliche Worte, unbequeme Worte, wenn
man sie wörtlich nimmt. Der Apostel Paulus im 12. Kapitel seines
Briefs nach Rom:
17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes
bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an
euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch
nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn
es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten,
spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert,
gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das
tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. 21
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde
das Böse mit Gutem.
Von einem „Feind“ redet Paulus hier. Wir würden vielleicht
nicht ganz so weit gehen, wenn wir an jenen Menschen denken, um den
es geht. Feind, das ist schon ein hartes Wort. Aber Böses hat
man vielleicht von ihm erlebt. Und Rachegefühle, die hier beschrieben
werden, sind einem vielleicht nicht fremd.
Wie gehe ich nun damit um: mit ihm, diesem Menschen, und dem, was
ich von ihm erlebe. Wie gehe um mit meinen Gefühlen gegen ihn?
Feinde zu Freunden machen
Zum Einstieg und zum Nachdenken eine kleine Geschichte:
„Von einem alten chinesischen Kaiser wird berichtet, dass er
das Land seiner Feinde erobern und sie alle vernichten wollte. Später
sah man ihn mit seinen Feinden speisen und scherzen. »Wolltest
du nicht die Feinde vernichten?« fragte man ihn. »Ich
habe sie vernichtet«, gab er zur Antwort, »denn ich machte
sie zu meinen Freunden!«“
Einen Feind haben, das ist für manche eigentlich ganz schön:
Man hat ein Feind-bild. Man hat einen Sündenbock. Man muss sich
nicht lange damit beschäftigen, welchen Anteil man selbst an
der Sache hat.
Wer aber nicht so leben will, der sollte alles tun, damit mögliche
Feinde zu Freunden werden. Feinde wollen nicht bekämpft und besiegt,
sondern gewonnen werden. Denn Feinde, die wiederum angefeindet werden,
werden ja doch nur noch feindseliger. Die Feindschaft und das Böse
haben ein Grundgesetz: Sie wollen immer mehr. Sie können nicht
aufhören. Sie zwingen uns in diesen bösen Kreislauf: „Wie
du mir, so ich dir.“ oder „Wie du mir, so ich dir noch
ein bisschen mehr.“ Nur wenn einer anfängt, dieses Gesetz
zu durchbrechen, kann etwas anders werden.
Wer muss damit anfangen?
Was kann ich tun, damit ein Feind nicht mehr ein Feind zu sein braucht?
Das ist der entscheidende Kern der Worte des Paulus. Was macht er?
Er dreht die Fragerichtung um. Er fragt nicht, wie sonst immer gefragt
wird: Was muss der andere tun, damit es besser wird zwischen uns.
Er fragt: Was muss, was kann ich tun?
Paulus schreibt den Christen in der Stadt Rom. Er kennt die Menschen
dort nicht. Er war nie dort. Er schreibt auch nicht, weil er von bestimmten
Problemen in der Gemeinde dort wüsste. Das heißt doch nichts
anderes als: Ganz egal, wie und wo Christen leben, es gibt solche
Feindschaft untereinander, doch Christen sollen die ersten sein, die
diesen Kreislauf des Bösen und der Feindschaft durchbrechen.
Schielen Sie in Gedanken einmal vorsichtig zur Seite: Hin zu dem Menschen,
den Sie neben sich gesetzt haben. Wer muss anfangen? Er oder Sie?
...
Auch mein Feind ist geliebt
Warum können und sollen gerade Christen einen ersten Schritt
tun? „Geliebte“, spricht Paulus die Christen in Rom an.
„Meine Lieben“ übersetzt Luther etwas ungenau. Da
Paulus die Christen in Rom nicht persönlich kennt, handelt es
sich hier nicht einfach nur um eine freundliche Begrüßung.
Er spricht sie an als von Gott Geliebte. Wer anders könnte diesen
Mut und diese Kraft aufbringen, über den eigenen Schatten zu
springen und einem Menschen, der einem Böses will, freundlich
entgegenzukommen? Wer anders als einer, der sich selbst von Gott geliebt
und gehalten weiß. „Ich bin ein von Gott geliebter Mensch.
- Und trotz allem, was da zwischen uns steht: Der andere oder die
andere auch.“
Schielen Sie in Gedanken noch einmal vorsichtig auf die Seite zu ihrem
unsichtbaren Nachbarn: Da sitzt ein Mensch. Da sitzt ein Geschöpf
Gottes. ...
Den Teufelskreis durchbrechen
Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen wird Paulus ganz
praktisch: Was sollte man als Christ nicht tun? Und: wie könnte
man versuchen, es besser zu machen?
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Rächt
euch nicht selbst, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“
Durchbrecht als Christen den Teufelskreis, den Kreislauf des Bösen.
Zahlt nicht mit gleicher Münze heim. Legt kein weiteres Holz
ins Feuer. Gießt kein Öl nach. Vielleicht kann das Feuer
langsam ausgehen, soweit es an euch liegt.
Überlasst es Gott, wie er mit einem Menschen umgehen will, der
Böses tut, Euch oder andere hintergeht. Aber überlasst es
ihm wirklich! Wünscht einem anderen auch nicht auf Umwegen das
Unheil auf den Hals, indem Ihr sagt: „Gottes Mühlen mahlen
langsam, aber gründlich.“ Als ob Ihr ganz genau wüsstet,
wer der Böse ist und was Gott vor hat.
Sich kreativ wehren
Was sollen wir statt dessen tun? „Wehrt euch“, sagt Paulus,
„aber wehrt euch mit anderen Mitteln“:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse mit Gutem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber
jedermann.“
Sich überhaupt nicht wehren, nur erdulden oder aus dem Weg gehen,
bremst ja den Kreislauf des Bösen und der Feindschaft nicht.
Der andere spürt eher, dass er einen bequemen Gegner gefunden
hat und wird noch mehr gereizt. „Überwinde den anderen.
Überwinde den Bösen oder das Böse.“ Also: „Wehr
dich“, sagt Paulus. „Geh auf den anderen ein. Aber setze
ihm Gutes entgegen! Überrasche ihn, verblüffe ihn, beschäme
ihn, indem Du nicht so reagierst, wie er es erwartet. Bring öffentlich
Verständnis auf für den, der heimlich Falsches über
dich verbreitet. Geh aktiv auf den zu, der die Begegnung mit Dir scheut.
Vielleicht kannst Du ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen.“
„Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt
sammeln.“
Was ist mit diesem Bild gemeint? Ganz klar wird es nicht aus dem Text.
Am ehesten ist dieses Bild aus den Sprüchen Salomo noch so zu
verstehen: Wenn Du in dieser überraschenden und unerwarteten
Weise auf den anderen zugehst, dann muss ihm seine Unbarmherzigkeit
so heiß und unangenehm werden, als hätte er glühende
Kohlen auf seinem Kopf.
Und wenn der andere nicht will?
Vielleicht haben Sie jetzt schon die ganze Zeit auf die Seite geschielt,
hin zu jenem, den Sie da in Gedanken neben sich gesetzt haben. Vielleicht
haben Sie sich gedacht: „Das ist ja alles schön und gut.
Wie viel habe ich ihm gegenüber schon versucht. Aber nichts hat
gefruchtet.“
Paulus sieht auch das, wenn er sagt:
„Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen
Menschen Frieden.“
„Soviel an euch liegt.“ Das nimmt ernst, dass manche noch
so große Bemühung von unserer Seite erfolglos bleiben kann.
Aber das Grundsätzliche ist damit nicht außer Kraft: Du
bist von Gott geliebt. - Aber er oder sie auch.
In diesem Sinn verabschieden Sie sich nun wieder von Ihrem unsichtbaren
Nachbarn. Vielleicht hat sich ja schon ein klein wenig geändert,
nachdem Sie so nah nebeneinander waren. Und wenn nicht: Sie müssen
sich ja nicht gleich mögen. Aber gegenseitiger Respekt, das wäre
schön. Wie gesagt: Sie sind von Gott geliebt – aber der
andere auch.
Amen |
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