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predigt[e].de

Die Predigt vom 22. Dezember 2002 (4. Advent):
»Hört auf zu jammern!«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 4. Sonntag im Advent, dessen Thema die Vorfreude auf das Kommen Gottes ist. Evangelium und Predigttext war der Lobgesang der Maria aus Lukas 1 (s.u.). Epistel ist der Aufruf des Paulus zur Freude.
Dem Beginn der Predigt lag ein Bild aus dem Evangelischen Gesangbuch zugrunde, das ich aus Urheberrechtsgründen hier nicht zeige.

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  39 Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda 40 und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. 41 Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt 42 und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! 43 Und wie geschieht mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44 Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. 45 Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.
46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, 47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; 48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. 49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. 51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. 52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. 53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen. 54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, 55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. 56 Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim.

Predigt

  Maria und Elisabeth

Sie haben von der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth im Evangelium gehört. Ich lade Sie dazu wie angekündigt zur Betrachtung eines Bildes ein. Sie finden es im Gesangbuch neben der Nr. 311 (auf der Seite 576).

Zwei Frauen begegnen sich. Nur auf die beiden Menschen kommt es an. Alles andere ist weggelassen auf diesem Bild. Ja, noch mehr: Wichtig und aussagekräftig sind eigentlich nur ihre Gesichter und Hände. Sie heben sich, als wären sie von Licht angestrahlt, aus dem Dunkel heraus. Auf der rechten Seite, deutlich jünger als die andere: Maria. Den Kopf hat sie leicht gesenkt, die Augen geschlossen. Scheu ihre Hände, sie wagt die andere nicht zu berühren. Unsicher? Ängstlich? Fragend? Eine allzu junge werdende Mutter halt mit allem, was einem solchen Mädchen durch den Kopf gehen mag. Verlobt war sie, so lesen wir im Neuen Testament, also durch die Eltern einem Mann rechtsgültig versprochen, ohne dass die Ehe schon aufgenommen war. Und verlobt, das war man damals üblicherweise mit ca. 13 Jahren.

Auf der linken Seite Elisabeth, die deutlich Ältere: Wir sehen es an den Haaren, den Backenknochen, den Händen. Elisabeth, die Ältere und Erfahrene. Die alte Mutter. Schwanger in einem Alter, in dem niemand mehr mit einer Schwangerschaft rechnen kann. Es heißt ja, Zacharias, ihr Mann, habe den Engel Gabriel ausgelacht, als er ihm die Geburt seines Stammhalters Johannes ankündigte. Elisabeth, die Lebenserfahrene, mit Gesten der Zärtlichkeit: eine Hand legt sie der Jüngeren um den Hals, sie flüstert ihr etwas ins Ohr oder küsst sie sanft auf die Wange, die andere Hand berührt den schon deutlich gewölbten Bauch der Schwangeren. Maria hat Zuwendung und Zärtlichkeit nötig.

Käthe Kollwitz und die Frauen

Käthe Kollwitz hat 1928 diesen Holzschnitt geschaffen. Käthe Kollwitz, eine bedeutende deutsche Künstlerin. Sie lebte und arbeitete in einer Zeit, in der Frauen als Künstlerinnen noch einen schlechten Stand hatten. In Berlin war sie Mitglied in der Preußischen Akademie der Künste und erhielt dort als erste Frau ein Lehramt, das sie bis zu ihrer Verfemung durch die Nationalsozialisten 1933 innehatte. Ihr bevorzugtes Thema war das Leid der Menschen in der damaligen Zeit: der Zeit des 1. Weltkriegs und anschließend. Vor allem die Mütter und die Kinder der damaligen Zeit als die Hauptleidtragenden von Armut und Krieg stellte sie dar. Eine dunkle Zeit war es. Dunkel sind die Holzschnitte und die Radierungen von Käthe Kollwitz.

Vom Ernst der Weihnachtsgeschichten

Passt die traurige und ernste Darstellung von Käthe Kollwitz zu dem Evangelium des heutigen Sonntags? Passt sie zu der Freude, die uns im Text gezeigt wird: Das Kind der Elisabeth hüpft vor Freude in ihrem Bauch bei dieser Begegnung, so heißt es. Und Maria, als sie von Elisabeth hört, wen sie da im Leibe trägt, stimmt ein Loblied auf Gott an. Gewiss ist Käthe Kollwitz in ihrer ernsten Darstellung von ihrer damaligen Zeit geprägt. Und doch ist sie damit wohl sehr nahe an Maria und Elisabeth dran. Wir dürfen nicht übersehen, dass die Weihnachtsgeschichten nur äußerlich alle so lieblich klingen. Lieblicher als sie damals in Wirklichkeit waren:

Ein junges Mädchen, das seiner Familie und seinem Verlobten erklären muss, wo ihr Kind herkommt, obwohl sie es doch überhaupt nicht erklären kann. Kein Wunder, dass sie sich für ein Vierteljahr zu ihrer mütterlichen Freundin Elisabeth flüchtet. Offenbar findet sie dort die Festigkeit für ihren weiteren Weg. Und auch die bekannte Fortsetzung der Geschichte durchaus armselig und beschwerlich: Der weite Weg. Der unwirtliche Stall, damals in Israel eine in die Kalkfelsen gehauene Höhle. Die Hirten als das niedrigste Gesindel, das es damals gab. Und dazu noch das, was die beiden Frauen auf diesem Bild noch nicht wissen, aber vielleicht ahnen: Beide Kinder werden ein kurzes Leben haben, Johannes der Täufer und Jesus. Als unbequeme Mahner im Dienst an den Menschen werden sie beide ihr Leben gewaltsam verlieren.

Loben, nicht klagen!

Die Klage über ungerechte Verhältnisse durchzieht also heimlich dieses Bild und die Geschichte von Maria und Elisabeth. Doch nicht Resignation herrscht vor, sondern Gottvertrauen: Maria stimmt ein Loblied an auf den Gott, dem die Armen und die ungerecht Behandelten am Herzen liegen.

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, 47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; 48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. 49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. 51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. 52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. 53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. 54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, 55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Gott schafft Gerechtigkeit!?

Dass Gott sich ihr naht, dass er zu ihr steht, dass er etwas mit ihr vor hat, obwohl sie doch nichts vorzuweisen hat, das ist für Maria ein Grund, Gott zu loben. Sie ist niedrig, er ist mächtig. Warum sucht er gerade sie aus? Hätte es keine schöne, würdige Königstochter am Hof in Jerusalem gegeben? Überraschend ist Gott in seinem Ja zu den Menschen.

Und dann blickt sie prophetisch von sich weg in die Zukunft: So wie er sich ihr, der Kleinen, Unscheinbaren und Niedrigen annimmt, so wird es auch mit der Welt geschehen. Die Hochmütigen werden gestoppt. Die ihren Menschen Gewalt antun, müssen vom Thron steigen. Die Niedergedrückten stehen wieder auf. Die Hungrigen bekommen, was sie brauchen. Und wer schon genug, braucht nicht noch mehr. Dem Land und Volk Israel wird aufgeholfen.

Die verschiedensten Gedanken stellen sich da ein: Das von den Römern unterdrückte Israel damals und das Israel heute, das Gewalt erfährt, aber auch Gewalt übt. Heutige Machthaber, die ihr Volk unterdrücken, und die Frage, ob man jemand einfach so von seinem Thron stoßen kann. Menschen, die in einem der reichsten Länder der Welt leben, aber herzzerreißend jammern, die ihre letzten Hemden verschicken, um dann schwer bepackt neue zu kaufen. Der Hunger im südlichen Afrika, der wohl erst dann wieder an unsere Herzen dringt, wenn die Medien an Weihnachten Kinder mit spindeldürren Beinen und aufgedunsenen Leibern zeigen.

Weihnachten als Volksvertröstung?

Jetzt endlich würde die Welt heiler und gerechter werden mit dem Eingreifen Gottes, so hat Maria gesungen. Aber ist sie nicht unheil wie eh und je, obwohl seitdem fast 2.000 Weihnachtsfeste vergangen sind? Ich kann diesen Widerspruch nicht auflösen, ich kann ihn nur beklagen. In welcher Richtung könnten Antworten zu ahnen sein, wenn Advent und Weihnachten nicht nur eine alljährliche Volksvertröstung sein sollen?

Jesus stellt die Hoffnung auf den Kopf

Ich schaue mir Jesus an. Maria hat einen erwartet, der die Großen klein und die Kleinen groß macht. Der die Unterdrücker stoppt und den Unterdrückten zum Recht verhilft. Einen, der eingreift und endlich einmal dreinschlägt. Nichts anderes heißen die Worte Luthers: "Er übt Gewalt mit seinem Arm."

Doch der ist nicht gekommen. Der wollte Jesus nicht sein. Er hat keine Gewalt geübt. Er hat den Petrus sein Schwert wieder einstecken lassen. Er hat gesagt: "Wer unter euch groß sein will, der sei aller Diener." Er hat geraten, die andere Backe hinzuhalten. Er hat sich nicht den Terroristen angeschlossen und auch die Kinder der verhassten Römer gesund gemacht.

Wäre er auf dem anderen Weg weiter gekommen? Ich glaube nicht. Schauen wir uns doch nur den anderen Weg an: Ist in Tschetschenien Frieden und Gerechtigkeit? In Afghanistan? Auf dem Balkan? In Israel? Und jetzt soll dasselbe im Irak probiert werden? Nicht auszudenken, was man erreichen könnte, wenn man die jetzt für den Krieg eingeplanten Milliarden in den vergangenen zehn Jahren in humanitäre Maßnahmen gesteckt hätte! Nein, Gott will offenbar keine Gerechtigkeit mit Waffengewalt. Er wollte keinen solchen Messias. Und er schlägt auch selber nicht drein. Wir mögen das bejammern und betrauern, doch kritisieren sollte es nur, wer es besser weiß und besser kann.

Jammern trübt den Blick

Was nun? Ist dieses zuversichtliche und glaubensvolle Lied der Maria auf den Gott, der die Kleinen groß und die Großen klein macht, also in den Wind gesprochen? Ich denke, nein. Jesus hat zwar nicht die Gesellschaft und die Politik umgekrempelt. Aber er hat sich kompromisslos dem Einzelnen zugewandt. In ihm hat sich Gott der Niedrigen angenommen. In ihm hat er sich den Hungrigen zugewandt. Und er lenkt damit unseren Blick weg von den großen unerfüllten politischen Hoffnungen, die uns oft genug den Blick verstellen für die kleinen Wunder.

Es wird im Moment viel gejammert in unserem Land. Sich jammernd gegen Politiker, Geschäftsleute, Arbeitgeber und den angeblichen Teuro zu vereinen, ist geradezu in. Aber es führt politisch und wirtschaftlich keinen Zentimeter weiter. Maria, deren Situation ganz gewiss nicht rosig war, lädt uns zum Loben ein. Und es gibt viel zu loben: Wie oft hat Gott große Dinge an dir und mir getan, wie oft uns als Niedergedrückte aufgehoben, wie oft seine Barmherzigkeit gezeigt!

Jammern lähmt. Jammern ist unbiblisch und undankbar. Jammern ist im Vergleich zur Situation anderer Menschen auf dieser Welt geradezu eine Schande. Und wer das begriffen hat, der kann wie Jesus sich dem Einzelnen zuwenden und im Kleinen helfen, ohne sich davon lähmen zu lassen, dass die großen Erfolge noch ausstehen.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de