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Die Predigt vom 1. Januar 2003 (Neujahr):
»Man sieht nur mit dem Herzen gut« (Jahreslosung 2003)


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  Zum Neujahrstag gehört als Evangelium die Antrittspredigt Jesu in Nazareth aus Lukas 4. Epistel ist die Mahnung des Jakobus: „So Gott will und wir leben ...“
Im Gottesdienst wurde in der Predigt jedoch die Jahreslosung 2003 ausgelegt. Zu Beginn des Gottesdienstes erhielten alle Besucher eine Walnuss.

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16,7)

Predigt

  Die Nuss in meiner Hand

Eine Nuss. Was hat sie an sich? Man weiß nicht, was sich hinter der Schale verbirgt. Auch Schütteln hilft nicht viel weiter.

Es kann eine "taube Nuss" sein oder eine "hohle Nuss". Es kann aber auch eine wohlschmeckende sein. "Taube Nuss". So reden wir auch manchmal von Menschen, wenn wir den Verdacht haben, dass der äußere Eindruck täuscht.

Hart ist die Schale der Nuss. Doch auch die harte Schale sagt noch lange nichts über den Kern. Das Sprichwort sagt: Die Schale kann sehr hart, aber dennoch der Kern überraschend weich sein. Da denken wir an solche Menschen mit harter Schale und weichem Kern. Menschen, die nach außen hin sehr hart, rauh, auch unsensibel auftreten, sind im Kern ihrer Person vielleicht durch aus empfindsam und liebevoll.

Den Kern sieht man nicht

Was sich hinter der Schale verbirgt, kann man bei einer Nuss erst entdecken, wenn man sie knackt, wenn man sie aufbricht. Was sich hinter der Fassade eines Menschen verbirgt, merkt man erst, wenn man hinter die Fassade, hinter die Kulissen schaut. Erst, wenn man sich näher mit einem Menschen beschäftigt; erst, wenn man nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen hinschaut; erst, wenn er sich einem öffnet, dann entdeckt man auf einmal ganz Überraschendes an ihm, womit man vielleicht nie gerechnet hätte.

Das gilt positiv, aber oft auch negativ: Man kann auch enttäuscht werden, wenn man jemand wirklich kennen lernt. So ähnlich wie bei vielen Supermarkt-Äpfeln heutzutage: von blendendem Aussehen, mit glatter Schale, ohne Unreinheit, ohne das geringste Fleckchen. Und dann beim Hineinbeißen: geschmack-los, leer, nichtssagend ...

Die Jahreslosung 2003

Warum habe ich die Nuss mitgebracht? Es ist die Losung für dieses Neue Jahr 2003, die mich angeregt hat. Folgendes Wort aus dem 1. Buch Samuel: "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an." (1. Sam 16,7)

Der Kleinste kommt zum Zug

Wie war das damals gemeint? Der Prophet Samuel kommt zu Isai, dem Vater des späteren König David. (Vom Stamm Isai haben wir in den weihnachtlichen Texten ja erst gehört.) Samuel kommt mit einem Auftrag: Gott will ihm unter den Söhnen des Isai den künftigen König zeigen, den er sich im Stillen ausgesucht hat. Und Isai lässt ganz stolz seine sieben Söhne wie die Orgelpfeifen vor dem Propheten antreten. Vor dem ersten groß Gewachsenen und Schönen bleibt Samuel stehen und meint spontan, beim Richtigen zu sein. Und dann die innere Stimme Gottes: 7 Aber der HERR sprach zu Samuel: Sieh nicht an sein Aussehen und seinen hohen Wuchs; ich habe ihn verworfen. Denn nicht sieht der HERR auf das, worauf ein Mensch sieht. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an. Und so geht es Samuel mit allen sieben, bis er dann am Ende fragt, ob Isai nicht doch noch einen Sohn habe. Ja, der jüngste, David, der sei auf dem Feld bei den Schafen. Aber wie kann sich Gott den Kleinsten und Jüngsten aussuchen in einer Gesellschaft, wo Stärke zählt?

Gottes Kriterien

Wir beurteilen Menschen nach ganz bestimmten Kriterien: Die einen schauen zuerst ins Gesicht, die anderen auf den Po oder noch anderswo hin; andere auf den Klang der Stimme, auf den Händedruck und was auch immer. Gott, so hören wir, hat ganz andere Kriterien. Er bleibt nicht am Äußeren hängen. Er blickt tiefer. So liest man im Alten Testament öfter: Der Herr erforscht Nieren und Herzen. Da, so meinte man damals, liegen die entscheidenden Beweggründe und Antriebe. Da liegt der Kern der Person.

Gott blickt durch

"Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an." Das ist erst einmal ein tröstliches Wort: Vor Gott brauche ich mich nicht zu verstecken. Bei ihm muss ich nicht versuchen, mich ins rechte Licht zu setzen. Mögen andere mich verkennen und missverstehen – er nicht. Mögen andere ein ganz falsches Bild von mir haben – sein Blick ist gerecht.

Und was nun, wenn Gott, der tiefer blickt, hinter unserer äußeren Schale auch das ganz Dunkle entdeckt, das wir erfolgreich vor anderen, ja manchmal vor uns selbst verstecken? Da tröstet mich die Fortsetzung der Davidsgeschichte: Gott wird ja später im Herzen des von ihm geliebten und erwählten Königs auch das Dunkle entdecken. Seinen Ehebruch mit Bathseba, der noch dazu nur möglich war, weil er den Ehemann vorher hat aus dem Weg schaffen lassen. Er sagt es ihm durch den Propheten auf den Kopf hin zu. Schuld bleibt Schuld, und wenn es sich um den König handelt. Doch Gott nimmt die Bitte um Vergebung an. Das Urteil, das sich David selbst schon gesprochen hat, vollzieht er nicht.

Man sieht nur mit dem Herzen gut

Und etwas anderes tröstet mich: Mit dem Wortlaut aus der Übersetzung Martin Luthers ist dieser Vers noch nicht ganz erfasst. Im Hebräischen steckt auch: Wir sehen als Menschen mit den Augen. Gott aber schaut mit dem Herzen hin. Das kennen wir von dem Schriftsteller Saint-Exupéry und seinem kleinen Prinzen: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

"Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an." Nicht mit kalten, berechnenden Augen, sondern mit einem warmen, liebenden Herzen schaut uns Gott an. Daraus erwächst uns hoffentlich auch in diesem neuen Jahr die Kraft und der Mut, andere Menschen so anzuschauen. Vergessen wir bei den Begegnungen dieses Jahres die Nuss nicht: Der erste Eindruck, den wir bei einem Menschen gewinnen, mag wichtig sein, aber entscheidend ist er nicht. Jeder Mensch ist es wert, dass wir genauer hinsehen und aufmerksamer hinhören. Denn so geht Gott auch mit uns um. Gott sei Dank! "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de