Der
Ruf nach einem starken Mann
Wer hätte sich vor einem halben Jahr vorstellen können,
dass in Deutschland auf einmal nach einem starken Staat gerufen
wird. Der Staat soll es richten in der Finanzkrise, die Politiker
sollen es richten.
Ich hoffe nur, dass damit nicht auch der Ruf nach einem starken
Mann wieder salonfähig wird. Denn die Umfragen zeigen auch,
dass man den Parteien und Politikern nur bedingt zutraut, die wirtschaftlichen
und sozialen Herausforderungen zu meistern.
Bei den Älteren, die den letzten starken Mann in Deutschland
noch selbst erlebt haben, höre ich beides. Die meisten sagen,
Gott sei Dank: „Wenn nur hoffentlich nicht wieder ein solcher
kommt, wie wir ihn schon einmal hatten.“ Aber ich höre
auch: „Wenn doch nur ein solcher käme. Ein guter natürlich,
der nicht die fatalen Fehler von damals macht."
Und wenn ich so gesehen habe, wie Barak Obama in Frankreich oder
Deutschland v.a. von Jugendlichen begeistert empfangen worden ist,
dann war das ein wenig so, als würde man einen Messias begrüßen.
Was für eine Last von Erwartungen liegt auf diesem Mann. Er
ist wahrlich nicht zu beneiden.
Barak Obama und Jesus
„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn,
der König von Israel!“
So begrüßt die Volksmenge in Jerusalem den einziehenden
Jesus. Als den „König von Israel“ begrüßen
sie ihn. Da muss man den Hintergrund kennen: Im Norden des Reiches,
in Galiläa, gab es einen König, einen König von den
Gnaden der Römer: Herodes Antipas, ein Sohn des Kindermörders
Herodes. Im Süden Israels, wo Jerusalem lag, gab es seit Jahren
keinen König mehr, weil er seine Macht missbraucht hatte und
von den Römern abgesetzt worden war. Nun lag die Macht bei
einem römischen Statthalter, damals Pontius Pilatus.
„Hosianna dem Sohn Davids." So berichten die anderen
Evangelien den Jubel der Menge. Auch da muss man mit feinen Ohren
hinhören: Wen wünschen sie sich also: einen König
wie damals den König David. Ein König, unter dem das Land
noch eins war und eigenständig und stolz und angesehen in der
Welt.
Der Messias und die Erwartungen der Masse
„Hosianna!" rufen sie ihm zu, auf deutsch: „Herr,
hilf! Hilf doch, denn du kommst im Namen des Herrn. Du bist der
von Gott Gesandte, der Messias.“ Hosianna, das ist nicht nur
wie in unseren Liedern ein weihnachtlicher Jubelruf. Nein, da stecken
handfeste politische und wirtschaftliche Erwartungen darinnen.
Die drei ersten Evangelisten erzählen davon, dass die Pilger
Jesus zujubeln, die mit ihm auf dem Weg nach Jerusalem waren und
auf dem Weg dorthin seine Taten erlebt haben. Hier bei Johannes
hören wir, dass auch die, die sich schon in Jerusalem befinden,
ihm entgegen ziehen. Die Nachricht von der Auferweckung des Lazarus
hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet und ist Jesus vorausgeeilt.
(Nachrichten laufen schneller als Füße. Damals schon.)
Nicht mehr und auch nicht weniger soll er auch hier in Jerusalem
tun. Das Unmögliche erwarten sie, einen Paukenschlag, ein Wunder:
Nicht nur die Auferstehung des Lazarus, sondern auch die Auferstehung
aller ihrer alten Hoffnungen, die Auferstehung des jüdischen
Volkes gegen die römische Besatzung. Gerne hätte die Masse,
die damals zum Wallfahrtsfest in Jerusalem war, die Römer vom
Sockel gestürzt wie die Amerikaner damals Saddam in Bagdad.
Jesus entzieht sich den Erwartungen
Und dann kommt der so sehnsüchtig Erwartete auf einem Esel,
dem Transportmittel der Armen. Das ist so, als wenn Barak Obama
mit dem Fahrrad oder dem Mofa gekommen wäre, nicht –
wie es sich für einen Messias gehört – vom Himmel
her einschwebend mit einem Hubschrauber.
Und dann wird Jesus auch noch begleitet von einer Schar einfacher
Leute, Fischer und Bauern vom Land, die sich in der großen
Stadt deutlich unwohl fühlen. Nicht einmal seine Jünger
verstehen, was das soll, lesen wir bei Johannes. Sie verstehen erst
nach Ostern, heißt es, dass das sehr wohl der Einzug des Königs
war. Eines Königs aber, der die Erwartungen der Menschen auf
den Kopf gestellt hat.
„Wir können nichts ausrichten. Alle Welt läuft
ihm nach." stellen die Pharisäer resigniert fest
und begreifen damit mehr als die Jünger. Jesus hat die Massen
hinter sich. Aber es ist ja so eine Sache mit der Masse. Sie Masse
kann Gutes bewirken und sie kann Böses bewirken, je nach dem,
wer sie lenkt. Ist es ein Wunder, dass dieselbe, in ihren Erwartungen
so tief enttäuschte Masse fünf Tage später genauso
laut „Kreuzige" schreit, wie sie vorher „Hosianna"
geschrieen hat? Ist es ein Wunder, dass sie sich aus lauter Trotz
und Enttäuschung von Pilatus den Barabbas erbitten? Einen,
der wirklich hingelangt hat, der erfolglos den Aufstand geprobt
hat, auch wenn dabei ein paar zu Tode gekommen sind.
Wie Jesus auf den Jubel und auf die Erwartungen reagiert, steht
nichts da. Ob ihm dieser Jubel der Masse recht war. Ober er über
ihre Erwartungen glücklich war. Ob sie ihn mit ihren Hoffnungen
überhaupt recht verstanden hatten. An einer vergleichbaren
Stelle nach der Speisung der 5000 heißt es bei Johannes (6,15):
„Als Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und
ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder
auf den Berg, er selbst allein.“
Und genauso deutet es auch die Fortsetzung an: Es folgt hier bei
Johannes nicht wie bei den anderen Evangelisten die Erzählung
von der Tempelreinigung, die offenbar diese Hoffnungen der Menschen
noch mehr genährt hat, sondern die Erzählung von der Begegnung
mit den griechisch sprechenden Juden, die vor kurzem auch Evangelium
und Predigttext war. Denen gibt Jesus zur Antwort:
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und
erstirbt, bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, bringt es viel
Frucht.“
Das ist, wenn auch in bildhaften Worten, das absolute Gegenteil
von dem, was die Masse wollte: Sie wollten ihn als Sieger, als Triumphator,
als König. Und er redet stattdessen von seinem Tod, also menschlich
gesehen vom Scheitern aller politischen Hoffnungen.
Machtergreifung, ohne nach der Macht zu greifen
Was wäre wohl damals gewesen, wenn er ihren Hoffnung und Sehnsüchten
nachgegangen wäre? Was wäre gewesen, wenn er sie mit dem
Schwert voraus gegen die Römer in den Kampf geführt hätte?
Was wäre gewesen, wenn er das Wort ergriffen und die brodelnde
Menge auf seine Seite gezogen hätte? Welches Gemetzel hätte
es gegeben? Wie viele seiner Anhänger hätte er als Kanonenfutter
in die Schlachtreihen der Römer getrieben? Da hätten wohl
viele für einen sterben müssen und nicht einer für
die vielen.
Seine Jünger merken es erst hinterher: Das war damals wirklich
eine Machtergreifung, aber eine ganz anderer Art. Indem er eben
nicht nach der Macht griff, verbreitete sich seine Macht über
die ganze Welt.
Politische Predigt?
Politische Predigten sind nicht mein Steckenpferd. Aber diese Einzugsgeschichte
mit ihrem Ruf nach dem starken Mann, dieses Lehrstück von der
Verführbarkeit der Masse ist ein durch und durch politischer
Text. Man darf ihn nicht reduzieren auf den Einzug Jesu in unseren
Herzen. Das würde, wenn überhaupt, eher zum besinnlichen
1. Advent passen, wo ja auch dieser Einzug Thema ist.
So gern man da und dort wirklich dreinschlagen möchte, ist
doch eindeutig klar: Der Ruf nach einem starken Mann kann sich nicht
auf die Bibel, geschweige denn auf Jesus berufen. Das muss man denen
klar und eindeutig sagen, die gerne wieder einen solchen hätten.
Warum ich politische Themen zwar mag, aber nicht unbedingt politische
Predigten: Sie richten sie im Allgemeinen an Menschen, die nicht
unter der Kanzel sitzen. Sie richten sich über die Mauern der
Kirche hinaus an Menschen, die es gar nicht hören können.
Es sei denn, es geht um Leitende Geistliche, deren Worte vorher
schon durch Pressemeldungen oder hinterher durch die Medien an die
Öffentlichkeit getragen werden.
Deswegen geht es mehr um die Frage: Wie steht es mit uns heute Morgen
hier in den Mauern dieser Kirche? Wo sollen wir lernen von diesem
Jesus, der sich nicht mit Gewalt durchgesetzt hat, der nicht der
Versuchung der Macht erlegen ist und lieber durch sein persönliches
Vorbild gewirkt hat?
Wo meinen wir, um mit Stärke durchsetzen zu müssen? Wo
sagen wir: Wer seine Ellenbogen nicht gebraucht, wird den Kürzeren
ziehen?
Wie steht es mit unserem Umgang mit den Kindern und Jugendlichen,
bei denen Druck und Macht doch nur Trotz hervorrufen? Wie ist unser
Umgang mit dem Nachbarn über den Zaun? Wie steht es mit unseren
Stammtischreden? Sind wir zu Tode betrübt oder gar aggressiv,
weil der Lieblingsverein eine herbe Niederlage einstecken musste?
Wir gehen mit dem Palmsonntag in die Karwoche hinein. Nach menschlichen
Maßstäben ist es die Woche des Verlierers. Nach göttlichen
Maßstäben die Woche des Siegers. Gebe Gott, dass uns
die göttlichen Maßstäbe wichtiger werden als die
menschlichen Maßstäbe! Amen
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