Eine
schockierende Botschaft
8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern
und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas;
denn sie fürchteten sich.
Wäre das das letzte Wort gewesen, dann wäre das Christentum
vielleicht nicht entstanden. Dann säßen wir vielleicht
heute nicht hier. Wären die Frauen und die Jünger dem
Auferstandenen nicht hinterher noch persönlich begegnet, hätte
er sich ihnen nicht gezeigt, wären sie allein auf die Engelsbotschaft
angewiesen gewesen, hätten sie wohl nichts begriffen.
Das ist so ähnlich wie bei den beiden Emmausjüngern: Sie
kannten die Auferstehungsbotschaft der Frauen, aber sie gehen trotzdem
traurig und enttäuscht nach Hause. Froh werden sie erst, Glaubende
werden sie erst, als Jesus sich ihnen im Abendmahl zeigt.
Es reicht offensichtlich nicht, wenn die Auferstehungsbotschaft
unsere Ohren und unseren Verstand erreicht. Wenn wir nicht erzählen
können, wie wir den Auferstandenen als den Lebendigen erfahren
haben und jetzt noch erfahren können, wird es nicht richtig
Ostern.
Die
Auferstehung ist unglaublich
Kein Wunder, dass die letzte ausführliche Umfrage, ob die Deutschen
an die Auferstehung Jesu glauben, folgendes Bild ergeben hat: Ein
Drittel der Befragten glaubt gar nicht an die Auferstehung. Ein
weiteres Drittel glaubt an die Auferstehung, wie sie in der Bibel
berichtet wird. Und ein knappes Drittel, dass die Auferstehung nicht
wirklich geschehen, sondern nur eine Vision der Jünger gewesen
sei.
Die Auferstehung glauben – das ist eine Frage für den
Kopf, für den Verstand. Was soll da schon für eine Antwort
herauskommen? Sachgemäßer wäre vielleicht die Frage
gewesen: Kann man Gott im Alltag erleben?
Sich von einem Toten verabschieden
Aber zurück zu den drei Frauen, bei denen die Auferstehungsbotschaft
keine Freude, sondern nur blankes Entsetzen hervorruft. Ich versuche,
sie ein wenig zu verstehen:
Der Markus erzählt, sie seien schon in Galiläa seine Anhängerinnen
gewesen und wären mit ihm zusammen nach Jerusalem aufs Passafest
gepilgert. Zusammen mit anderen Frauen haben sie Freitagnachmittag
von ferne der Hinrichtung zugesehen, während dagegen die Jünger
alle geflohen waren. Und zwei von ihnen konnten am Abend auch noch
beobachten, wie man ihn in ein Felsengrab legte und den Eingang
mit einem Rollstein verschloss. Freitagabend aber begann die Sabbatruhe.
Sie konnten nichts tun. Sie blieben mit ihrer Trauer allein.
Samstagabend dann, gleich als der Sabbat vorbei ist, kaufen sie
ein. Sie besorgen sich alles, was sie brauchen. Während also
die Jünger sich noch vor Angst verstecken, fangen die Frauen
an, aktiv zu trauern und den Verlust zu verarbeiten. Sie müssen
etwas unternehmen, sonst finden sie keinen Frieden.
Gleich am frühen Sonntagmorgen machen sie sich auf den Weg
zum Grab. Wohlriechende Öle haben sie besorgt, so sagt Markus,
um den Leichnam zu salben. Mit den „wohlriechenden Ölen“
wollen sie ihm einen letzten Liebesdienst erweisen, ihn noch einmal
anfassen dürfen, ja auch für kurze Zeit noch den Verwesungsgeruch
überdecken, um Abschied nehmen zu können. Sie waren beim
Tod nicht direkt dabei. Sie waren bei der überstürzten
Grablegung nicht dabei. Sie müssen ihn ganz einfach noch einmal
sehen, damit sie wirklich innerlich loslassen und ihren Trauerweg
gehen können.
Auch heute noch leiden viele Trauernde darunter, dass sie nicht
noch einmal zu einem Verstorbenen hingegangen sind, der nicht zu
Hause starb. Man solle einen Menschen lieber so im Gedächtnis
behalten, wie man ihn kannte, sagt man oft aus falscher Angst. Eine
Angst, die nur selten wirklich begründet ist. Und auch in solchen
Fällen kann man heute einen Menschen so herrichten, dass ein
Abschiednehmen möglich wird. Gott sei Dank wird eine Aussegnung
immer öfter gewünscht. Denn der verdrängte Tod führt
allzu oft zu verdrängter Trauer, die dann das weitere Leben
hindert.
Eine schockierende Botschaft
So kommen die Frauen also ans Grab und ihre Gedanken sind ganz und
gar auf den Toten und ganz und gar auf Abschiednehmen ausgerichtet.
Etwas anderes geht nicht in den Kopf, geschweige denn ins Herz.
Und nun ist auf einmal der Stein weg und der Leichnam ist weg. Stattdessen
finden sie einen jungen Mann mit einem leuchtendweißen Gewand
– für ihre damalige Vorstellung eine Himmelgestalt, ein
Engel.
„Und sie entsetzten sich", heißt es in den Worten
Martin Luthers. Sich ent-setzen, das bedeutet ursprünglich
„aus dem Sitz geraten". Das griechische Wort im Urtext
wäre besser mit „neben sich stehen, den Stand verlieren,
den Boden unter den Füßen verlieren“ zu übersetzen.
Wir würden heute vielleicht sagen: Sie haben einen Schock erlitten.
Einen Schock bekommt man, wenn man etwas nicht verarbeiten kann.
Ein Schock macht sprachlos und hilflos und kopflos.
Der Schock, er mag daher gekommen sein, dass sie nun nicht tun können,
worauf alle ihre Gedanken ausgerichtet waren. Sie haben ihnen nicht
nur ihren Herrn und Meister genommen, sondern jetzt sogar noch seinen
Leichnam. Und: Die Begegnung mit einem Engel, also mit dem Göttlichen,
mit einer anderen Dimension, sie bedeutet immer einen Schock, so
lesen wir in der Bibel.
Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte,
wo sie ihn hinlegten.
So hören sie. Aber wahrscheinlich hören sie nur, was sie
in diesem Moment fassen können: „Er ist nicht hier."
Und sie hören nicht: „Er ist auferstanden.", weil
das über ihre Fassungskraft hinausgeht. Rückwärts
gewandt, wie sie in ihrer Lage nun einmal sind, können sie
die Botschaft der Auferstehung, die nach vorne weist, nicht aufnehmen.
Im Schock rennen sie davon. Und der Schock macht sie sprachlos.
Später erst werden sie begreifen, was der Engel weiter sagte:
7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass
er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn
sehen, wie er euch gesagt hat.
Wie kann man Ostern glauben?
Wie entsteht also nun Osterglaube? Damals, aber auch bei unseren
Zeitgenossen heute. Wie erfährt man die Kraft der Auferstehung
und den Glauben an den Auferstandenen?
Das habe ich verstanden: Osterglaube entsteht nicht durch die Botschaft
von der Auferstehung, die ja nur die Ohren und den Verstand erreicht.
Osterglaube entsteht durch Erfahrung: Osterglaube entsteht, indem
man den Auferstandenen in seinem Leben als lebendig erfährt.
Indem er einem im Alltag begegnet wie bei den zwei Jüngern
aus Emmaus. Indem man ihm v.a. dann begegnet, wenn man gar nicht
mit ihm rechnet.
Prüfen Sie sich doch einmal selbst. Sagen Sie: Die Auferstehung
Jesu muss man als Christ ganz einfach glauben. Das gehört zum
Kern unseres Glaubens. Das ist das Zentrum.
Oder könnten Sie auch auf die Frage antworten: Wo und wie ist
Ihnen der Auferstandene im Leben begegnet? Welche Gottesbegegnungen
haben Sie gestärkt und Ihren Glauben gefestigt? Inwiefern können
Sie sagen, dass man Gott im Leben erfahren kann? ...
Und damit ist Predigen eigentlich am Ende. Jetzt müsste man
sich entweder ins stille Kämmerlein zurückziehen und die
Fragen in der Stille bedenken. Oder wir müssten miteinander
ins Gespräch kommen und einer dem anderen von seinen Glaubenserfahrungen
berichten. Ich kann es also nur anreißen:
Vielleicht begegnet uns der Auferstandene, wenn wir nicht weiterwissen
und dann doch von irgendwo her ein Lichtlein kommt.
Vielleicht begegnet er uns, wenn wir im Gebet Gewissheit geschenkt
bekommen.
Vielleicht begegnet er uns, wenn wir in großer Not Hilfe erfahren,
vielleicht aber auch, wo wir Unweigerliches annehmen und tragen
können.
Vielleicht begegnet er uns in dem Frieden, den uns ein Gottesdienst,
eine Abendmahlsfeier, ein inniges Lied oder eine Meditation schenken.
Nehmen Sie den Auferstandenen doch im Alltag beim Wort: Sagen Sie
Danke, wenn sie seine Nähe erfahren. Fragen Sie hartnäckig
„Wo bist du?", wenn Sie ihn vermissen.
Ich bleibe dabei: Erst, wer den Auferstandenen im Alltag erfährt,
der kann die Auferstehung so richtig glauben.
Amen
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