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predigt[e].de

Die Predigt vom 27. Juli 2003 (Waldgottesdienst):
»Lasten tragen, indem man sie teilt«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 6. Sonntag nach Trinitatis. Dem Gottesdienst zum Waldfest aber lag der Wochenspruch des 4. Sonntags nach Trinitatis zugrunde. Paulus schreibt im Galaterbrief Kapitel 6, Vers 2:
Predigttext
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Der Predigttext
Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
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Die Predigt
Die alltäglichen Lasten

"Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Wenn Sie diesen Bibelvers hören, werden Sie wohl erst einmal an den Worten "Last" und "tragen" hängenbleiben. Eine jede und ein jeder trägt irgendwelche Lasten mit sich herum: körperliche oder seelische, gesundheitliche, berufliche, familiäre Lasten. Oder Sie denken an die Lasten, die Sie unweigerlich für andere tragen müssen, wenn Sie z.B. zu Hause oder im Altenheim jemand zu betreuen oder zu pflegen haben. Andere denken vielleicht ganz vordergründig an die Lasten, die es bereitet hat, dieses Fest und das Gelände vorzubereiten: Die vielen Hände und Schultern, die nötig sind, bis alle Buden hergerichtet, alle Garnituren aufgebaut und die Reste des vorhergehenden Abends weggeräumt sind. "Helft einander die Lasten tragen." Unser alltägliches Leben und auch ein solches Fest wären nicht möglich, wenn nicht viele zusammenhelfen und sich die Lasten teilen würden.

Die Lasten im Miteinander

"Einer trage des anderen Last." Was meinte der Apostel Paulus damals damit, als er seinem Schreiber diesen Satz diktiert hat? Der Zusammenhang ist wichtig: Offenbar hat Paulus aus den christlichen Gemeinden im damaligen Galatien – heute mitten in der Türkei – gehört, dass es beim menschlichen Miteinander Probleme gegeben hat. Und so fasst er am Ende seines Briefes an die Galater im Kapitel 6 zusammen: Wenn Ihr Euch Christen nennt, dann lebt auch so: Helft einer dem anderen wieder zurecht, wenn er einen Fehler gemacht hat, weil ja keiner von euch ohne Fehler ist. So tragt ihr einander die Lasten. Meint nicht, dass ihr etwas Besonderes wärt. Schaut auf euer eigenes Tun und kehrt vor der eigenen Tür. Tut Gutes und lasst euch nicht entmutigen, wenn es euch nicht gedankt wird.

"Einer trage des andern Last." Von diesem Zusammenhang her sind mit den Lasten also erst einmal die alltäglichen Versuchungen und Fehltritte gemeint. Tragt und ertragt einander mit euren Fehlern, Eigenheiten, Launen und Schrulligkeiten, weil ihr wisst, dass jeder seine hat. Das ist das Ehrliche an der Bibel: Sie nimmt uns ernst als eine Gemeinschaft von Sündern. Wer meint, die christliche Gemeinde, die Kirchengemeinde sei nichts für ihn, da seien die besseren versammelt, da passe er nicht hin, hat etwas missverstanden. Ebenso aber auch eine christliche Gemeinde, sobald sie auf den Gedanken käme, sie sei etwas besseres.

Von der rechten Verteilung der Lasten

"Einer trage des anderen Last." Das ist also zuerst einmal eine Frage der inneren Einstellung und dann erst eine Frage der Tat: So miteinander umgehen, dass man weiß, dass jeder seine schwachen Seiten hat. Dass einer auf den anderen angewiesen ist.

"Einer trage des anderen Last." Die Lasten des Lebens, die Lasten, die ein einzelner, die eine Gemeinschaft, ein Verein, zu tragen hat, sind offensichtlich ungleich und oft auch ungerecht verteilt. Einander die Lasten tragen, sich einander beim Tragen der Lasten zu helfen, heißt also nichts anderes als: die ungleichen Lasten auf so viele verschiedene Schultern zu verteilen, dass niemand überfordet wird.

Die Lasten entdecken

"Einer trage des anderen Last." Dazu muss man solche Lasten erst entdecken. Man entdeckt sie, indem man einmal von seinen eigenen Lasten absieht und auf den anderen schaut oder ihn anhört. Ich habe schon öfter mitbekommen, dass jemand einen Anruf zum Geburtstag bekommt, begonnen mit einem herzlichen Gruß. Dann: Wie geht es dir? Und ohne die Antwort abzuwarten: Ja, wenn du wüsstest, wie es mir wieder geht. Und dann wird der Beglückwünschte auf einmal zur Klagemauer. "Was soll man einem alten Menschen schenken?" Heißt es öfter. "Er hat ja alles, was er braucht." Schenkt Zeit. Habt ein offenes Ohr. Aber stellt in diesem Moment eure eigenen Lasten einmal ganz in den Hintergrund.

Jesus, der Lastenträger

"Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Man kann über diesen Vers nicht reden, ohne über Jesus von Nazareth zu reden. Das gilt in einem doppelten Sinn: Lasten mittragen, Lasten abnehmen: genauso hat Jesus gelebt im Umgang mit denen, denen die anderen aus dem Weg gegangen sind. Krankheiten und Leiden hat er sich angehört, angeschaut und zu Herzen genommen. Wer weiß, wie viele Menschen damals allein dadurch gesund geworden sind, dass er ein offenes Ohr für sie hatte und keine Angst, sie zu berühren.

Und: Wer heute anderen Lasten abnehmen will, braucht Kraft, braucht Zeit, braucht Geduld. Die ist nicht unbedingt von alleine da. Die muss man sich schenken lassen. Ich bin überzeugt: Gläubige Menschen sind nicht von Haus aus bessere Menschen, aber sie sind die besseren Lastenträger, weil sie wissen, wo sie sich ihrerseits mit ihrer Last hinwenden können. Lasten kann nur tragen, wer selber auch wieder Lasten abladen kann.

Die Lasten vor 70 Jahren

"Einer trage des anderen Last." Ob die, die damals vor 70 Jahren hier miteinander angefangen, aufgebaut und Lasten getragen haben, gerade gute Gemeindeglieder und fleißige Kirchgänger waren, wage ich eher zu bezweifeln. Den meisten ist vom Leben und von der damaligen Gesellschaft nichts geschenkt worden. Und sie gehörten großenteils zu einer Bevölkerung, mit der sich auch die Kirche damals nicht unbedingt abgegeben hat. Aber sie haben dennoch etwas von dem verstanden und beherzigt, was Paulus betont: Keiner war etwas Besseres. Keiner hätte es wagen sollen, etwas Besseres sein zu wollen. Einer war auf den anderen angewiesen. Und manches Haus wäre nicht entstanden, wenn man sich nicht wortwörtlich die Lasten geteilt hätte. Und so war es auch bei den Bauphasen, die sich dann nach dem Krieg angeschlossen haben, wo dann u.a. Kriegsblinde und Kriegsversehrte ihre Heimat gefunden haben.

... und heute

"Einer trage des anderen Last." Wirtschaftliche Not war damals der Anlass dazu. Wer weiß, wie nötig solche christlichen Tugenden bald wieder gebraucht werden? Die Möglichkeiten des Sozialstaates sind ausgereizt. Eigeninititative predigen die Politiker nicht zu Unrecht. Trotz aller Unkenrufe ist mein Vertrauen in die Menschen groß: Die Tugenden, die vor 40 Jahren eine Kirchengemeinde und vor 70 Jahren eine Siedlung haben werden lassen, gibt es noch.

Ich freue mich über den guten Kirchgang beim Waldfest. Ich freue mich, dass ich manche sehe, die ich sonst nicht sehe. Und ich würde sie natürlich gerne auch sonst öfter sehen. Doch ich hüte mich, jemanden danach zu beurteilen. Wenn ich Paulus recht verstehe, steht die Tat im Vordergrund: dass einer dem anderen, dort wo er es braucht, die Lasten trägt. Still und unspektakulär und ohne ein Aufhebens darum zu machen. Da wird Glaube und Nächstenliebe gelebt, auch von denen, die sich selbst nicht unbedingt als gläubig einstufen würden.

Ich schließe mit Worten aus dem Richtspruch zur zweiten Baugruppe der Siedlung vom September 1933:

Gottlob, trotz manchem Für und Wider schau ich von dieser Höhe nieder,
Und danke Gott, der ließ gelingen, bis heut die Arbeit uns vollbringen.
So lasst uns Gott recht innig bitten, er mög' verweilen in unserer Mitten,
bis die ganze Siedlung in kurzer Frist mit vielem Fleiß vollendet ist.
Mit Krankheit mög' er uns verschonen und unserer Hände Arbeit lohnen.
Den Siedlern, die hier ziehen ein, mög' er ein gütger Vater sein." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de