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predigt[e].de

Die Predigt vom 31. August 2003 (11. Sonntag nach Trinitatis):
»Ihr Pharisäer!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 11. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist Hochmut und Demut. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner aus Lukas 18.
Predigttext
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Der Predigttext
9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Predigt
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Die Predigt
Der Pharisäer

Der Pharisäer und der Zöllner im Tempel. Für regelmäßige Gottesdienstbesucher eine bekannte Geschichte. Und wer sie nicht kennt, der weiß vielleicht mit dem Begriff "Pharisäer" etwas anzufangen. Es drängt mich, den Pharisäer zu verteidigen. Er kommt so schlecht weg. Im Lexikon steht "Pharisäer, Doppelpunkt: 1. hochmütiger, selbstgerechter Heuchler" 2. heißer Kaffee mit Rum und Sahnehaube.

Im Lexikon steht auch, wie das Getränk seinen Namen bekommen haben soll: Die Bewohner der nordfriesischen Insel Nordstrand hatten Ende des 19. Jhd. einen äußerst sittenstrengen Pastor, der keine Gelegenheit ausgelassen hat, ihre gottlose Trinkfreudigkeit anzuprangern. Um trotzdem ungestört feiern zu können, erfanden sie folgendes Getränk: zwei große Eierbecher Rum, zwei Stück Zucker, aufgefüllt mit schwarzem Kaffee. Obendrauf eine Haube Schlagsahne aus Schafsmilch, weil die am besten auf der Flüssigkeit schwimmt und den Rumgeruch überdeckt. Dem Pastor hat man seinen Kaffee natürlich ohne Rum gereicht, bis es zu fortgeschrittener Stunde doch zu einer Verwechslung gekommen ist. Und Pastor Beyer dann: »Ihr Pharisäer«. Damit hatte der Rum-Kaffee seinen Namen weg!

Die Pharisäer damals

Der Pharisäer als hochmütiger und selbstgerechter Heuchler. Sahnehaube – aber wehe, man schaut dahinter! Es drängt mich, diesen Pharisäer zu verteidigen: Die Pharisäer waren ein feste Gemeinschaft innerhalb der Juden. Das hebräische Wort, das dahinter steht, bedeutet so viel wie: "die sich absondern". Zuerst ein Schimpfwort von außen. Und dann waren sie stolz darauf und verstanden es als eine Art Ehrentitel. Die Pharisäer lebten ihren jüdischen Glauben äußerst streng und sonderten sich ab von denen, die diese Strenge nicht einhielten. Ein fester Kreis mit viel Anziehungskraft: Zum einen nahmen sie ihren Glauben wirklich ernst. Und zum anderen konnten nicht nur Gelehrte, nicht nur Reiche, sondern auch einfache Leute hinzukommen. Allein der Glaube war entscheidend, keine äußeren Dinge. Im Grunde waren sie ernstzunehmende und gläubige Menschen. Ihr Eifer war echt und keinesfalls geheuchelt. Das hat sicher gestimmt, was der Pharisäer da im Tempel von sich sagt: Dass er sich an die Zehn Gebote hält und kein Räuber, Betrüger und Ehebrecher ist. Dass er zweimal in der Woche fastet, obwohl es seine jüdischer Glaube nur einmal im Jahr von ihm forderte. Dass er von allem den Zehnten abgibt, obwohl nach dem jüdischen Gesetz einige Dinge des täglichen Lebens davon ausgenommen waren.

Diesen Menschen lobe ich mir: Er lebt, was er sagt. Er ist seinen Grundsätzen treu, korrekt, verlässlich, eifrig. Er schämt sich seines Glaubens nicht. Wir bräuchten mehr solche Menschen, auch hier und heute, auch in unserer Kirche. Ich lobe ihn, denn er macht es sich nicht leicht. Er sagt nicht: Na, ja, man muss es ja nicht gleich übertreiben mit dem Beten, mit dem Bibellesen oder mit dem Gottesdienst.

Die Zöllner damals

Auf der anderen Seite der Zöllner: Von den Frommen verachtet, weil er nicht nach den religiösen Vorschriften lebte. Von seinen Landsleuten gehasst, weil er sie oft genug betrog, und weil er mit den Römern, mit den Besatzern, Geschäfte machte. Als Entschuldigung könnte man höchstens anführen, dass ihn sein Beruf in eine Zwickmühle führte: Er musste sehen, wie er zurecht kam, wenn er seine Familie ernähren wollte. Er war kein Zöllner im heutigen Sinne im Dienst eines Rechtsstaates. Er war Pächter einer Zollstelle an der Grenze von einer jüdischen Provinz in eine andere. Er hatte den Zollertrag für sein Gebiet selber für ein Jahr im Voraus zu bezahlen. Dann musste er sehen, wie er wieder zu seinem Geld und auch zu ein wenig Gewinn kam. Und weil noch dazu die Höhe der Zölle oft sehr unbestimmt war, war also dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Der Schuldige wird frei gesprochen

Beide stehen sie nun zur gleichen Zeit im Tempel vor ihrem Schöpfer: Der nach unseren menschlichen Maßstäben Fromme und Anständige und der mutmaßliche Gauner und Betrüger. Und dann sagt Jesus: "Ich sage euch: Dieser (also der Betrüger) ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener." Der Fromme und Anständige kommt schlecht weg. Der Betrüger kommt gut weg. Warum? Nicht, weil der Fromme in Wirklichkeit vielleicht doch nicht so fromm gewesen ist, sondern nur ein Blender und Heuchler. Auch nicht, weil der Betrüger vielleicht doch nicht so schlimm war, und Gott ihn in seiner Zwickmühle schon gut verstehen kann. Jesus sagt nicht: "Dieser (der Betrüger) war ein gerechter Mann, nicht jener." Er sagt: "Dieser ging gerecht-fertigt nach Hause." Gerecht-fertigt heißt nicht: Nach menschlichen Maßstäben gerecht, sondern von Gott gerecht gesprochen. Jesus trifft also kein menschliches Urteil, sondern er spricht im Namen Gottes, er spricht mit Gottes Autorität: Gott spricht diesen Zöllner gerecht, obwohl er nach menschlichen Maßstäben durchaus nicht gerecht war. Er spricht ihn los. Er spricht ihn frei.

Hochmut ...

So werden die beiden nicht nach dem beurteilt, was sie in unseren menschlichen Augen sind. Sondern danach, wie sie sich vor Gott sehen und sich vor ihn hinstellen. So war der Pharisäer sicher ein frommer Mann. Und sein Dankgebet "Ich danke dir, Gott, dass ich deinen Gesetzen folgen darf." war sicher ernst gemeint. Doch indem er sich mit Zöllner vergleicht, indem er ihn aburteilt und verachtet, verfällt er dem Hochmut. Wäre er wirklich von Herzen dankbar, würde er nicht so über ihn reden. So setzt er sich dem Verdacht aus, dass er seine Frömmigkeit doch als seine eigene Leistung und nicht als Geschenk Gottes ansieht. Frech, fordernd, und sich seiner Leistungen bewusst steht er vor seinem Gott. Für pharisäische Theologie war Gott so eine Art Finanzbuchhalter. So hat man es ihm beigebracht: Wenn ich möglichst viele gute Taten getan habe, muss am Ende, wenn Gott zusammenzählen wird, insgesamt auch ein positives Ergebnis herauskommen. Und dann muss mich Gott unter dem Strich belohnen. Ich habe einen Anspruch vor ihm.

... und Demut

Im Gegensatz dazu der Zöllner: "Er stand ferne." Er drückt sich an den Rand. Es wird ihm im Tempel vor den Augen Gottes offenbar schonungslos und radikal bewusst, welches Leben er führt. Wie sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen und zu Gott beschaffen ist. Er kann sich nicht verstecken. Er kann sich nicht herausreden. Es gibt nichts, was er positiv für sich anführen könnte. Es gibt nichts zu beschönigen. Er weiß, er ist einzig und allein auf Gottes Vergebung und Gnade angewiesen. Er hätte ja sagen können: "Lieber Gott, du kennst doch meine Zwickmühle. Du weißt doch: Ich muss meine Familie ernähren. Was soll ich denn tun? Ich kann doch meinen Beruf nicht einfach aufgeben. Das musst du doch verstehen." Statt dessen bleibt ihm nur der eine Satz: "Gott, sei mir Sünder gnädig." Vielleicht betet er mit dem Psalm 51, wo es heißt: "Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. 4 Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; 5 denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir." (Psalm 51,3-5).

Und wir?

So schickt uns, meine ich, Jesus mit seiner Beispielgeschichte heute nicht beruhigt nach Hause auf die Art: Sei froh, dass du kein Pharisäer bist. So streng brauchst du es nicht zu nehmen. Du merkst ja, zu welchem Hochmut so viel Frömmigkeit führen kann. Und ein kleiner Gauner sind wir doch alle. Und Gott schaut die kleinen Gauner gnädig an. Oder es sagt jemand vielleicht: Gott sei Dank weiß ich noch, wo ich hingehöre am Sonntagvormittag. Nicht wie mein Nachbar, der auch wieder einmal gehen könnte. Zeit hätte er. Und brauchen würde er es auch. Oder andersherum: Ich gehe zwar nicht oft in die Kirche. Aber die, die so oft rennen, sind ja auch nicht besser als ich, ja vielleicht sogar schlechter und heuchlerischer.

"Die andern", immer "die andern"! Nein, Jesus schickt uns nach Hause mit der Frage: Wie hättest du dich damals hingestellt? Wie stehst du da vor deinem Gott? Sieht du dich ehrlich und schonungslos oder redest du dich heraus? Ein Thema, mit dem jeder in sein stilles Kämmerlein geschickt wird. Ein Thema, das man nicht offen verhandeln kann. Ein Thema, das keine Zuschauer und Zuhörer verträgt. Außer Gott und vielleicht einem, der einem die Beichte abnimmt. Was letztlich entscheidend ist: Es zählt nicht, wie ich mich sehe; wie ich meine, dass ich da stehe. Es zählt, wie Gott mich sieht. Es zählt, dass er ja zu mir sagt, mich gerecht spricht, wie wenig oder wie sehr ich es auch bin.

Gottes Ja verleiht Flügel

Und dieses Ja Gottes kann beiden Flügel verleihen: Dem, der es mit seinem Glauben ernst meint, dass er von Herzen dankbar dafür ist, dass er nicht auf andere herabschaut, sondern ihnen nach Kräften hilft und vor Gott für sie eintritt. Und es kann dem Flügel verliehen, der durch die Zwänge seines Berufes, seiner Familie, seines Alltags noch nicht die Nähe zu Gott gefunden hat, die er sich heimlich wünscht, oder die man ihm wünschen würde. Auf dieses Ja Gottes kommt es entscheidend an. Wer das begriffen und ergriffen hat, für den wird sich das Weitere finden.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de