Der
Pharisäer Der Pharisäer und der Zöllner im
Tempel. Für regelmäßige Gottesdienstbesucher
eine bekannte Geschichte. Und wer sie nicht
kennt, der weiß vielleicht mit dem Begriff
"Pharisäer" etwas anzufangen. Es
drängt mich, den Pharisäer zu verteidigen. Er
kommt so schlecht weg. Im Lexikon steht
"Pharisäer, Doppelpunkt: 1. hochmütiger,
selbstgerechter Heuchler" 2. heißer Kaffee
mit Rum und Sahnehaube.
Im Lexikon steht
auch, wie das Getränk seinen Namen bekommen
haben soll: Die Bewohner der nordfriesischen
Insel Nordstrand hatten Ende des 19. Jhd. einen
äußerst sittenstrengen Pastor, der keine
Gelegenheit ausgelassen hat, ihre gottlose
Trinkfreudigkeit anzuprangern. Um trotzdem
ungestört feiern zu können, erfanden sie
folgendes Getränk: zwei große Eierbecher Rum,
zwei Stück Zucker, aufgefüllt mit schwarzem
Kaffee. Obendrauf eine Haube Schlagsahne aus
Schafsmilch, weil die am besten auf der
Flüssigkeit schwimmt und den Rumgeruch
überdeckt. Dem Pastor hat man seinen Kaffee
natürlich ohne Rum gereicht, bis es zu
fortgeschrittener Stunde doch zu einer
Verwechslung gekommen ist. Und Pastor Beyer dann:
»Ihr Pharisäer«. Damit hatte der Rum-Kaffee
seinen Namen weg!
Die
Pharisäer damals
Der Pharisäer als
hochmütiger und selbstgerechter Heuchler.
Sahnehaube aber wehe, man schaut dahinter!
Es drängt mich, diesen Pharisäer zu
verteidigen: Die Pharisäer waren ein feste
Gemeinschaft innerhalb der Juden. Das hebräische
Wort, das dahinter steht, bedeutet so viel wie:
"die sich absondern". Zuerst ein
Schimpfwort von außen. Und dann waren sie stolz
darauf und verstanden es als eine Art Ehrentitel.
Die Pharisäer lebten ihren jüdischen Glauben
äußerst streng und sonderten sich ab von denen,
die diese Strenge nicht einhielten. Ein fester
Kreis mit viel Anziehungskraft: Zum einen nahmen
sie ihren Glauben wirklich ernst. Und zum anderen
konnten nicht nur Gelehrte, nicht nur Reiche,
sondern auch einfache Leute hinzukommen. Allein
der Glaube war entscheidend, keine äußeren
Dinge. Im Grunde waren sie ernstzunehmende und
gläubige Menschen. Ihr Eifer war echt und
keinesfalls geheuchelt. Das hat sicher gestimmt,
was der Pharisäer da im Tempel von sich sagt:
Dass er sich an die Zehn Gebote hält und kein
Räuber, Betrüger und Ehebrecher ist. Dass er
zweimal in der Woche fastet, obwohl es seine
jüdischer Glaube nur einmal im Jahr von ihm
forderte. Dass er von allem den Zehnten abgibt,
obwohl nach dem jüdischen Gesetz einige Dinge
des täglichen Lebens davon ausgenommen waren.
Diesen Menschen
lobe ich mir: Er lebt, was er sagt. Er ist seinen
Grundsätzen treu, korrekt, verlässlich, eifrig.
Er schämt sich seines Glaubens nicht. Wir
bräuchten mehr solche Menschen, auch hier und
heute, auch in unserer Kirche. Ich lobe ihn, denn
er macht es sich nicht leicht. Er sagt nicht: Na,
ja, man muss es ja nicht gleich übertreiben mit
dem Beten, mit dem Bibellesen oder mit dem
Gottesdienst.
Die
Zöllner damals
Auf der anderen
Seite der Zöllner: Von den Frommen verachtet,
weil er nicht nach den religiösen Vorschriften
lebte. Von seinen Landsleuten gehasst, weil er
sie oft genug betrog, und weil er mit den
Römern, mit den Besatzern, Geschäfte machte.
Als Entschuldigung könnte man höchstens
anführen, dass ihn sein Beruf in eine
Zwickmühle führte: Er musste sehen, wie er
zurecht kam, wenn er seine Familie ernähren
wollte. Er war kein Zöllner im heutigen Sinne im
Dienst eines Rechtsstaates. Er war Pächter einer
Zollstelle an der Grenze von einer jüdischen
Provinz in eine andere. Er hatte den Zollertrag
für sein Gebiet selber für ein Jahr im Voraus
zu bezahlen. Dann musste er sehen, wie er wieder
zu seinem Geld und auch zu ein wenig Gewinn kam.
Und weil noch dazu die Höhe der Zölle oft sehr
unbestimmt war, war also dem Missbrauch Tür und
Tor geöffnet.
Der
Schuldige wird frei gesprochen
Beide stehen sie
nun zur gleichen Zeit im Tempel vor ihrem
Schöpfer: Der nach unseren menschlichen
Maßstäben Fromme und Anständige und der
mutmaßliche Gauner und Betrüger. Und dann sagt
Jesus: "Ich sage euch: Dieser (also der
Betrüger) ging gerechtfertigt hinab in sein
Haus, nicht jener." Der Fromme und
Anständige kommt schlecht weg. Der Betrüger
kommt gut weg. Warum? Nicht, weil der Fromme in
Wirklichkeit vielleicht doch nicht so fromm
gewesen ist, sondern nur ein Blender und
Heuchler. Auch nicht, weil der Betrüger
vielleicht doch nicht so schlimm war, und Gott
ihn in seiner Zwickmühle schon gut verstehen
kann. Jesus sagt nicht: "Dieser (der
Betrüger) war ein gerechter Mann, nicht
jener." Er sagt: "Dieser ging
gerecht-fertigt nach Hause." Gerecht-fertigt
heißt nicht: Nach menschlichen Maßstäben
gerecht, sondern von Gott gerecht gesprochen.
Jesus trifft also kein menschliches Urteil,
sondern er spricht im Namen Gottes, er spricht
mit Gottes Autorität: Gott spricht diesen
Zöllner gerecht, obwohl er nach menschlichen
Maßstäben durchaus nicht gerecht war. Er
spricht ihn los. Er spricht ihn frei.
Hochmut
...
So werden die
beiden nicht nach dem beurteilt, was sie in
unseren menschlichen Augen sind. Sondern danach,
wie sie sich vor Gott sehen und sich vor ihn
hinstellen. So war der Pharisäer sicher ein
frommer Mann. Und sein Dankgebet "Ich danke
dir, Gott, dass ich deinen Gesetzen folgen
darf." war sicher ernst gemeint. Doch indem
er sich mit Zöllner vergleicht, indem er ihn
aburteilt und verachtet, verfällt er dem
Hochmut. Wäre er wirklich von Herzen dankbar,
würde er nicht so über ihn reden. So setzt er
sich dem Verdacht aus, dass er seine Frömmigkeit
doch als seine eigene Leistung und nicht als
Geschenk Gottes ansieht. Frech, fordernd, und
sich seiner Leistungen bewusst steht er vor
seinem Gott. Für pharisäische Theologie war
Gott so eine Art Finanzbuchhalter. So hat man es
ihm beigebracht: Wenn ich möglichst viele gute
Taten getan habe, muss am Ende, wenn Gott
zusammenzählen wird, insgesamt auch ein
positives Ergebnis herauskommen. Und dann muss
mich Gott unter dem Strich belohnen. Ich habe
einen Anspruch vor ihm.
... und
Demut
Im Gegensatz dazu
der Zöllner: "Er stand ferne." Er
drückt sich an den Rand. Es wird ihm im Tempel
vor den Augen Gottes offenbar schonungslos und
radikal bewusst, welches Leben er führt. Wie
sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen und zu
Gott beschaffen ist. Er kann sich nicht
verstecken. Er kann sich nicht herausreden. Es
gibt nichts, was er positiv für sich anführen
könnte. Es gibt nichts zu beschönigen. Er
weiß, er ist einzig und allein auf Gottes
Vergebung und Gnade angewiesen. Er hätte ja
sagen können: "Lieber Gott, du kennst doch
meine Zwickmühle. Du weißt doch: Ich muss meine
Familie ernähren. Was soll ich denn tun? Ich
kann doch meinen Beruf nicht einfach aufgeben.
Das musst du doch verstehen." Statt dessen
bleibt ihm nur der eine Satz: "Gott, sei mir
Sünder gnädig." Vielleicht betet er mit
dem Psalm 51, wo es heißt: "Gott, sei
mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine
Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. 4
Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige
mich von meiner Sünde; 5 denn ich erkenne meine
Missetat, und meine Sünde ist immer vor
mir." (Psalm 51,3-5).
Und wir?
So schickt uns,
meine ich, Jesus mit seiner Beispielgeschichte
heute nicht beruhigt nach Hause auf die Art: Sei
froh, dass du kein Pharisäer bist. So streng
brauchst du es nicht zu nehmen. Du merkst ja, zu
welchem Hochmut so viel Frömmigkeit führen
kann. Und ein kleiner Gauner sind wir doch alle.
Und Gott schaut die kleinen Gauner gnädig an.
Oder es sagt jemand vielleicht: Gott sei Dank
weiß ich noch, wo ich hingehöre am
Sonntagvormittag. Nicht wie mein Nachbar, der
auch wieder einmal gehen könnte. Zeit hätte er.
Und brauchen würde er es auch. Oder andersherum:
Ich gehe zwar nicht oft in die Kirche. Aber die,
die so oft rennen, sind ja auch nicht besser als
ich, ja vielleicht sogar schlechter und
heuchlerischer.
"Die
andern", immer "die andern"! Nein,
Jesus schickt uns nach Hause mit der Frage: Wie
hättest du dich damals hingestellt? Wie stehst
du da vor deinem Gott? Sieht du dich ehrlich und
schonungslos oder redest du dich heraus? Ein
Thema, mit dem jeder in sein stilles Kämmerlein
geschickt wird. Ein Thema, das man nicht offen
verhandeln kann. Ein Thema, das keine Zuschauer
und Zuhörer verträgt. Außer Gott und
vielleicht einem, der einem die Beichte abnimmt.
Was letztlich entscheidend ist: Es zählt nicht,
wie ich mich sehe; wie ich meine, dass ich da
stehe. Es zählt, wie Gott mich sieht. Es zählt,
dass er ja zu mir sagt, mich gerecht spricht, wie
wenig oder wie sehr ich es auch bin.
Gottes Ja
verleiht Flügel
Und dieses Ja
Gottes kann beiden Flügel verleihen: Dem, der es
mit seinem Glauben ernst meint, dass er von
Herzen dankbar dafür ist, dass er nicht auf
andere herabschaut, sondern ihnen nach Kräften
hilft und vor Gott für sie eintritt. Und es kann
dem Flügel verliehen, der durch die Zwänge
seines Berufes, seiner Familie, seines Alltags
noch nicht die Nähe zu Gott gefunden hat, die er
sich heimlich wünscht, oder die man ihm
wünschen würde. Auf dieses Ja Gottes kommt es
entscheidend an. Wer das begriffen und ergriffen
hat, für den wird sich das Weitere finden.
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