Salbungsgottesdienst
Seit
zwölf Jahren etwa werden in Bayreuth Gottesdienste mit Salbung
und Segnung angeboten – der nächste am 18. Oktober in
der Christuskirche: Abendmahlsgottesdienste, in denen man Menschen
persönlich die Hände auflegt und sie mit Salböl segnet.
Es gibt dafür verschiedene Formen, so wie es auch verschiedene
Formen der Abendmahlsausteilung gibt. Bei unseren Bayreuther Salbungsgottesdiensten
sieht es so aus: Man setzt sich auf einen Stuhl. Vor einem steht
die Person, die einem gleich die Hände auflegen wird. Rechts
und links hinter einem stehen zwei, die einen an der Schulter stützen,
so dass man im Kreis dieser drei geborgen ist. Der vor einem Stehende
legt die Hände auf und spricht: „Ich segne und salbe
dich im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und
des Heiligen Geistes." Er taucht den Finger ein wenig in das
Schälchen mit dem Öl und macht damit ein Kreuzeszeichen
auf die Stirn und auf die beiden Handflächen. Dann sagt er
noch ein Bibel- oder Segenswort. Ganz persönliche Zuwendung
und Berührung im Namen Gottes, das steht im Mittelpunkt.
An diese unsere Gottesdienste bin ich erinnert worden beim Lesen
der heutigen Jesus-Geschichte:
Jesus und der Gehörlose
31 Als Jesus fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch
Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn
Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm
war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.
Das Gebiet der Zehn Städte, die sog. Dekapolis am östlichen
Ufer des Sees Genezareth ist heidnisches, also von Nichtjuden bewohntes
Gebiet. Auch dort erwartet man also etwas von Jesus. Die Erzählungen
von seinem Wirken sind ihm wohl vorausgeeilt. Hoffnung auf Heilung
hat nichts mit dem richtigen Glauben zu tun. Auch wer zu einem Gottesdienst
mit Segnung und Salbung kommt, wird nicht auf seinen Glauben hin
geprüft. In der Bibel werden auch Menschen heil, die nicht
auf die übliche Weise glauben.
Einen, der taub und stumm war, bringen sie zu Jesus. Wörtlich:
einen, der nur stammelnd reden konnte. Gehörlos, so sagt man
heute. Der Gehörlose ist ja nicht stumm, aber er kann wegen
des fehlenden Gehörs die Sprache nicht ordentlich lernen und
kontrollieren. Ein Gehörloser – damals vermutlich ein
Sorgenkind seit vielen Jahren. Womöglich hat man ihn eingesperrt
im Haus aus Angst vor dem Gerede?
Gehörlos sein, von der Außenwelt und den Gesprächen
der Menschen abgeschnitten – als Hörende können
wir uns nicht hineinversetzen. Ein Schwerhöriger noch am ehesten:
Viele werden immer einsamer. Sie kommen nicht mehr in den Gottesdienst,
weil sie nichts verstehen. Sie meiden größere Gesellschaft,
weil sie nur die Hälfte mitbekommen. Man kann ja nicht immer
nur lächeln oder „Ja, ja" sagen, wenn man nichts
verstanden hat. Auf einmal lacht jemand. Warum lacht er? Lacht er
vielleicht über mich? Oder es tuschelt jemand. Über mich
vielleicht?
Gehörlosigkeit macht einsam. Gehörlosigkeit ist wie eine
Mauer, wie ein Gefängnis. Wären da nicht verständnisvolle
Familien und Selbsthilfegruppen. Wäre da nicht die Gebärdensprache.
Den letzten Strohhalm ergreifen
Man bringt also den Gehörlosen zu Jesus. Man muss ihn bringen,
denn er hat selbst hat ja von ihm noch nichts gehört. Ob der
Gehörlose wollte, dass ihm geholfen wird, und ob er begreift,
was da vorgeht, steht nicht da. Auch nicht, ob es seine Angehörigen
sind oder seine Freunde. Auch nicht, ob es für sie vielleicht
der letzte Strohhalm ist, oder ob sie es einfach einmal probieren
wollen.
Auch zu einem Salbungsgottesdienst kann jemand von sich aus gehen,
nachdem er ein Plakat gelesen oder eine Gottesdienstabkündigung
gehört hat. Er kann aber auch von jemand mitgenommen werden,
eingeladen werden. Jemand redet ihm gut zu. Und: Schaden kann es
ja nicht.
Jesus soll dem Gehörlosen die Hand auflegen. Offensichtlich
haben sie gehört, dass das seine Art ist. Was sie sich genau
erhoffen, steht nicht da. Wahrscheinlich soll er ihn einfach mal
kurz berühren. Das reicht schon. In den Kapiteln vorher lesen
wir öfter, dass Menschen sich zu Jesus hindrängeln, um
einfach nur sein Gewand zu anzufassen, damit sie damit etwas abbekommen
von der magischen Kraft in ihm.
Zuwendung ist entscheidend
33 Und (Jesus) nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm
die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel
und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!,
das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren
auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete
richtig.
Jesus macht nicht, was man von ihm erwartet. Oder besser: Er macht
es auf seine eigene Art und Weise. Nur kurz und flüchtig berühren,
damit die Angehörigen zufrieden sind, aber der Gehörlose
wüsste überhaupt nicht, wie ihm geschieht, das will er
nicht. Da wäre der Arme nur ein Objekt.
Eine intensive Zuwendung schenkt ihm Jesus, nicht nur eine flüchtige.
Er verwendet dabei die bekannten Methoden, die auch die anderen
Heiler seiner Zeit verwendeten. Das wird ja oft vergessen, dass
die Heilungsgeschichten aus der Bibel damals etwas ganz Alltägliches
waren. In der Geschichtsschreibung dieser Zeit wird von einigen
sog. „göttlichen Menschen" geredet, die als Heiler
unterwegs waren.
Jesus nimmt den Gehörlosen auf die Seite und geht ganz auf
ihn ein. Dazu muss er eine Sprache sprechen, die der Gehörlose
versteht. Und das sind allein Gebärden und Berührungen.
Nur die Sprache, die der Gehörlose versteht, kann seine Isolation
durchbrechen, die Mauer um ihn herum niederreißen. Was würden
ihm eine Predigt oder Segensworte helfen?
Jesus nimmt ihn auf die Seite und gibt ihm damit zu verstehen: „Ganz
allein um dich geht es jetzt. Nur du bist wichtig." Er berührt
die Ohren, steht da. Wörtlich: Er stößt ihm die
Finger in die Ohren, so als müsste eine Barriere durchbrochen
werden. Er fasst seine Zunge, so als wollte er Fesseln lösen.
Er verwendet Speichel als Heilmittel, so wie es damals üblich
war, und wie es auch heute noch als Hausmittel verwendet wird.
Jesus schaut zum Himmel und seufzt: Das Schicksal des Menschen geht
ihm an die Nieren. Und er wendet sich an Gott, von dem allein die
Heilung kommt, und nicht durch irgendeine magische Kraft oder einen
Zauberspruch.
„Effata!" „Sei geöffnet! Öffne dich"
Das bezieht sich auf den Kranken. Das bezieht sich auf die ganze
Person, nicht nur auf Mund und Ohren. Seine Krankheit hat ihn verschlossen,
hat ihn ausgeschlossen. Jetzt kann er wieder kommunizieren. Seine
Krankheit hat ihn gefesselt, hat ihn eingesperrt. Nun ist er wieder
frei.
Nicht jeder wird gesund
Ist vielleicht diese Befreiung das Entscheidende? Isolation ist
schlimmer als Krankheit: Altenheim ist schlimm, wenn jemand nicht
mehr besucht wird, wenn man von der Außenwelt abgeschlossen
ist und keine Neuigkeiten mehr erfährt. Pflegebedürftigkeit
ist schlimm, wenn jemand nicht mehr gestreichelt wird, wenn keiner
mehr eine Hand hält. An den Rollstuhl gebunden sein, ist schlimm,
wenn einem alle aus dem Weg gehen und sich unsicher und tollpatschig
benehmen.
Krankheit und Behinderung isolieren. Und da ist oft gar nicht mal
der Wunsch, dass alles wieder so wird, wie es früher war. Kontakt
ist entscheidend. Wärme, Berührung und Gespräch.
Ich will aber damit das Wunder nicht klein reden, dass dieser Gehörlose
wieder hören und verständlich sprechen konnte. Ich will
damit nicht sagen, dass wir die Wunder Jesu allein psychologisch
verstehen sollen. Sonst würde ich bei den Salbungsgottesdiensten
nicht mitarbeiten. Sonst könnte ich nicht guten Gewissens Hände
auflegen. Sonst würde ich die Möglichkeiten Gottes klein
reden.
Aber wir können und müssen im Team der Salbenden Gott
überlassen, was er tut und wofür der Mensch offen ist.
Vielleicht ist jemand schon lange nicht mehr berührt und herzlich
angefasst worden. Und allein das lässt ihn gestärkt gehen.
Vielleicht kann jemand nun annehmen, was er als Last zu tragen hat.
Vielleicht ergibt sich bei jemand eine Besserung seiner Beschwerden.
Vielleicht werden sie ihm auch ganz und gar genommen.
Alles wird gut!
36 Und (Jesus) gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je
mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie
wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles
wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen
redend.
„Alles wird gut." Die Umstehenden jubeln mit Worten aus
dem Alten Testament: So wie es bei der Schöpfung hieß:
„Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es
war sehr gut." So ist es auch für diesen Menschen alles
gut geworden. So wie bei der Schöpfung Gott allein am Werk
war, so auch hier. Und sie jubeln, weil das geschieht, was die Propheten
für die Endzeit versprochen haben: dass Blinde sehen, Taube
hören und Sprachlose reden können.
„Alles wird gut." Diesen Satz, dieses Bekenntnis sollten
wir uns als Kirche von der Werbewirtschaft nicht wegnehmen lassen.
„Alles wird gut." Das ist ein biblischer Satz. Das ist
ein Glaubensbekenntnis, das mit dem Wirken Gottes rechnet.
„Alles wird gut." Jedes überraschende Gesundwerden
ist ein Vorgriff auf das kommende Reich Gottes. Noch ist es nicht
da. Noch werden nicht alle gesund, sondern nur einzelne. Mit der
Anfechtung müssen wir leben. Vor allem, wenn es uns selbst
betrifft.
„Alles wird gut." Das soll uns aber nicht daran hindern,
bis dahin im Namen Jesu zu tun, was in unserer Macht steht: Kranke,
Pflegebedürftige und Behinderte ihrer Isolation zu entreißen,
ihre Einsamkeit zu durchbrechen und sie hineinzunehmen ins Leben.
Der dreieinige Gott schenke uns die Kraft dazu. Amen
|