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Die Predigt vom 30. August 2009 (12. Sonntag nach Trinitatis):
»Alles wird gut!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 12. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist die Heilung. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Heilung eines Taubstummen nach Markus 7:
Predigttext
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Der Predigttext
31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, daß er die Hand auf ihn lege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend. (Markus 7,31-37)
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Die Predigt
Salbungsgottesdienst

Seit zwölf Jahren etwa werden in Bayreuth Gottesdienste mit Salbung und Segnung angeboten – der nächste am 18. Oktober in der Christuskirche: Abendmahlsgottesdienste, in denen man Menschen persönlich die Hände auflegt und sie mit Salböl segnet.
Es gibt dafür verschiedene Formen, so wie es auch verschiedene Formen der Abendmahlsausteilung gibt. Bei unseren Bayreuther Salbungsgottesdiensten sieht es so aus: Man setzt sich auf einen Stuhl. Vor einem steht die Person, die einem gleich die Hände auflegen wird. Rechts und links hinter einem stehen zwei, die einen an der Schulter stützen, so dass man im Kreis dieser drei geborgen ist. Der vor einem Stehende legt die Hände auf und spricht: „Ich segne und salbe dich im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." Er taucht den Finger ein wenig in das Schälchen mit dem Öl und macht damit ein Kreuzeszeichen auf die Stirn und auf die beiden Handflächen. Dann sagt er noch ein Bibel- oder Segenswort. Ganz persönliche Zuwendung und Berührung im Namen Gottes, das steht im Mittelpunkt.
An diese unsere Gottesdienste bin ich erinnert worden beim Lesen der heutigen Jesus-Geschichte:

Jesus und der Gehörlose

31 Als Jesus fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.
Das Gebiet der Zehn Städte, die sog. Dekapolis am östlichen Ufer des Sees Genezareth ist heidnisches, also von Nichtjuden bewohntes Gebiet. Auch dort erwartet man also etwas von Jesus. Die Erzählungen von seinem Wirken sind ihm wohl vorausgeeilt. Hoffnung auf Heilung hat nichts mit dem richtigen Glauben zu tun. Auch wer zu einem Gottesdienst mit Segnung und Salbung kommt, wird nicht auf seinen Glauben hin geprüft. In der Bibel werden auch Menschen heil, die nicht auf die übliche Weise glauben.
Einen, der taub und stumm war, bringen sie zu Jesus. Wörtlich: einen, der nur stammelnd reden konnte. Gehörlos, so sagt man heute. Der Gehörlose ist ja nicht stumm, aber er kann wegen des fehlenden Gehörs die Sprache nicht ordentlich lernen und kontrollieren. Ein Gehörloser – damals vermutlich ein Sorgenkind seit vielen Jahren. Womöglich hat man ihn eingesperrt im Haus aus Angst vor dem Gerede?
Gehörlos sein, von der Außenwelt und den Gesprächen der Menschen abgeschnitten – als Hörende können wir uns nicht hineinversetzen. Ein Schwerhöriger noch am ehesten: Viele werden immer einsamer. Sie kommen nicht mehr in den Gottesdienst, weil sie nichts verstehen. Sie meiden größere Gesellschaft, weil sie nur die Hälfte mitbekommen. Man kann ja nicht immer nur lächeln oder „Ja, ja" sagen, wenn man nichts verstanden hat. Auf einmal lacht jemand. Warum lacht er? Lacht er vielleicht über mich? Oder es tuschelt jemand. Über mich vielleicht?
Gehörlosigkeit macht einsam. Gehörlosigkeit ist wie eine Mauer, wie ein Gefängnis. Wären da nicht verständnisvolle Familien und Selbsthilfegruppen. Wäre da nicht die Gebärdensprache.

Den letzten Strohhalm ergreifen

Man bringt also den Gehörlosen zu Jesus. Man muss ihn bringen, denn er hat selbst hat ja von ihm noch nichts gehört. Ob der Gehörlose wollte, dass ihm geholfen wird, und ob er begreift, was da vorgeht, steht nicht da. Auch nicht, ob es seine Angehörigen sind oder seine Freunde. Auch nicht, ob es für sie vielleicht der letzte Strohhalm ist, oder ob sie es einfach einmal probieren wollen.
Auch zu einem Salbungsgottesdienst kann jemand von sich aus gehen, nachdem er ein Plakat gelesen oder eine Gottesdienstabkündigung gehört hat. Er kann aber auch von jemand mitgenommen werden, eingeladen werden. Jemand redet ihm gut zu. Und: Schaden kann es ja nicht.

Jesus soll dem Gehörlosen die Hand auflegen. Offensichtlich haben sie gehört, dass das seine Art ist. Was sie sich genau erhoffen, steht nicht da. Wahrscheinlich soll er ihn einfach mal kurz berühren. Das reicht schon. In den Kapiteln vorher lesen wir öfter, dass Menschen sich zu Jesus hindrängeln, um einfach nur sein Gewand zu anzufassen, damit sie damit etwas abbekommen von der magischen Kraft in ihm.

Zuwendung ist entscheidend

33 Und (Jesus) nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.
Jesus macht nicht, was man von ihm erwartet. Oder besser: Er macht es auf seine eigene Art und Weise. Nur kurz und flüchtig berühren, damit die Angehörigen zufrieden sind, aber der Gehörlose wüsste überhaupt nicht, wie ihm geschieht, das will er nicht. Da wäre der Arme nur ein Objekt.
Eine intensive Zuwendung schenkt ihm Jesus, nicht nur eine flüchtige. Er verwendet dabei die bekannten Methoden, die auch die anderen Heiler seiner Zeit verwendeten. Das wird ja oft vergessen, dass die Heilungsgeschichten aus der Bibel damals etwas ganz Alltägliches waren. In der Geschichtsschreibung dieser Zeit wird von einigen sog. „göttlichen Menschen" geredet, die als Heiler unterwegs waren.
Jesus nimmt den Gehörlosen auf die Seite und geht ganz auf ihn ein. Dazu muss er eine Sprache sprechen, die der Gehörlose versteht. Und das sind allein Gebärden und Berührungen. Nur die Sprache, die der Gehörlose versteht, kann seine Isolation durchbrechen, die Mauer um ihn herum niederreißen. Was würden ihm eine Predigt oder Segensworte helfen?
Jesus nimmt ihn auf die Seite und gibt ihm damit zu verstehen: „Ganz allein um dich geht es jetzt. Nur du bist wichtig." Er berührt die Ohren, steht da. Wörtlich: Er stößt ihm die Finger in die Ohren, so als müsste eine Barriere durchbrochen werden. Er fasst seine Zunge, so als wollte er Fesseln lösen. Er verwendet Speichel als Heilmittel, so wie es damals üblich war, und wie es auch heute noch als Hausmittel verwendet wird.
Jesus schaut zum Himmel und seufzt: Das Schicksal des Menschen geht ihm an die Nieren. Und er wendet sich an Gott, von dem allein die Heilung kommt, und nicht durch irgendeine magische Kraft oder einen Zauberspruch.
„Effata!" „Sei geöffnet! Öffne dich" Das bezieht sich auf den Kranken. Das bezieht sich auf die ganze Person, nicht nur auf Mund und Ohren. Seine Krankheit hat ihn verschlossen, hat ihn ausgeschlossen. Jetzt kann er wieder kommunizieren. Seine Krankheit hat ihn gefesselt, hat ihn eingesperrt. Nun ist er wieder frei.

Nicht jeder wird gesund

Ist vielleicht diese Befreiung das Entscheidende? Isolation ist schlimmer als Krankheit: Altenheim ist schlimm, wenn jemand nicht mehr besucht wird, wenn man von der Außenwelt abgeschlossen ist und keine Neuigkeiten mehr erfährt. Pflegebedürftigkeit ist schlimm, wenn jemand nicht mehr gestreichelt wird, wenn keiner mehr eine Hand hält. An den Rollstuhl gebunden sein, ist schlimm, wenn einem alle aus dem Weg gehen und sich unsicher und tollpatschig benehmen.
Krankheit und Behinderung isolieren. Und da ist oft gar nicht mal der Wunsch, dass alles wieder so wird, wie es früher war. Kontakt ist entscheidend. Wärme, Berührung und Gespräch.

Ich will aber damit das Wunder nicht klein reden, dass dieser Gehörlose wieder hören und verständlich sprechen konnte. Ich will damit nicht sagen, dass wir die Wunder Jesu allein psychologisch verstehen sollen. Sonst würde ich bei den Salbungsgottesdiensten nicht mitarbeiten. Sonst könnte ich nicht guten Gewissens Hände auflegen. Sonst würde ich die Möglichkeiten Gottes klein reden.
Aber wir können und müssen im Team der Salbenden Gott überlassen, was er tut und wofür der Mensch offen ist. Vielleicht ist jemand schon lange nicht mehr berührt und herzlich angefasst worden. Und allein das lässt ihn gestärkt gehen. Vielleicht kann jemand nun annehmen, was er als Last zu tragen hat. Vielleicht ergibt sich bei jemand eine Besserung seiner Beschwerden. Vielleicht werden sie ihm auch ganz und gar genommen.

Alles wird gut!

36 Und (Jesus) gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
„Alles wird gut." Die Umstehenden jubeln mit Worten aus dem Alten Testament: So wie es bei der Schöpfung hieß: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut." So ist es auch für diesen Menschen alles gut geworden. So wie bei der Schöpfung Gott allein am Werk war, so auch hier. Und sie jubeln, weil das geschieht, was die Propheten für die Endzeit versprochen haben: dass Blinde sehen, Taube hören und Sprachlose reden können.
„Alles wird gut." Diesen Satz, dieses Bekenntnis sollten wir uns als Kirche von der Werbewirtschaft nicht wegnehmen lassen. „Alles wird gut." Das ist ein biblischer Satz. Das ist ein Glaubensbekenntnis, das mit dem Wirken Gottes rechnet.
„Alles wird gut." Jedes überraschende Gesundwerden ist ein Vorgriff auf das kommende Reich Gottes. Noch ist es nicht da. Noch werden nicht alle gesund, sondern nur einzelne. Mit der Anfechtung müssen wir leben. Vor allem, wenn es uns selbst betrifft.
„Alles wird gut." Das soll uns aber nicht daran hindern, bis dahin im Namen Jesu zu tun, was in unserer Macht steht: Kranke, Pflegebedürftige und Behinderte ihrer Isolation zu entreißen, ihre Einsamkeit zu durchbrechen und sie hineinzunehmen ins Leben.
Der dreieinige Gott schenke uns die Kraft dazu. Amen

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de