Jesus
ist unverschämt Schroffer wird uns Jesus wohl
nirgends im Neuen Testament beschrieben als hier
in dieser Begegnung mit der kanaanäischen Frau: "Es
ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot
nehme und werfe es vor die Hunde." Als
einen bettelnden Hund redet Jesus die Frau aus
Kanaan an, die sich um ihre kranke Tochter sorgt
und für die Jesus der letzte Strohhalm ist. "Ich
bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israel." So will er sie
abfertigen, weil sie als Kanaanäerin nicht zum
auserwählten Volk gehört, an das er sich
gewiesen weiß.
Woher diese
erschreckende Schroffheit? Es löst zwar nicht
alle Fragen, aber Jesus wird uns hier ehrlich und
offen als Mensch vor Augen gestellt: als Mensch,
der wie jeder andere Gefühlsregungen kennt, als
Mann seiner Zeit, als Kind jüdischer Erziehung.
Jesus
braucht Ruhe
21 Und Jesus
ging weg und zog sich zurück in die Gegend von
Tyrus und Sidon.
In Nordisrael, im
Gebiet um den See Genezareth war Jesus mit seinen
Jüngern als Wanderprediger zu Hause. Auf dieser
Wanderschaft kommen sie auch in die Randgebiete
Israels: Kanaanäisches, genauer gesagt
phönizisches, also heidnisches Gebiet, der
Süden des heutigen Libanon. Diese Gegend hat ein
frommer Jude normalerweise nicht besucht. Von den
Heiden, den Nichtjuden hat man sich bewusst
ferngehalten. Jesus geht dorthin, offenbar weil
er seine Ruhe haben will. "Er zog sich
zurück.", heißt es, was öfter von ihm
berichtet wird. Vor dieser Geschichte erzählt
Matthäus von einem Streitgespräch mit den
Pharisäern. Jesus hat sich aufgeregt, hat sich
in Rage geredet. Jetzt braucht er Ruhe. Er will
wieder zu sich kommen.
So etwas
tut man nicht
22 Und siehe,
eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und
schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich
meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist
übel geplagt.
Da schreit ihm
mitten auf der Straße diese Frau nach.
"Very shocking." würden die Engländer
sagen: Das tut keine anständige Frau, eine
verheiratete sowieso nicht. Und ein anständiger
Mann verbittet es sich. Besser: Er geht
überhaupt nicht darauf ein. Die Frau aber schert
sich nicht um Konventionen. Sie schert sich nicht
um ihre Erziehung und auch nicht um die alte
sprichwörtliche Feindschaft zwischen Israeliten
und Kanaanäern. Sie schreit nicht als Frau,
sondern als Mutter: Sie hat ein krankes Kind.
Für sein Kind tut man alles. Man klammert sich
an jeden Strohhalm. Man steckt im Zweifelsfall
jede Erniedrigung ein.
Jesus ist
nicht zuständig
Den Jüngern wird
es langsam peinlich: "Schick sie weg. Schau,
dass sie Ruhe gibt!" Und dann diese schroffe
Antwort Jesu. (Geht sie nur an die Jünger oder
auch an die Frau? Es steht nicht da.) "Ich
bin von Gott nur zu den Menschen im Volk Israel
gesandt. Sie soll ich zu ihm zurückbringen,
zurückbringen wie Schafe, die sich verirrt
haben." Wir haben keinen Grund, daran zu
zweifeln, dass Jesus diese harten und ablehnenden
Worte gesprochen hat. Wer hätte das erfinden
sollen? Wer hätte ihm bei der Überlieferung
seiner Taten und Worte so ein Wort in den Mund
gelegt? Auch die ablehnende Reaktion der Jünger
wurde in der Geschichte der Kirche immer wieder
als peinlich angesehen.
Als ein jüdischer
Mann, der weiß, was sich in der Öffentlichkeit
gehört, als ein frommer Jude, als ein Kind
seiner Zeit und seiner Erziehung wird uns Jesus
hier beschrieben.
Sie lässt
sich nicht abwimmeln
Ob die Frau diese
Worte gehört hat oder nicht, sie drängt sich
noch näher heran und wirft sich vor ihm nieder
in den Staub der Straße. Sie demütigt sich aufs
Tiefste, um dann zu hören: "Man nimmt nicht
den Kindern das Essen weg und wirft es dem
Haushund hin. Erst kommen die Kinder dran. Und
nur, wenn etwas übrig bleibt, der Hund unter dem
Tisch." Wäre nicht spätestens jetzt jeder
andere Bittsteller gegangen. Kann denn die Not so
groß sein, dass man auch noch das letzte Stück
Selbstachtung aufgibt und sich wie ein Hund
abfertigen lässt? Anders die Frau: Verzweifelt,
hartnäckig, aber auch durchaus schlagfertig
packt sie Jesus bei seinem Vergleich und nimmt
ihn beim Wort: "Ich weiß ja, dass ich als
Kanaanäerin erst in zweiter Linie drankommen
kann. Als Davidssohn, als Messias der Juden habe
ich dich angerufen. Gib nur deinen Kindern
zuerst. Kümmere dich um deine Glaubensgenossen.
Aber, wenn du schon dieses Bild verwendest, dann
bedenke: Unter jedem Tisch fallen für die Hunde
wenigstens ein paar kleine Brocken ab. Und mehr
will ich gar nicht." 27 Sie sprach: Ja,
Herr; aber doch fressen die Hunde von den
Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Jesus
lässt sich umstimmen
Ich möchte gar zu
gern wissen, wie Jesus bei all dieser
Schlagfertigkeit und Hartnäckigkeit geschaut
hat. Verblüfft dürfte er gewesen sein. Eine
solche Hartnäckigkeit, ein solches Vertrauen hat
er noch bei keinem Menschen erlebt: Frau, dein
Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!
Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben
Stunde.
Kann man sich
einen menschlicheren Jesus vorstellen: Auf der
einen Seite hart und konsequent bis zur
Unverschämtheit. Und dann lässt er sich packen
und umstimmen. (Und sage bitte niemand, wie es
manche gescheite Theologen tun, er habe nur ein
Spielchen mit der Frau getrieben und in seiner
Allwissenheit vorher schon gewusst, dass er ihr
am Ende nachgeben würde.)
Gott hat
ein menschlisches Gesicht
Dieser Jesus, der
sich bitten lässt, der sich umstimmen lässt,
der sich beknien lässt, der muss auch Folgen
haben für unser Bild von Gott, der muss auch
Folgen haben für den Glauben: Seit dieser
Geschichte gilt nicht mehr, was viele auch heute
noch von Gott sagen: "Es ist halt doch alles
vorherbestimmt. Es muss doch alles kommen, wie es
soll. Und so müssen wir es eben nehmen."
Nein, diese Frau hat es eben nicht so genommen.
Sie hat nicht aufgegeben. Sie hat sich nicht zu
schnell abspeisen lassen. Der Gott, der da
angeblich alles vorherbestimmt hat, dass es halt
kommen muss, wie es soll, der ist ein
menschliches Gedankengebilde. Beim näheren
Hinschauen ein unmenschliches, unbarmherzig
laufendes Uhrwerk, ein Gott ohne menschliches
Gesicht. Zu dem braucht man wahrhaftig nicht
beten.
In dieser
Erzählung aber begegnet uns ein Gott mit
menschlichem Antlitz: Abweisend, grob und stur
vielleicht auf den ersten Blick. Aber einer, der
mich hört. Einer, der geduldigem menschlichen
Drängen sein Ohr nicht verschließt. Einer, der
nachgeben kann und sich umstimmen lässt. Einer,
bei dem sich das Beten, Hoffen und Vertrauen
lohnt.
Glaube ist
Vertrauen
"Frau, dein
Glaube ist groß." Vor diesem Gott, der sich
bitten und erweichen lässt, sind alle gleich.
Die Not einer kanaanäischen Mutter ist keine
andere als die einer jüdischen Mutter. Beim
Gottvertrauen zählt nicht mehr Jude oder
Kanaanäer. Und Jesus findet bei dieser
Nichtjüdin einen größeren Glauben als noch
kurz zuvor bei den frömmsten Juden, die mit ihm
gestritten hatten und partout Recht behalten
wollten.
"Frau, dein
Glaube ist groß." Was meint Jesus mit ihrem
Glauben? Was war so groß und überzeugend an
ihr? Glaube als Wissen war es wohl nicht, denn
diese Frau hatte von jüdischen Glaubensinhalten
vermutlich nicht den geringsten Schimmer. Ihr
unbändiges und hartnäckiges Vertrauen war es,
das sich durch nichts hat erschüttern lassen:
weder durch das scheinbare Schweigen Gottes, noch
durch Rückschläge und Enttäuschungen.
Eine Erzählung
so scheint es mir für Menschen,
die sich von Gott vergessen, abgelehnt und
abgeschrieben fühlen mögen. Gott scheint nicht
zu hören, sooft man auch schreit. Er scheint
sein Spielchen mit einem zu treiben. Er scheint
einen als Fremden zu behandeln, einem die kalte
Schulter zu zeigen. Wohl dem, so zeigt Jesus, der
dann nicht aufgibt, der dann sich selbst und Gott
nicht aufgibt. Der sich nicht geschlagen gibt.
Der hartnäckig und geduldig immer wieder sagt,
was ihn bedrückt, und Gott geradezu in den Ohren
liegt. Er kann Überraschungen erleben. Amen
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