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Die Predigt vom 12. Oktober 2003 (17. Sonntag nach Trinitatis):
»Ja nicht aufgeben!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 17. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist der Glaube. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Begegnung Jesu mit der kanaanäsichen Frau nach Matthäus 15:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. 25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
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Die Predigt
Jesus ist unverschämt

Schroffer wird uns Jesus wohl nirgends im Neuen Testament beschrieben als hier in dieser Begegnung mit der kanaanäischen Frau: "Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde." Als einen bettelnden Hund redet Jesus die Frau aus Kanaan an, die sich um ihre kranke Tochter sorgt und für die Jesus der letzte Strohhalm ist. "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." So will er sie abfertigen, weil sie als Kanaanäerin nicht zum auserwählten Volk gehört, an das er sich gewiesen weiß.

Woher diese erschreckende Schroffheit? Es löst zwar nicht alle Fragen, aber Jesus wird uns hier ehrlich und offen als Mensch vor Augen gestellt: als Mensch, der wie jeder andere Gefühlsregungen kennt, als Mann seiner Zeit, als Kind jüdischer Erziehung.

Jesus braucht Ruhe

21 Und Jesus ging weg und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

In Nordisrael, im Gebiet um den See Genezareth war Jesus mit seinen Jüngern als Wanderprediger zu Hause. Auf dieser Wanderschaft kommen sie auch in die Randgebiete Israels: Kanaanäisches, genauer gesagt phönizisches, also heidnisches Gebiet, der Süden des heutigen Libanon. Diese Gegend hat ein frommer Jude normalerweise nicht besucht. Von den Heiden, den Nichtjuden hat man sich bewusst ferngehalten. Jesus geht dorthin, offenbar weil er seine Ruhe haben will. "Er zog sich zurück.", heißt es, was öfter von ihm berichtet wird. Vor dieser Geschichte erzählt Matthäus von einem Streitgespräch mit den Pharisäern. Jesus hat sich aufgeregt, hat sich in Rage geredet. Jetzt braucht er Ruhe. Er will wieder zu sich kommen.

So etwas tut man nicht

22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

Da schreit ihm mitten auf der Straße diese Frau nach. "Very shocking." würden die Engländer sagen: Das tut keine anständige Frau, eine verheiratete sowieso nicht. Und ein anständiger Mann verbittet es sich. Besser: Er geht überhaupt nicht darauf ein. Die Frau aber schert sich nicht um Konventionen. Sie schert sich nicht um ihre Erziehung und auch nicht um die alte sprichwörtliche Feindschaft zwischen Israeliten und Kanaanäern. Sie schreit nicht als Frau, sondern als Mutter: Sie hat ein krankes Kind. Für sein Kind tut man alles. Man klammert sich an jeden Strohhalm. Man steckt im Zweifelsfall jede Erniedrigung ein.

Jesus ist nicht zuständig

Den Jüngern wird es langsam peinlich: "Schick sie weg. Schau, dass sie Ruhe gibt!" Und dann diese schroffe Antwort Jesu. (Geht sie nur an die Jünger oder auch an die Frau? Es steht nicht da.) "Ich bin von Gott nur zu den Menschen im Volk Israel gesandt. Sie soll ich zu ihm zurückbringen, zurückbringen wie Schafe, die sich verirrt haben." Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Jesus diese harten und ablehnenden Worte gesprochen hat. Wer hätte das erfinden sollen? Wer hätte ihm bei der Überlieferung seiner Taten und Worte so ein Wort in den Mund gelegt? Auch die ablehnende Reaktion der Jünger wurde in der Geschichte der Kirche immer wieder als peinlich angesehen.

Als ein jüdischer Mann, der weiß, was sich in der Öffentlichkeit gehört, als ein frommer Jude, als ein Kind seiner Zeit und seiner Erziehung wird uns Jesus hier beschrieben.

Sie lässt sich nicht abwimmeln

Ob die Frau diese Worte gehört hat oder nicht, sie drängt sich noch näher heran und wirft sich vor ihm nieder in den Staub der Straße. Sie demütigt sich aufs Tiefste, um dann zu hören: "Man nimmt nicht den Kindern das Essen weg und wirft es dem Haushund hin. Erst kommen die Kinder dran. Und nur, wenn etwas übrig bleibt, der Hund unter dem Tisch." Wäre nicht spätestens jetzt jeder andere Bittsteller gegangen. Kann denn die Not so groß sein, dass man auch noch das letzte Stück Selbstachtung aufgibt und sich wie ein Hund abfertigen lässt? Anders die Frau: Verzweifelt, hartnäckig, aber auch durchaus schlagfertig packt sie Jesus bei seinem Vergleich und nimmt ihn beim Wort: "Ich weiß ja, dass ich als Kanaanäerin erst in zweiter Linie drankommen kann. Als Davidssohn, als Messias der Juden habe ich dich angerufen. Gib nur deinen Kindern zuerst. Kümmere dich um deine Glaubensgenossen. Aber, wenn du schon dieses Bild verwendest, dann bedenke: Unter jedem Tisch fallen für die Hunde wenigstens ein paar kleine Brocken ab. Und mehr will ich gar nicht." 27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

Jesus lässt sich umstimmen

Ich möchte gar zu gern wissen, wie Jesus bei all dieser Schlagfertigkeit und Hartnäckigkeit geschaut hat. Verblüfft dürfte er gewesen sein. Eine solche Hartnäckigkeit, ein solches Vertrauen hat er noch bei keinem Menschen erlebt: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Kann man sich einen menschlicheren Jesus vorstellen: Auf der einen Seite hart und konsequent bis zur Unverschämtheit. Und dann lässt er sich packen und umstimmen. (Und sage bitte niemand, wie es manche gescheite Theologen tun, er habe nur ein Spielchen mit der Frau getrieben und in seiner Allwissenheit vorher schon gewusst, dass er ihr am Ende nachgeben würde.)

Gott hat ein menschlisches Gesicht

Dieser Jesus, der sich bitten lässt, der sich umstimmen lässt, der sich beknien lässt, der muss auch Folgen haben für unser Bild von Gott, der muss auch Folgen haben für den Glauben: Seit dieser Geschichte gilt nicht mehr, was viele auch heute noch von Gott sagen: "Es ist halt doch alles vorherbestimmt. Es muss doch alles kommen, wie es soll. Und so müssen wir es eben nehmen." Nein, diese Frau hat es eben nicht so genommen. Sie hat nicht aufgegeben. Sie hat sich nicht zu schnell abspeisen lassen. Der Gott, der da angeblich alles vorherbestimmt hat, dass es halt kommen muss, wie es soll, der ist ein menschliches Gedankengebilde. Beim näheren Hinschauen ein unmenschliches, unbarmherzig laufendes Uhrwerk, ein Gott ohne menschliches Gesicht. Zu dem braucht man wahrhaftig nicht beten.

In dieser Erzählung aber begegnet uns ein Gott mit menschlichem Antlitz: Abweisend, grob und stur vielleicht auf den ersten Blick. Aber einer, der mich hört. Einer, der geduldigem menschlichen Drängen sein Ohr nicht verschließt. Einer, der nachgeben kann und sich umstimmen lässt. Einer, bei dem sich das Beten, Hoffen und Vertrauen lohnt.

Glaube ist Vertrauen

"Frau, dein Glaube ist groß." Vor diesem Gott, der sich bitten und erweichen lässt, sind alle gleich. Die Not einer kanaanäischen Mutter ist keine andere als die einer jüdischen Mutter. Beim Gottvertrauen zählt nicht mehr Jude oder Kanaanäer. Und Jesus findet bei dieser Nichtjüdin einen größeren Glauben als noch kurz zuvor bei den frömmsten Juden, die mit ihm gestritten hatten und partout Recht behalten wollten.

"Frau, dein Glaube ist groß." Was meint Jesus mit ihrem Glauben? Was war so groß und überzeugend an ihr? Glaube als Wissen war es wohl nicht, denn diese Frau hatte von jüdischen Glaubensinhalten vermutlich nicht den geringsten Schimmer. Ihr unbändiges und hartnäckiges Vertrauen war es, das sich durch nichts hat erschüttern lassen: weder durch das scheinbare Schweigen Gottes, noch durch Rückschläge und Enttäuschungen.

Eine Erzählung – so scheint es mir – für Menschen, die sich von Gott vergessen, abgelehnt und abgeschrieben fühlen mögen. Gott scheint nicht zu hören, sooft man auch schreit. Er scheint sein Spielchen mit einem zu treiben. Er scheint einen als Fremden zu behandeln, einem die kalte Schulter zu zeigen. Wohl dem, so zeigt Jesus, der dann nicht aufgibt, der dann sich selbst und Gott nicht aufgibt. Der sich nicht geschlagen gibt. Der hartnäckig und geduldig immer wieder sagt, was ihn bedrückt, und Gott geradezu in den Ohren liegt. Er kann Überraschungen erleben. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de