Der
neue Lutherfilm Jetzt müssten wir eigentlich ein
paar Szenen des neuen Lutherfilms miteinander anschauen:
z.B. die mit dem Ablassprediger Johann Tetzel in
Jüterbog. Fast wie in einer gut inszenierten
modernen Show hält er sozusagen eine feurige
Predigt. Er hält seine Hand über eine brennende
Fackel, bis sich die Haut zu lösen beginnt.
"Stellt euch vor, so würdet Ihr oder Eure
Verstorbenen mit dem ganzen Körper im Fegefeuer
schmoren!" Und am Ende der Vorstellung
werden die Zuschauer ihren letzten Pfennig
zusammenkratzen.
Oder eine andere
Szene mit Luthers sächsischem Landesvater,
Kurfürst Friedrich der Weise, köstlich
dargestellt von Sir Peter Ustinov: wie er durch
seine Reliquiensammlung geht, die er sich mit
viel viel Geld zusammengekauft hat. Man sieht
Schädel, goldverzierte Hände und kostbare
Gefäße mit den kleinsten Resten von Heiligen.
Die Angst
vor dem Gericht
Wir hören es,
aber wir können uns nicht hinein versetzen, wie
damals die Menschen die Angst umgetrieben hat, im
Gericht Gottes bestehen zu können. Nicht alle,
aber viele in der Kirche haben damals mit dieser
Angst die Menschen am Zügel gehalten. Drohend
hat man ihnen Gott vor Augen gemalt, v.a mit
Bildern, denn lesen konnte ja fast niemand.
Schauen Sie sich nur die Darstellungen des
jüngsten Gerichtes an romanischen Kirchen an, an
den Nürnberger Hauptkirchen z.B. oder am
Bamberger Dom: Wie da auf der rechten Seite des
richtenden Christus, (also zu seiner Linken, da
wo im Gleichnis die schwarzen Schafe aussortiert
werden,) sich ein großer Höllenrachen auftut,
in den die Menschen mit schmerzverzerrtem Gesicht
von Teufelchen hineingezerrt werden.
Wer reich war wie
Friedrich der Weise machte es über Reliquien von
Heiligen. Die Heiligen haben, so lehrt es die
katholische Kirche eigentlich jetzt noch, haben
so viele, ja zu viele Verdienste vor Gott
angehäuft, dass man von ihnen etwas abbekommen
kann. Ärmere Familien schickten wenigsten einen
der ihren ins Kloster. Das galt als die höchste
Form, vor Gott gerecht zu werden. Und ansonsten
kaufte man sich Ablässe, um mit Geld die
Fegefeuerzeit zu verkürzen, und ließ sich in
der Beichte Bußen auferlegen, mit denen man
alles wieder abarbeitete.
Gerichtspredigt
hilft nicht mehr
Heute helfen
Gerichtspredigten nichts mehr: Die Höllenrachen
an den Kirchen bringen einen höchstens zum
Schmunzeln. Die dicken schwarzen Buchstaben auf
den Zigarettenpackungen übersieht man oder man
überdeckt sie mit einer freundlichen Hülle. Die
Ankündigungen einer kommenden Klimakatastrophe
sind schneller vergessen als die Flutschäden
aufgeräumt werden. Höchstens noch der Arzt
schafft es mit seiner Gerichtspredigt: Wehe wenn
du so weitermachst!
Kirche und Pfarrer
haben keine Macht mehr über Seele und Herz. Und
das ist gut so. Man kann Seelen und Herzen nicht
mit Drohungen erreichen. Der Film zeigt, wie
Martin Luther sich damals schon zu dieser
Erkenntnis durchgerungen hat, dass Gott nicht der
Fordernde und Strafende, sondern der Liebende und
Gnädige ist. Wer sich von ihm gehalten weiß,
der braucht keine Angst vor dem Gericht, keine
Angst vor Tod und Teufel und auch keine Angst vor
den Menschen zu haben.
Es geht
ums Gelingen des Lebens
Vielleicht ist mit
dem Wegfall der Gerichtsangst aber auch ein
ernsthaftes Thema verloren gegangen. Die Frage
hinter dem Gleichnis vom jüngsten Gericht bleibt
ja: Wer möchte, wenn er ehrlich ist, schon so
leben und dann auch einmal sterben, dass er das
Gefühl hat, sein Leben wäre sinnlos gewesen,
wäre nicht gelungen? Der liebende und gnädige
Gott, den Luther entdeckt hat, sagt ja nicht:
Mach, was du willst. Er wirbt um die Menschen.
Wir Geschöpfe sind dem Schöpfer so unendlich
wichtig, dass es ihm nicht gleichgültig ist, wie
wir leben. Welchen Eltern wäre es denn wirklich
egal, welchen Weg die Kinder einschlagen?
Drohen um
des Lebens willen?
Und dann braucht
es auch einmal drohende, unmissverständliche
Worte wie in diesem Gleichnis. Wenn mich meine
Kinder früher bei längeren Autofahrten auf dem
Rücksitz zu sehr genervt haben, habe ich mich
schon einmal hinreißen lassen: Wenn nicht bald
Ruhe ist, wird jemand auf dem nächsten Parkplatz
an die Luft gesetzt! Kinder, die ihre Eltern
lieben, und die wissen, dass sie geliebt werden,
brauchen keine Angst zu haben, dass sie einmal
einsam und verlassen auf einem Autobahnparkplatz
sitzen werden. Menschen, die sich von Gott
gehalten wissen, brauchen sich vor dem Gericht
nicht zu fürchten.
Und so ist auch
das Gleichnis vom jüngsten Gericht keine
Drohbotschaft: Wehe, wenn du nicht, dann ...
Sondern es ist Frohbotschaft: Wenn du weißt und
spürst, dass Gott es gut mit dir meint, dann
öffnest du dein Herz für die Hungrigen, für
die Durstigen, für die Einsamen, für die
Gefangenen ... So zeigen es die Beispiele von
denen, die Gutes getan haben, ohne dass es ihnen
bewusst geworden ist: Gott erwartet nicht das
Großartige von uns, nicht die religiöse
Superleistung. Mancher nur wird von ihm nach
Afrika geschickt, um dort gegen den Hunger zu
kämpfen. Mancher nur soll mit einem
Hilfstransport in die Ukraine fahren. Mancher nur
soll sich einsetzen für die Flüchtlinge hier in
Bayreuth.
Das
Nächstliegende im Nächstliegenden
Die allermeisten
sollen ganz einfach in ihrem Alltag bleiben und
dort die Augen aufmachen. Gott erwartet sozusagen
das Nächstliegende. Und wir entdecken das
Nächstliegende, wenn wir den Nächstliegenden
und die Nächstliegende entdecken, die uns
brauchen. "Was ihr getan habt einem dieser
meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir
getan." Wie kommt es, dass wir auf der Suche
nach dem geringsten Bruder immer eher an ein
hungerndes Kind in Afrika denken als an den
nächsten Angehörigen oder Nachbarn?
Im Männerkreis
ist uns in der vergangenen Woche im Gespräch
aufgegangen, wie wenig eigentlich die
klitzekleine Aufmerksamkeit kostet, die der
Ehepartner immer wieder braucht und die wir
selber brauchen. Und das kann man ganz genauso
auf die Kinder, die alten Eltern, die
Geschwister, den Nachbarn und die Nachbarin
übertragen.
Die Augen
auf machen
Macht eure Augen
auf, sagt Jesus, und entdeckt den Durstigen in
euerer Nachbarschaft. Den mit dem Durst nach
wahrem Leben und Zufriedenheit. Denn es fehlt
aufs Ganze gesehen um uns herum wohl weniger das
Wasser für die Kehle als das Wasser für die
Seele. Entdeckt den, der durstig ist nach einem
Gespräch, einem guten Wort oder einer lieben
Geste.
Macht die Augen
auf, sagt Jesus. Wisst Ihr, wer in Eurer
Nachbarschaft krank ist? Wisst Ihr überhaupt
noch genug voneinander? Und wenn Ihr von einem
Kranken wisst, dann drückt Euch nicht um jeden
Besuch. Findet nicht jede mögliche Ausrede,
weswegen Ihr nicht im Krankenhaus vorbeischauen
könnt?
Macht eure Augen
auf, sagt Jesus, und entdeckt die Gefangenen in
einem übertragenen Sinn: Gefangen in sich
selbst, abgeschlossen, einsam und zurückgezogen.
Werke der
Barmherzigkeit
Sechs Werke der
Barmherzigkeit, auf die Jesus die Aufmerksamkeit
richtet: Hungernde speisen, Durstigen zu trinken
geben, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden,
Kranke besuchen und Gefangene. Ein siebtes Werk
der Barmherzigkeit, das bei Jesus nicht vorkommt,
wurde in der christlichen Tradition bald
hinzugefügt. Vielleicht auch, um die Siebenzahl
voll zu machen. Das siebte Werk der
Barmherzigkeit: Tote begraben. Menschen ein
würdiges Sterben und ein würdiges Ende
ermöglichen. Die Christen haben sich unter ihren
Zeitgenossen in den ersten Jahrhunderten unter
anderem große Sympathien auch dadurch erworben,
dass sie sich in den großen Pestepedemien ohne
Ansehen der Person und ohne Angst vor den Folgen
um die Menschen gekümmert haben. In diesen
kommenden Tagen werden wieder die Toten auf dem
Friedhof geehrt. Es werden mit viel Zeit und viel
Geld Gräber geschmückt. Wenn doch mit demselben
Einsatz ein Mensch schon vor seinem Sterben
gepflegt, besucht und menschlich betreut würde!
Wenn doch nicht so viele anonym, ohne einen Namen
auf einem Grabstein und ohne Trauergeleit
begraben würden!
Hilf, Herr meines
Lebens, daß ich nicht vergebens, dass ich nicht
vergebens hier auf Erden bin.
Hilf, Herr meiner
Seele, daß ich dort nicht fehle, dass ich dort
nicht fehle, wo ich nötig bin. Amen
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