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predigt[e].de

Die Predigt vom 16. November 2003 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahrs):
»Droh- oder Frohbotschaft?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Vorletzten Sonntag des Kirchenjahrs. Sein Thema ist die Letztverantwortung des Menschen vor Gott. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war das Gleichnis vom Weltgericht in Matthäus 25:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
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Die Predigt
Der neue Lutherfilm

Jetzt müssten wir eigentlich ein paar Szenen des neuen Lutherfilms miteinander anschauen: z.B. die mit dem Ablassprediger Johann Tetzel in Jüterbog. Fast wie in einer gut inszenierten modernen Show hält er sozusagen eine feurige Predigt. Er hält seine Hand über eine brennende Fackel, bis sich die Haut zu lösen beginnt. "Stellt euch vor, so würdet Ihr oder Eure Verstorbenen mit dem ganzen Körper im Fegefeuer schmoren!" Und am Ende der Vorstellung werden die Zuschauer ihren letzten Pfennig zusammenkratzen.

Oder eine andere Szene mit Luthers sächsischem Landesvater, Kurfürst Friedrich der Weise, köstlich dargestellt von Sir Peter Ustinov: wie er durch seine Reliquiensammlung geht, die er sich mit viel viel Geld zusammengekauft hat. Man sieht Schädel, goldverzierte Hände und kostbare Gefäße mit den kleinsten Resten von Heiligen.

Die Angst vor dem Gericht

Wir hören es, aber wir können uns nicht hinein versetzen, wie damals die Menschen die Angst umgetrieben hat, im Gericht Gottes bestehen zu können. Nicht alle, aber viele in der Kirche haben damals mit dieser Angst die Menschen am Zügel gehalten. Drohend hat man ihnen Gott vor Augen gemalt, v.a mit Bildern, denn lesen konnte ja fast niemand. Schauen Sie sich nur die Darstellungen des jüngsten Gerichtes an romanischen Kirchen an, an den Nürnberger Hauptkirchen z.B. oder am Bamberger Dom: Wie da auf der rechten Seite des richtenden Christus, (also zu seiner Linken, da wo im Gleichnis die schwarzen Schafe aussortiert werden,) sich ein großer Höllenrachen auftut, in den die Menschen mit schmerzverzerrtem Gesicht von Teufelchen hineingezerrt werden.

Wer reich war wie Friedrich der Weise machte es über Reliquien von Heiligen. Die Heiligen haben, so lehrt es die katholische Kirche eigentlich jetzt noch, haben so viele, ja zu viele Verdienste vor Gott angehäuft, dass man von ihnen etwas abbekommen kann. Ärmere Familien schickten wenigsten einen der ihren ins Kloster. Das galt als die höchste Form, vor Gott gerecht zu werden. Und ansonsten kaufte man sich Ablässe, um mit Geld die Fegefeuerzeit zu verkürzen, und ließ sich in der Beichte Bußen auferlegen, mit denen man alles wieder abarbeitete.

Gerichtspredigt hilft nicht mehr

Heute helfen Gerichtspredigten nichts mehr: Die Höllenrachen an den Kirchen bringen einen höchstens zum Schmunzeln. Die dicken schwarzen Buchstaben auf den Zigarettenpackungen übersieht man oder man überdeckt sie mit einer freundlichen Hülle. Die Ankündigungen einer kommenden Klimakatastrophe sind schneller vergessen als die Flutschäden aufgeräumt werden. Höchstens noch der Arzt schafft es mit seiner Gerichtspredigt: Wehe wenn du so weitermachst!

Kirche und Pfarrer haben keine Macht mehr über Seele und Herz. Und das ist gut so. Man kann Seelen und Herzen nicht mit Drohungen erreichen. Der Film zeigt, wie Martin Luther sich damals schon zu dieser Erkenntnis durchgerungen hat, dass Gott nicht der Fordernde und Strafende, sondern der Liebende und Gnädige ist. Wer sich von ihm gehalten weiß, der braucht keine Angst vor dem Gericht, keine Angst vor Tod und Teufel und auch keine Angst vor den Menschen zu haben.

Es geht ums Gelingen des Lebens

Vielleicht ist mit dem Wegfall der Gerichtsangst aber auch ein ernsthaftes Thema verloren gegangen. Die Frage hinter dem Gleichnis vom jüngsten Gericht bleibt ja: Wer möchte, wenn er ehrlich ist, schon so leben und dann auch einmal sterben, dass er das Gefühl hat, sein Leben wäre sinnlos gewesen, wäre nicht gelungen? Der liebende und gnädige Gott, den Luther entdeckt hat, sagt ja nicht: Mach, was du willst. Er wirbt um die Menschen. Wir Geschöpfe sind dem Schöpfer so unendlich wichtig, dass es ihm nicht gleichgültig ist, wie wir leben. Welchen Eltern wäre es denn wirklich egal, welchen Weg die Kinder einschlagen?

Drohen um des Lebens willen?

Und dann braucht es auch einmal drohende, unmissverständliche Worte wie in diesem Gleichnis. Wenn mich meine Kinder früher bei längeren Autofahrten auf dem Rücksitz zu sehr genervt haben, habe ich mich schon einmal hinreißen lassen: Wenn nicht bald Ruhe ist, wird jemand auf dem nächsten Parkplatz an die Luft gesetzt! Kinder, die ihre Eltern lieben, und die wissen, dass sie geliebt werden, brauchen keine Angst zu haben, dass sie einmal einsam und verlassen auf einem Autobahnparkplatz sitzen werden. Menschen, die sich von Gott gehalten wissen, brauchen sich vor dem Gericht nicht zu fürchten.

Und so ist auch das Gleichnis vom jüngsten Gericht keine Drohbotschaft: Wehe, wenn du nicht, dann ... Sondern es ist Frohbotschaft: Wenn du weißt und spürst, dass Gott es gut mit dir meint, dann öffnest du dein Herz für die Hungrigen, für die Durstigen, für die Einsamen, für die Gefangenen ... So zeigen es die Beispiele von denen, die Gutes getan haben, ohne dass es ihnen bewusst geworden ist: Gott erwartet nicht das Großartige von uns, nicht die religiöse Superleistung. Mancher nur wird von ihm nach Afrika geschickt, um dort gegen den Hunger zu kämpfen. Mancher nur soll mit einem Hilfstransport in die Ukraine fahren. Mancher nur soll sich einsetzen für die Flüchtlinge hier in Bayreuth.

Das Nächstliegende im Nächstliegenden

Die allermeisten sollen ganz einfach in ihrem Alltag bleiben und dort die Augen aufmachen. Gott erwartet sozusagen das Nächstliegende. Und wir entdecken das Nächstliegende, wenn wir den Nächstliegenden und die Nächstliegende entdecken, die uns brauchen. "Was ihr getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan." Wie kommt es, dass wir auf der Suche nach dem geringsten Bruder immer eher an ein hungerndes Kind in Afrika denken als an den nächsten Angehörigen oder Nachbarn?

Im Männerkreis ist uns in der vergangenen Woche im Gespräch aufgegangen, wie wenig eigentlich die klitzekleine Aufmerksamkeit kostet, die der Ehepartner immer wieder braucht und die wir selber brauchen. Und das kann man ganz genauso auf die Kinder, die alten Eltern, die Geschwister, den Nachbarn und die Nachbarin übertragen.

Die Augen auf machen

Macht eure Augen auf, sagt Jesus, und entdeckt den Durstigen in euerer Nachbarschaft. Den mit dem Durst nach wahrem Leben und Zufriedenheit. Denn es fehlt aufs Ganze gesehen um uns herum wohl weniger das Wasser für die Kehle als das Wasser für die Seele. Entdeckt den, der durstig ist nach einem Gespräch, einem guten Wort oder einer lieben Geste.

Macht die Augen auf, sagt Jesus. Wisst Ihr, wer in Eurer Nachbarschaft krank ist? Wisst Ihr überhaupt noch genug voneinander? Und wenn Ihr von einem Kranken wisst, dann drückt Euch nicht um jeden Besuch. Findet nicht jede mögliche Ausrede, weswegen Ihr nicht im Krankenhaus vorbeischauen könnt?

Macht eure Augen auf, sagt Jesus, und entdeckt die Gefangenen in einem übertragenen Sinn: Gefangen in sich selbst, abgeschlossen, einsam und zurückgezogen.

Werke der Barmherzigkeit

Sechs Werke der Barmherzigkeit, auf die Jesus die Aufmerksamkeit richtet: Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen und Gefangene. Ein siebtes Werk der Barmherzigkeit, das bei Jesus nicht vorkommt, wurde in der christlichen Tradition bald hinzugefügt. Vielleicht auch, um die Siebenzahl voll zu machen. Das siebte Werk der Barmherzigkeit: Tote begraben. Menschen ein würdiges Sterben und ein würdiges Ende ermöglichen. Die Christen haben sich unter ihren Zeitgenossen in den ersten Jahrhunderten unter anderem große Sympathien auch dadurch erworben, dass sie sich in den großen Pestepedemien ohne Ansehen der Person und ohne Angst vor den Folgen um die Menschen gekümmert haben. In diesen kommenden Tagen werden wieder die Toten auf dem Friedhof geehrt. Es werden mit viel Zeit und viel Geld Gräber geschmückt. Wenn doch mit demselben Einsatz ein Mensch schon vor seinem Sterben gepflegt, besucht und menschlich betreut würde! Wenn doch nicht so viele anonym, ohne einen Namen auf einem Grabstein und ohne Trauergeleit begraben würden!

Hilf, Herr meines Lebens, daß ich nicht vergebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin.

Hilf, Herr meiner Seele, daß ich dort nicht fehle, dass ich dort nicht fehle, wo ich nötig bin. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de