Die
Schlüsselgewalt
Ein Schlüssel, von einer Schlüsselübergabe, von der
Schlüsselübergabe für unser Gemeindehaus im Sommer
vor acht Jahren.
Was bedeutet eine solche Schlüsselübergabe? Was bedeutet
ein solcher Schlüssel?
Wer den Schlüssel als letzter in die Hand bekommt, und wer
dann aufschließen darf, ist der Hausherr. Er hat, wie man
bildlich sagt, die
Schlüsselgewalt: Er entscheidet, wer rein darf. Er entscheidet,
wer einen Schlüssel bekommt.
Schlüssel-Worte
In dieser Bedeutung kommt das Wort Schlüssel in unserer Sprache
öfter vor: Jemand hat eine Schlüsselposition, eine Schlüsselstellung:
in einem Betrieb, in einem Büro, in einem Verein ...
Es gibt die Schlüsselfigur: in einem Roman, in politischen
Beziehungen, in einem Skandal ...
Man
muss die Schlüsselwörter kennen: die Parole, damit man
durchgelassen wird; den Code, damit man einen Safe öffnen kann,
die PIN für eine Scheckkarte oder den Zugang über den
Computer ...
Die Macht der Schlüssel
Ein wichtiges, ein entscheidendes Ding ist also so ein Schlüssel:
Sie kennen das wahrscheinlich: Da steht man vor einer Tür und
merkt, dass man seinen Schlüssel vergessen hat ... Da kann
man der Chef sein, der Hausinhaber, der mit der Schlüsselgewalt
... Doch ohne Schlüssel, ohne dieses kleine unscheinbare Ding
ist man machtlos.
Oder vielleicht ist Ihnen auch schon das andere passiert: Sie haben
einen Schlüssel verloren und haben nun die Angst oder gar den
Verdacht, dass jemand anders den eigenen Schlüssel hat ...
Der Schlüssel gibt ihm auf
einmal eine Macht, die ihm gar nicht zusteht. Eine Geschichte von
der Wichtigkeit des Schlüssels:
Wie der Dieb ins Paradies gelangte
Ein Dieb kam zum Himmelreich und pochte an die Tür. "Macht
auf!"
Der Apostel Petrus, der die Schlüssel zum Himmelreich besitzt,
hörte das Pochen und ging zur Tür. "Wer ist da?"
"Ich."
"Wer bist du?"
"Ein Dieb. Lasst mich ins Himmelreich."
"Nein, hier ist für Diebe kein Platz."
"Und wer bist du, dass du mich nicht einlassen willst?"
"Der Apostel Petrus."
"Dich kenn' ich! Du bist der; der Christus verleugnete, noch
bevor der Hahn dreimal krähte. Ich weiß alles, Bruder!"
Da kehrte Petrus um und suchte Paulus auf. "Geh, Paulus, sprich
du mit
ihm!"
Paulus ging zur Tür. "Wer ist da?"
"Ich, der Dieb. Lass mich ins Himmelreich!"
"Hier ist für Diebe kein Platz."
"Und wer bist du, dass du mich nicht einlassen willst?"
"Ich bin der Apostel Paulus."
"Ach, Paulus! Ich weiß, du bist jener; der Christen aus
Jerusalem nach Damaskus vertrieb. Und du bist jetzt im Paradies!"
Da kehrte Paulus um und erzählte Petrus, was der Dieb gesagt
hatte.
"Nun", sprach Petrus, "dann werden wir den Evangelisten
Lukas schicken. Er hat Christus keinmal verleugnet; soll er mit
dem Dieb reden."
Lukas ging zur Tür. "Wer ist da?"
"Ich, der Dieb. Lass mich ins Himmelreich!"
"Da kannst du lange bitten, Dieb. Für solche Sünder
wie dich ist hier kein Platz."
"Und wer bist du, dass du mich nicht einlassen willst?"
"Ich bin der Evangelist Lukas."
"Aha, du bist ein Evangelist. Weshalb betrügt ihr die
Menschen? Ihr habt im Evangelium geschrieben: „Klopft an,
so wird euch aufgetan; bittet, so wird euch gegeben.“ Jetzt
stehe ich schon seit zwei Stunden hier und klopfe an, aber niemand
tut mir auf. Wenn du mich nicht auf der Stelle ins Himmelreich einlässest,
dann kehre ich auf die Erde zurück und sage den Menschen, dass
ihr im Evangelium die Unwahrheit geschrieben habt!"
Da erschrak Lukas und ließ den Dieb ins Himmelreich.
W.Hoffsümmer (Hg.), Kurzgeschichten 4,
Nr. 224, Mainz 1991
Petrus und die Schlüssel zum Himmel
Ich denke, Sie haben die Geschichte schon richtig verstanden: Sie
sagt nicht, dass wir alle ein Dieb oder kleiner Gauner werden sollen,
weil es ja doch nicht darauf ankommt. Es kommt ja doch jeder in
den Himmel, ganz egal, was er für ein Mensch ist, wie es im
Faschingsschlager heißt ...
Nein, entscheidend ist, dass kein Mensch das Recht hat, einem anderen
den Himmel versperren. Keiner kann und darf einem anderen eigenmächtig
den Zugang zu Gott nehmen. Keiner hat das Recht. Auch Petrus nicht.
Aber trotzdem gibt es so viele Schmunzelgeschichten, so viele Karikaturen,
so viele Witze über Petrus als den Türhüter am Himmelstor.
Wie kommt es zu dieser kindlichen, zu dieser bildlichen Vorstellung,
Petrus habe den Schlüssel zum Himmel? Es ist eine Bibelstelle
aus dem
Matthäusevangelium, wo Jesus zu Petrus sagt:
Mt 16,19: Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben:
alles, was
du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und
alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst
sein.
Die Schlüsselgewalt der Kirche
Kann nun der Papst, der der Nachfolger des Petrus sein soll, kann
ein katholischer Priester, kann ein evangelischer Pfarrer einem
Menschen den Himmel versperren? Kann einem Menschen endgültig
der Zugang zu Gott genommen werden?
Erst einmal ist wichtig, dass das, was da zu Petrus gesagt wird,
zwei Kapitel später von Jesus zu allen Jüngern gesagt
wird:
Mt 18,18: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden
werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden
lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
Die christliche Kirche hat das so verstanden, dass das für
alle Gemeindeglieder, für alle Getauften gilt: Hier auf der
Erde, hier unter den Menschen werden Entscheidungen getroffen, die
auch vor Gott gelten. Gott delegiert sozusagen seine Schlüsselgewalt
an uns Menschen.
Aber
ich verstehe es so: Wir können nicht eigenmächtig einem
anderen den Weg zu Gott versperren. Das tut jeder selber, wenn er
sich Gott oder anderen Menschen verschließt. Wenn das jemand
tut, dann können wir es nur feststellen und wir können
bitten: verschließ dich nicht. Oder, wenn es sich nicht ändert,
ihn ernsthaft warnen und fragen: Weißt du, was du tust? Willst
du dich isolieren? Willst du egoistisch leben? Willst du ohne deine
Mitmenschen auskommen? Willst du ohne Gott auskommen? Willst du
wirklich? Dann kann dir niemand mehr helfen ... Dann schließt
du dich selber aus.
Die Beichte als Schlüssel
Die Beichte, die wir heute vor der Konfirmation anbieten, ist für
mich eine Art Schlüssel. Die Beichte lädt ein: Verschließ
dich doch nicht:
Verschließ dich nicht dir selber gegenüber. Verschließ
dich nicht gegenüber deinem Mitmenschen. Verschließ dich
nicht gegenüber Gott!
Die Beichte will aufschließen. Sie ist ein Schlüssel
zu mir selbst, ein Schlüssel zu Gott, und auch ein Schlüssel
zu anderen Menschen.
Diese drei Dinge noch ein wenig ausführlicher:
Der Schlüssel zu mir selbst
Die Beichte als Schlüssel zu mir selber: Sie hilft mir, mich
selber ehrlich und ungeschönt anzuschauen. Wer bin ich? Wie
bin ich? Warum bin ich so? Will ich so sein? Will ich so bleiben?
Man kann sich ja selbst einschließen. Man kann sich verschließen.
Man kann sich abkapseln, zurückziehen ... Das kann so weit
gehen, dass niemand mehr einen Schlüssel, einen Zugang zu mir
findet. Ich werde für andere zu einem Menschen mit sieben Siegeln.
Ja, das kann so weit gehen, dass ich selber den Schlüssel zu
mir nicht mehr finde. Dass ich mich selbst nicht mehr kenne. Dass
ich mich in mir selbst verlaufe. Da ist die Beichte das Angebot,
mich zu öffnen. Die Beichte kann helfen, den Schlüssel
zu mir selbst zu finden.
Der Schlüssel zu Gott
Die Beichte als Schlüssel zu Gott: Wenn ich vor mir selber
ehrlich bin und mich nicht verstecke, dann bin ich damit auch vor
Gott ehrlich.
Er kennt mich ja sowieso. Er, der Schöpfer, kennt sein Geschöpf.
Er, der Schöpfer kennt den Code des menschlichen Lebens, den
die Wissenschaftler zu entschlüsseln versuchen. Er kennt mich.
Er hat den Schlüssel zu mir. Von sich aus sperrt er seine Tür
mir nicht
zu. Niemand sperrt mir zu, wenn ich es nicht selbst tue: Ich versperre
mir die Tür zu Gott, wenn ich mich für fehlerlos halte.
Dann brauche ich Gott
nicht. Ich versperre mir die Tür zu Gott, wenn ich alles selber
schaffe. Dann brauche ich Gott nicht. Die Beichte hilft mir, das
zuzugeben und einen neuen Anfang mit Gott zu machen.
Der Schlüssel zum Mitmenschen
Und zuletzt: Die Beichte als Schlüssel zu meinem Mitmenschen.
Erst, wenn ich mit mir selbst und mit Gott im Reinen bin, kann ich
mich auch wirklich für andere öffnen. Ich brauche mit
nicht zu verschließen. Ich brauche mich nicht abzukapseln.
Ich kann mich öffnen, ohne Angst, etwas zu verlieren, ohne
Angst zu kurz zu kommen.
So ist die Beichte ein Schlüssel, ein Schlüssel, der Türen
öffnet: Die Tür zu mir selber, die Tür zu Gott und
die Tür zu meinem Mitmenschen. So sagt es Jesus:
Offb 3,20: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.
Wenn jemand
meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde
ich
hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
Amen |