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Die Predigt vom 28. Juni 2009 (3. Sonntag nach Trinitatis):
»Schaun, wus fehlt, und helfen, wo mer kann«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 3. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist das Wieder-auf-den-rechten-Weg-finden. Evangelium dieses Sonntags ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Epistel und Predigttext ist die Lebenswende des Apostels Paulus. Entgegen der Ordnung wurde für den Waldgottesdienst als Predigttext der Wochenspruch ausgesucht:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
"Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." (Lukas 19,10)
Predigt
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Die Predigt

Wieder zurück finden

„Lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden." (Lukas 15,24)
Darum geht es an diesem Sonntag im Kirchenjahr: Menschen können verloren gehen. Aber Gott sei Dank werden sie wieder gefunden bzw. finden selber wieder zurück. Jesus meint das in einem übertragenen Sinn, dass Menschen verloren gehen. Vor dem Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt er, wie leicht man Geld verlieren kann und sich dann freut, wenn man es wieder findet. Oder wie sich ein Schaf verirren kann und dann wieder gefunden wird. Heute würde Jesus vielleicht von einer entlaufenen Katze oder einem entflogenen Vogel erzählen. Genauso, sagt er, können Menschen sich verirren oder auf Abwege geraten. Aus eigener Schuld oder ohne ihren Willen. Und jeder sollte sich freuen, wenn sie dann wieder zurückfinden oder doch noch einmal die Kurve kriegen.
Und das ist nicht nur ein Thema für Gefängnisseelsorger. Auch manche Eltern können ein Lied davon singen, wenn sie Kinder in einem Alter haben, wo man alles Mögliche ausprobieren muss, um seinen Weg zu finden. Und wenn auch die Töchter im Neuen Testament so selten vorkommen, heißt das ja nicht, dass das nur ein Jungenproblem wäre.
Oder wie schnell kann es gehen, dass jemand sozial ins Abseits oder an den Rand der Gesellschaft gerät. Nicht einfach nur durch leichtsinnige Finanzspekulationen, sondern ganz und gar unschuldig, z.B. indem auf einmal sein Arbeitsplatz wegfällt.
Das ist das Entscheidende bei Jesus: Wenn er solchen Menschen begegnet, dann fragt er nicht zuerst nach der Schuld, sondern wie ihnen geholfen werden kann. Und er lädt die Umstehenden ein, nicht schadenfroh und besserwisserisch zu sein, sondern im Gegenteil: sich zu freuen, wenn jemand wieder die Kurve kriegt.

Jesus und die am Rande

Mit lauter solchen Menschen hatte Jesus nach den Erzählungen der Bibel zu tun. Sie lagen ihm am Herzen. Um sie hat er sich gekümmert. Und so bringt er sein Leben und seinen Auftrag folgendermaßen auf den Punkt. (Es ist der Wochenspruch, das kirchliche Leitwort für diese Woche.)
„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." (Lukas 19,10)
„Selber schuld!" Oder „Hopfen und Malz verloren." Diese Ausreden, warum man jemand anderen nicht zu helfen braucht, hat Jesus nicht gekannt. Überhaupt haben ihn die einfachen Lösungen seiner Zeitgenossen zum Zorn gereizt. Die Welt ist halt nun mal einfacher und das Thema schnell erledigt, wenn alle Arbeitslosen faul sind, alle Sozialhilfeempfänger Schmarotzer, alle Albaner Gauner, alle Asylanten Wirtschaftsflüchtlinge, alle Drogenabhängigen und Aids-Kranken selber schuld und alle Pflegeheimbewohner senil.
Doch das wahre Leben ist immer ein wenig komplizierter und vielschichtiger. Wer waren damals die am Rande, die im Abseits, die auf Abwegen, die sog. Verlorenen?

Selber schuld?

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt Jesus von jemand, der offensichtlich wirklich aus eigener Schuld in die Sackgasse geraten ist: Aus Übermut, aus jugendlichem Leichtsinn, weil ihm die Freiheit, für die er nicht reif war, zu Kopf gestiegen ist.
Aber war er beim zweiten Hinsehen wirklich nur selber schuld? Hätte sein Vater ihn vielleicht bremsen müssen? Hätte er ihn besser kennen müssen? Ihn, den Zweitgeborenen, der dauernd im Schatten des ersten stand: nicht so fleißig, nicht so geschickt, nicht so ernsthaft, nicht so brav. Endlich mal raus und nicht dauernd mit dem Großen verglichen werden.

Oder Jesus erzählt von Leuten, die in einer Zwickmühle waren, zwischen den Stühlen, in einem Dilemma, um das man sie wirklich nicht zu beneiden braucht.
Sein Lebensmotte „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." ist der Schluss der Zachäusgeschichte. Zachäus, jener klein gewachsene Zolleinnehmer, der den durchreisenden Wanderprediger Jesus unbedingt sehen will und dazu auf einen Baum steigt, weil ihn die Menge mobbt und auf die Seite drängt. „Bei einem Sünder ist er eingekehrt." Man ist gleich fertig mit ihm. Man war die ganze Zeit schon fertig mit ihm. Jesus kam zum ersten Mal in die Stadt. Und er schaut ein wenig genauer und ohne Vorurteil hin. Sicher, die Zolleinnehmer haben üblicherweise betrogen, mehr genommen als legal war, ihre Macht ausgenutzt. Aber wer hat je daran gedacht, dass der Zöllner ja selber ein Abhängiger war, ein Gefangener des Systems, verstrickt in die damaligen Strukturen. Dass er selber die Zollstation ja nur gepachtet hatte, die Pacht im voraus zahlen musste, und nun schauen, wie er wieder zu seinem Geld kam, und nebenbei noch eine Familie ernähren.

Und dann drittens alle, die wirklich ohne Schuld ins Abseits geraten waren: Die körperlich Kranken z.B., die damals auch von den Frommen ohne schlechtes Gewissen gemieden wurden, denn man sah in Krankheit meist eine Strafe Gottes. Die Blinden, die nur noch betteln konnten. Die Gelähmten und Buckeligen, bei denen man tat, als würde man sie nicht sehen. Die Aussätzigen, die man in Kolonien außerhalb der Dörfer verbannte. Die psychisch Kranken, die einem unheimlich waren, und die man mangels besseren Wissens sich nur als von einer bösen Macht besessen erklären konnte. Witwen, die ohne Ernährer rechtlos waren. Frauen und Kinder, die in der Öffentlichkeit eine Stufe tiefer als die Männer standen.


Ab ins Heim!

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
„Der Menschensohn". So bezeichnet sich Jesus selbst. Und wer damals seine Bibel kannte, hat gleich an eine Prophezeiung des Propheten Daniel gedacht: In der letzten Zeit, in der Endzeit werde ein solcher kommen, der Sohn eines Menschen, ein Menschenkind, einer, der im Namen Gottes Gerechtigkeit schafft. So scheint sich Jesus zu verstehen.
„Zu suchen" ist Jesus gekommen. Suchen, das war das Gegenteil von dem, was seine Zeitgenossen taten: An den Rand des Dorfes mit den Kranken! An den Rand der Gesellschaft mit den Außenseitern! Weg mit ihnen: in die Altenheime, in die Gefängnisse, in die Psychiatrie. Wenn man sie nicht sieht, tut einen ihr Schicksal weniger weh.
Jesus hat sie gesucht. Er hat sie auf-gesucht. Er hat die Frauen gewürdigt und die Kinder in den Mittelpunkt gestellt. Er hat die Aussätzigen angelangt. Er hat die Kranken in den Arm genommen. Er hat sich mit den Asozialen an einen Tisch gesetzt. Er hat sie gesucht, wie ein Hirte ein verlorenes Schaf sucht.

Welche Seligkeit ist gemeint?

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
Um „selig zu machen" ist er gekommen. Da hat sich die Bedeutung eines Wortes so verändert, dass sie missverständlich geworden ist: so als bräuchten die am Rande nur ein wenig seelsorgerlichen Trost oder gar Vertröstung auf spätere Seligkeit. Besser: Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, wörtlich: herauszureißen, also aus körperlicher und seelischer Not und gesellschaftlicher Isolation zu befreien.

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
Wenn ich diesen Wochenspruch als Anrede höre, also als Gottesbotschaft für mich und dich, dann höre ich zwei Dinge: Ich höre Trost. Und ich höre eine Aufforderung.

Wenn du dich zu den Verlorenen zählst, zu denen am Rand, im Abseits oder auf Abwegen. Ob nun aus eigener Schuld, oder verstrickt in Strukturen und Zwängen, oder auch ganz ohne Schuld, dann höre: Gott hat dich nicht vergessen. Er sucht dich. Er geht dir nach. Er lässt nicht locker, bis auch du wieder die Kurve kriegst und die Wende schaffst.

Nicht wegschauen!

Und ich höre eine Aufforderung: Die Aufforderung, nicht wegzusehen, wenn jemand am Rand steht. Die Aufforderung, genauer hinzuschauen und sich nicht mit einfachen Antworten und Stammtischparolen zufrieden zu geben. Die Aufforderung, weniger nach Ausreden und Erklärungen zu suchen, weswegen ich nicht helfen will, kann, soll und darf. Die Aufforderung, wie Jesus nicht zuerst nach Schuld zu fragen, sondern etwas zu tun.
Manchmal hilft die Mundart, noch ein wenig schärfer herauszuarbeiten, was da steht. Der ehemalige Hallstadter Pfarrer Hartmut Preß hat zusammen mit 70 Menschen aus verschiedenen fränkischen Mundartgebieten das Lukasevangelium übersetzt. Sie wissen ja: Lesen geht ganz gut, aber vorlesen ist schon schwieriger:
Also: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
„Jednfolls bin ich dodäfüä do, dass ich schau, wus fehlt und helf, wo ich konn."
Alles klar?
Was wäre Jesus froh, wenn wir auch genau dodäfüä do wär'n: schaun, wus fehlt und helfen, wo mer kann. Amen

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de