|
Die Predigt |
Woher
und wohin?
Ich komm – weiß nit, woher. / Ich geh – weiß
nit, wohin. / Mich wundert, dass ich fröhlich bin. (Martinus
von Biberach)
Ich komm – weiß wohl, woher. / Ich geh – weiß
wohl, wohin. / Mich wundert, dass ich traurig bin. (Martin Luther)
So lesen wir bei den Besinnungstexten in unserem Gesangbuch auf S.
531.
(Originaltext Luthers siehe am Ende der Predigt.)
Nur auf den ersten Blick klingen beide Texte wie Gegensätze.
Nur auf den ersten Blick klingt es trostlos und glaubenslos, was Meister
Martinus von Biberach, ein Zeitgenosse Martin Luthers, da reimt:
Ich komm – weiß nit, woher. / Ich geh – weiß
nit, wohin. / Mich wundert, dass ich fröhlich bin.
Allein mit meinem Verstand weiß ich ja wirklich nicht, woher
ich komme und wohin ich gehe. So weit die Wissenschaft auch inzwischen
ist, sie gibt mir keine befriedigende Antwort. Trotz dieser Unwissenheit
über das Woher und Wohin fröhlich sein können, das
ist ein Geschenk, ein Zeichen von Gelassenheit.
Meine und deine, unsere Endlichkeit
An anderer Stelle ist dieses Wort von Martinus von Biberach anders,
noch ein wenig eindeutiger, überliefert. Sein Grabspruch soll
es sein:
Ich leb und waiß nit, wie lang / Ich stirb und waiß
nit, wann / Ich far
und waiß nit, wahin / Mich wundert, dass ich froelich bin.
So ist es. Damit muss jeder von uns leben. Damit muss sich jeder auseinandersetzen.
Nicht unbedingt täglich, weil wir das nicht aushalten,
aber beispielsweise in dieser Zeit am Ende des Kirchenjahres.
Gegenüber Martinus von Biberach klingt Martinus Luther auf den
ersten Blick glaubensvoller, aber vielleicht auch nur auf den ersten:
Ich komm – weiß wohl, woher. / Ich geh – weiß
wohl, wohin. / Mich
wundert, dass ich traurig bin.
Martin Luther sagt es vom Glauben her: Eigentlich weiß ich ja,
woher ich komme und wer mir mein Leben geschenkt hat. Eigentlich weiß
ich ja, wohin es geht, und wer mein Leben in seiner Hand hält.
Müsste ich da nicht eigentlich viel fröhlicher sein? Warum
bin ich traurig?
Im Leben und Tod in Gottes Hand
Woher komme ich? Wohin gehe ich? Hören Sie dazu die Worte der
Epistel. Paulus schreibt im Brief an die Römer Kapitel 14:
7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem
Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn
dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er
über Tote und Lebende Herr sei.
Wir gehören allein Gott. Im Leben und im Sterben stehen wir in
seiner Hand. Vor dem irdischen Leben, während des irdischen Lebens
und nach dem irdischen Leben. Eigentlich ist das an dieser Stelle
eher eine Nebenbemerkung. Wir gehören allein Gott. Das schreibt
Paulus hier als Begründung dafür, dass bei verschiedenen
Glaubensmeinungen keiner den anderen verurteilen darf. Wer das tut,
macht sich zum Herrn über den
anderen. Doch dieser Herr ist allein Gott.
Hintergrund für diesen festen Glauben, dass wir allein Gott gehören,
ist für Paulus die Auferweckung Jesu. Ihn konnte der Tod nicht
festhalten. Wäre das nicht, dann wäre die Antwort auf die
Frage klar: Wem gehören wir? Dem Tod gehören wir. Denn der
ist ganz offensichtlich ohne die Augen des Glaubens der letzte Herr
auf dieser Welt. Und keine irdische Macht reicht über ihn hinaus.
Nein, dem Tod gehört unser Leben nicht, betont Paulus. Er betont
aber auch noch ein weiteres: Wenn unser Leben Gott gehört und
in seiner Hand steht, dann gehört es nicht uns, steht nicht in
unserer Hand. Was das bedeutet für die Frage des Suizids, also
der Selbsttötung, und was es bedeutet für die Frage der
aktiven Sterbehilfe, also sozusagen des Suizids durch fremde Hand,
das wäre eine eigene Predigt.
Von einer Hand Gottes in eine andere
Im Leben und im Tod in Gottes Hand. Im Leben und nach dem Leben in
Gottes Hand. Oder wie es der Erlanger Theologieprofessor Paul Althaus
seiner Frau vor dem Tod gesagt haben soll: Sterben, das sei nichts
anderes als das Gleiten von einer Hand Gottes in die andere. Also
durchaus ein Übergang, etwas ganz Neues und Anderes. Aber wir
bleiben dort, wir bleiben bei dem, wo wir schon immer waren.
Aber damit schlagen wir eigentlich schon eine verkehrte Richtung ein:
Paulus geht es hier nicht so sehr um das Leben nach dem Tod, sondern
das Leben vor dem Tod. Es geht ihm nicht so sehr die Frage: Was bedeutet
das, wenn du weißt: Nach dem Tod bist und bleibst du in Gottes
Hand? Sondern: Was bedeutet es für dich und für dieses Leben
hier und heute, heute morgen, heute nachmittag, morgen oder übermorgen,
wenn du das weißt: Ich bin in Gottes Hand und keine andere Macht
hat einen Anspruch auf mein Leben. Kein Politiker, kein Pfarrer oder
Priester, kein Vorgesetzter, kein Nachbar, die Eltern nicht, die Kinder
nicht, ja auch nicht der Partner.
"Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der
Tag des Heils." (Wochenspruch 2. Kor 6,2b) Heute lebst du.
Und heute lebst du richtig oder verkehrt, ängstlich oder zuversichtlich,
zweifelnd oder gelassen. Heute lebst du. Verschiebe das Leben nicht
auf morgen.
Meditieren: ver-innerlichen
Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand. Diese Botschaft
des Paulus kann, so meine ich, ihre Kraft nur entfalten, wenn man
sie meditiert. Meditieren, das heißt: Eine Botschaft nicht nur
mit den Ohren hören oder mit dem Verstand auffassen. Nicht nur
denken, sondern be-denken. Sie ver-innerlichen. Sie im Herzen bewegen,
wie es von Maria am Ende der Weihnachtsgeschichte heißt: "Und
sie behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen."
Meditieren: Im Kreisen um ein bedenkenswertes Wort zur Mitte finden,
Antworten finden. Antworten, die kein anderer stellvertretend für
mich finden kann. Antworten auf die Fragen, die keiner stellvertretend
für mich beantworten kann.
Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand. Was heißt
das heute oder morgen: Wenn jemand mich einordnen oder beurteilen
will? Wenn ich vor Vorgesetzten oder Kollegen stehe? Wenn jemand eine
Hilfe von mir braucht? Wenn ich eine unliebsame Arbeit erledigen muss?
Wenn ich krank bin? Wenn ich mir Gedanken um die Zukunft mache, um
meine oder um die anderer? Wenn ich um jemand trauere? Wenn ich fröhlich
und dankbar bin? Wenn ich zu Hause sitze oder unterwegs bin mit dem
Auto? Wenn ich mich abends zur Ruhe lege?
Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand.
7 Niemand von uns lebt für sich selbst, und niemand stirbt
für sich selbst. 8 Wenn wir leben, leben wir für den Herrn,
und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören
dem Herrn im Leben und im Tod. 9 Denn Christus ist gestorben und wieder
lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende.
(Übersetzung der Guten Nachricht). Amen
Nachdem eine telefonische Anfrage zum Originalzitat Martin Luthers
kam, hier der Text:
Luther in einer Predigt zum Sonntag Judica über Joh 8,46-59
(Aland, Gesammelte Werke Bd. 8, S. 153 = WA 37, 328-329)
Der Gottlosen Reim ist: Ich lebe und weiß nicht wie lang,
ich muß sterben und weiß nicht wann, ich fahr' von dannen,
weiß nicht wohin; mich wundert, daß ich fröhlich
bin. Die sinds, die den Tod sehen, fühlen und erfahren, denn
sie glauben dem Wort Christi nicht. Darum müssen sie sich vor
dem Tod fürchten und entsetzen, können ihm doch nicht entlaufen,
sondern müssen im ewigen Tode bleiben, weil sie die kräftige,
allmächtige Arznei nicht haben, Gottes Wort, welches aus dem
Tod ein ewiges Leben macht, ja auch hier in dieser Zeit das ewige
Leben anfängt. Der Christen und Gläubigen Reim ist: Ich
lebe, so lang Gott will, ich sterbe, wann und wie Gott will, ich fahr
und weiß gewiß wohin, mich wundert, daß ich traurig
bin. Die sinds, die den Tod nicht sehen noch fühlen. Wenn sie
auch ein wenig vor dem Tod erschrecken (denn sie müssen auch,
wie alle Adamskinder, sterben und den Tod leiden), sollen sie dennoch
nicht ewig tot sein noch des Todes Stachel im Herzen erfahren, sondern
einschlafen ohne Ängste und Sorgen.
[Martin Luther: Sonntag Judica. Joh. 8,46-59. Martin Luther: Gesammelte
Werke, S. 5321-5322 (vgl. Luther-W Bd. 8, S. 153) (c) Vandenhoeck
und Ruprecht]
kopiert aus: Martin Luther, Gesammelte Werke. Herausgegeben von Kurt
Aland. Mit einer illustrierten Lebenschronik und einer Einführung
in Werk und Theologie. Directmedia • Berlin 2002. Digitale
Bibliothek Band 63
|
|