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Die Predigt |
Die Ängste
der Menschen und der Glaube
"Ängste und Depressionen suchen die Deutschen heim. Kassen
melden starken Anstieg psychischer Erkrankungen" so konnte man
Mitte der Woche in der Zeitung lesen. Psychische Erkrankungen seien
mittlerweile die
vierthäufigste Ursache für das Fehlen am Arbeitsplatz. Am
häufigsten seien Angststörungen und Depressionen. Und dann
kann man noch lesen, dass die Hanseaten ganz oben doppelt so häufig
betroffen sind wie die Bayern.
Ist es nur Zufall, dass direkt darüber von einem Vortrag vor
der bayerischen Landessynode berichtet wurde: Ein Viertel der evangelischen
Christen, Kirchenmitglieder wohlgemerkt, hätten keinerlei Kontakt
mehr zu Kirche und Glauben.
Zurückgehender Glaube und steigende Lebensangst: Ich bin völlig
überzeugt, dass beides miteinander zu tun hat. Nicht in dem Sinne,
dass Glaubende immer mit einem seligen Lächeln dahinschweben
müssten wie der Engel Aloisius beim Münchner im Himmel.
Aber so, dass Glaubende mit ihren Ängsten anders umgehen können
und sich von ihnen nicht auffressen lassen müssen. Angst und
Freude, darum dreht es sich im heutigen Predigttext: (siehe oben)
Der Abschied Jesu von seinen Jüngern
Es geht um Angst und Freude, um Abschied und Wiedersehen. Es geht
darum, wie relativ die Zeit ist: wie man mitten in der Angst meint,
das würde alles überhaupt kein Ende nehmen, man würde
nie über den Verlust hinweg kommen, das gute Ende sei nie zu
erreichen. Und im Nachhinein wird die Zeit dann Gott sei Dank ganz
anders empfunden.
Von Abschiednehmen und Wiedersehen. Von Trauer und Freude. Die Worte
handeln erst einmal von den Jüngern damals und wie es ihnen beim
Abschied von Jesus ging. Man könnte sie aber auch übertragen
auf das Abschiednehmen im Leben überhaupt. Und man könnte
sie übertragen auf unseren Glauben: Denn auch wir müssen
zurechtkommen damit, dass Jesus sich sichtbar ein für allemal
verabschiedet hat.
(Jesus sprach zu seinen Jüngern:) 16 Noch eine kleine Weile,
dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile,
dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen sie: Was bedeutet das, was
er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
Eine Art Rätselrede für die Jünger. Wir Heutigen können
schnell sagen: Na klar, da redet Jesus von seinem baldigen Tod und
von seinem Auferstehen wenige Tage darauf. Doch das ist nur die halbe
Wahrheit. Dass die Jünger Jesus bald wiedersehen würden,
damit meint Johannes nicht nur die relativ kurze Zeit der Begegnungen
mit dem Auferstandenen. Er meint nicht nur Ostern, sondern auch Pfingsten:
Er meint auch die Begegnung mit dem Heiligen Geist, der den auferstandenen
Jesus auf der Erde vertritt. Den Tröster, wie es bei Johannes
heißt. Wir schauen die Geschichte sozusagen von rückwärts
an. Wir sehen alles durch die getönte Brille der Auferstehung.
Aber die Jünger damals, denen der lebendige Jesus etwas vom Abschiednehmen
erzählt, wie sollten die es begreifen?
Hat sich Gott verabschiedet?
Und ähnlich auch beim Abschiednehmen unter Menschen: Kann man
sich vorher schon auf einen endgültigen Abschied vorbereiten?
Kann man sich wirklich mit dem Gedanken vertraut machen, dass ein
bestimmter Mensch, ein Partner, ein Kind, Vater oder Mutter auf einmal
nicht mehr da ist? Und: Wenn Menschen in leisen Andeutungen den Angehörigen
ihren Abschied ankündigen, dann wollen erfahrungsgemäß
die Angehörigen nicht hören und schieben das Thema weit
weg.
Und auch, was den Glauben angeht: Täten wir uns als Christen
manchmal nicht leichter, wenn wir einem anderen Gott zeigen könnten?
Wenn wir sagen könnten: Schau hin, da ist er, und da findest
du ihn und folgende Antwort gibt er dir. Ist es nicht manchmal, als
habe sich Gott aus dieser Welt verabschiedet?
Kein Abschied ohne Trauer
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen,
aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure
Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
Die Jünger haben geweint und getrauert, als Jesus tot war. Sie
haben sich eingesperrt aus Angst. Die Gegner aber haben triumphiert.
"Die Welt wird sich freuen." Mit "Welt" meint
der Evangelist Johannes die, die nichts mit Jesus zu tun haben wollten.
Doch die Trauer hat nicht das letzte Wort. Aus Trauer wird Freude
werden. Jesus ist realistisch und ehrlich: Es gibt keinen Abschied
ohne Trauer, ohne Weinen, ohne Klagen. Ob das ein Abschied von einem
Menschen ist, der stirbt, ein Abschied, weil einen der Partner verlässt,
oder vielleicht auch der Abschied von einem Kind, das aus dem Haus
geht.
An der Traurigkeit geht es nicht vorbei. Man kann sie nicht wie ein
Hindernis umfahren. Für den Tunnel, der durch den Berg geht,
gibt es keinen alternativen Weg. Wer auf die andere Seite kommen will,
muss durch.
Die Traurigkeit wird in Freude verwandelt. Das heißt doch: Freude
fällt nicht einfach vom Himmel. Freude ist verwandelte Trauer.
Freude ist ein Verwandlungsprozess. Die Trauer ist der Stoff, aus
dem die Freude gemacht wird.
Die verwandelte Trauer
Und dann das Ganze noch einmal in einem Bild, das ehrlicherweise vermutlich
nur Mütter so richtig nachvollziehen können:
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre
Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie
nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur
Welt gekommen ist.
Darf ein Mann wie der Evangelist Johannes so ein Bild verwenden? Müssen
die Frauen nicht sagen: Du hast gut reden? Aber vielleicht kann doch
der, der eine Geburt erlebt hat, es doch wenigstens ein bisschen nachvollziehen.
Entscheidend ist nicht der Tunnel, sondern das Licht am Ende. Entscheidend
ist die Verwandlung. Die Trauer, die sich in Freude verwandelt. Die
Trauer, die einen selbst verwandelt, so wie der bunte Schmetterling
nach
der Überwinterung aus der unscheinbaren Puppe schlüpft.
Ich denke an die Frau, die damals auf der ersten Etappe unseres Jakobsweges
mit uns gegangen ist, wenige Wochen, nachdem ihr Mann
gestorben war. Sie hat viel Zeit für sich gebraucht. Sie ist
mit uns gegangen, aber doch ihren eigenen Weg. Vor kurzem habe ich
sie wieder getroffen: verwandelt und strahlend.
Dann werden wir keine Fragen mehr haben
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen,
und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch
nehmen. 23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.
Die Jünger haben viele Fragen. Sie verstehen nicht, was Jesus
meint. Sie verstehen nicht, weshalb es überhaupt einen Abschied
geben muss. Sie verstehen nicht, weswegen im Sterben ein Sinn liegen
soll. Sie können nicht verstehen. Noch nicht. Aber der Tröster,
der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der wird sie in alle Wahrheit
leiten, der wird sie im Nachhinein
verstehen lassen, so sagt Johannes ein paar Verse weiter vorne.
Die Jünger haben viele Fragen. Die Menschen haben viele Fragen.
Auch die Glaubenden haben viele Fragen. Doch ihre Fragen werden sich
auflösen, wenn sie dem Auferstandenen begegnen. Das hat bei Johannes
einen doppelten Sinn: Jesus begegnen, ihn wiedersehen, das wird auf
jeden
Fall einmal am Ende sein. Aber wir würden die Botschaft des Johannesevangelium
massiv verkürzen, wenn wir meinten, er vertröste seine
damaligen Hörer und uns heute auf dieses Ende. Nein, auch hier
und jetzt gibt es im Glauben solche Begegnungen mit dem lebendigen
Jesus
durch den Heiligen Geist: Man muss sie wollen, man muss sie erwarten,
man muss sie suchen. 23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.
Das erfahren Menschen, dass sich z.B. durch ein Gebet Fragen
lösen können und Freudigkeit und Gelassenheit einkehrt.
Auch durch das Singen und in der Meditation macht man solche Erfahrungen.
Das ist vielleicht so ähnlich, wie wenn man durchs weihnachtliche
Schlüsselloch schaut und schon ein wenig von dem kommenden Glanz
erahnen kann. Beim Wiedersehen mit
Christus, bei der Begegnung mit Gott werden wir keine Fragen mehr
haben. Hinterher werden wir verstehen. Da wird auf einmal alles sonnenklar
sein.
Von der Freude aus dem Glauben
Wer aus dieser Gelassenheit des Glaubens heraus leben kann, der lebt
freudiger. Ganz gewiss.
Sie kennen Peter Hahne. Den vom ZDF-Hauptstadtstudio. Den ewigen Junggesellen,
den sich so viele Schwiegermütter als Schwiegersohn vorstellen
könnten, auch wenn er jetzt langsam ein wenig zu alt dafür
wird. In
der Wochenendausgabe der Tageszeitung ist ein Bericht von ihm und
seinem Buch "Schluss mit lustig". Sein Lächeln sei
sein Markenzeichen, heißt es. Und dann wird er zitiert: "Mir
laufen zu viele Christen mit einer Miene herum, als seien sie dauernd
auf dem Weg zum Zahnarzt. Luther nannte die Freude den Doktorhut des
Glaubens, davon muss man was merken!"
Er hat recht. Doch diese Freude kann man nicht einfach befehlen. Sie
muss von innen kommen. Sie muss aus dem Glauben gespeist werden. Glauben
Sie mir: Sie tun sich etwas Gutes, wenn Sie heute da sind. Wenn Sie
sich
öffnen für Gott und seinen Heiligen Geist. Wenn Sie von
Herzen singen. Kommen Sie wieder! Kommen Sie öfter! Es wird Sie
auf die Dauer verwandeln. Ganz bestimmt. |
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