Alles
wird gut
Alles wird gut werden. Die Wende steht vor der Tür: Das Waldsterben
wird gestoppt. Der Ausstoß an Treibhausgasen wird weltweit
mehr und mehr zurückgeführt. Das Ozonloch schließt
sich wieder. Die Wüsten in Afrika wachsen nicht weiter. Wir
brauchen keine Angst zu haben um gesundes Trinkwasser und saubere
Luft.
Die ungleichen Verhältnisse zwischen dem Osten und dem Westen
Deutschlands werden ausgeglichen. Die versprochenen blühenden
Landschaften entstehen. Arbeitsplätze und Einkommen werden
gerecht verteilt. Gestärkt durch die Politik haben die Familien
den Mut zu mehr Kindern.
Wir leben in einem Rechtsstaat. Mit politischem Einfluss, mit wirtschaftlicher
Macht oder mit dem nötigen Kleingeld kann man das Recht nicht
auf seine Seite bringen. Betriebsräte, Staatssekretäre
und Sportreporter weisen Bestechungsversuche und kleine Vergünstigungen
empört zurück. Wähler vertrauen ihren Politikern
wieder. Die Verdrossenheit sinkt, die Wahlbeteiligung steigt.
Gegen immer noch unheilbare Krankheiten ist ein Kraut gewachsen.
Die Pharmariesen geben AIDS-Medikamente an arme Staaten kostenlos
ab.
Die keine Perspektiven mehr hatten, sehen wieder klar. Zukunftsangst
macht neuer Hoffnung Platz.
Gegen Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst
Manchen von Ihnen sehe ich‘s an den Augen an und an dem Schmunzeln
in den Mundwinkeln: „Schön wär‘s.“ Sagen
Sie. Oder: „Dein Wort in Gottes Ohr!“ Oder auch: „Träum‘
weiter!“
Ich weiß nicht, wie jene Prophetenworte aus dem Jesajabuch
damals bei den Hörern ankamen:
17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon
fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll
wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören
die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel
und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben
am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich
sein in dem Heiligen Israels.
Ich weiß nicht, wie die Worte ankamen, damals in einer Zeit
großer Perspektivlosigkeit. Nichts ging voran. Politisch nicht
und wirtschaftlich nicht. Nach der Heimkehr aus dem babylonischen
Exil hatte man sich die große Wende und blühenden Landschaften
erwartet. Israel werde wieder so groß und so stolz werden
wie früher. Der Tempel würde schöner aufgebaut als
je. Alle fragen nach Gottes Willen. Keiner ist mehr blind und taub
für Gott.
Und nichts ging voran. Jeder versuchte, sein eigenes Schäfchen
ins Trockene zu bringen und das Recht auf seine Seite zu ziehen.
Spott über Politiker. Abkehr vom Glauben.
20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den
Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die
darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig
sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist
im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.
24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen,
und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
„Alles wird gut!“ So sagte der Prophet damals den Perspektivlosen,
den Hoffnungslosen.
„Alles wird gut!“ so hören wir heute morgen gegen
die anderen Botschaften der Wochenendausgabe der Zeitung: Spritpreise
auf Rekordhöhe. Milde Urteile gegen Schmiergeldempfänger.
Unsensible Politiker. Eine gleichbleibende Zahl von Arbeitslosen.
Militärische Drohungen gegen den Iran.
Alles Gute Gott zutrauen
Woher nimmt der Prophet den Mut? Nicht aus den Prognosen der Wirtschaftsweisen.
Nicht von den Demoskopen, die wöchentlich ein neues Evangelium
verkünden, das wir gierig aufsaugen.
Nicht von den Politikern, die derzeit das Blaue, das Rote, das Gelbe,
das Grüne und nun auch das Rosarote vom Himmel versprechen.
Woher nimmt der Prophet den Mut für solche Worte? Den Mut zur
Zukunft? Das Vertrauen in die Wende? Die große Wende kommt
durch Gott.
17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile. 22 So spricht der
HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht
mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.
23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände in ihrer
Mitte, werden sie meinen Namen heiligen.
Alles wird gut werden. Was ist mit diesen Hoffnungen des Alten Testaments?
Mit diesen herrlichen Bildern einer anderen Zeit mit Frieden, Gerechtigkeit
und Bewahrung der Schöpfung?
Der jüdische Glaube sagt: Das ist alles noch Zukunft. Jesus
kann nicht der Messias gewesen sein. Was hat sich denn schon grundlegend
geändert? Die ersten Christen sagten: Schaut hin. Da und dort
erfüllen sich sichtbar die alten Hoffnungen. Am Ende des heutigen
Evangeliums:
36 Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr
er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten
sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht;
die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Christen sind unheilbare Optimisten oder sie sind keine
„Alles wird gut werden.“ Das ist keine Vertröstung.
Das ist trotzige, christliche Überzeugung gegen den Augenschein.
Das ist eine Einladung, genau hinzuschauen und die vielen alltäglichen
Zeichen von mehr Frieden, mehr Gerechtigkeit und mehr Bewahrung
der Schöpfung zu entdecken.
Aber die Kirchenkritiker wie Karl Marx und seine Nachfolger hätten
Recht: Das wäre eine Vertröstung, wenn Christen resignierend
die Hände in den Schoß legen und sich zurücklehnen
würden. „Ich glaub zwar nicht daran, lieber Gott, aber
mach mal.“
Eigentlich müssten Christen von Hause aus unheilbare Optimisten
sein. Menschen, die Gott und sich den anderen alles zutrauen. Menschen,
die nicht das halbleere, sondern das halbvolle Glas sehen. Menschen,
die sich nicht mit den Gegebenheiten zufrieden geben, sondern vertrauensvoll
nach vorne schauen.
Und nach vorne schauen, heißt nicht, dauernd halbleere Gläser
anstarren. Wer v.a. unter den Älteren unter uns, immer nur
mit der angeblich guten alten Zeit vergleicht oder mit der Wirtschaft
der 60er und 70er, dem muss sich ein Grauschleier auf die Augen
und auf die Seele legen. Und es ist von der Vernunft her fahrlässig
und vom Glauben her unchristlich, seinen Kindern und Enkeln dauernd
dieses graue Bild zu vermitteln.
Visionen und Utopien sind lebensnotwendig
Seit wann sollen Glauben, Hoffnung und Mut abhängig sein von
der wirtschaftlichen Situation? Dann wären viele Christen in
Afrika, in Asien und in Amerika, die uns mit ihrem Glauben und ihrer
Begeisterung beschämen, nur Betrogene und gleichzeitig Betrüger
der anderen.
Wir haben als Christen mehr. Wir haben Visionen und Utopien. Wir
brauchen Visionen und Utopien. Gut. Der Verstand sträubt sich
immer wieder dagegen. Visionen, das sind Träume und Schäume.
Und Utopien, das Wort sagt es ja schon, die haben keinen Platz,
keine Realität.
Aber was uns antreibt, was uns Mut Macht, was uns im Leben voranbringt,
ist weniger der Verstand als das Herz. Unser Herz und unsere Seelen
brauchen diese „Alles wird gut werden.“-Visionen. Sie
lassen uns vorausschauen. Sie reißen den dunklen Horizont
der Perspektivlosigkeit auf.
Wer keine solchen Visionen hat, keine Bilder, wie es werden könnte,
dem sind auch die Politiker egal. Die taugen ja sowieso alle nichts.
Nein, so nehmen ihre Aufgaben genauso ernst wie wir die unsrigen.
Aber als Christen können wir von ihnen nicht das Heil erwarten.
Sondern wir müssen sie immer wieder konfrontieren mit Gottes
Bildern von Gerechtigkeit und Frieden und der Bewahrung der Schöpfung.
Wer keine solchen Visionen hat, keine Bilder, wie es werden könnte,
der packt auch nicht mit an, sondern lässt es laufen. Der tut
auch keine kleinen Schritte, weil die ja doch nur ein Tropfen auf
den heißen Stein sind. Wer aber von den großen Schritten
Gottes etwas weiß, der kann auch als Mensch seine kleinen
Schritte tun. Und christlicher Glaube ist wie die Politik immer
die Kunst der kleinen Schritte gewesen.
Zwei Zitate zum Schluss:
Dom Helder Camara, Bischof in Mittelamerika: „Wenn einer alleine
träumt, dann bleibt es ein Traum. Wenn wir aber alle gemeinsam
träumen, dann ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“
Heinrich Albertz, Pfarrer und Politiker, gefragt, was für ihn
die entscheidende Lebenserfahrung gewesen sei: „Dass immer
noch ein wenig mehr an Hoffnung da war als an Scheitern und Resignation.
Von diesem Übermaß an Hoffnung habe ich gelebt.“ |