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Die Predigt vom 21. August 2005 (13. Sonntag nach Trinitatis):
»Wo braucht mich Gott?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 13. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist die Nächstenliebe. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und Epistel (2. Lesung) der Aufruf aus dem Johannesbrief zu gegenseitiger Liebe. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) stand in Markus 3:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
20 Jesus ging in ein Haus. Und da kam abermals das Volk zusammen, so dass sie nicht einmal essen konnten. 21 Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn festhalten; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen.
31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
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Die Predigt
Jesus und seine Familie

Wer könnte das Verhalten von Jesu Familie nicht ein wenig verstehen? Unmöglich, ja anstößig benimmt er sich, zumal für die orientalisch Welt, wo die Sippe alles und der Einzelne nichts ist. Ich versuche, ihn mit den Augen seiner Familie zu sehen: Ein Rumtreiber war er. Ohne festen Wohnsitz, so würde man heute sagen. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Das Sprichwort kommt aus dem Alten Testament. Jesus hat nichts gearbeitet. Er zieht durch die Gegend und hält noch dazu Menschen von ihrer Arbeit ab. Fischer ruft er weg von ihren Booten und Netzen. Sie lassen alles stehen und liegen, sogar ihre Familie, und laufen ihm nach. Seine schönen Freunde sind ihm wichtiger. Das 4. Gebot scheint ihn nicht zu interessieren: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Er stielt sich aus der Verantwortung, die er als der Älteste der Kinder für die Familie und die Eltern hat. Und was er in der Öffentlichkeit für ein Bild abgibt: Mit fragwürdigen Leuten gibt er sich ab, mit Betrügern, mit Frauen von zweifelhaftem Ruf, mit Aussätzigen, von denen man sich fern hielt. Die Angesehenen und Anständigen seiner Zeit aber provoziert er. Und all das wirft nicht zuletzt ein schlechtes Licht auf die Familie, denn man kennt ihn ja:
3 Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn, und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm. (Mk 6,3)
Jesus, das „schwarze Schaf“ der Familie. Er bringt einen in schlechten Ruf. Ein Verrückter, den man nach Hause holen muss.

Jesus und sein Auftrag

Eine sehr emotionale Geschichte für Bibelleser und Predigthörer. Sonst ist Jesus ja immer der Gute, die Lichtgestalt. Aber hier? Warum muss er so hart sein? Mancher ältere Mensch fühlt sich vielleicht an die eigenen Kinder erinnert: „Die könnten sich auch ein wenig mehr um mich kümmern. Sie könnten mich öfter einmal besuchen kommen. Sie könnten mal fragen: Mutter, brauchst du nichts? Aber nein, ihre Freunde und ihre Hobbys sind ihnen wichtiger.“

Es muss Jesus also damals um etwas unendlich Wichtiges gegangen sein, wenn er sich so anstößig verhielt. Und so war es auch: Es ging ihm um Gott, um seine Sendung, seinen Auftrag. Es ging ihm um die Menschen am Rande der Gesellschaft, die durch die Begegnung mit ihm auf einmal wieder etwas mit Gott anfangen konnten. Die Abgeschriebenen, denen er die Tür in die Gemeinschaft hinein wieder öffnete. Die sich an ihn hängen wie an den letzten Strohhalm, die ihn in jenem Haus so bedrängen, dass er mit seinen Jüngern nicht einmal mehr zum Essen kommt. Als die Familie ihn rufen lässt, richten sie ihre Augen auf ihn mit der stillen Frage: Willst du uns jetzt im Stich lassen. Vor die schwere Entscheidung gestellt, ob die alten Bindungen der Familie oder die neuen Bindungen aus seinem Auftrag heraus wichtiger sind, entscheidet er sich für das letztere.

Eine neue Familie durch den Glauben

So haben es damals auch die ersten Christen erfahren, für die die Evangelien zur Lehre und zum Trost aufgeschrieben wurden: Sie mussten sich um ihres Glaubens an Jesus willen aus allen Bindungen lösen, Haus, Hof und Familie zurücklassen. Sie mussten sich verstecken, weil sie in den Augen der anderen schwarze Schafe und Umstürzler waren, die man bekämpfen musste.
Ihnen machte wohl diese Erzählung von Jesus Mut. Sie haben gemerkt: Auch ihm ist es so gegangen. Und noch eines haben sie gemerkt: Wer die alten Bindungen hinter sich lässt, die einen von Gott abhalten, der fällt nicht ins Leere, sondern der findet neue Freunde, er findet Schwestern und Brüder, eine neue Familie.
Ähnliches erleben vielleicht viele von den Jugendlichen, die sich zur Stunde zu Hunderttausenden beim Weltjugendtag versammeln. Wie viele Strapazen mögen sie auf sich genommen haben? Welche weiten Wege mögen sie hinter sich haben und wie viel Geld daran gegeben? Vielleicht hat mancher gesagt, bevor sie fortgefahren sind: Ihr seid verrückt! Doch die Gemeinschaft, die sie über die Sprachgrenzen und Nationen hinweg erleben, die werden sie lebenslang nicht vergessen. Das gemeinsame Abendmahl mit wildfremden anderen, die der gemeinsamen Glaube zusammengeführt hat.

Müssten wir viel radikaler glauben?

Heißt das nun für uns: Eigentlich müssten wir auch viel radikaler und kompromissloser sein? Für den Glauben anderes stehen und liegen lassen? Für ein bisschen verrückt gehalten werden?
Ja und nein. Jesus hat auch damals nicht von jedem, dem er begegnete, gefordert, alles zurückzulassen und ihm zu folgen. Es waren immer Einzelfälle. Aber es gab sie. Und seit damals haben sich auch immer wieder Menschen so von Gott angesprochen gefühlt, dass sie alles hinter sich gelassen haben:
Ich denke an Franziskus von Assisi, der ein reicher Kaufmannssohn war und das schöne Leben liebte, und der dann den wahren Sinn seines Lebens in der Armut und als Mönch fand.
Ich denke an Martin Luther, der gegen den Willen seines Vaters ins Kloster ging und der deswegen sehr mit sich zu kämpfen hatte, ob dieser Entschluss gegen das 4. Gebot wirklich richtig war.
Ich denke an Albert Schweitzer, der seine gesicherte Existenz als Professor der Theologie und als begnadeter Orgelspieler aufgab, um Medizin zu studieren und in den Urwald zu gehen.

Wo braucht mich Gott?

Das gibt es auch heute noch, dass Menschen erst dann den Sinn ihres Lebens finden, wenn sie loslassen und das Bisherige aufgeben. Das gibt es, dass Gott mit bestimmten Menschen etwas Besonderes vor hat. Und niemand unter uns kommt um diese Gewissensfrage herum: Was will Gott speziell von mir? Wo braucht er mich:
Da, wo ich gerade bin? Hier? Oder woanders? Vielleicht gerade in meiner Familie? Bei meinen Kindern? Meinen Enkeln? Meinen alten Eltern?
Oder im Beruf? In der Kirchengemeinde? Bei den Jugendlichen des Sportvereins? Beim kranken Nachbarn?
Oder soll ich kompromisslos für die Natur da sein? Oder für Minderheiten eintreten? Oder gegen den Extremismus wie gestern in Wunsiedel?
Braucht er mich gar in der Mission? In der Entwicklungshilfe?

Und wenn sich das Leben wandelt. Wenn die Kinder aus dem Haus sind. Wenn die Berufstätigkeit zu Ende geht. Wenn die Kraft weniger wird: Wo braucht er mich jetzt?

Wer ist mein Nächster?

Seiner Sendung, seiner Berufung, dem Ziel seines Lebens hat Jesus alles untergeordnet. Deswegen geht er so scharf mit seiner Mutter und seinen Geschwistern um, nicht weil er sich aus der Verantwortung stehlen würde, sondern weil sie ihn zurückholen und zum Schweigen bringen wollen. Damit war der Grenzfall erreicht, wo sogar das 4. Gebot und die Achtung vor der Mutter nicht mehr so wichtig waren.

Wo braucht mich Gott? Wozu bin ich da? Wenn einer diesen Platz entdeckt, darf er vielleicht auch manchmal ein wenig kompromisslos sein. Darf er ein wenig verrückt sein. Kann er sich auch einmal ein wenig Spott anhören und Kopfschütteln ernten.

„Wer ist mein Nächster?“ So fragt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Wer ist der, der meine ungeteilte Aufmerksamkeit braucht? Nicht der, den du dir selber aussuchst, sagt Jesus, sondern der, der auf einmal vor deinen Füßen liegt, den ich dir in deinen Weg lege. Ein Fremder vielleicht.
„Wer ist mein Nächster?“ Die Erzählung von Jesus lehrt, dass nicht unbedingt immer die Nächsten die Nächsten sein müssen: also die Familienmitglieder.
„Herr, gib du uns Augen, die den Nachbarn sehn, Ohren, die ihn hören und ihn auch verstehn.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 649) Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de