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Die Predigt |
Ein Frommer, dem
Böses widerfährt
Worte aus dem Buch Hiob im 14. Kapitel. Das Buch Hiob beschäftigt
sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Sinn des Leidens,
vor allem mit der Frage nach Gottes Gerechtigkeit, wenn einem frommen
Menschen Böses wiederfährt.
Als frommer und rechtschaffener Mensch wird uns Hiob geschildert.
Und dann trifft ihn eine sprichwörtliche Hiobsbotschaft nach
der anderen. Er verliert Hab und Gut. Er verliert seine Kinder.
Seine Frau rät ihm, Gott fallen zu lassen, denn was ist das für
ein Gott, der so mit einem frommen Menschen umspringt. Doch Hiob hält
an Gott fest, der ihm bisher doch auch viel Gutes geschenkt hat. Hiob
will seine Lebensfrage nicht ohne Gott, sondern mit Gott lösen.
Freunde kommen und trösten ihn. Erst trauern sie still mit ihm,
doch dann kommen sie mit klugen Worten: Wenn dir so etwas widerfährt,
musst du eine, vielleicht unbekannte, Sünde in dir tragen. Gott
ist gerecht: Wenn du also gerecht wärest, dann würde es
dir nicht schlecht gehen. Weil es dir aber schlecht geht, muss da
etwas sein.
Diese kluge und kalte Logik hilft dem Hiob nicht: In ihm rumoren Gefühle
und die Freunde kommen mit klugen Antworten. Und Hiob, der erst demütig
alles aus Gottes Hand genommen hat, fängt an, mit Gott zu ringen.
Er hat das Gefühl, nur so wird er eine Antwort finden. Er ruft
sozusagen Gott gegen Gott zu Hilfe. Das ist das Geheimnis des Hiobbuchs.
Klage über die Endlichkeit
Hiob beklagt die Endlichkeit des Lebens, aber er klagt sie Gott:
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll
Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein
Schatten und bleibt nicht.
Gott, das Leben ist manchmal so kurz. Das Leben ist manchmal so voll
Unruhe. Es blüht kurz wie eine Blume. Es ist flüchtig wie
ein Schatten. Also, Gott, mach es mir bitte nicht schwerer, als es
ist. Lass mich in Frieden, bis ich dann am Ende meine wohlverdiente
Ruhe habe.
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag
kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Ein geplagter Mensch redet hier. Einer, der sich auch von Gott geplagt
fühlt. Aber, und das ist entscheidend: Er redet mit Gott. Er
lässt die Verbindung nicht abreißen.
Mancher kann mitfühlen in solchen Worten, in Erinnerungen an
bestimmte Phasen des Lebens zumindest. Doch das Leben ist nicht immer
so. Und auch bei Hiob war es nicht immer so. Es sind Worte aus einer
Lebensphase großer Traurigkeit und Depression. Im Buch Hiob
können wir lesen, dass er vorher auch ganz andere Tage gesehen
hat, und dass er nachher wieder ganz andere Tage sehen durfte, nachdem
er mit Gott gerungen und sich durchgekämpft hatte.
Zwei Wege angesichts der Endlichkeit
Das ist die Realität, auch unsere Realität, mit der wir
uns früher oder später auseinandersetzen müssen: Leben
ist begrenzt. Mein Leben ist begrenzt.
5 Seine Tage sind bestimmt, die Zahl seiner Monde steht bei dir
und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann.
Das Leben ist begrenzt. Wie gehen wir damit um? Es gibt, grob gesprochen,
zwei Wege, besser zwei Extrempositionen. Und von unserer Art her hängen
wir eher dem einen oder dem anderen Weg an: Entweder wir richten uns
in unserer Endlichkeit mehr auf das heute, auf das hier und jetzt
aus. Oder mit richten uns mehr auf das aus, was einmal kommen wird.
Nach uns die Sintflut
Zum ersteren: Genieße dein Leben heute, denn es kann morgen
schon vorbei sein. Genieße dein Leben heute, denn hinterher
kommt nichts mehr. Du kannst nichts auf später verschieben.
Das kann dann heißen: In den Tag hinein leben. Oder auch „Nach
uns die Sintflut“.
Auch in der Bibel steht so ein sprichwörtlicher Satz. Paulus
zitiert Menschen, die keine Zukunftshoffnung, keine Auferstehungshoffnung
haben, mit den Worten:
„Lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot!“
(1. Kor 15,32)
Und sie nehmen damit Worte des Propheten Jesaja auf, der seine Zeitgenossen
dafür kritisiert, dass sie zwar sehen, wo die Politik hinläuft,
aber mit „Augen zu und durch!“ blind in ihre Zukunft laufen:
„Aber siehe da, lauter Freude und Wonne, Schafe schlachten,
Fleisch essen, Wein trinken: »Lasst uns essen und trinken; wir
sterben doch morgen!« (Jes 22,13)
Mit dem Tod ist alles aus
Auch hinter dem Buch Hiob steht eine solche Resignation, dass mit
dem Tod ja doch alles aus ist. Sie ist typisch für das Alte Testament,
das bis auf ganz wenige Anklänge nicht mit einer persönlichen
Zukunft bei Gott rechnet.
Deswegen ist der Text für heute eigentlich zurechtgestutzt. Wenn
man nämlich weiterliest, ist er gar nicht geeignet für die
Hoffnung, auf die wir in diesen letzten Wochen des Kirchenjahres ausgerichtet
werden:
7 Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann
wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus.
8 Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Boden erstirbt,
9 so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige
wie eine junge Pflanze. 10 Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin;
kommt ein Mensch um – wo ist er? 11 Wie Wasser ausläuft
aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet, 12 so ist
ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen;
er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem
Schlaf erweckt werden.
Worte also, die ganz in die Richtung dieser ersten Antwort gehören:
Lebe heute. Verschiebe nichts, denn es kommt nichts mehr.
Im Himmel wird es besser
Den zweiten Weg gehen die, die sich in ihrer Endlichkeit mehr auf
das ausrichten, was einmal kommen wird: Diese Welt und mein Leben
sind dem Tod verfallen. Alle Freude ist Schein. Meine endgültige
und wahre Heimat ist bei Gott. Das ist die fromme Variante davon.
Es gibt aber auch eine weltliche Variante, die sich hinter dem Satz
verbirgt: „Der schönste Tag der Woche ist der Freitag.“
Es gibt Menschen, die retten sich von Feierabend zu Feierabend, von
Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub. Das hier und heute
zählt nicht viel. Das Eigentliche kommt immer erst. Am Montag
griesgrämig beginnen oder am besten gar nicht kommen. Dann hellt
sich mit jedem Tag die Miene ein wenig auf. Das Schönste am Dienstag
ist, das dann schon wieder der Mittwoch kommt. Und so weiter.
Die Mitte zwischen den Extremen
Zwei Wege, zwei Lebensentwürfe, mit der Endlichkeit umzugehen:
Sich ganz auf das hier und heute ausrichten und von der Zukunft nichts
erwarten. Alles von der Zukunft erwarten und nicht viel von hier und
heute.
Selten gibt es Menschen, die so etwas in der Reinform, im Extrem leben.
Im allgemeinen haben wir beides in uns. Manchmal zieht es uns eher
in die eine und manchmal in die andere Richtung. Doch wer in sich
nachfragt, spürt meistens, dass er insgesamt mehr einen Hang
nach der einen oder nach der anderen Seite in sich trägt.
Ich meine, da liegt ein Weg zur Heilung, da liegt ein Weg zu größerer
Zufriedenheit, zu mehr Einssein mit sich selber, wenn man beide Wege
zusammenbringt und mehr zur Mitte findet:
Hier und jetzt leben
Wer also spürt, dass er eher dazu neigt, sich vor allem auf das
kommende Leben bei Gott auszurichten, der soll sich mehr die Augen
öffnen lassen für das hier und jetzt. Jeder Tag ist ein
Geschenk Gottes. Das Heil Gottes liegt auch, aber nicht nur in der
Zukunft.
Wer also eher diesem Weg zuneigt, soll die gute Botschaft des heutigen
Wochenspruchs hören:
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der
Tag des Heils.“ (2. Kor 6,2)
Siehe, also: mach die Augen auf für den Gott, der die hier und
heute, hier in diesem Raum, jetzt zu dieser Stunde begegnen will.
Mach die Augen auf für den Menschen neben dir, in dem dir Gott
begegnen will.
Auf die Zukunft vertrauen
Und das andere: Wer spürt, dass er eher das hier und heute betont,
soll lernen, seine Zukunftshoffnung zu stärken. Wer ohne Zukunftshoffnung
nur im hier und jetzt lebt, der lebt eher hektisch, darf nichts verpassen,
muss alles mitnehmen. Wer mit Zukunftshoffnung lebt, der lebt gelassener.
Wer ohne Zukunftshoffnung lebt, dem ist oft die gegenwärtige
Welt egal. Der gestaltet die Welt nicht. Der lässt sie eher laufen.
Der fragt nicht, ob kommende Generationen auch noch eine menschenwürdige
Welt haben werden.
Wer also eher diesem Weg zuneigt, soll die gute Botschaft der heutigen
Epistel hören:
„Wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn.“
(Römer 14,8)
Also: Wir sind und bleiben in Gottes Hand. Wir dürfen gelassen,
aber auch aktiv die Gegenwart gestalten, weil Gott ein Ziel für
unser Leben und unsere Welt hat.
Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben; /
nicht Erdennot, nicht Erdentand soll mich daraus vertreiben. / Und
wenn zerfällt die ganze Welt, / wer sich an ihn und wen er hält,
/ wird wohlbehalten bleiben. |
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