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predigt[e].de

Die Predigt vom 12. November 2006 (Drittl. Sonntag des Kirchenjahres):
»Essen und trinken, denn morgen sind wir tot«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres. Sein Thema ist die Gegenwart und die Zukunft der Gottesherrschaft. Evangelium (1. Lesung) war die Frage, wann die Gottesherrschaft kommt und Epistel (2. Lesung) die Gewissheit des Paulus, dass wir im Leben und im Sterben in Gottes Hand sind. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Abschnitt aus Hiob 14:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
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Die Predigt
Ein Frommer, dem Böses widerfährt

Worte aus dem Buch Hiob im 14. Kapitel. Das Buch Hiob beschäftigt sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Sinn des Leidens, vor allem mit der Frage nach Gottes Gerechtigkeit, wenn einem frommen Menschen Böses wiederfährt.
Als frommer und rechtschaffener Mensch wird uns Hiob geschildert. Und dann trifft ihn eine sprichwörtliche Hiobsbotschaft nach der anderen. Er verliert Hab und Gut. Er verliert seine Kinder.
Seine Frau rät ihm, Gott fallen zu lassen, denn was ist das für ein Gott, der so mit einem frommen Menschen umspringt. Doch Hiob hält an Gott fest, der ihm bisher doch auch viel Gutes geschenkt hat. Hiob will seine Lebensfrage nicht ohne Gott, sondern mit Gott lösen.
Freunde kommen und trösten ihn. Erst trauern sie still mit ihm, doch dann kommen sie mit klugen Worten: Wenn dir so etwas widerfährt, musst du eine, vielleicht unbekannte, Sünde in dir tragen. Gott ist gerecht: Wenn du also gerecht wärest, dann würde es dir nicht schlecht gehen. Weil es dir aber schlecht geht, muss da etwas sein.
Diese kluge und kalte Logik hilft dem Hiob nicht: In ihm rumoren Gefühle und die Freunde kommen mit klugen Antworten. Und Hiob, der erst demütig alles aus Gottes Hand genommen hat, fängt an, mit Gott zu ringen. Er hat das Gefühl, nur so wird er eine Antwort finden. Er ruft sozusagen Gott gegen Gott zu Hilfe. Das ist das Geheimnis des Hiobbuchs.

Klage über die Endlichkeit

Hiob beklagt die Endlichkeit des Lebens, aber er klagt sie Gott:
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Gott, das Leben ist manchmal so kurz. Das Leben ist manchmal so voll Unruhe. Es blüht kurz wie eine Blume. Es ist flüchtig wie ein Schatten. Also, Gott, mach es mir bitte nicht schwerer, als es ist. Lass mich in Frieden, bis ich dann am Ende meine wohlverdiente Ruhe habe.
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Ein geplagter Mensch redet hier. Einer, der sich auch von Gott geplagt fühlt. Aber, und das ist entscheidend: Er redet mit Gott. Er lässt die Verbindung nicht abreißen.
Mancher kann mitfühlen in solchen Worten, in Erinnerungen an bestimmte Phasen des Lebens zumindest. Doch das Leben ist nicht immer so. Und auch bei Hiob war es nicht immer so. Es sind Worte aus einer Lebensphase großer Traurigkeit und Depression. Im Buch Hiob können wir lesen, dass er vorher auch ganz andere Tage gesehen hat, und dass er nachher wieder ganz andere Tage sehen durfte, nachdem er mit Gott gerungen und sich durchgekämpft hatte.

Zwei Wege angesichts der Endlichkeit

Das ist die Realität, auch unsere Realität, mit der wir uns früher oder später auseinandersetzen müssen: Leben ist begrenzt. Mein Leben ist begrenzt.
5 Seine Tage sind bestimmt, die Zahl seiner Monde steht bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann.
Das Leben ist begrenzt. Wie gehen wir damit um? Es gibt, grob gesprochen, zwei Wege, besser zwei Extrempositionen. Und von unserer Art her hängen wir eher dem einen oder dem anderen Weg an: Entweder wir richten uns in unserer Endlichkeit mehr auf das heute, auf das hier und jetzt aus. Oder mit richten uns mehr auf das aus, was einmal kommen wird.

Nach uns die Sintflut

Zum ersteren: Genieße dein Leben heute, denn es kann morgen schon vorbei sein. Genieße dein Leben heute, denn hinterher kommt nichts mehr. Du kannst nichts auf später verschieben.
Das kann dann heißen: In den Tag hinein leben. Oder auch „Nach uns die Sintflut“.
Auch in der Bibel steht so ein sprichwörtlicher Satz. Paulus zitiert Menschen, die keine Zukunftshoffnung, keine Auferstehungshoffnung haben, mit den Worten:
„Lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot!“ (1. Kor 15,32)
Und sie nehmen damit Worte des Propheten Jesaja auf, der seine Zeitgenossen dafür kritisiert, dass sie zwar sehen, wo die Politik hinläuft, aber mit „Augen zu und durch!“ blind in ihre Zukunft laufen:
„Aber siehe da, lauter Freude und Wonne, Schafe schlachten, Fleisch essen, Wein trinken: »Lasst uns essen und trinken; wir sterben doch morgen!« (Jes 22,13)

Mit dem Tod ist alles aus

Auch hinter dem Buch Hiob steht eine solche Resignation, dass mit dem Tod ja doch alles aus ist. Sie ist typisch für das Alte Testament, das bis auf ganz wenige Anklänge nicht mit einer persönlichen Zukunft bei Gott rechnet.
Deswegen ist der Text für heute eigentlich zurechtgestutzt. Wenn man nämlich weiterliest, ist er gar nicht geeignet für die Hoffnung, auf die wir in diesen letzten Wochen des Kirchenjahres ausgerichtet werden:
7 Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. 8 Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Boden erstirbt, 9 so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. 10 Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er? 11 Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet, 12 so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden.
Worte also, die ganz in die Richtung dieser ersten Antwort gehören: Lebe heute. Verschiebe nichts, denn es kommt nichts mehr.

Im Himmel wird es besser

Den zweiten Weg gehen die, die sich in ihrer Endlichkeit mehr auf das ausrichten, was einmal kommen wird: Diese Welt und mein Leben sind dem Tod verfallen. Alle Freude ist Schein. Meine endgültige und wahre Heimat ist bei Gott. Das ist die fromme Variante davon.
Es gibt aber auch eine weltliche Variante, die sich hinter dem Satz verbirgt: „Der schönste Tag der Woche ist der Freitag.“ Es gibt Menschen, die retten sich von Feierabend zu Feierabend, von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub. Das hier und heute zählt nicht viel. Das Eigentliche kommt immer erst. Am Montag griesgrämig beginnen oder am besten gar nicht kommen. Dann hellt sich mit jedem Tag die Miene ein wenig auf. Das Schönste am Dienstag ist, das dann schon wieder der Mittwoch kommt. Und so weiter.

Die Mitte zwischen den Extremen

Zwei Wege, zwei Lebensentwürfe, mit der Endlichkeit umzugehen: Sich ganz auf das hier und heute ausrichten und von der Zukunft nichts erwarten. Alles von der Zukunft erwarten und nicht viel von hier und heute.
Selten gibt es Menschen, die so etwas in der Reinform, im Extrem leben. Im allgemeinen haben wir beides in uns. Manchmal zieht es uns eher in die eine und manchmal in die andere Richtung. Doch wer in sich nachfragt, spürt meistens, dass er insgesamt mehr einen Hang nach der einen oder nach der anderen Seite in sich trägt.

Ich meine, da liegt ein Weg zur Heilung, da liegt ein Weg zu größerer Zufriedenheit, zu mehr Einssein mit sich selber, wenn man beide Wege zusammenbringt und mehr zur Mitte findet:

Hier und jetzt leben

Wer also spürt, dass er eher dazu neigt, sich vor allem auf das kommende Leben bei Gott auszurichten, der soll sich mehr die Augen öffnen lassen für das hier und jetzt. Jeder Tag ist ein Geschenk Gottes. Das Heil Gottes liegt auch, aber nicht nur in der Zukunft.
Wer also eher diesem Weg zuneigt, soll die gute Botschaft des heutigen Wochenspruchs hören:
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“ (2. Kor 6,2)
Siehe, also: mach die Augen auf für den Gott, der die hier und heute, hier in diesem Raum, jetzt zu dieser Stunde begegnen will. Mach die Augen auf für den Menschen neben dir, in dem dir Gott begegnen will.

Auf die Zukunft vertrauen

Und das andere: Wer spürt, dass er eher das hier und heute betont, soll lernen, seine Zukunftshoffnung zu stärken. Wer ohne Zukunftshoffnung nur im hier und jetzt lebt, der lebt eher hektisch, darf nichts verpassen, muss alles mitnehmen. Wer mit Zukunftshoffnung lebt, der lebt gelassener.
Wer ohne Zukunftshoffnung lebt, dem ist oft die gegenwärtige Welt egal. Der gestaltet die Welt nicht. Der lässt sie eher laufen. Der fragt nicht, ob kommende Generationen auch noch eine menschenwürdige Welt haben werden.
Wer also eher diesem Weg zuneigt, soll die gute Botschaft der heutigen Epistel hören:
„Wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn.“ (Römer 14,8)
Also: Wir sind und bleiben in Gottes Hand. Wir dürfen gelassen, aber auch aktiv die Gegenwart gestalten, weil Gott ein Ziel für unser Leben und unsere Welt hat.
Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben; / nicht Erdennot, nicht Erdentand soll mich daraus vertreiben. / Und wenn zerfällt die ganze Welt, / wer sich an ihn und wen er hält, / wird wohlbehalten bleiben.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de