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Die Predigt |
Loben in guter
und in schlechter Zeit
Loblieder singen wir im Gottesdienst oft und gerne. Aber es geht uns
mit ihnen so wie mit dem Vaterunser und dem Glaubensbekenntnis: Oft
singen wir sie so einfach vor uns hin und denken uns nicht viel dabei.
Und dann passiert etwas im Leben, oder es passiert fast etwas. Wir
geraten aus dem Takt. Wir merken, dass Leben und Gesundheit gar nicht
selbstverständlich sind. Und auf einmal hat das Danken und Loben
eine ganz andere Tiefe und es kommt auf jedes Wort an.
Das muss man bei den Liedern von Paul Gerhardt immer mitbedenken,
auch bei diesem Loblied, das ich für heute ausgesucht habe: „Nun
danket all und bringet Ehr“. Nr. 322 im Gesangbuch. Unter dem
Lied kann man lesen, dass es 1647 veröffentlicht worden ist.
Da ist nämlich ein Gesangbuch des Berliner Kirchenmusikers Johann
Crüger herausgekommen, in dem die ersten Lieder von Paul Gerhardt
veröffentlicht waren. Paul Gerhardt hatte zu dieser Zeit noch
keine eigene Pfarrstelle, sondern musste sich als Hauslehrer über
Wasser halten, musste und durfte aber auch oft Pfarrer vertreten und
war durch seine Predigten sehr beliebt. Wann genau das Lied entstanden
ist, wissen wir nicht. Wer aber in der Schule gut aufgepasst hat,
kann mit der Jahresangabe 1618-1648 etwas anfangen: Die Zeit des sog.
30-jährigen Krieges. Zum Ende dieses Krieges hin sah es in Deutschland
aus wie heute in Afghanistan oder im Irak. Und die Pest tat ein Übriges.
Am Ende waren ca. ein Drittel der Bevölkerung umgekommen. Überhaupt
am Leben sein, war also schon ein Geschenk. In solchen Zeiten singt
man anders und intensiver. Da sind Worte nicht einfach so dahergesagt.
Wir wünschen uns solche Notzeiten nicht, aber ganz persönliche
Not und ganz persönliche Bewahrung können von heute auf
morgen passieren.
Mit den Engeln loben
1. Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt, dem,
dessen Lob der Engel Heer im Himmel stets vermeld't.
Wer jetzt in dieses Lob mit einstimmt, soll also bewusst daran denken,
wofür er gerade zu danken hat und wem er es zu verdanken hat.
Das Wort Gott kommt in der ersten Strophe nicht vor. Wir sollen dem
danken, den die Engel im Himmel loben. Damit ist klar, wer gemeint
ist.
Wenn wir loben und danken, dann stimmen wir damit, so Paul Gerhardt,
in das Lob der Engel ein. Wir denken bei den Engeln heute mehr an
die Schutzengel. Aber die Engel, die Gott loben, nehmen in der Bibel
einen mindestens genauso großen Raum ein. Zwei dieser Stellen
kommen regelmäßig in unseren Gottesdienstes vor: Wenn wir
im ersten Teil des Gottesdienstes unser Gloria singen, dann ist es
das Gloria in excelsis der Engel in der Weihnachtsnacht: „Und
alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen,
die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
auf Erden.“ (Lk 2,13)
Und unser „Heilig, heilig, heilig“ im Abendmahl ist das
Dreimal Heilig der Engel aus der Berufung des Jesaja in Jesaja 6.
Wir singen die erste Strophe des Liedes 322.
Not lehrt singen
2. Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserm höchsten
Gut, der seine Wunder überall und große Dinge tut;
Singt nicht so lahm, sagt Paul Gerhardt. Singt nicht so verschlafen.
Werdet munter und macht euren Mund auf. Singt mit Schall. Singt aus
vollem Herzen. Lautes Singen ist Medizin
Und jetzt kommt auch der, dem unser Singen gilt: „Gott, unser
höchstes Gut“. Also: Unser größter Schatz. Das
Wertvollste, was wir haben und was uns niemand nehmen kann. Wohlgemerkt:
Paul Gerhardt singt im 30-jährigen Krieg, wo alle anderen Schätze
und Besitz einem Menschen von einem Moment auf den anderen genommen
werden konnten. Eine Zeit, wo man „Wunder und große Dinge“
täglich erfahren konnte, wenn man bewahrt geblieben ist.
Aber wie gesagt: Hoffentlich brauchen wir die Notzeit nicht, um zu
entdecken, dass es auch heute noch „Wunder und große Dinge“
gibt für den, der im Leben die Augen aufmacht.
Wir singen die zweite Strophe des Liedes.
Wunder und große Dinge
3. der uns von Mutterleibe an frisch und gesund erhält und,
wo kein Mensch nicht helfen kann, sich selbst zum Helfer stellt;
Unter der Strophe steht der Hinweis auf Sirach 50,24: „Nun danket
alle Gott, der große Dinge tut an allen Enden, der uns von Mutterleib
an lebendig erhält und uns alles Gute tut.“ Danach ist
ja auch das Lied „Nun danket alle Gott“ gedichtet.
Für die „Wunder und großen Dinge“, von denen
in der zweiten Strophe die Rede ist, zählt Paul Gerhardt nun
Beispiele auf: Die alltägliche Gesundheit z.B. ist eines der
Wunder. „Von Mutterleib an“: 1607 ist er geboren. Mit
11 Jahren begann der Krieg. 41 war er, als er zu Ende ging. Natürlich
kann er das sagen, weil er die Todesgefahr, die Folgen von Krieg und
Pest jeden Tag vor Augen hatte.
Aber auch heute höre ich immer wieder von älteren Menschen,
dass sie allein schon dankbar sind, wenn sie jeden Morgen wieder aufstehen
und die nötigste Arbeit tun können. Es sind Dinge, wo nach
Paul Gerhardt „kein Mensch nicht helfen kann“. Unsere
Macht und unsere Möglichkeiten sind arg begrenzt.
Ich weiß, dass solche Worte für jüngere Menschen nicht
gleich zu begreifen sind, weil sie gerade dabei sind, ihre Möglichkeiten
und Grenzen überhaupt erst einmal auszutesten. Kinder auf der
Kinderkrebsstation im Klinikum denken natürlich anders. Aber
das wünschen wir natürlich niemand, dass jemand gegen seinen
Willen so schnell reif werden muss.
Wir singen die dritte Strophe des Liedes.
Wenn Gott über uns den Kopf schüttelt
4. der, ob wir ihn gleich hoch betrübt, doch bleibet guten
Muts, die Straf erlässt, die Schuld vergibt und tut uns alles
Guts.
Ein zweites Wunder, so Paul Gerhardt, ist Gottes Gnade: Seine Menschheit
betrübt ihn in einem fort. Oft genug kann er nur den Kopf schütteln
über uns und sich die Haare raufen. Oder er ist einfach nur traurig,
wenn er wieder einmal die Nachrichten im Fernsehen anschaut.
Und trotzdem bleibt er guten Muts, was uns geht. Es reut ihn nicht,
dass er uns Menschen gemacht hat. Er straft nicht, er vergibt Schuld
und tut uns Gutes. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wir singen die vierte Strophe des Liedes
Was man sich nur schenken lassen kann
Aus dem Dank erwächst die Bitte. Gott muss tun, was nicht menschenmöglich
ist:
5. Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn
und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.
„Angst, Furcht, Sorg und Schmerz“ waren zu Paul Gerhardts
Zeiten allgegenwärtig. Dass jemand in einer solchen Situation
ein fröhliches Herz hat, geht nicht aus eigener Kraft. Der Meeresgrund
war für die Menschen in biblischer Zeit und auch im Mittelalter
für die Menschen des Alten Testaments völlig unerreichbar.
Und trotz unserer technischen Möglichkeiten ist er auch heute
noch weitgehend unerforscht. So weit weg soll das, was Menschen bedrängt.
Und genauso unmöglich ist es psychologisch gesehen, dass sich
jemand selbst fröhlich macht. Fröhliches Herz, frischer
Geist und Sinn: Wir können sie uns nur schenken lassen.
Wir singen die fünfte Strophe des Liedes und auch die siebte
dazu, die fast dieselbe Aussage hat.
Wie geht Frieden?
6. Er lasse seinen Frieden ruhn auf unserm Volk und Land; er gebe
Glück zu unserm Tun und Heil zu allem Stand.
Die nächste Unmöglichkeit: Wir können aus eigener menschlicher
Kraft den Frieden nicht sichern. Wie wenig wir mit militärischen
und finanziellen Anstrengungen erreichen, zeigen deutlich die Friedensmissionen
unserer Tage. Schonungslos hat es einer der Generäle jetzt erst
wieder offen gelegt. Und wenn es um den inneren Frieden und die Gerechtigkeit
in unserem eigenen Land geht, sehen wir gegenwärtig die Grenzen
ganz genauso.
Wenn Paul Gerhardt zu seiner Zeit so dankbar singt, wie müssten
wir eigentlich singen, nachdem wir in unserem Land 60 Jahre äußeren
Frieden haben.
Wir singen die sechste Strophe des Liedes.
Gott schaut uns an
8. Solange dieses Leben währt, sei er stets unser Heil, und
wenn wir scheiden von der Erd, verbleib er unser Teil.
9. Er drücke, wenn das Herze bricht, uns unsre Augen zu und zeig
uns drauf sein Angesicht dort in der ewgen Ruh.
Es gibt kein Lied Paul Gerhardts, und sei es noch so fröhlich,
wo er nicht auf das Ende und die Grenzen des Lebens zu sprechen kommt.
Wer den tagtäglichen Tod durch Krieg und Pest gesehen hat, kann
es seinen Hörern nicht verschweigen.
Für mich sind die beiden Strophen eine schöne Auslegung
des Pauluswortes, dass wir im Leben und im Sterben in Gottes Hand
stehen. Der Glaube an Gott ist das einzige, was wir einmal werden
mitnehmen können. Alles andere müssen wir da lassen.
Ein schönes Bild von Paul Gerhardt: Der letzte, der uns einmal
anschauen wird und uns die Augen zudrückt, ist Gott. Und er ist
auch der erste, der uns hinterher in der anderen Welt anschaut.
Wir singen die achte und neunte Strophe des Liedes. |
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