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Die Predigt |
Die Gretchenfrage
Wer heute am Ostersonntag im Predigttext noch einmal die Osterbotschaft
hören will, der wird erst einmal enttäuscht: Darüber
brauchen wir nicht diskutieren, sagt Paulus. Mit einem großen
„Aber“ beginnt er: „Nun aber ist Christus auferstanden
von den Toten.“ Basta! Möchte man mit dem vorherigen Kanzler
hinzufügen. Wenn wir uns darüber nicht einig sind, so Paulus,
dann brauchen wir gar nicht weiterreden, dann haben wir keine gemeinsame
Gesprächsgrundlage. Wichtiger als die Diskussion, ob und wie
Christus auferstanden ist, ist die Frage, was das für mich und
dich, was das für heute und jetzt bedeutet.
Das ist die Gretchenfrage von Ostern: Wie hältst du’s mit
der Auferstehung? Ändert sich dein Alltag, wenn du weißt,
dass Christus auferstanden ist? Und inwiefern ändert er sich?
Was hat das für Folgen für deinen Umgang mit dem Tod, für
deinen Umgang mit Krankheit und Leid, für deinen Umgang mit den
Mächten dieser Welt?
Die Frage ist klar. Die Antwort aber ist nicht so einfach. Denn Paulus
redet hier von Dingen, die weit weg sind von uns: Er redet vom Ereignis
der Auferstehung, dass fast 2.000 Jahre her ist. Und er redet von
Jesu Wiederkunft, von der wir nicht wissen, wie weit sie noch in der
Zukunft liegt. Hand aufs Herz: Wer rechnet mit Jesu Wiederkunft noch
zu seinen Lebzeiten? Also: Die Auferstehung weit hinter uns. Seine
Wiederkunft weit vor uns. Und wir heute mittendrin. Wagen wir uns
ran an die heikle Frage!
Jesus Christus als Prototyp
In einer Art Bildersprache beginnt Paulus: Christus ist der Erstling,
den der Tod nicht festhalten konnte. „Erstling“, mit diesem
Kunstwort versucht es Martin Luther in seiner Bibelübersetzung
auszudrücken. „Prototyp“ würden wir heute vielleicht
mit einem Fremdwort sagen. „Erlkönig“ heißt
es dichterisch bei geheim gehaltenen Automodellen, die neu auf den
Markt kommen sollen. Etwas respektlos gesagt: Mit Jesus hat Gott,
der Schöpfer, den Prototypen geschaffen. Wenn dann die Zeit da
ist, wird er in Serie gehen.
Und dann vergleicht Paulus den auferstandenen Jesus mit einem anderen
Erstling: Adam ist der Prototyp des todverfallenen Menschen, des Menschen,
der nach dem Sündenfall nur ein begrenztes Leben hat und sich
dann dem Tod beugen muss.
Von beiden haben wir etwas, sagt Paulus: Wir sind alle Adam. Wir werden
alle sterben. Aber in der Folge Christi wird uns alle der Tod nicht
festhalten können. Mit ihm als Prototyp hat ein Prozess angefangen,
den niemand mehr aufhalten kann:
„Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus
alle lebendig gemacht werden.“
Leben in einer Zwischenzeit
Wir leben also in einer Art Zwischenzeit. Wir leben zwischen Auferstehung
und Wiederkunft Christi. Wir leben in einer Zwischenzeit, aber wir
hängen nicht in der Luft. Das, was war, und das, was kommt, wirkt
in unsere Gegenwart hinein. Die Botschaft von der Auferstehung, also
der erste Sieg über den Tod, ist nicht einfach nur ein Wort.
Sie ist wirkmächtige, die Gegenwart verändernde Botschaft.
Die Botschaft von der Wiederkunft Christi, also der endgültige
Sieg über den Tod, ist nicht einfach nur ein Wort. Sie ist wirkmächtige
und unsere Gegenwart verändernde Botschaft.
Was bedeutet das nun mit den Worten des Paulus für den Tod? Und
was bedeutet es für all die anderen lebensfeindlichen Mächte?
Inwiefern ist der Tod entmachtet?
26 Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.
Paulus kommt eindeutig von der Auferstehung her, aber er ist trotzdem
ganz illusionslos: Wir müssen bis zur Wiederkunft Christi mit
dem Tod leben. Er ist seit der Auferstehung zwar grundsätzlich
und prinzipiell entmächtigt, aber er ist noch nicht besiegt.
Seine Macht ist grundlegend gebrochen, doch er herrscht noch.
Das ist, wenn man den ganzen Brief liest, wohl erst einmal an einige
sehr euphorische Gemeindeglieder in Korinth gerichtet: Sie schwebten
sozusagen schon über dem Boden. Sie meinten, sie seien auch schon
auferstanden und die Welt sei nur noch ein Schein. Sie kannten keine
Pflichten und keine Ordnung mehr. Sie hatten keine Augen mehr für
die Kranken und Armen. Sie muss Paulus auf den Boden der Tatsachen
herunterholen und sie an die Regeln des Zusammenlebens erinnern: Lasst
euch nicht verführen! Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten.
(15,33). Werdet doch einmal recht nüchtern! (15,34) Alle eure
Dinge lasst in der Liebe geschehen! (16,13) Ordnet euch allen unter,
die mitarbeiten und sich mühen. (16,16)
Der Tod als „Ende des 1. Aktes“
Während solche Menschen erst einmal wieder auf den Boden geholt
werden müssen, ist es bei den meisten heute wohl eher umgekehrt:
Das Starren auf den immer noch mächtigen Tod zieht sie so nach
unten, dass sie von Ostern her aufgehoben und aufgebaut werden müssen.
Man kann es wie bei Paulus wohl auch nur mit Bildern sagen. Vor allem
scheint unsere Seele, die die Osterbotschaft viel nötiger hat
als unser Verstand, am besten Bilder zu verstehen:
Z.B. wie es die Offenbarung sagt: Nur der erste Tod kann uns etwas
anhaben, nicht aber der zweite.
Oder: Der Tod ist Durchgangstation, aber nicht das Ende. Der Tod macht
einen Doppelpunkt, nicht einen Punkt hinter unser Leben.
Oder wie es auf einer schönen Karikatur zu lesen ist: Ein Grabstein
mit dem Namen und den Lebensdaten eines Menschen. Und darunter die
Inschrift: „Ende des 1. Aktes.“
Lebensfeindliche Mächte beim Namen nennen
Und ähnlich wie es vom Tod gesagt ist, sagt es Paulus auch von
den herrschenden Mächten:
24 danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben
wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet
hat.
Mit Herrschaft, Macht und Gewalt wird im Urtext alles bezeichnet,
was auf dieser Welt Macht hat und sich als Macht aufspielt. Ähnlich
wie bei dem bekannteren Pauluswort:
38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel
noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
39 weder Mächte in der Höhe noch in der Tiefe noch eine
andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus
Jesus ist, unserm Herrn. (Röm 8,38-39).
Auch hier ist Paulus sehr illusionslos und nüchtern: Es gibt
diese Mächte, jawohl. Sie sind noch nicht ent-machtet. Aber ihre
Tage sind gezählt, und Gott ist stärker. Von der Auferstehung
her mit solchen Mächten umgehen, heißt z.B. sie beim Namen
nennen und, soweit es in unserer Macht ist, gegen sie angehen:
Alkohol, Geld, Geschwindigkeit, Waffenstolz ...
Z.B. die Verführungsmacht des Alkohols nicht verharmlosen. Die,
die so lautstark darüber klagen, dass sie nun in ihrer Kneipe
nicht mehr rauchen dürfen, sollten vorher mindestens genauso
laut anprangern, wie kinderleicht Kinder an harte Getränke und
Zigaretten kommen.
Oder die Verführungsmacht des Geldes. Die Medien dürfen
weiter nicht verschweigen, wie die Macht des Geldes manchen Menschen
in Politik und Wirtschaft unanständig, gierig und abgehoben werden
lässt.
Oder die Verführungsmacht von Autos? Darf man vielleicht auch
einmal zaghaft fragen, warum jemand mit 180 Sachen ungebremst bei
Bayreuth in einen anderen Wagen rast? Und muss unbedingt ein Automobilclub
am Karfreitag eine Gaudirallye, eine lustige Hasenjagd anbieten?
Oder diese teuflische Verführungsmacht der Waffen, die die großen
Nationen in ihren Bann zieht: Da stellt Frankreich stolz ein atomares
U-Boot in den Dienst, das ganz offen und unverblümt „Le
terrible“, der Schreckliche, heißt. Und weil Frankreich
auf die Seiten der „Guten“ gehört, spricht keiner
aus, dass dieses Mordinstrument wie ein riesiger Phallus einen obszönen
Männlichkeitswahn befriedigt.
Oder ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat muss sich von
seinem Pfarrer distanzieren, obwohl er, wenn auch sehr einseitig,
die Wahrheit über amerikanische Machtpolitik sagt. Eine Wahrheit,
die aber leider unpatriotisch und deswegen im Wahlkampf sehr unbequem
ist.
Die noch subtileren Mächte
Aber auch all die innermenschliche Mächte, die psychischen Gefängnisse,
die Menschen in Bann halten, müssen wir beim Namen nennen: Ängste
und Neurosen und Depressionen, die Menschen klein halten. Nur kann
man da seelsorgerlich natürlich nicht so frech vom Leder ziehen
wie bei den politischen Mächten. Es hilft ja nicht, ja es kann
geradezu lieblos sein, einem Menschen zu sagen: Die Macht, die dich
bedrängt, hat doch in Wirklichkeit nur eine Scheinherrschaft.
Der andere wird antworten: Du hast leicht reden. Für mich das
alles ganz real.
Wenn wir aber glauben, dass auch solchen Mächten ein Ende angesagt
ist, müssten wir da nicht neben der nötigen medikamentösen
Behandlung viel mutiger mit Gebet, Handauflegen, Segen und Salbung
eine Gegenbotschaft verkünden?
So sagte es der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann. Sie
können es nach dem Lied 147 lesen: „Lasst uns der Welt
antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen,
unser Herr aber kommt.“ |
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