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Die Predigt |
An Weihnachten
sind alle willkommen
Bei uns haben Sie vorhin keinen Ausweis vorweisen müssen. Niemand
hat Sie gar nach Ihrer Kirchgeldquittung gefragt, als Sie hereingekommen
sind.
Da haben doch wirklich christliche Politiker vorgestern vorgeschlagen,
die Kirchen am Heiligabend nur für Kirchenmitglieder zu öffnen,
damit sie nicht so überfüllt sind und jeder einen Sitzplatz
bekommt.
Ich vermute, sie haben die Weihnachtsgeschichte nicht gelesen oder
nicht genau gelesen. Da steht nicht „Siehe, ich verkündige
euch große Freude, die den Christen widerfahren wird.“
Da steht: „… Freude, die allem Volk widerfahren wird.“
Allen Menschen ohne Ausnahme. Und deswegen sind im Weihnachtsgottesdienst
auch die willkommen, die vielleicht schon lange nicht mehr da waren,
die vielleicht gar nur Weihnachten kommen, oder die inzwischen aus
welchem Grund auch immer aus der Kirche ausgetreten sind. Sie sind
willkommen, weil nicht die Gemeinde oder der Pfarrer einladen, sondern
Gott selber. Das Christkind breitet in unseren Weihnachtskrippen freundlich
seine Arme aus, und der erwachsene Jesus hat dasselbe getan mit den
Worten „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen
seid. Ich will euch erquicken.“
Oder denken wir nur daran, wem die Weihnachtsbotschaft zuerst verkündigt
wurde: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Das wurde
nicht in der Stadt und auch nicht im Palast bekannt gegeben. Das wurde
nicht dem Königshaus verkündigt und auch nicht den Priestern
und Schriftgelehrten. Die Schaf- und Ziegenhirten draußen auf
den Feldern waren raue Gesellen und hatten keinen guten Ruf. Gesellschaftlich
standen sie ziemlich weit hinten. Und auch die Frommen konnten mit
ihnen nicht viel anfangen, weil sie ungebildet waren und die Heilige
Schrift nicht kannten.
Die Weihnachtsbotschaft ist die Botschaft von der Nähe Gottes.
Sie gilt allen, die sie hören wollen. Aber vielleicht sind manche
ein weniger offener dafür als andere:
Eine Botschaft für die, die die Nacht kennen
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den
Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
Menschen, die die Dunkelheit kennen, die Dunkelheit von Krankheit
oder Trauer, die Nacht der Verzweiflung oder Depression oder Schlaflosigkeit
oder Zukunftsangst … Für Menschen, die die Dunkelheit kennen,
ist die Botschaft von der Nähe Gottes ganz besonders bestimmt.
Vielleicht hören sie aufmerksamer zu. Vielleicht sind sie offener
dafür.
Sie konnten heute in der Tageszeitung lesen, wie verschiedene bekannte
Menschen aus der Umgebung Weihnachten feiern. Das eine hat sich deutlich
durchgezogen: Nicht einsam sein. Nicht allein bleiben. Die Nähe
der Familie, die menschliche Nähe suchen.
Weihnachten gilt ganz besonders denen, um die es dunkel ist und die
die Nacht fürchten.
Eine Botschaft für die, die heil werden wollen
Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch
ist heute der Heiland geboren.
Vielleicht sind auch die offener für die Botschaft von der Nähe
Gottes, die heil werden wollen. Die einen Heiland, einen Heilmacher
brauchen. Die sich nach leiblicher und seelischer Gesundheit sehnen.
Wer schon heil ist, bei wem alles in Ordnung ist, oder wer meint,
er schaffe das alles ganz allein … Ja, wer meint, er könne
sein eigener Heiland sein, der wird sich auch mit der Weihnachtsbotschaft
schwer tun.
Weihnachten heißt auch, zugeben zu können: Lieber Gott,
bei mir ist nicht alles heil. Manches ist zerbrochen und unfertig:
Leiblich vielleicht oder seelisch, in der Familie, in der Beziehung
zu den Kindern oder den Eltern …
Eine Botschaft für die, die nicht nur glauben, was sie
sehen
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des
Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
Auch die sind vielleicht ein weniger offener für die Botschaft
von der Nähe Gottes, die offen dafür sind, dass es Dinge
zwischen Himmel und Erde gibt, die man nicht alle mit der Vernunft
und der Wissenschaft erklären kann.
Die Engel der Weihnachtsgeschichte sind ein Hinweis darauf, dass es
mehr gibt als diese sichtbare Welt. Wörtlich übersetzt sind
sie Boten. Sie sind eine Art Mittler. Sie sind Grenzgänger zwischen
dieser und der anderen Welt. Sie bringen Botschaften, die wir uns
nicht selbst sagen können, Botschaften aus einer höheren
Warte.
Eine Botschaft für die, die mehr von Gott erfahren wollen
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus,
der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet
finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
Vielleicht sind die offener für die Botschaft von der Nähe
Gottes, die bereit sind, ihre Vorstellungen über Gott ein wenig
auf den Kopf stellen zu lassen. Gott als Kind: schwach, hilflos, den
Menschen ausgeliefert. Für philosophische Ohren zur Zeit des
Evangelisten Lukas ein großer Unfug und Unsinn.
Der neue König in der Stadt Davids, auf deutsch in dem Kaff Bethlehem
geboren? Natürlich werden die drei Weisen kurz darauf erst einmal
in Jerusalem im Palast vorbeischauen. Aber sie lassen sich ent-täuschen
im eigentlichen Sinn dieses Wortes: Sie haben sich getäuscht,
als sie ganz selbstverständlich davon ausgegangen sind, der Retter
müsse mit Pomp und Pracht im Königshaus geboren werden.
Sie lernen, dass die Nähe Gottes nicht großmächtig
und nicht spektakulär zu erfahren ist. Wer Gottes Nähe erleben
will, muss sich runterbeugen können.
Und auch heute noch wäre manchem ein Gott lieber und einsichtiger,
der endlich einmal mit Macht dreinschlägt, der den Finanzjongleuren
ihre Gier spektakulär heimzahlt, der großspurige Politiker
klein macht, einen afrikanischen Diktator vom Thron stößt,
und mit einem Schlag den Hunger auf der Welt beseitigt.
Dass Gott so äußerlich schwach, so machtlos daherkommt
an Weihnachten, das macht sich auf Bildern und Krippendarstellungen
recht lieblich und idyllisch, aber es ist und bleibt eine Anfechtung.
Dass Gott nicht auftrumpfen will an Weihnachten, dass er klein und
scheinbar hilflos und machtlos auftritt, das müssen wir alle
Jahre wieder neu durchdenken und zu verstehen versuchen.
Eine Botschaft für die, die bereit sind, neue Wege zu
gehen
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die
Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte
sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und
sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind
in der Krippe liegen.
Vielleicht sind die offener für die Botschaft von der Nähe
Gottes, die bereit sind, in ihrem Leben einmal etwas auszuprobieren,
aufzubrechen, einen neuen Weg zu gehen.
Die Hirten hätten die Achseln zucken können: Gott ein Mensch?
Der Retter der Welt in einem Stall? Wie soll jemand, der noch schwächer
ist als wir, unser Heiland sein? Wie soll der helfen können?
Nein, sie machen sich auf den Weg. Sie gehen … und finden. Wer
nicht geht, wer innerlich zu Hause bleibt, wer nicht sucht, wer nicht
bereit ist, sich überraschen zu lassen … wie will der finden?
Und so gehört beides zusammen: Im Gottesdienst mit den Hirten
symbolisch zur Krippe gehen, aber auch im Leben neue Schritte zu Gott
hin machen.
Eine Botschaft für die, die bereit sind, mit dem Herzen
zu sehen
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was
ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte
und bewegte sie in ihrem Herzen.
Vielleicht sind die offener für die Botschaft von der Nähe
Gottes, die mit sich selber Geduld haben bei Fragen des Glaubens:
Da ist halt manches ganz einfach un-glaublich, schwer zu glauben,
schwer zu begreifen, verwunderlich. Damals schon wundern sich viele,
hören wir. Und auch Maria begreift nicht gleich. Aber sie ist
bereit, sich damit auseinanderzusetzen. Sie bewegt es in ihrem Herzen.
Sie lässt es ganz nah an sich rankommen. Sie beschäftigt
sich nicht nur mit dem Kopf damit, sondern mit dem Herzen. Sie geht
längere Zeit damit schwanger. Mit einem modernen Wort: Sie meditiert
es. Sie lässt es gären. Sie hat Geduld. Es gibt beim Glauben
nicht immer die schnellen Ergebnisse.
Die Weihnachtsbotschaft als die Botschaft von der Nähe Gottes
will offenbar weniger mit dem Kopf als mit dem Herzen, weniger mit
der Vernunft als mit dem Gefühl begriffen und verstanden werden.
Weihnachten rührt unsere Sehnsüchte an, unsere Gefühle,
tiefe und verborgene Schichten unserer Person, die im Alltag oft zu
kurz kommen. Lassen wir es zu! Öffnen wir uns doch!
Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen? Hier
ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen. Gehet hinein, eins mit
dem Kinde zu sein, die ihr zum Vater wollt gehen.
Amen |
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