Wer
lässt sich schon gerne etwas schenken?
Es war bei einem
Besuch zum Geburtstag. Der Name tut nichts zur Sache. Das Ganze
hätte sich auch woanders zutragen können: Nach dem 34.
Telefonanruf durfte ich das Blatt sehen, auf dem fein säuberlich
notiert war, wer alles im Laufe des Vormittags schon telefonisch
gratuliert hatte. Schön, wenn man nicht vergessen wird! Aber
notiert wurden die Anrufe auch, weil man ja seinerseits dann auch
zum Geburtstag dort anrufen muss und niemanden vergessen darf. –
Leistung und Gegenleistung. Es ist gar nicht so leicht, sich einfach
etwas schenken zu lassen!
Oder
kennen Sie das: Sie helfen jemand mit einer Kleinigkeit aus. Ganz
spontan. Ganz selbstverständlich. Von Herzen. Sie haben es
schon wieder vergessen. Und dann steht der Mensch ein paar Tage
später vor der Tür mit einem Riesengeschenk, um sich zu
revanchieren. Am liebsten möchte man es gar nicht annehmen.
Es ist ja eigentlich viel zu viel im Vergleich zu der Kleinigkeit,
die man selber getan hat.
Es ist gar nicht so leicht, sich einfach von Herzen etwas schenken
zu lassen. Gleich sinnen wir auf eine Gegenleistung. Und mancher
seufzt
im Stillen: Schenk' mir lieber nichts, dann bin ich auch zu nichts
verpflichtet.
Rechtfertigung: Sich von Gott etwas schenken lassen
So schwer es ist, sich von Menschen etwas schenken zu lassen, einfach
so, mit offenem Herzen, wie ein Kind – so schwer ist es auch,
sich von Gott etwas schenken zu lassen. Ja, vielleicht noch unendlich
schwerer, denn wie wollte man sich denn bei seinem Schöpfer
revanchieren?
Doch genau das betont der Apostel Paulus als Grund unseres Glaubens:
Gott schenkt es uns, dass wir mit ihm im Reinen sind. Wir können
es uns nicht verdienen. Das ist das Geheimnis dessen, was die Theologen
"Rechtfertigung" nennen. Gott schenkt es uns. Und das
einzige, was wir dazu tun müssen, ist ja und danke sagen dazu,
und glauben, dass er es gut meint. Das ist Glauben: Es sich einfach
gefallen lassen und sich von Herzen etwas schenken lassen.
Nicht deswegen ist, so vermute ich, der Glaube für viele so
schwer, weil man besondere Leistungen an guten Taten und tätiger
Liebe bringen müsste. Nein, deswegen ist Glaube so schwer,
weil man sich als Mensch so schwer etwas schenken lässt. So
auf die Art: So einfach soll das mit dem Glauben sein? Einfach ja
sagen? Das kann doch nicht sein. Im Leben wird mir ja auch nichts
geschenkt.
Und doch kann man diese Verse des Apostels Paulus aus dem Brief
an die Gemeinde in Rom nur so verstehen:
1 Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben
wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; 2 durch
ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der
wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen
Herrlichkeit, die Gott geben wird. 3 Nicht allein aber das, sondern
wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen,
dass Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber Bewährung,
Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber lässt nicht zuschanden
werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch
den heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Es ist Frieden
1 Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben
wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.
Wir sind gerecht geworden. Wir haben Frieden. "Basta",
möchte man sagen. "Punktum. Kein Aber. Keine Diskussion."
Lass es dir ganz einfach gefallen. Sonst brauchst du gar nicht weiterlesen.
Es ist Frieden. Auch wenn in uns vielleicht gar kein Frieden ist,
sondern Zweifel, Fragen, Protest, innere Unruhe. Es ist Frieden
von Gott her. Das Verhältnis zwischen Gott und uns ist in Ordnung
gebracht, auch wenn das vielleicht in uns selber noch gar nicht
Wirklichkeit geworden ist.
Es ist Frieden. Nicht weil wir so friedfertig wären, sondern
weil Jesus durch seine konsequente Lebenshingabe und durch sein
Sterben Frieden gemacht hat.
Die Tür steht offen
2 Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade,
in der wir stehen.
Das ist die erste Konsequenz: Weil also nun Frieden ist, Frieden
zwischen Gott und mir, weil durch Jesus die Barrieren niedergerissen
sind, weil die Brücke geschlagen ist, haben wir nun auch einen
direkten Zugang zu Gott: Er ist nicht wie eine Art himmlischer Generaldirektor,
an den man erst herankommt, wenn man die Hürde einer ganzen
Reihe von Sekretärinnen und Vorzimmerdamen überwunden
hat. Die Tür steht offen und bleibt offen. Gehen aber müssen
wir selber.
Einmal Frieden, immer Frieden
Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit,
die Gott geben wird.
Das ist die zweite Konsequenz: Einmal Frieden, immer Frieden. Nicht
nur jetzt im Moment ist alles in Ordnung von Gott her. Für
das ganze Leben ist alles in Ordnung. Die zukünftige Herrlichkeit:
Wir können sie zwar noch nicht mit Händen greifen. Aber
sie ist da. Sie liegt sozusagen postlagernd zum Abholen bereit,
wenn es denn soweit ist.
Geistlicher Masochismus?
3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der
Bedrängnisse,
weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber
Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber lässt
nicht zuschanden werden.
Bedrängnisse - Geduld - Bewährung - Hoffnung. Wie hängen
diese vier zusammen? Wie gehen sie auseinander hervor?
"Wir" sagt der Apostel Paulus und meint zuallererst einmal
sich selbst. Er weiß es und hat es am eigenen Leib erlebt:
Alles ist in Ordnung. Es ist Frieden. Mit Gott ist alles klar. Und
weil er genau das weiß, sieht er die
Schattenseiten seines Lebens in einem anderen Licht.
Dass er Frieden mit Gott hat, lässt sich ja nicht vordergründig
an einem sorgenfreien Leben ablesen. Und auch umgekehrt: Wenn jemand
alles
hat inklusive Geld und Gesundheit, muss er noch lange nicht Frieden
im Herzen und mit Gott haben. Es gibt, so übersetzt Martin
Luther, "Bedrängnisse" trotz dieses Friedens mit
Gott. Bedrängnisse. Wir würden vielleicht sagen: Anfechtungen,
Krisen, Herausforderungen, Rückschläge.
Wie kann sich aber nun ein Mensch seiner Bedrängnisse rühmen?
Sie als gegeben annehmen, ja, aber rühmen? Ist das nicht ein
Fall für den
Psychiater? Vielleicht liegt darin der Schlüssel:
In Krisen reifen
"Wir rühmen uns", sagt Paulus, und meint erst einmal
sich selbst, wie er in allen seinen Anfechtungen und Schwächen
nur umso mehr die Kraft Gottes gespürt hat. Es ist ein einladendes,
kein vereinnahmendes "wir": Überlege, ob du ähnliches
erlebt hast, dass Herausforderungen, Anfechtungen und Krisen dich
im Nachhinein gesehen geprägt, gestärkt und reifer gemacht
haben.
Oder auch so: Wer weiß, dass Gott es gut mit ihm meint, lernt
neu zu fragen: Er fragt nicht mehr nur: Warum? Warum muss gerade
mir das
passieren? Sondern der fragt auch: Wozu? Wozu könnte es gut
sein, dass mir das oder jenes begegnet?
Geduld lernen
Und dann, so Paulus weiter, kann eines aus dem anderen hervorgehen:
Geduld – Bewährung – Hoffnung.
Bedrängnisse lehren einen Geduld. Wer ohne Bedrängnisse
lebt – wenn es das überhaupt gibt – wird ungeduldig,
kann nicht mehr warten, wird übermütig, wird fordernd,
wird undankbar, will immer mehr und hat am Ende die Überzeugung,
alles stehe ihm wie selbstverständlich zu.
Geduld aber kann warten. Geduld fordert nicht. Geduld lässt
für das Kleine dankbar werden.
Sich bewähren
Und Geduld ihrerseits nun führt zu Bewährung: Was ist
Bewährung? Im täglichen leben bewährt sich, wer seine
Sache gut kann. Ein Handwerker, ein Beamter bewährt sich, wenn
er durch Üben und Fortbilden seine Sache gut und immer besser
macht. Ein Christ bewährt sich in seiner Lebensführung,
indem er über Bedrängnisse, also über Herausforderungen,
Rückschläge und Krisen nicht jammert und sich schmollend
ins Schneckenhaus zurückzieht, sondern sie als Anstoß
zum Reifen annehmen kann.
Hoffnung finden
Und wiederum: Solches Reifen, solche Bewährung erzeugt Hoffnung.
Also: Wer einmal und dann öfter erlebt, dass man aus Herausforderungen
geändert hervorgehen kann, bei dem wächst auch die Hoffnung,
dass das auch bei noch kommenden unbekannten Herausforderungen so
sein kann und wird. Wer erkannt hat, dass in Herausforderungen,
in Krisen eine Chance verborgen liegen kann, der fürchtet sich
vor solchen Knüppeln zwischen den Lebensbeinen nicht. Er sucht
sie natürlich auch nicht. Das wäre geistlicher Masochismus.
Aber er kann sie geduldig auf sich zukommen lassen.
Bedrängnisse - Geduld - Bewährung - Hoffnung. Nachdem
Paulus diesen inneren Zusammenhang aufgezeigt hat, kommt er in seinem
schriftgelehrten Gedankengang wieder auf den Anfang zurück.
Was er am Anfang sagte: Wir haben Frieden mit Gott, das sagt er
nun, wie eine Klammer um das Ganze, noch einmal mit anderen Worten:
Taufe und Abendmahl als Siegel des Friedens
Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen
Geist, der uns gegeben ist.
Hinter diesem Bild vom Ausgießen der Liebe steht vermutlich
die Erinnerung an die Taufe. Die Taufe, ein für allemal geschehen,
nicht mehr rückgängig zu machen. Darauf kann Paulus die
ihm unbekannten Leser und Hörer seines Briefes in Rom ansprechen.
Die Taufe, sie ist das äußere Zeichen für das, was
er hier geduldig und hartnäckig betont: Es ist Frieden. Frieden
zwischen Gott und mir.
Die Taufe schafft Frieden. Das Abendmahl aber erinnert immer neu
daran. Es lädt ein, in die ausgestreckte Hand Gottes einzuschlagen.
Feiern Sie heute das Abendmahl als Erinnerung und Bestärkung
der Botschaft, dass Gott Frieden gemacht hat. Und dieser Frieden,
wenn Sie nur bereit sind, ihn sich schenken zu lassen, wird Sie
verändern.
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