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Die Predigt vom 15. März 1998 : »Liebe ist: Grenzen respektieren«


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Kirchenjahr

  Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Sonntag der Passionszeit mit dem lateinischen Namen "Okuli" ("Meine Augen sehen stets auf den Herrn"). Epistellesung und Predigttext kamen aus dem Brief an die Epheser Kapitel 5, Verse 1-8a:

Predigttext

  1 So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder 2 und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. 4 Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. 5 Denn das sollt ihr wissen, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. 6 Laßt euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. 7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts.

Predigt

  Lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.
Kommt Ihnen dieser Vers aus dem heutigen Predigttext bekannt vor? Es ist die Jahreslosung dieses Jahres 1998. Ich habe sie am Neujahrstag ausgelegt. Weil da naturgemäß nicht allzu viele Gemeindeglieder hier gewesen sind, hier noch einmal zwei Gedanken aus der damaligen
Predigt:
Eigentlich müßte man den Vers umdrehen: Christus hat uns geliebt. Also lebt in der Liebe. Den ersten Schritt hat Gott getan, und erst dann wartet er auf unseren. Er tut damit etwas, was wir uns ja auch unter Menschen erhoffen: Er geht uns mit gutem Beispiel voran. Deswegen beginnt der Abschnitt mit der Einladung: So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder.
Und die zweite Erinnerung an die damalige Predigt: "Lebt in der Liebe." Ist das nicht ein schönes Bild? Als Christ in der Liebe leben, wie ein Fisch im Wasser, wie ein Vogel in der Luft, wie eine Laus im Pelz. Die Liebe könnte das Element sein, das uns hält und trägt. Leben wir in unserem Element? Und wie tun wir das?

Wie könnte ein Leben nach dieser Jahreslosung "Lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat." in der Praxis aussehen? Was könnte es praktisch heißen, in der Liebe zu leben, anderen mit Liebe zu begegnen? Ich lese diese Worte aus dem Epheserbrief als eine Art Ausle- gung dazu.

Als erstes lese ich: Liebe bedeutet Hingabe. Liebe kann hergeben und loslassen. Liebe opfert sich im Zweifelsfall sogar auf. Mit der Begründung: Christus hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer.
Liebe ist also das Gegenteil von Egoismus, der mit sich selber zufrieden ist und niemand anderen braucht. Liebe gibt. Das Symbol der Liebe ist die Hand, die sich anderen entgegenstreckt, und nicht die Hand, die sich hinter den Rücken zurückzieht. Das Symbol der Liebe ist die offene, gebende Hand und nicht die geschlossene oder zur Faust geballte. Doch Liebe gibt nicht nur etwas. Liebe gibt sich auch selber. Liebe gibt sich hin. Liebe verschenkt sich an jemand anders. Das gilt so am deutlichsten in der ehelichen Liebe. Hoffentlich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig.
Lebt in der Liebe. Lebt die Liebe. Setzt sie in die Tat um. Der Schreiber des Briefes verdeutlicht das weiterhin, indem er drei der uns bekannten Zehn Gebote auslegt: Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit soll bei euch nicht einmal die Rede sein. Das sollt ihr wissen, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
Harte Worte. Aber letztlich nicht härter als ihr alttestamentliches Original: "Du sollst nicht ehebrechen." Liebe, gelebte Liebe ist, dem eigenen Ehepartner nicht untreu zu werden und auch die Ehe eines anderen Menschen zu respektieren und nicht in sie einzubrechen.
Unzucht. Im Neuen Testament steht dafür das griechische Wort "porneia", das wir als die erste Hälfte des Wortes Pornographie kennen. Was ist Unzucht, was ist Porno auf deutsch? Unzucht ist, wenn jemand mit dem Gottesgeschenk der Sexualität lieblos und unmenschlich umgeht. Dazu zählt die Untreue, ob nun innerhalb einer rechtlich geschlossenen Ehe oder auch außerhalb. Dazu zählt, wenn jemand sexuell zu einer Sache oder einem Objekt erniedrigt wird. Dazu zählt, wenn ein Nein nicht akzeptiert, sondern als eine angebliche heimliche Aufforderung mißverstanden wird.
Warum ist nun jemand, wie es hier steht, in einem solchen Fall ein Götzendiener? Vielleicht, weil ihm sein Sexualtrieb zum Götzen geworden ist, weil er sich zügellos von ihm bestimmen und treiben läßt. "Alles, woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott." sagt Martin Luther in einer Auslegung des 1. Gebotes. Mit dem 6. Gebot wird auch das 1. Gebot ver- letzt. Indem jemand die Grenze der sexuellen Selbstbestimmung überschreitet, will er den anderen zu seinem Besitz machen, den anderen, der doch nie sein Besitz sein kann, weil er allein Gott, seinem Schöpfer gehört.

Und dann das nächste: Von Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein.
Das siebte Gebot: "Du sollst nicht stehlen." Also: Liebe, gelebte Liebe ist, das Eigentum deines Mitmenschen zu achten, dich zufrieden zu geben mit dem, was du dir ehrlich erworben hast. Habsucht. Vielen ist gar nicht mehr bewußt, daß darin das Wort Sucht steckt. Wir reden von Alkoholsucht, von Drogensucht, von Medikamentensucht, von Spielautomatensucht, von Eßsucht. Wir reden von Sucht, wenn jemand bei seinen Gewohnheiten nicht mehr sein eigener Herr ist, wenn jemand keine Grenzen mehr kennt, wenn jemand das Aufhören und die Dosierung nicht mehr selber steuern kann. Und so kann auch das Haben zur Sucht werden: zum Habenwollen, zum Immer-mehr- haben-wollen, das keine Grenzen und damit auch keine Zufriedenheit mehr kennt.

Und nun noch ein drittes Gebot: Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung.
Dahinter verbirgt sich ein recht verstandenes 8. Gebot: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." Damit ist ja nicht nur die falsche Zeugenaussage vor Gericht gemeint. Nicht nur die bewußte Unwahrheit in gesprochener, geschriebener oder in den Medien gezeigter Form. Nein, es geht um die vielfältigen Möglichkeiten, wie unsere Zunge, unsere Worte Schaden anrichten können. Liebe, im Alltag gelebte Liebe ist, sich der Macht der eigenen Worte bewußt zu werden.
Schändliche, närrische oder lose Reden, wie es hier heißt, sind im allgemeinen Reden, wo einer sich auf Kosten anderer hervortun will: Reden über andere Menschen, die nicht da sind und sich nicht verteidigen können. Weitergeben von Gerüchten, deren Wahrheit wir nicht überprüft haben. Zoten über das andere Geschlecht, die man in Gegenwart des eigenen Partners normalerweise nicht in den Mund nehmen würde. Parolen oder Witze über Menschen anderer Nationalitätande- rer Hautfarbe, anderer Religion oder Parteizugehörigkeit. Reden, durch die sich in den meisten Fällen jemand vor seinen Zuhörern groß tun will.
Und noch eine zweite Gefahr wird genannt: Die Gefahr, daß dauernd nur gejammert und nicht mehr gedankt wird. Vielleicht entdecken Sie es an sich selber. Vielleicht kennen Sie entsprechenden Menschen. Man kann nicht mit ihnen ins Gespräch kommen, ohne daß sie irgendwann zu jammern beginnen: Über die heutige Zeit allgemein. Über das, was ihnen fehlt. Über andere Menschen. Und dann fällt Ihnen, wenn Sie sich selbst dabei erwischen, vielleicht ein, wieviel Grund Sie auch zu Dankbarkeit haben. Oder Sie denken sich, wenn es um einen anderen Menschen geht: Kann der den dies oder jenes gar nicht mehr se hen? Weiß der nicht, wie gut es ihm eigentlich geht?

Als Zusammenfassung dieser drei Gebote: Liebe, im Alltag gelebte Liebe ist also nach den Worten dieses Abschnitts letztlich, den Menschen als Mitgeschöpf anzusehen, seine Grenzen zu respektieren und sie nicht zu überschreiten: Die Grenzen seiner Sexualität, die Grenzen seines Eigentums, die Grenzen der Wahrheit und seines guten Rufes.
Das Gegenteil eines solchen Lebens, das das Licht nicht zu scheuen braucht, ist das unselbständige Leben als Mitläufer, heißt es hier:
Laßt euch von niemandem verführen mit leeren Worten. Seid nicht ihre Mitgenossen.
Kann man hier nicht ganz deutlich die heutige Zeit entdecken: Die vielen Versuchungen, denen vor allem Jugendliche ausgesetzt sind. Die vielen leeren Worte vor allem in den Medien, mit denen Menschen geködert werden sollen. Billige Versprechungen, mit denen man hinterlistig die Angel auswirft, nicht um die Menschen zu füt- tern, sondern um sie zu fangen. "Laßt euch von niemandem verführen mit leeren Worten." Laßt euch nicht einfangen. Laßt euch nicht einlullen. Laßt euch nichts vormachen. Es geht ihnen nicht um euer Wohl, sondern um ihren eigenen Geldbeutel.
Und damit schließt das Ganze: Wer so lebt oder zu leben versucht, der lebt als Kind des Lichts. Also: Der braucht nichts zu verbergen. Der braucht sich nicht zu verstecken. Der kann sich sehen lassen. Der gibt anderen ein leuchtendes Beispiel. Der macht es bei ihnen vielleicht auch ein wenig heller. Und das hat die Welt um uns herum bitter nötig. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de