Das
Kreuz ist ein Skandal
Erinnern sie sich noch an den sog. Kruzifix-Streit vor einigen Jahren?
Da wollten Eltern per Gerichtsbeschluss das Kreuz aus Klassenzimmern
verbannen und ein Verbohrter hat es damals sogar mit Gewalt getan.
Einige führten z.B. als Argument an, ihrem heranwachsenden
Kind sei der Anblick eines leidenden Menschen für seine geistig-seelische
Entwicklung schädlich. Viele Christen, auch wenn ihnen das
Kreuz vielleicht nicht mehr viel bedeutet hat, sind damals sehr
schnell und sehr laut dagegen auf die Barrikaden gegangen. Viele
haben dabei übersehen, dass in einer solchen Anfrage auch ein
Funken Wahrheit steckt: Wer sich an den Anblick des Kreuzes so gewöhnt
hat, dass es wie ein Schmuckstück einfach so überall hängt,
der übersieht, was es doch eigentlich früher für
eine Provokation gewesen ist und auch jetzt noch sein müsste.
Das Kreuz ist und bleibt, wenn man nachzudenken beginnt, ein Stein,
über den man immer wieder neu stolpert und sich schmerzhaft
anstößt. Das Kreuz, es ist ein Skandal. Griechisch "skandalon",
Stolperstein. Luther
übersetzt "Ärgernis". Aus der Epistellesung:
Den
Juden ein Ärgernis ...
Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.
Warum war den Juden seiner Zeit und auch heute noch der Gekreuzigte
ein Ärgernis? Es liegt erst einmal an einer Bibelstelle aus
dem Alten Testament, wo es im 5. Buch Mose heißt, ein am Holz
Aufgehängter sei bei Gott verflucht. (5. Mose 21,23; auch Gal
3,13) Zudem war die Kreuzigung die schändlichste und entwürdigendste
Todesart, die die Römer als Besatzer damals auf Lager hatten.
"Wir
aber predigen den gekreuzigten Christus." Also: Paulus predigt
den Juden seiner Zeit einen Gekreuzigten, einen Verfluchten, einen
Toten als
den Messias, als den Retter. Einer der Stimmen damals unter dem
Kreuz sagt alles Notwendige dazu:
Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist
er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab.
Dann wollen wir an ihn glauben. (Matthäus 27,42)
Deswegen sagt Paulus hier auch: 22 Denn die Juden fordern Zeichen,
und die Griechen fragen nach Weisheit.
Die Juden fordern Zeichen. Sie möchten einen Beweis, dass sie
glauben können. Wenn einer der Messias sein will – und
das wollten in der
Generation Jesu und nach ihm viele sein – dann muss er sich
ausweisen. Dann muss er Gerechtigkeit schaffen, gesellschaftliche
und politische. Dann darf er nicht nur Wahlreden halten, sondern
er muss etwas tun. Und so können auch heute noch die Juden
– aus ihrer Sicht zu Recht – Jesus nicht als den versprochenen
Retter anerkennen. Denn was hat sich nach dem äußeren
Augenschein denn schon geändert, seit er da war? Wo ist denn
die versprochene Gerechtigkeit?
... den Griechen eine Torheit
Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.
Den griechisch Gebildeten zur Zeit des Paulus war der Gekreuzigte
eine Torheit, ein Unfug, ein gedanklicher Unsinn, ein Paradox: Wie
kann einer Gott sein oder von Gott gesandt, wenn er leiden muss,
wenn er sterben muss, wenn er so menschlich und unvollkommen ist?
Das geht logisch im Kopf nicht zusammen.
22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach
Weisheit.
Einen weisheitlichen, einen logischen Glauben forderte man. Ein
klares, ein
einleuchtendes Gedankengebäude. Und v.a. eine Erlösung
auf geistigem Weg, nicht wie bei Jesus, wo das Körperliche
so im Mittelpunkt steht, wo
in Leib und Blut Segen und Erlösung liegen.
Der Jude und der Grieche in uns selbst
Vielleicht haben Sie es inzwischen auch schon gespürt: Die
Einwände der Juden und Griechen damals gegen das Kreuz, gegen
den gekreuzigten Retter, das Kreuz als ein Skandal und ein Paradox,
das sind auch moderne Fragen, da sind immer wieder auch unsere Fragen:
Der Jude, der nach Zeichen fragt, und der Grieche, der logisch verstehen
will, sie stecken auch in uns.
Der Jude in uns fragt nach Zeichen. Unser Herz, unser Gerechtigkeitsempfinden
fragt: Wo ist Gott? Warum zeigt er sich nicht? Warum steigt er nicht
von seinem Himmel herunter und schlägt drein bei diesem oder
jenem himmelschreienden Unrecht? Warum gibt er kein
Zeichen seiner Macht und Existenz?
Der
Grieche in uns, unser Verstand und unsere Logik fragen: Wie kann
der Tote am Kreuz Nachgeben Politik machen? Wie kann es sein, dass
in diesem Gekreuzigten Gott selber zu den Menschen herabgestiegen
ist? War der Himmel leer, als Jesus am Kreuz hing? Wie kann Gott,
der Herr der Welt und der Geschichte, Gefühle zeigen und sich
z.B. durch Gebete beeinflussen lassen?
Die Erfahrung muss am Anfang stehen
Wir
aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.
Trotz aller dieser gefühlsmäßigen und verstandesmäßigen
Hindernisse wird Paulus nicht müde, den gekreuzigten Retter
zu predigen. Und wenn es noch so unsinnig klingt, es muss weitergesagt
werden. Doch wie kann es gehört werden? Wie kann man mit Anstößigem
und Unvernünftigem offene Ohren finden?
Denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir
Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Wie und wann können der Jude und Grieche in uns diese Botschaft
vernehmen? Wie kann die Predigt vom Sieg der Schwachheit unser Herz,
wie kann sie unseren Verstand erreichten? Indem wir, so sagt Paulus,
von Gott berufen sind, indem wir also von Gott angerufen werden,
indem wir etwas erleben. Erst wer mit Gott etwas erlebt, beginnt
zu fragen und will mehr wissen. Ansonsten geht diese Predigt zum
einen Ohr hinein und zum
anderen wieder hinaus.
Wenn das Leben auf den Kopf gestellt wird
Paulus selber ist das Paradebeispiel dafür: Auch er war Jude
und Grieche zugleich. Auch er nahm als Jude Anstoß an dem
gekreuzigten Messias
und verfolgte anfangs ihn und seine Anhänger bis aufs Blut.
Auch ihm als dem griechisch Gebildeten und logisch Denkenden wollte
die paradoxe Botschaft nicht ins Hirn, dass im Tod das Leben verborgen
liegt, ja, dass der ewige und mächtige Gott sich in einem schwachen
Menschen zu den Menschen begeben könnte.
Und dann hatte er vor Damaskus jenes Erlebnis, von dem wir nicht
genau wissen, wie es war. Von einem hellen Licht redet er. Von einer
Himmelsstimme. Davon, dass der, den er verfolgt, ihn anspricht und
in seinen Dienst ruft. Dass er ihn mit seiner körperlichen
Schwachheit und Krankheit und mit seiner eher dürftigen Redegabe
brauchen kann und will.
Indem Paulus als Schwacher und Kranker gebraucht wird, indem seine
so anstößige und unlogische Botschaft einen überwältigenden
Erfolg hat, entdeckt er das Geheimnis des Kreuzes: dass in der Schwäche
Stärke liegen kann, dass im Tod das Leben verborgen liegt,
dass der, der ganz offenbar der Verlierer am Kreuz war, sich wirklich
als der Herr erweist. Sein Verstand hat ihm das nicht gesagt, sondern
allein die Erfahrung, die er mit diesem Gott macht.
Erfahrungen machen
Uns so kann vermutlich auch der Grieche ins uns, unser fragendes
Hirn, und der Jude ins uns, unser nach Gerechtigkeit schreiendes
Herz, nur dann von dieser Predigt vom Kreuz angerührt werden,
wenn auch wir etwas erfahren:
Die Erfahrung, dass der angefochtene und schwache Christus am Kreuz
etwas mit unseren Anfechtungen zu tun hat.
Die Erfahrung, dass dieser angeblich Hilflose helfen kann.
Die Erfahrung, dass Beten hilft, und nicht leeres Gerede bleibt
oder Zeichen von Schwäche ist.
Die Erfahrung, dass mit Herausforderungen und Lasten auf einmal
auch alle nötige Kraft geschenkt wird, die man vorher nicht
hatte.
Die Erfahrung, dass durch Handauflegung, Segnung oder Salbung auf
einmal Kraft und Ruhe auf einen schwachen und angefochtenen Menschen
kommen können.
Die Erfahrung, dass durch das Lesen in der Bibel oder das Hören
einer Predigt auf einmal Klarheit entsteht über den weiteren
Lebensweg oder zumindest den nächsten Schritt.
Leben aus und mit dem Kreuz
Wer solches erlebt hat, der kann dann auch das Kreuz anders sehen
und begreifen, dass in ihm eine Kraft verborgen liegt:
dass es nicht ein Zeichen des Todes, sondern des Lebens ist,
dass der Gekreuzigte nicht der Verlierer, sondern der Sieger ist,
und dass Gott durch das Kreuz hindurch trägt.
Oder, wie es Paulus als Fazit sagt: 25 Denn die Torheit Gottes
ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist
stärker, als die Menschen sind.
Und dann entsteht zu guter Letzt vielleicht auch der Mut und die
Kraft zu einem Handeln, das vom Kreuz geprägt ist. Dann kann
jemand der Weisheit der Welt die Weisheit Gottes entgegensetzen:
Gegen die Weisheit dieser Welt, dass der Stärkere, der Frechere
und der Lautere der Sieger sei, deutlich machen, dass im Helfen,
im Nachgeben, im Verzichten und in der Stille der eigentliche Segen
verborgen liegt.
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