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predigt[e].de

Die Predigt vom 11. Juli 2004 (5. Sonntag nach Trinitatis):
»Das Kreuz: Stolperstein und Skandal«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 5. Sonntag nach Triniatis. Sein Thema ist die unverdiente Gnade. Evangelium dieses Sonntags ist der Fischzug des Petrus. Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus dem 1. Brief an die Korinther Kapitel 1:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

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Die Predigt

Das Kreuz ist ein Skandal

Erinnern sie sich noch an den sog. Kruzifix-Streit vor einigen Jahren? Da wollten Eltern per Gerichtsbeschluss das Kreuz aus Klassenzimmern verbannen und ein Verbohrter hat es damals sogar mit Gewalt getan. Einige führten z.B. als Argument an, ihrem heranwachsenden Kind sei der Anblick eines leidenden Menschen für seine geistig-seelische Entwicklung schädlich. Viele Christen, auch wenn ihnen das Kreuz vielleicht nicht mehr viel bedeutet hat, sind damals sehr schnell und sehr laut dagegen auf die Barrikaden gegangen. Viele haben dabei übersehen, dass in einer solchen Anfrage auch ein Funken Wahrheit steckt: Wer sich an den Anblick des Kreuzes so gewöhnt hat, dass es wie ein Schmuckstück einfach so überall hängt, der übersieht, was es doch eigentlich früher für eine Provokation gewesen ist und auch jetzt noch sein müsste.
Das Kreuz ist und bleibt, wenn man nachzudenken beginnt, ein Stein, über den man immer wieder neu stolpert und sich schmerzhaft anstößt. Das Kreuz, es ist ein Skandal. Griechisch "skandalon", Stolperstein. Luther
übersetzt "Ärgernis". Aus der Epistellesung:

Den Juden ein Ärgernis ...

Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.

Warum war den Juden seiner Zeit und auch heute noch der Gekreuzigte ein Ärgernis? Es liegt erst einmal an einer Bibelstelle aus dem Alten Testament, wo es im 5. Buch Mose heißt, ein am Holz Aufgehängter sei bei Gott verflucht. (5. Mose 21,23; auch Gal 3,13) Zudem war die Kreuzigung die schändlichste und entwürdigendste Todesart, die die Römer als Besatzer damals auf Lager hatten.

"Wir aber predigen den gekreuzigten Christus." Also: Paulus predigt den Juden seiner Zeit einen Gekreuzigten, einen Verfluchten, einen Toten als
den Messias, als den Retter. Einer der Stimmen damals unter dem Kreuz sagt alles Notwendige dazu:
Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. (Matthäus 27,42)

Deswegen sagt Paulus hier auch: 22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit.
Die Juden fordern Zeichen. Sie möchten einen Beweis, dass sie glauben können. Wenn einer der Messias sein will – und das wollten in der
Generation Jesu und nach ihm viele sein – dann muss er sich ausweisen. Dann muss er Gerechtigkeit schaffen, gesellschaftliche und politische. Dann darf er nicht nur Wahlreden halten, sondern er muss etwas tun. Und so können auch heute noch die Juden – aus ihrer Sicht zu Recht – Jesus nicht als den versprochenen Retter anerkennen. Denn was hat sich nach dem äußeren Augenschein denn schon geändert, seit er da war? Wo ist denn die versprochene Gerechtigkeit?

... den Griechen eine Torheit

Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.

Den griechisch Gebildeten zur Zeit des Paulus war der Gekreuzigte eine Torheit, ein Unfug, ein gedanklicher Unsinn, ein Paradox: Wie kann einer Gott sein oder von Gott gesandt, wenn er leiden muss, wenn er sterben muss, wenn er so menschlich und unvollkommen ist? Das geht logisch im Kopf nicht zusammen.

22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach
Weisheit.

Einen weisheitlichen, einen logischen Glauben forderte man. Ein klares, ein
einleuchtendes Gedankengebäude. Und v.a. eine Erlösung auf geistigem Weg, nicht wie bei Jesus, wo das Körperliche so im Mittelpunkt steht, wo
in Leib und Blut Segen und Erlösung liegen.

Der Jude und der Grieche in uns selbst

Vielleicht haben Sie es inzwischen auch schon gespürt: Die Einwände der Juden und Griechen damals gegen das Kreuz, gegen den gekreuzigten Retter, das Kreuz als ein Skandal und ein Paradox, das sind auch moderne Fragen, da sind immer wieder auch unsere Fragen: Der Jude, der nach Zeichen fragt, und der Grieche, der logisch verstehen will, sie stecken auch in uns.

Der Jude in uns fragt nach Zeichen. Unser Herz, unser Gerechtigkeitsempfinden fragt: Wo ist Gott? Warum zeigt er sich nicht? Warum steigt er nicht von seinem Himmel herunter und schlägt drein bei diesem oder jenem himmelschreienden Unrecht? Warum gibt er kein
Zeichen seiner Macht und Existenz?

Der Grieche in uns, unser Verstand und unsere Logik fragen: Wie kann der Tote am Kreuz Nachgeben Politik machen? Wie kann es sein, dass
in diesem Gekreuzigten Gott selber zu den Menschen herabgestiegen ist? War der Himmel leer, als Jesus am Kreuz hing? Wie kann Gott, der Herr der Welt und der Geschichte, Gefühle zeigen und sich z.B. durch Gebete beeinflussen lassen?

Die Erfahrung muss am Anfang stehen

Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit.

Trotz aller dieser gefühlsmäßigen und verstandesmäßigen Hindernisse wird Paulus nicht müde, den gekreuzigten Retter zu predigen. Und wenn es noch so unsinnig klingt, es muss weitergesagt werden. Doch wie kann es gehört werden? Wie kann man mit Anstößigem und Unvernünftigem offene Ohren finden?

Denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Wie und wann können der Jude und Grieche in uns diese Botschaft vernehmen? Wie kann die Predigt vom Sieg der Schwachheit unser Herz, wie kann sie unseren Verstand erreichten? Indem wir, so sagt Paulus, von Gott berufen sind, indem wir also von Gott angerufen werden, indem wir etwas erleben. Erst wer mit Gott etwas erlebt, beginnt zu fragen und will mehr wissen. Ansonsten geht diese Predigt zum einen Ohr hinein und zum
anderen wieder hinaus.

Wenn das Leben auf den Kopf gestellt wird

Paulus selber ist das Paradebeispiel dafür: Auch er war Jude und Grieche zugleich. Auch er nahm als Jude Anstoß an dem gekreuzigten Messias
und verfolgte anfangs ihn und seine Anhänger bis aufs Blut. Auch ihm als dem griechisch Gebildeten und logisch Denkenden wollte die paradoxe Botschaft nicht ins Hirn, dass im Tod das Leben verborgen liegt, ja, dass der ewige und mächtige Gott sich in einem schwachen Menschen zu den Menschen begeben könnte.
Und dann hatte er vor Damaskus jenes Erlebnis, von dem wir nicht genau wissen, wie es war. Von einem hellen Licht redet er. Von einer Himmelsstimme. Davon, dass der, den er verfolgt, ihn anspricht und in seinen Dienst ruft. Dass er ihn mit seiner körperlichen Schwachheit und Krankheit und mit seiner eher dürftigen Redegabe brauchen kann und will.
Indem Paulus als Schwacher und Kranker gebraucht wird, indem seine so anstößige und unlogische Botschaft einen überwältigenden Erfolg hat, entdeckt er das Geheimnis des Kreuzes: dass in der Schwäche Stärke liegen kann, dass im Tod das Leben verborgen liegt, dass der, der ganz offenbar der Verlierer am Kreuz war, sich wirklich als der Herr erweist. Sein Verstand hat ihm das nicht gesagt, sondern allein die Erfahrung, die er mit diesem Gott macht.

Erfahrungen machen

Uns so kann vermutlich auch der Grieche ins uns, unser fragendes Hirn, und der Jude ins uns, unser nach Gerechtigkeit schreiendes Herz, nur dann von dieser Predigt vom Kreuz angerührt werden, wenn auch wir etwas erfahren:

Die Erfahrung, dass der angefochtene und schwache Christus am Kreuz etwas mit unseren Anfechtungen zu tun hat.
Die Erfahrung, dass dieser angeblich Hilflose helfen kann.
Die Erfahrung, dass Beten hilft, und nicht leeres Gerede bleibt oder Zeichen von Schwäche ist.
Die Erfahrung, dass mit Herausforderungen und Lasten auf einmal auch alle nötige Kraft geschenkt wird, die man vorher nicht hatte.
Die Erfahrung, dass durch Handauflegung, Segnung oder Salbung auf einmal Kraft und Ruhe auf einen schwachen und angefochtenen Menschen kommen können.
Die Erfahrung, dass durch das Lesen in der Bibel oder das Hören einer Predigt auf einmal Klarheit entsteht über den weiteren Lebensweg oder zumindest den nächsten Schritt.

Leben aus und mit dem Kreuz

Wer solches erlebt hat, der kann dann auch das Kreuz anders sehen und begreifen, dass in ihm eine Kraft verborgen liegt:
dass es nicht ein Zeichen des Todes, sondern des Lebens ist,
dass der Gekreuzigte nicht der Verlierer, sondern der Sieger ist, und dass Gott durch das Kreuz hindurch trägt.
Oder, wie es Paulus als Fazit sagt: 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Und dann entsteht zu guter Letzt vielleicht auch der Mut und die Kraft zu einem Handeln, das vom Kreuz geprägt ist. Dann kann jemand der Weisheit der Welt die Weisheit Gottes entgegensetzen: Gegen die Weisheit dieser Welt, dass der Stärkere, der Frechere und der Lautere der Sieger sei, deutlich machen, dass im Helfen, im Nachgeben, im Verzichten und in der Stille der eigentliche Segen verborgen liegt.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de