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predigt[e].de

Die Predigt vom 21. November 2004 (Ewigkeitssonntag):
»Sterben: wie Weihnachten?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Letzten Sonntag des Kirchenjahres, im kirchlichen Sprachgebrauch Ewigkeitssonntag genannt. Sein Thema ist die kommenden neue Welt Gottes. Evangelium dieses Sonntags ist das Gleichnis von den klugen und törichten Brautjungfern. Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes Kapitel 21:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!
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Die Predigt
Die Welt ist anders

Das ist ganz und gar nicht unsere heutige gegenwärtige Welt, die hier in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. "Der Tod wird nicht mehr sein." Wir haben eben erst gehört, wer unter uns in diesem vergangenen Jahr gestorben ist. Mitten im Leben stand oft der Tod. Manchmal unbarmherzig, manchmal auch barmherzig. "Kein Leid wird mehr sein." Und doch kennen wir das eigene und das in unserer Nachbarschaft. Alter, Krankheit, Sorgen. Seelisches oder körperliches Leid. Bekanntes und namenloses. "Kein Schmerz wird mehr sein." Und mancher liegt zu Hause oder im Krankenhaus, und nur die entsprechenden Medikamente können ihm für ein paar Stunden ein wenig Ruhe verschaffen.

Nein, es ist nicht unsere und es war auch nicht die damalige Welt, die der Seher Johannes im letzten Buch der Bibel geschaut hat und in Worte zu fassen versuchte. Johannes durfte Dinge sehen aus einer Welt und einer Zeit jenseits unserer Welt und Zeit. Er erhielt einen Einblick sozusagen in eine andere Dimension. Und auszudrücken, was er sah, dafür reichten die
Worte und Begriffe nicht, weil unsere menschliche Sprache ja nur für diese sichtbare Welt gemacht ist.

Es gibt sie, diese Welt ohne Leid und Tod. Sonst hätten wir Ihnen nur einen billigen Trost, eine Vertröstung, gesagt, als Sie diese Worte vielleicht am Grab oder in der Trauerhalle gehört haben. Es gibt sie, aber sie ist nicht sichtbar, nicht greifbar, nur glaubbar. Für unsere Verstorbenen Gegenwart, für uns andere Zukunft.

Nahtoderlebnisse: Blick in Gottes Welt?

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste
Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht
mehr.

Gottes neue Welt, nicht eine verbesserte alte, sondern eine Neuschöpfung Gottes. Aber wann? Dieser Frage müssen wir uns stellen. Sie kommt sichtbar, wenn Gott seine Herrschaft aufrichtet, und dem Bösen endgültig die Macht nimmt. Dass dann auch das Meer nicht mehr sein werde, kommt daher, dass es die damaligen als bedrohlich und feindlich erlebt haben. Eine neue Welt am Ende der Zeiten. Doch nichts hindert uns zu sagen: Wer durch das Tor des Todes hindurch diese Welt hier hinter sich lässt, wer ans Ende seiner persönlichen Zeit kommt, für den öffnet sich diese neue Welt schon.

Eine Welt, die für unsere Augen und für unser waches Bewusstsein normalerweise verborgen ist. Eine Welt, die aber wie der Seher Johannes
vielleicht manche Menschen schon haben sehen dürfen, wenn sie als Sterbenskranke, als frisch Operierte oder Klinisch Tote wieder ins Leben
zurückgeholt wurden und von dem hellen Licht dort und der unendlichen Zufriedenheit erzählten. Ein Zustand, den die meisten am liebsten nicht mehr verlassen hätte.
Von Nahtoderlebnissen spricht man. In der Sensationspresse manchmal fälschlich als Berichte vom Leben nach dem Tod, obwohl sie das doch nicht sind. Es sind Berichte vor und auf der Schwelle des Todes, wo jemand die Tür schon einen Spalt offen sah, ohne aber schon seinen Fuß über die Schwelle gesetzt zu haben. Wer über die Schwelle gegangen ist, der kommt nicht mehr zurück, der kann auch nichts mehr erzählen. Keine Berichte vom Leben nach dem Tod. Aber niemand kann einen hindern zu sagen: Wenn es schon auf der Schwelle so schön sein soll, wie muss es dann erst hinterher sein?

Gott wohnt in der Nachbarschaft

Eine neue Welt? Ja, ist "Welt" überhaupt das richtige Wort? Eher ein anderes Land so wie Nangilima bei Astrid Lindgren? Eine andere Dimension jenseits unserer drei Dimensionen? Eine andere Wirklichkeit gleichzeitig mit der unseren? Unsere Vernunft reicht nicht. Unsere Sprache reicht nicht. Auch Johannes hat nur stotternde Bilder. Die neue Welt wie eine geschmückte Braut, also: Gott und Mensch vereinen sich. Gott ist nicht mehr fern. Gott und Mensch leben in einem herzlichen Verhältnis wie es auf dieser Erde nur einer Ehe vergleichbar ist.

2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem
Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren
Mann.

Gott selbst macht sich auf den Weg herab zum Menschen. Nicht der Mensch muss sich zu ihm aufschwingen und hinaufkämpfen. Hinauf, herab – auch nicht mehr als ein Bild. Gottes Hütte bei den Menschen: Gott verlässt die Ferne seines Himmels, verlässt seinen Palast, kommt dem Menschen unmittelbar nahe, wohnt Seite an Seite mit ihm, sozusagen wie in der Nachbarschaft.

3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen
wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen,
wird ihr Gott sein.

Und deswegen, weil Gott so nahe ist, weil Schöpfer und Geschöpf wieder eins sind wie damals im Paradies: keine Tränen mehr, kein Tod mehr, kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz. Eigentlich wie Weihnachten. Sterben, für den Gehenden ein Gefühl wie Weihnachten? Kann man das sagen?

Der Seher Johannes und die Christenverfolgung

Und wir? Was ist mit den Zurückbleibenden, für diese Welt noch keine Realität ist? Schauen wir dazu einmal kurz in die damalige Zeit, in der die Worte entstanden: Johannes schreibt an verfolgte Christen am Ende des ersten Jahrhunderts.
Seine sogenannte Offenbarung, seine Schau in eine andere Dimension, sein Blick hinter die Kulissen der Geschichte enthält Trostworte für eine trostlose Zeit: Allen Bewohnern des römischen Reiches mit seinen verschiedenen Völkern wurde damals als einigendes Band die Verehrung des Kaisers als Gott auferlegt. Viele Christen fügten sich dem damals offenbar, um ihr Leben zu erhalten. Sie fügten sich äußerlich und hielten ihren Glauben im Herzen verborgen. Viele aber auch konnten mit diesem Kompromiss nicht leben und verweigerten sich der Kaiseranbetung trotz Todesandrohung. Keiner von ihnen wusste, was der morgige Tag bringen würde. Ob er entdeckt würde, ob ihn jemand denunzieren würde, ob ihm die Entscheidung, sich zu seinem Gott zu bekennen oder zum Kaiser, abverlangt werden würde.
In diese Situation hinein hören die Christen damals: Noch hat der Kaiser Macht, noch gebärdet sich durch ihn das Böse wie wild. Aber letztlich
haben sie schon verloren und ihre Zeit ist abgelaufen. Deswegen "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben."
(Offenbarung 2,10)

Vor und hinter den Kulissen

Gott also ist hinter den Kulissen der eigentliche Herr der Geschichte. Vor den Kulissen machen die Politiker ihr letztes Theater. Vor den Kulissen führt der Tod seinen letzten Tanz auf. Doch Gott wird sich durchsetzen. Seine neue Welt liegt bereit, auch wenn es sichtbar und greifbar noch nicht so weit ist.
Diese Zuversicht scheint viele Christen in der damaligen Bedrängnis sehr gestärkt zu haben. Auch von Menschen mit Nahtoderlebnissen heißt es, viele hätten ihr Leben radikal geändert, praktisch alle hätten die Angst vor dem Tod verloren. Ja, manche hätten sogar Sehnsucht nach dieser neuen Welt.

Heute schon ein Stückchen Himmel

Wie wäre es mit eine goldenen Mittelweg zwischen einem wurstigen Dahinleben und Todessehnsucht: Getrost weiterleben wie der Bauer, der noch vor dem Frost sät, und weiß, dass das weiße Leichentuch, das sich dann darüber legen wird, der Saat nichts antun kann, sondern dass sie im anderen Jahr grün durch den Schnee kommen wird. Also:

Wer an die Tränen glaubt, die einmal ganz gewiss abgewischt werden, der kann vielleicht jetzt schon anderen helfen, sich einmal auszuweinen und ihnen heute schon Tränen abwischen.
Wer weiß, dass der Schmerz nicht mehr sein wird, der kann vielleicht heute schon anderen in ihrem Schmerz beistehen.
Wer weiß, dass das Leid ein Ende haben wird, der kann vielleicht jetzt schon alles tun, fremdes Leid zu lindern.
Wer weiß, dass kein Geschrei mehr sein wird, der kann vielleicht heute schon geduldig einem Menschen sein Ohr und seine Zeit leihen, damit
er in seiner Gegenwart einmal das Seine herausschreien und vorjammern darf.
Ja, wer weiß, dass einmal auch kein Tod mehr sein wird, der kann dann vielleicht selber einem Sterbenden geduldig, treu und beharrlich beistehen und dadurch dem Tod ein wenig von seiner Macht nehmen.

Wäre das alles nicht schon ein kleines Stückchen Himmel? Würde da nicht immer wieder schon die Tür in Gottes neue Welt für einen Spalt geöffnet? Mehr können wir hier und heute nicht erwarten. Aber es wäre ja eigentlich schon unendlich viel.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de