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Die Predigt vom 25.12.2004 (Weihnachten):
»Weihnachten ist Machtergreifung«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 1. Weihnachtsfeiertag. Sein Thema ist die Menschwerdung Gottes. Evangelium (1. Lesung) war der zweite Teil der bekannten Weihnachtsgeschichte und Epistel (2. Lesung) ein Abschnitt aus dem Titusbrief zum Thema "Mensch werden". Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Erwartung eines ganz anderen Herrschers durch den Propheten Micha im Kapitel 5:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. 3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. 4 Und er wird der Friede sein.
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Die Predigt
Weihnachten ist Machtergreifung

Weihnachten ist die Geschichte einer Machtergreifung. Wenn auch das genaue Gegenteil jener Machtergreifung, von der dieser Name stammt.
Nun wird vielleicht jemand sagen, Politik gehöre nicht auf die Kanzel, und erst recht nicht an einem hohen Festtag! Aber das biblische Wort, das uns heute morgen zum Nachdenken aufgegeben ist, ist halt einmal ein durch und
durch politisches Wort, wenn man es aus seiner Zeit heraus versteht.
Wenn es an Weihnachten darum geht, wer der eigentliche und wahre Herr der Welt und unseres Lebens ist, dann ist das Politik. Denn es hat zur Folge, dass durch Weihnachten der Machtanspruch der anderen Herren unserer Zeit infrage gestellt wird.

Wer sind die wahren Herren?

Jesus von Nazareth, dessen Kommen in die Welt wir heute feiern, war ein ganz anderer Herr als die Herren seiner und auch der heutigen Zeit. Und immer wieder wurde dieses ja nur vordergründig hilflose und machtlose Kind im Stall von Bethlehem von den anderen Herren als Bedrohung empfunden. Die Menschen mit einem feinen Gespür für Macht haben in der Geschichte
oft deutlicher gespürt als die Christen selbst, wen sie da vor sich haben, und was die an ihn Glaubenden bewirken könnten.
Das begann mit Herodes dem Großen, der ein ebenso eiskalter wie ängstlicher Machtpolitiker war, und nach dem Matthäusevangelium alle Kinder in Bethlehem und Umgebung umbringen ließ, um dadurch den einen zu erwischen, auf den es ihm ankam. Als Erwachsener hatte es Jesus selber zu spüren, als ihn die religiös Mächtigen seiner Zeit mit Hilfe der Römer mundtot machten und ans Kreuz brachten. Das setzte sich fort bei den
Römern, die die Christen zwingen wollten, vor dem Kaiser als ihrem Gott und Herrn öffentlich niederzufallen. Und man kann es durch die Geschichte hindurch in allen Diktaturen, ob nun von rechts oder von links, bestätigt finden.

Weihnachten ist politisch

Nein, Weihnachten hat ein für allemal etwas mit Politik zu tun: nämlich mit der Frage, wem unser Gehorsam gehört und welchen Herren wir etwas zutrauen. Weihnachten darf nicht nur auf ein wenig Idylle und ein bisschen Frieden reduziert werden. Mancher Mächtige mag sich heimlich freuen über das, was aus dem Fest geworden ist. Denn satte Menschen begehren nicht
auf und geben sich mit ihren Herren zufrieden.

Wenn der Prophet Micha damals sieben Jahrhunderte vor Jesus öffentlich seine Hoffnung auf einen Herrn äußert, der das genaue Gegenbild derer ist, die damals Herren waren, dann kann es beim Nachdenken über seine Worte nicht ausbleiben, dass auch wir heute über unsere Herren heute nachdenken.

5 1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. 3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. 4 Und er wird der Friede sein.

Der Prophet Micha, ein scharfzüngiger und mutiger Kritiker der Mächtigen seiner Zeit. Ein Kritiker derer, die auf Kosten des Volkes ihr Schäfchen ins Trockene brachten. Ihr schlechtes Beispiel ließ ihn einen ganz anderen Herren erwarteten und ankündigen. Und 700 Jahre später sahen die Christen seine Hoffnungen in Jesus von Nazareth endlich erfüllt.

Provokation Nr. 1: Politik muss von unten kommen

Du, Sippe Efrat in und um Bethlehem, die du die kleinste bist unter den Sippen des Stammes Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei.
Von der hier erwähnten und sonst eher unbedeutenden Sippe Efrat um Bethlehem herum ist im Alten Testament nur bekannt, dass der erste König David aus ihr kam. Doch das war lange her. So waren diese Worte des Propheten Micha für die Mächtigen in der Hauptstadt Jerusalem, die ja nur wenige Kilometer entfernt liegt, wie ein Schlag ins Gesicht. Das ist so ähnlich, wie wenn heute jemand aufstünde, um zu sagen: Nicht von den etablierten Parteien kommt eure Rettung, auch nicht aus den Vorstandsetagen der Wirtschaftskonzerne, sondern aus der Provinz, von unten, vom kleinen Mann, von den Bürgern, von den Nicht-Regierungs-Organisationen.

Als Christen glauben wir ja, dass genau das geschehen ist: Abseits von der Hauptstadt, abseits von den Mächtigen, ohne äußeren Prunk hat Jesus, der Herr, seine Macht angetreten. Wenn sich die Christen in aller Welt doch
auch heute mehr auf diesen, von seinem äußeren Erscheinungsbild her, machtlosen Herrn verlassen würden! Wenn sie sich darauf verlassen würden,
dass sie als die Kleinen in seinem Namen Macht haben, dann sähe manches in der Gesellschaft anders aus.

Provokation Nr. 2: Die heutigen Politiker schaffen es nicht

... aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. Sein Ursprung stammt aus der Urzeit, aus den Tagen der Vorzeit.
Gleich die nächste Provokation: Der Retter, der kommen wird, wird nicht in der Reihe und in der Fortsetzung der jetzigen Könige stehen, sondern wieder an den Ursprüngen anknüpfen. Zum Königtum und zu der Politik, wie sie sich
damals, 400 Jahre nach dem ersten König David, entwickelt hatten, hatte Micha kein Vertrauen mehr. Zu Ausbeutern ihres Volkes hatten sich die
Könige entwickelt. In den Krieg mit den Nachbarn hatten sie ihr Volk getrieben. Nein, der Retter, der kommen würde, müsste bei den alten Wurzeln anknüpfen, dort, wo damals in der unverdorbenen Vorzeit das Königtum begann.

Und das wird dann noch verstärkt durch die Erwähnung weiter unten: "Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn, seines Gottes."
Der da kommen wird, wird sein Volk "weiden". Das ist damals von denen, die Ohren hatten zu hören, sehr wohl verstanden worden. Sein Volk "weiden", das hieß: in der Art Gottes, des guten Hirten aus dem Psalm 23, uneigennützig für seine Menschen da zu sein. Da kann man bei Micha schon
den Vorwurf seines späteren Prophetenkollegen Hesekiel heraushören: "Wehe den Hirten, die sich selbst weiden." Also: Wehe den Herren, die ihr
eigenes Schäfchen ins Trockene bringen wollen.

Das ist so ähnlich, wie wenn heute jemand aufstünde, um zu sagen: Von der derzeitigen Politik oder auch von ihrer Fortsetzung kann die Rettung nicht kommen. Zu den Anfängen der Demokratie, zu den Anfängen der Verfassung
müssen wir zurück. Politiker, die nicht ihren Vorteil suchen, die nicht zwei oder mehr Verdienste gleichzeitig einstreichen, sondern als Volksvertreter für das Volk eintreten, bräuchten wir.

Als Christen glauben wir, dass wir in dem Jesus im Stall von Bethlehem einen solchen Herrn vor uns haben: Nicht ein Herr von der Art der anderen Herren. Kein König der Könige, wie ihn die drei Weisen wohl erhofften, als sie ihre prächtigen Geschenke brachten. Nicht ein Herr, dem es um die eigene Macht und deren Erhaltung geht, sondern radikal um die Menschen, die ihm
anvertraut sind, und die sich ihm anvertrauen. Einer, der dann 30 Jahre später auch aus dem Weg geräumt werden musste, weil er durch sein Eintreten für die Kleinen die Macht der Großen gefährdete.

Provokation Nr. 3: Gegen den Ruf nach einem starken Mann

Indes lässt Gott sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat.
Und noch eine weitere Provokation: Rettung soll kommen durch ein neugeborenes unschuldiges Kind. Ein deutlicher Protest gegen alle Kraft-,
Macht- und Bündnispolitik, die zu Michas Zeit damals getrieben wurde. Ein Protest gegen die Politik der Stärke überhaupt.
Ein deutlicher Protest aber auch gegen Vorstellungen, wie sie heute unter uns wieder salonfähig geworden sind: Sicher würden die allerwenigsten unter uns heute zur Gewalt greifen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Doch hinter vorgehaltener Hand und manchmal sogar deutlich kann man hören, dass auch heute wieder einmal ein starker Mann nötig wäre.
Wer Christ sein will, soll wissen, dass er sich bei einer solchen Hoffnung nicht auf seine Bibel berufen darf. Die Heilige Nacht, in der ein wehrloses Kind zum Herrn der Welt wird, ist eine deutliche Absage an alle Politik der
Stärke, eine Absage an alle, die in einem Ruf nach einem starken Mann ihr Heil suchen.
Wohin die Politik der starken Männer führt, können wir auch heute, ob nun in Tschetschenien, im Irak oder in China zur Genüge sehen. Es ist das Gegenteil dessen, was sich der Prophet Micha vom Kommen des Retters erhofft:

Provokation Nr. 4: Politik schafft keinen Frieden

Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.
Und noch einmal eine deutliche Kritik des Micha an den Herren seiner Zeit: Sie schafften es nicht, dafür zu sorgen, dass ihr Volk sicher wohnte. Sie schafften es nicht, den Frieden zu erhalten. Noch zu Michas Lebzeiten wurde der Nordteil des Reiches von den Assyrern erobert. Frieden erwartet sich Micha deswegen endgültig nicht mehr von menschlichen Anstrengungen und Winkelzügen, sondern allein von Gott selbst.

Aber genug nun mit unserer Unzufriedenheit mit den Herren unserer Zeit! Denn wenn es um den Frieden geht, in der Familie oder in der
Nachbarschaft, geraten auch wir schnell an unsere Grenzen. Wer will schon schwach sein? Wer will schon nachgeben? Wer will schon den ersten
Schritt tun?
Gott, der sich an Weihnachten klein gemacht hat und hilflos und verletzlich, der zeigt uns einen anderen Weg. Bis wir das wirklich begreifen, beherzigen und ins Leben umsetzen, müssen wir vermutlich noch viele Weihnachten
feiern.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de