|
Die Predigt |
Weihnachten ist
Machtergreifung
Weihnachten ist die Geschichte einer Machtergreifung. Wenn auch das
genaue Gegenteil jener Machtergreifung, von der dieser Name stammt.
Nun wird vielleicht jemand sagen, Politik gehöre nicht auf die
Kanzel, und erst recht nicht an einem hohen Festtag! Aber das biblische
Wort, das uns heute morgen zum Nachdenken aufgegeben ist, ist halt
einmal ein durch und
durch politisches Wort, wenn man es aus seiner Zeit heraus versteht.
Wenn es an Weihnachten darum geht, wer der eigentliche und wahre Herr
der Welt und unseres Lebens ist, dann ist das Politik. Denn es hat
zur Folge, dass durch Weihnachten der Machtanspruch der anderen Herren
unserer Zeit infrage gestellt wird.
Wer sind die wahren Herren?
Jesus von Nazareth, dessen Kommen in die Welt wir heute feiern, war
ein ganz anderer Herr als die Herren seiner und auch der heutigen
Zeit. Und immer wieder wurde dieses ja nur vordergründig hilflose
und machtlose Kind im Stall von Bethlehem von den anderen Herren als
Bedrohung empfunden. Die Menschen mit einem feinen Gespür für
Macht haben in der Geschichte
oft deutlicher gespürt als die Christen selbst, wen sie da vor
sich haben, und was die an ihn Glaubenden bewirken könnten.
Das begann mit Herodes dem Großen, der ein ebenso eiskalter
wie ängstlicher Machtpolitiker war, und nach dem Matthäusevangelium
alle Kinder in Bethlehem und Umgebung umbringen ließ, um dadurch
den einen zu erwischen, auf den es ihm ankam. Als Erwachsener hatte
es Jesus selber zu spüren, als ihn die religiös Mächtigen
seiner Zeit mit Hilfe der Römer mundtot machten und ans Kreuz
brachten. Das setzte sich fort bei den
Römern, die die Christen zwingen wollten, vor dem Kaiser als
ihrem Gott und Herrn öffentlich niederzufallen. Und man kann
es durch die Geschichte hindurch in allen Diktaturen, ob nun von rechts
oder von links, bestätigt finden.
Weihnachten ist politisch
Nein, Weihnachten hat ein für allemal etwas mit Politik zu tun:
nämlich mit der Frage, wem unser Gehorsam gehört und welchen
Herren wir etwas zutrauen. Weihnachten darf nicht nur auf ein wenig
Idylle und ein bisschen Frieden reduziert werden. Mancher Mächtige
mag sich heimlich freuen über das, was aus dem Fest geworden
ist. Denn satte Menschen begehren nicht
auf und geben sich mit ihren Herren zufrieden.
Wenn der Prophet Micha damals sieben Jahrhunderte vor Jesus öffentlich
seine Hoffnung auf einen Herrn äußert, der das genaue Gegenbild
derer ist, die damals Herren waren, dann kann es beim Nachdenken über
seine Worte nicht ausbleiben, dass auch wir heute über unsere
Herren heute nachdenken.
5 1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten
in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen
Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt
er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll,
geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen
zu den Söhnen Israel. 3 Er aber wird auftreten und weiden in
der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines
Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit
herrlich werden, so weit die Welt ist. 4 Und er wird der Friede sein.
Der Prophet Micha, ein scharfzüngiger und mutiger Kritiker der
Mächtigen seiner Zeit. Ein Kritiker derer, die auf Kosten des
Volkes ihr Schäfchen ins Trockene brachten. Ihr schlechtes Beispiel
ließ ihn einen ganz anderen Herren erwarteten und ankündigen.
Und 700 Jahre später sahen die Christen seine Hoffnungen in Jesus
von Nazareth endlich erfüllt.
Provokation Nr. 1: Politik muss von unten kommen
Du, Sippe Efrat in und um Bethlehem, die du die kleinste bist
unter den Sippen des Stammes Juda, aus dir soll mir der kommen, der
in Israel Herr sei.
Von der hier erwähnten und sonst eher unbedeutenden Sippe
Efrat um Bethlehem herum ist im Alten Testament nur bekannt, dass
der erste König David aus ihr kam. Doch das war lange her. So
waren diese Worte des Propheten Micha für die Mächtigen
in der Hauptstadt Jerusalem, die ja nur wenige Kilometer entfernt
liegt, wie ein Schlag ins Gesicht. Das ist so ähnlich, wie wenn
heute jemand aufstünde, um zu sagen: Nicht von den etablierten
Parteien kommt eure Rettung, auch nicht aus den Vorstandsetagen der
Wirtschaftskonzerne, sondern aus der Provinz, von unten, vom kleinen
Mann, von den Bürgern, von den Nicht-Regierungs-Organisationen.
Als Christen glauben wir ja, dass genau das geschehen ist: Abseits
von der Hauptstadt, abseits von den Mächtigen, ohne äußeren
Prunk hat Jesus, der Herr, seine Macht angetreten. Wenn sich die Christen
in aller Welt doch
auch heute mehr auf diesen, von seinem äußeren Erscheinungsbild
her, machtlosen Herrn verlassen würden! Wenn sie sich darauf
verlassen würden,
dass sie als die Kleinen in seinem Namen Macht haben, dann sähe
manches in der Gesellschaft anders aus.
Provokation Nr. 2: Die heutigen Politiker schaffen es nicht
... aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. Sein
Ursprung stammt aus der Urzeit, aus den Tagen der Vorzeit.
Gleich die nächste Provokation: Der Retter, der kommen wird,
wird nicht in der Reihe und in der Fortsetzung der jetzigen Könige
stehen, sondern wieder an den Ursprüngen anknüpfen. Zum
Königtum und zu der Politik, wie sie sich
damals, 400 Jahre nach dem ersten König David, entwickelt hatten,
hatte Micha kein Vertrauen mehr. Zu Ausbeutern ihres Volkes hatten
sich die
Könige entwickelt. In den Krieg mit den Nachbarn hatten sie ihr
Volk getrieben. Nein, der Retter, der kommen würde, müsste
bei den alten Wurzeln anknüpfen, dort, wo damals in der unverdorbenen
Vorzeit das Königtum begann.
Und das wird dann noch verstärkt durch die Erwähnung weiter
unten: "Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des
Herrn, seines Gottes."
Der da kommen wird, wird sein Volk "weiden". Das ist damals
von denen, die Ohren hatten zu hören, sehr wohl verstanden worden.
Sein Volk "weiden", das hieß: in der Art Gottes, des
guten Hirten aus dem Psalm 23, uneigennützig für seine Menschen
da zu sein. Da kann man bei Micha schon
den Vorwurf seines späteren Prophetenkollegen Hesekiel heraushören:
"Wehe den Hirten, die sich selbst weiden." Also:
Wehe den Herren, die ihr
eigenes Schäfchen ins Trockene bringen wollen.
Das ist so ähnlich, wie wenn heute jemand aufstünde, um
zu sagen: Von der derzeitigen Politik oder auch von ihrer Fortsetzung
kann die Rettung nicht kommen. Zu den Anfängen der Demokratie,
zu den Anfängen der Verfassung
müssen wir zurück. Politiker, die nicht ihren Vorteil suchen,
die nicht zwei oder mehr Verdienste gleichzeitig einstreichen, sondern
als Volksvertreter für das Volk eintreten, bräuchten wir.
Als Christen glauben wir, dass wir in dem Jesus im Stall von Bethlehem
einen solchen Herrn vor uns haben: Nicht ein Herr von der Art der
anderen Herren. Kein König der Könige, wie ihn die drei
Weisen wohl erhofften, als sie ihre prächtigen Geschenke brachten.
Nicht ein Herr, dem es um die eigene Macht und deren Erhaltung geht,
sondern radikal um die Menschen, die ihm
anvertraut sind, und die sich ihm anvertrauen. Einer, der dann 30
Jahre später auch aus dem Weg geräumt werden musste, weil
er durch sein Eintreten für die Kleinen die Macht der Großen
gefährdete.
Provokation Nr. 3: Gegen den Ruf nach einem starken Mann
Indes lässt Gott sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche
gebären soll, geboren hat.
Und noch eine weitere Provokation: Rettung soll kommen durch ein neugeborenes
unschuldiges Kind. Ein deutlicher Protest gegen alle Kraft-,
Macht- und Bündnispolitik, die zu Michas Zeit damals getrieben
wurde. Ein Protest gegen die Politik der Stärke überhaupt.
Ein deutlicher Protest aber auch gegen Vorstellungen, wie sie heute
unter uns wieder salonfähig geworden sind: Sicher würden
die allerwenigsten unter uns heute zur Gewalt greifen, um ihre politischen
Ziele durchzusetzen. Doch hinter vorgehaltener Hand und manchmal sogar
deutlich kann man hören, dass auch heute wieder einmal ein starker
Mann nötig wäre.
Wer Christ sein will, soll wissen, dass er sich bei einer solchen
Hoffnung nicht auf seine Bibel berufen darf. Die Heilige Nacht, in
der ein wehrloses Kind zum Herrn der Welt wird, ist eine deutliche
Absage an alle Politik der
Stärke, eine Absage an alle, die in einem Ruf nach einem starken
Mann ihr Heil suchen.
Wohin die Politik der starken Männer führt, können
wir auch heute, ob nun in Tschetschenien, im Irak oder in China zur
Genüge sehen. Es ist das Gegenteil dessen, was sich der Prophet
Micha vom Kommen des Retters erhofft:
Provokation Nr. 4: Politik schafft keinen Frieden
Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich
werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.
Und noch einmal eine deutliche Kritik des Micha an den Herren
seiner Zeit: Sie schafften es nicht, dafür zu sorgen, dass ihr
Volk sicher wohnte. Sie schafften es nicht, den Frieden zu erhalten.
Noch zu Michas Lebzeiten wurde der Nordteil des Reiches von den Assyrern
erobert. Frieden erwartet sich Micha deswegen endgültig nicht
mehr von menschlichen Anstrengungen und Winkelzügen, sondern
allein von Gott selbst.
Aber genug nun mit unserer Unzufriedenheit mit den Herren unserer
Zeit! Denn wenn es um den Frieden geht, in der Familie oder in der
Nachbarschaft, geraten auch wir schnell an unsere Grenzen. Wer will
schon schwach sein? Wer will schon nachgeben? Wer will schon den ersten
Schritt tun?
Gott, der sich an Weihnachten klein gemacht hat und hilflos und verletzlich,
der zeigt uns einen anderen Weg. Bis wir das wirklich begreifen, beherzigen
und ins Leben umsetzen, müssen wir vermutlich noch viele Weihnachten
feiern. |
|