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Die Predigt vom Reformationsfest 1999: »Glauben à la Münchhausen?«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den Reformationstag in Erinnerung von Martin Luthers Thesenanschlag im Jahr 1517. Der diesjährige 31. Oktober 1999 ist ein denkwürdiger Tag durch die Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre in Augsburg. Als Evangelium wurden die "Seligpreisungen" aus Matthäus 5 gelesen, als Epistel ein Abschnitt aus dem Römerbrief Kapitel 3. Als Predigttext habe ich den Wochenspruch aus 1. Korinther 3 Vers 11 gewählt:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben
.)

"Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus."

Predigt

Grund unter den Füßen?

Sicher haben Sie schon vom Freiherrn von Münchhausen gehört, jenem Lügenbaron aus dem 18. Jhd. Nach vielen Jahren Aufenthalt in fernen Ländern tischte er ähnlich wie beim Jägerlatein seinen Freunden wilde Abenteuergeschichten auf. Und eine der bekanntesten ist die, wo er sich mitsamt seinem Pferd am eigenen Schopf aus einem Sumpf zog.

Man mag darüber schmunzeln, aber einen ernsten Hintergrund hat die Geschichte doch. Sie erzählt davon, daß jeder Mensch festen Grund unter den Füßen braucht. Und sie fragt danach, wie man diesen Grund wieder bekommt, wenn er einem verloren geht.

Jeder braucht, im Bild gesprochen, festen Boden unter den Füßen. Nicht nur, daß wir hier bei uns zufrieden sein können, daß uns Erdbeben und Wasser nicht den festen Grund rauben. Wir brauchen solchen festen Grund auch familiär. Wir brauchen ihn beruflich. Wir brauchen ihn seelisch. Gar manchem wird dieser Grund schlüpfrig, wenn es vom geregelten Arbeitsalltag in den ungeregelten Ruhestand geht. Und was es bedeutet, wenn jemand seelisch keinen Grund mehr unter den Füßen hat, hat jener prominente Fenstersturz vor gut einer Woche gezeigt. Ein Prominenter unter den vielen Ungenannten, die sich ca. jede Dreiviertelstunde in Deutschland das Leben nehmen.

Und nicht zuletzt: Jeder braucht diesen festen Grund auch geistlich, auch, was den Glauben angeht. Daß Menschen ohne Glauben auskämen, ist ja ein modernes Märchen. Sie kommen wohl ohne den christlichen, ohne den biblischen Glauben aus, aber sie zimmern sich dann ihre eigene Religion, ihren Ersatzglauben zusammen. Und wenn es der Glaube an die eigene Kraft und die eigenen unbegrenzten Möglichkeiten ist.

"Rechtfertigungslehre"

"Habe ich solchen Grund unter den Füßen und wie bekomme ich ihn?" "Bin ich mit mir selbst und mit Gott im Reinen?" Das ist unter den Theologen die Frage der sog. "Rechtfertigung". Eine Frage, an der sich damals die Kirchenspaltung entzündete. Eine Frage, die Martin Luther zutiefst umgetrieben hat.

"Rechtfertigung". Das Wort hat ein Problem, weil es heute im Alltag eine andere Bedeutung hat als unter den Theologen und in der Bibel. Es ist ein Kunstwort, das nur zweimal in der Bibel vorkommt und da gar nicht an den wichtigsten Stellen. Rechtfertigung – das muß erst in die Alltagssprache übersetzt werden. Im Alltag heißt Rechtfertigung: Ich begründe, warum ich recht habe oder hatte. Das ist meine Sache. Nach der Bibel ist mit Rechtfertigung die Frage gemeint: "Wie bin ich vor Gott recht?" Und das ist nach der Bibel allein Gottes Sache.

Das Ringen Martin Luthers

Martin Luther hat diese Frage umgetrieben: "Wie bin ich Gott recht?" Und er hat versucht, die Frage für sich auf die beste Art zu lösen, die ihm die mittelalterliche Kirche anbieten konnte: Er wurde Mönch, noch dazu im strengsten Kloster seiner Umgebung. Münchhausen ähnlich wollte Luther vor Gott aus eigener Kraft Boden unter die Füße bekommen. Er hatte gelernt: Du mußt tun, was in deiner Kraft steht. Du mußt an die Grenzen deiner Möglichkeiten gehen. Dann streckt dir Gott eine Hand entgegen und hilft dir heraus. Also nicht ganz so wie bei Münchhausen, der sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf zieht, aber so auf die Art: Du mußt erst strampeln, so gut du kannst, dann wird man dir schon helfen.

Doch Luther merkt: Je mehr er strampelt, desto tiefer strampelt er sich in den Sumpf hinein. Je mehr er sich anstrengt, desto bedrückender wird die innere Frage: Hast du wirklich schon getan, was du kannst? Könntest du nicht doch viel mehr? Und mit jedem äußerlichen Fortschritt ist er innerlich doch nur immer unsicherer geworden. Nach außen ein Bilderbuchmönch, nach innen ohne Boden unter den Füßen. Bis er dann beim Lesen der Bibel entdeckt: Mein ganzes Strampeln hilft nichts. Ich kann nur von Grund auf und von Anfang an die Hand ausstrecken und mir heraushelfen lassen. Und er erfährt: Gott hilft ihm heraus. Er hört und begreift die Botschaft: "Du bist mir recht! Nicht weil du so viel gestrampelt hast, sondern weil du um Christi willen geliebt bist."

Luther und die "Guten Werke"

Als er das begriffen hat, hat er festen Boden, hat er Grund unter den Füßen. Nicht, daß er dann das Strampeln für Gott und die Menschen aufgegeben hätte, nein. Aber er hat gemerkt: Sich Gottes "Du bist mir recht!" erstrampeln wollen, führt nur immer tiefer in den Sumpf hinein. Aber Strampeln auf festem Boden führt voran. Das ist gemeint, wenn Luther sagt: Mit guten Werken kannst du dir vor Gott die Gerechtigkeit nicht verdienen. Aber sobald du erfahren hat: "Ich bin ihm recht. Ich bin gerechtfertigt." gehören die guten Werke dazu. Sie geschehen mehr oder weniger alleine.

Die ökumenischen Bemühungen um die Rechtfertigung

Seit Jahren nun sind evangelische und katholische Theologen über diesem Thema miteinander im Gespräch: Wie wird ein Mensch Gott recht? Welche Bedeutung haben seine Anstrengungen und seine guten Taten? Und so wird heute in Augsburg der mittelalterliche Streit, wo einer den anderen verdammte und verwarf, beigelegt. Aus den unversöhnlichen mittelalterlichen Gegenpolen: Rechtfertigung ist reines Geschenk, ist unverdiente Gnade. Und: Ich muß tun, was in meiner Macht steht, dann erst bekomme ich das Geschenk. Aus diesen zugespitzten Gegenpolen ist die gemeinsame Position geworden: Daß ich Gott recht bin, ist durch und durch sein Geschenk. Doch wenn ich das begriffen habe, dann soll und werde ich auch tun, wozu mich meine Kraft und meine Gaben befähigen.

Die Rechtfertigungslehre heute

Daß diese Gespräche zwischen den Theologen in den letzten Jahren in den Gemeinden praktisch gar nicht wahrgenommen wurden, daß man in den Gemeinden den Streit auch gar nicht recht verstehen konnte, und daß man in den Gemeinden auch nicht recht versteht, weswegen so viele lutherische Theologen heute in Deutschland gegen diese Einigung kämpfen, hat v.a. darin seinen Grund, daß die Theologen, daß wir Theologen es oft nicht schaffen, die Frage verstehbar zu machen.

"Rechtfertigung" übersetzen!

Die Frage der Rechtfertigung, die Frage: "Wie bin ich Gott recht? Wie bin ich mit ihm und mit mir im Reinen?" muß immer wieder neu aus dem Himmel der Theologen auf die Erde der Gemeinde heruntergeholt werden. Wie könnte es gehen? Vielleicht, indem man mit zwischenmenschlichen Beispielen davon redet und indem man erzählt.

Rechtfertigung: "Du bist mir recht!"

Rechtfertigung zwischenmenschlich ist gerade nicht da, wo sich einer rechtfertigt, sondern wo einer zum anderen, eine zur anderen sagt: "Du bist mir recht!" "Du bist mir recht!" sagt ein Liebender zum anderen. Heißt das, daß der andere fehlerlos wäre? Heißt das, daß er es sich sauer verdient hätte? Nein, dieses "Du bist mir recht!" ist Geschenk. Es ist das Ergebnis eines liebenden Hinschauens und nicht das Ergebnis einer nüchternen Rechnung. "Du bist mir recht!" sagen sich die Liebenden. "Du bist mir recht!" das sagen Eltern zu ihren Kindern. (Hoffentlich!) "Du bist mir recht!" das leben Freunde oder Kollegen. "Du bist mir recht!" sagt Gott. "Du bist mir recht, wie du bist!" Auch bei ihm Ergebnis liebenden Hinschauens und nicht nüchternen Rechnens.

Rechtfertigung erzählen

Und das andere: Rechtfertigung erzählen. Wie könnte man es besser als mit Jesusgeschichten, in denen sich auch heute Menschen wiederfinden:

Denken Sie nur an die Paradegeschichte vom kleinen Oberzöllner Zachäus: Am Geld fehlt's ihm nicht, aber an der Körpergröße. Finanziell hat er Boden unter den Füßen. Doch drinnen schaut es offenbar ganz anders aus. Er steigt auf einen Baum, um den vorbeiziehenden Jesus unverbindlich zu sehen. Auf der einen Seite möchte er möglichst selbst nicht gesehen werden. Und auf der anderen Seite sehnt er sich nach der Zuwendung, die ihm seine Mitmenschen zu Recht versagen. Und Jesus, als er ihn sieht: "Steig herunter. Ich will heute Abend dein Gast sein."

Rechtfertigung mittelalterlich katholisch und auch nach der Auffassung vieler heutiger Zeitgenossen hätte geheißen: "Na, du alter Gauner. Ich würde zwar gerne mal bei Dir zu Gast sein, aber dazu mußt Du erst dein Leben ändern und deinen unrechtmäßig erworbenen Besitz zurückgeben. Dann können wir drüber reden."

Und auch Zachäus begreift in diesem Moment, was Rechtfertigung ist; nämlich gerade nicht, sich zu rechtfertigen. Hätte er nicht sagen können: "Meister, du mußt meine Lage verstehen. Ich muß Frau und Kinder ernähren. Jeder Beruf hat so seine Zwänge. Jeder will leben. Und der, von dem ich die Zollstation gepachtet habe, verlangt so viel von mir, daß ich auf anständige Art und Weise nie zu meinem Geld kommen kann."

Stattdessen sagt Jesus "Du bist mir recht." und durch seinen Besuch sagt er es nicht nur, sondern setzt es auch in die Tat um. Und Zachäus macht nichts anderes als dankbar die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Und siehe da: Der auf einmal wieder festen Grund unter den Füßen hat, wird von Grund auf verwandelt. Und das gibt es auch heute noch. Gott sei Dank!

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de