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predigt[e].de

Die Predigt vom 4. Dezember 2005 (2. Advent):
»Gott, tu doch endlich was!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag im Advent. Sein Thema ist das heilsame Eingreifen Gottes. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom Feigenbaum und Epistel (2. Lesung) ein Aufruf zum geduldigen Warten. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Abschnitt aus Jesaja 63 und 64:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. 17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, 64 1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten ... 3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
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Die Predigt
Gott, tu doch endlich etwas

„Wenn es dich gibt, Gott, dann tu doch endlich etwas!“ Wer weiß, wie viele Menschen im Stillen so ungeduldig, ja adventlich rufen? Bei den folgenden Worten klingt es ein wenig anders. Ein wenig nur, aber doch entscheidend: „Wir wissen doch, dass es dich gibt, Gott. Wir haben deine Nähe schon erlebt. Unsere Vorfahren haben sie erlebt. Hast du uns vergessen? Jetzt tu doch endlich etwas!“ Bei Jesaja im 63. und 64. Kapitel: (Text oben)

Israel am Boden zerstört

Da redet einer stellvertretend für ein ganzes Volk, das am Boden zerstört war: 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
Die Babylonier unter König Nebukadnezar hatten Jerusalem belagert, ausgehungert und erobert. Was unter der Bevölkerung Rang und Namen hatte, war verschleppt, verbannt nach Babylonien. Bis auf den Grund zerstört und ausgeraubt der Tempel, auf den sie so stolz waren. Im Tempel, da war Gott da. Im Tempel hat er bei ihnen gewohnt. Sie konnten sich auf seine Nähe verlassen. Nun sind sie verlassen. Gott hat sich zurückgezogen. Er hat sie ihren Feinden mit ihren Göttern schutzlos überlassen. Ohnmächtig sind sie. Und zum Schaden kommt der Spott der Feinde: Wo ist nun euer Gott?

Am Boden zerstört auch heute

Worte des Propheten Jesaja, stellvertretend ausgesprochen auch für Menschen heute, die am Boden zerstört sind. Menschen, die nach Gottes Nähe fragen und sich ungeduldig nach seinem Eingreifen, seinem Kommen, seinem Advent sehnen.
Am Boden zerstört wie die Angehörigen der im Irak verschleppten Susanne Osthoff.
Am Boden zerstört durch immer neue oder nicht enden wollende Krankheit. Am Boden zerstört durch zerbrochene Beziehungen in der Ehe oder in der Familie. Am Boden zerstört durch den Verlust eines Menschen.
„Versündige dich nicht.“ hat man ihnen vielleicht gesagt, wenn sie nach Gott fragen oder an ihm zweifeln. Stellvertretend redet der Prophet. Menschen, die ihren Mund nicht mehr auf bringen, leiht er seine Worte. Und stellvertretend findet er in fünf Schritten von der verzweifelten Klage und verbitterten Anklage hin zu neuem Gottvertrauen:

1. Schritt: Klage und Anklage

Der erste Schritt eines langen Weges, der erste Schritt eines am Boden zerstörten Menschen: Klage und Anklage
15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!
„Lieber Gott, du sitzt oben in deinem Himmel. Dir geht es gut. Heilig und herrlich thronst du da oben. Weißt du überhaupt, wie es mir hier geht? Dein Himmel ist weit weg. Schau doch zur Abwechslung einmal herunter zu mir. Schau dir an, wie es mir geht.“
Wenn Gott abwesend ist, weit weg. Wenn er schweigt. Wenn der Himmel verschlossen ist. Da kann es dem glaubenden Menschen schlechter gehen als dem, der nicht glaubt. Er kann einen tieferen Fall erleben als der, der mit Gott sowie nicht anzufangen wusste. Warum schweigt er gerade jetzt? Warum schweigt er gerade bei mir?

Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
„Mächtig bist du, Gott, so habe ich gelernt. Wo ist nun deine Macht? Bist du nicht eher ohnmächtig? Kannst du überhaupt helfen? Und wenn du kannst, warum willst du nicht?
Ein eifriger Gott bist du, habe ich gelernt, einer der sich einsetzt für seine Menschen, für die, die an ihn glauben.
Von deiner großen und herzlichen Barmherzigkeit hat man mir erzählt. Wo ist sie denn? Das soll herzlich sein? Deine Herzlichkeit ist ganz schön hart gegen mich?“
Man kann es heraushören: Zur fragenden Anklage kommt auch noch die Bitterkeit, ja fast Sarkasmus.

2. Schritt: Zaghaftes Vertrauen

Der zweite Schritt eines langen Weges: Sich erinnern, zaghaft wieder Vertrauen fassen
16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
„Mutterseelenallein bin ich. Von allen verlassen. Willst du mich nun auch verlassen? Kann ich mich nicht einmal mehr auf dich als Vater verlassen?“
Vater - mit diesem Wort kommt zaghaft Vertrauen auf nach der Klage. Gott ist nicht Feind, er ist nicht Gegner, auch wenn es so scheinen mag. Gott ist Vater und bleibt Vater. Ein Vater weiß doch, was seine Kinder brauchen. Vater - dieses Wort, das uns von Jesus her so geläufig und selbstverständlich ist, war im Alten Testament eine seltene Anrede Gottes. So weit ging man normalerweise nicht. So frech wollte man sich ihm nicht nähern.
Der hier betet, lässt Gott trotz allem nicht los. Er packt ihn bei seinen Versprechen. Er erinnert ihn geradezu an seine Pflichten. „Erlöser“ heißt er von alters her. Hat er nicht sein Volk aus Ägypten erlöst? Sollte er es jetzt nicht wieder können?
In der Erinnerung an das, was Gott früher Gutes getan hat keimt zaghaft neue Hoffnung auf.

3. Schritt: Einsicht in das eigene Leben

Der dritte Schritt eines langen Weges: Einsicht in das eigene Leben gewinnen und, wo nötig, Schulderkenntnis
17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!
„Auch ich habe mein Teil dazu beigetragen, Gott. Ich habe lange nicht nach dir gefragt. Ich habe dich nicht gebraucht. Es ging ganz gut so. Und du hast mich gehen lassen. Ja, du hast mich sogar in mein Unglück rennen lassen. Jetzt sehe ich es ein. Nun wende dich mir doch wieder zu. Kehr zu mir zurück."

So reifte damals in Israel nach der Katastrophe die Einsicht: Gott hat sich gegen die Babylonier nicht als der Schwächere erwiesen. Er ist und bleibt der Herr der Geschichte. Doch er hat sein Volk laufen lassen. Er hat es gewähren lassen wie ein Vater sein bockiges Kind, das erst am eigenen Leib erfahren muss, wohin sein Trotz führt.

4. Schritt: Vertrauensvolle Bitte

Der vierte Schritt eines langen Weges nach Anklage und zaghafter Annäherung:
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, 64 1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten ... 3 und das man von alters her nicht vernommen hat.

„Gott, du kannst doch helfen, also tu es. Du bist nicht machtlos, also zeige es. Alle sollen es sehen, vor allem die Spötter, dass ich mich nicht umsonst auf dich verlassen habe.
Schließ deinen Himmel auf. Bleib nicht fern. Bleib nicht in deinem Himmel, sondern komm zu mir herab auf die Erde. Wohne wieder hier in meiner Nähe.“
„Komm doch endlich, Gott.“ Wenn ein Mensch bis zu dieser Bitte vorgedrungen ist, dann ist wirklich Advent, und wenn es mitten im Hochsommer ist. Advent ist nicht unbedingt, wenn es im Kalender steht. Advent ist nicht unbedingt, wenn man es an den Kaufhäusern und Weihnachtsmärkten ablesen kann. Advent ist, wenn Gott einem Menschen wieder nahe kommt und der Mensch ihm.

Großmächtig und majestätisch hat man damals in Israel dieses Kommen erwartet. Alle Welt sollte es unmissverständlich sehen. Wie eine Naturkatastrophe würde Gott in die Welt und in die Geschichte einbrechen und alle Völker würden ihn anerkennen.
Wir wissen aus der Sicht des Neuen Testamentes, dass sich diese unbändige Hoffnung auf das Kommen Gottes so nicht erfüllt hat. Jawohl, Gott hat den Himmel aufgerissen. Ein für allemal steht er offen. Gott ist, immer noch anstößig für jüdische und noch mehr für islamische Ohren, in Jesus Mensch geworden. Gewaltlos, ohnmächtig, leise am Rande der Hauptstadt. Und bevor mit den drei Weisen die Völker davon Notiz nahmen, waren schon die Hirten da.

5. Schritt: Neues Gottvertrauen

Der fünfte Schritt dieses langen Weges: Neues Gottvertrauen, neues Gotteslob
Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
Durchgekämpft, durchgerungen, durchgebetet hat er sich bis zu diesem Punkt. Durchgerungen von der bitteren Anklage bis zu diesem neuen Vertrauen. Noch ist die Hilfe nicht da. Doch er kann Gott loben, so als wäre ihm schon geholfen. Auch diesmal wird es Gott wohl machen, wenn er nur warten, ausharren kann. Wie Gott es machen wird, weiß er noch nicht. Er kann es ganz ihm überlassen.

Harre, meine Seele, harre des Herrn;
alles ihm befehle, hilft er doch so gern!
Sei unverzagt, bald der Morgen tagt,
und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach.
In allen Stürmen, in aller Not wird er dich beschirmen, der treue Gott!

Amen
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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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