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Die Predigt |
Gott, tu doch endlich
etwas
„Wenn es dich gibt, Gott, dann tu doch endlich etwas!“
Wer weiß, wie viele Menschen im Stillen so ungeduldig, ja adventlich
rufen? Bei den folgenden Worten klingt es ein wenig anders. Ein wenig
nur, aber doch entscheidend: „Wir wissen doch, dass es dich
gibt, Gott. Wir haben deine Nähe schon erlebt. Unsere Vorfahren
haben sie erlebt. Hast du uns vergessen? Jetzt tu doch endlich etwas!“
Bei Jesaja im 63. und 64. Kapitel: (Text oben)
Israel am Boden zerstört
Da redet einer stellvertretend für ein ganzes Volk, das am Boden
zerstört war: 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk
vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir
sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie
Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
Die Babylonier unter König Nebukadnezar hatten Jerusalem belagert,
ausgehungert und erobert. Was unter der Bevölkerung Rang und
Namen hatte, war verschleppt, verbannt nach Babylonien. Bis auf den
Grund zerstört und ausgeraubt der Tempel, auf den sie so stolz
waren. Im Tempel, da war Gott da. Im Tempel hat er bei ihnen gewohnt.
Sie konnten sich auf seine Nähe verlassen. Nun sind sie verlassen.
Gott hat sich zurückgezogen. Er hat sie ihren Feinden mit ihren
Göttern schutzlos überlassen. Ohnmächtig sind sie.
Und zum Schaden kommt der Spott der Feinde: Wo ist nun euer Gott?
Am Boden zerstört auch heute
Worte des Propheten Jesaja, stellvertretend ausgesprochen auch für
Menschen heute, die am Boden zerstört sind. Menschen, die nach
Gottes Nähe fragen und sich ungeduldig nach seinem Eingreifen,
seinem Kommen, seinem Advent sehnen.
Am Boden zerstört wie die Angehörigen der im Irak verschleppten
Susanne Osthoff.
Am Boden zerstört durch immer neue oder nicht enden wollende
Krankheit. Am Boden zerstört durch zerbrochene Beziehungen in
der Ehe oder in der Familie. Am Boden zerstört durch den Verlust
eines Menschen.
„Versündige dich nicht.“ hat man ihnen vielleicht
gesagt, wenn sie nach Gott fragen oder an ihm zweifeln. Stellvertretend
redet der Prophet. Menschen, die ihren Mund nicht mehr auf bringen,
leiht er seine Worte. Und stellvertretend findet er in fünf Schritten
von der verzweifelten Klage und verbitterten Anklage hin zu neuem
Gottvertrauen:
1. Schritt: Klage und Anklage
Der erste Schritt eines langen Weges, der erste Schritt eines am Boden
zerstörten Menschen: Klage und Anklage
15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen,
herrlichen Wohnung!
„Lieber Gott, du sitzt oben in deinem Himmel. Dir geht es gut.
Heilig und herrlich thronst du da oben. Weißt du überhaupt,
wie es mir hier geht? Dein Himmel ist weit weg. Schau doch zur Abwechslung
einmal herunter zu mir. Schau dir an, wie es mir geht.“
Wenn Gott abwesend ist, weit weg. Wenn er schweigt. Wenn der Himmel
verschlossen ist. Da kann es dem glaubenden Menschen schlechter gehen
als dem, der nicht glaubt. Er kann einen tieferen Fall erleben als
der, der mit Gott sowie nicht anzufangen wusste. Warum schweigt er
gerade jetzt? Warum schweigt er gerade bei mir?
Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche
Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
„Mächtig bist du, Gott, so habe ich gelernt. Wo ist nun
deine Macht? Bist du nicht eher ohnmächtig? Kannst du überhaupt
helfen? Und wenn du kannst, warum willst du nicht?
Ein eifriger Gott bist du, habe ich gelernt, einer der sich einsetzt
für seine Menschen, für die, die an ihn glauben.
Von deiner großen und herzlichen Barmherzigkeit hat man mir
erzählt. Wo ist sie denn? Das soll herzlich sein? Deine Herzlichkeit
ist ganz schön hart gegen mich?“
Man kann es heraushören: Zur fragenden Anklage kommt auch noch
die Bitterkeit, ja fast Sarkasmus.
2. Schritt: Zaghaftes Vertrauen
Der zweite Schritt eines langen Weges: Sich erinnern, zaghaft wieder
Vertrauen fassen
16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts,
und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser
Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
„Mutterseelenallein bin ich. Von allen verlassen. Willst du
mich nun auch verlassen? Kann ich mich nicht einmal mehr auf dich
als Vater verlassen?“
Vater - mit diesem Wort kommt zaghaft Vertrauen auf nach der Klage.
Gott ist nicht Feind, er ist nicht Gegner, auch wenn es so scheinen
mag. Gott ist Vater und bleibt Vater. Ein Vater weiß doch, was
seine Kinder brauchen. Vater - dieses Wort, das uns von Jesus her
so geläufig und selbstverständlich ist, war im Alten Testament
eine seltene Anrede Gottes. So weit ging man normalerweise nicht.
So frech wollte man sich ihm nicht nähern.
Der hier betet, lässt Gott trotz allem nicht los. Er packt ihn
bei seinen Versprechen. Er erinnert ihn geradezu an seine Pflichten.
„Erlöser“ heißt er von alters her. Hat er nicht
sein Volk aus Ägypten erlöst? Sollte er es jetzt nicht wieder
können?
In der Erinnerung an das, was Gott früher Gutes getan hat keimt
zaghaft neue Hoffnung auf.
3. Schritt: Einsicht in das eigene Leben
Der dritte Schritt eines langen Weges: Einsicht in das eigene Leben
gewinnen und, wo nötig, Schulderkenntnis
17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und
unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück
um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe
sind!
„Auch ich habe mein Teil dazu beigetragen, Gott. Ich habe lange
nicht nach dir gefragt. Ich habe dich nicht gebraucht. Es ging ganz
gut so. Und du hast mich gehen lassen. Ja, du hast mich sogar in mein
Unglück rennen lassen. Jetzt sehe ich es ein. Nun wende dich
mir doch wieder zu. Kehr zu mir zurück."
So reifte damals in Israel nach der Katastrophe die Einsicht: Gott
hat sich gegen die Babylonier nicht als der Schwächere erwiesen.
Er ist und bleibt der Herr der Geschichte. Doch er hat sein Volk laufen
lassen. Er hat es gewähren lassen wie ein Vater sein bockiges
Kind, das erst am eigenen Leib erfahren muss, wohin sein Trotz führt.
4. Schritt: Vertrauensvolle Bitte
Der vierte Schritt eines langen Weges nach Anklage und zaghafter Annäherung:
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass
die Berge vor dir zerflössen, 64 1 wie Feuer Reisig entzündet
und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde
unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,
2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten ... 3 und das man
von alters her nicht vernommen hat.
„Gott, du kannst doch helfen, also tu es. Du bist nicht machtlos,
also zeige es. Alle sollen es sehen, vor allem die Spötter, dass
ich mich nicht umsonst auf dich verlassen habe.
Schließ deinen Himmel auf. Bleib nicht fern. Bleib nicht in
deinem Himmel, sondern komm zu mir herab auf die Erde. Wohne wieder
hier in meiner Nähe.“
„Komm doch endlich, Gott.“ Wenn ein Mensch bis zu dieser
Bitte vorgedrungen ist, dann ist wirklich Advent, und wenn es mitten
im Hochsommer ist. Advent ist nicht unbedingt, wenn es im Kalender
steht. Advent ist nicht unbedingt, wenn man es an den Kaufhäusern
und Weihnachtsmärkten ablesen kann. Advent ist, wenn Gott einem
Menschen wieder nahe kommt und der Mensch ihm.
Großmächtig und majestätisch hat man damals in Israel
dieses Kommen erwartet. Alle Welt sollte es unmissverständlich
sehen. Wie eine Naturkatastrophe würde Gott in die Welt und in
die Geschichte einbrechen und alle Völker würden ihn anerkennen.
Wir wissen aus der Sicht des Neuen Testamentes, dass sich diese unbändige
Hoffnung auf das Kommen Gottes so nicht erfüllt hat. Jawohl,
Gott hat den Himmel aufgerissen. Ein für allemal steht er offen.
Gott ist, immer noch anstößig für jüdische und
noch mehr für islamische Ohren, in Jesus Mensch geworden. Gewaltlos,
ohnmächtig, leise am Rande der Hauptstadt. Und bevor mit den
drei Weisen die Völker davon Notiz nahmen, waren schon die Hirten
da.
5. Schritt: Neues Gottvertrauen
Der fünfte Schritt dieses langen Weges: Neues Gottvertrauen,
neues Gotteslob
Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer
dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
Durchgekämpft, durchgerungen, durchgebetet hat er sich bis zu
diesem Punkt. Durchgerungen von der bitteren Anklage bis zu diesem
neuen Vertrauen. Noch ist die Hilfe nicht da. Doch er kann Gott loben,
so als wäre ihm schon geholfen. Auch diesmal wird es Gott wohl
machen, wenn er nur warten, ausharren kann. Wie Gott es machen wird,
weiß er noch nicht. Er kann es ganz ihm überlassen.
Harre, meine Seele, harre des Herrn;
alles ihm befehle, hilft er doch so gern!
Sei unverzagt, bald der Morgen tagt,
und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach.
In allen Stürmen, in aller Not wird er dich beschirmen, der treue
Gott!
Amen
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