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predigt[e].de

Die Predigt vom 3. September 2000: »Geschenkt ist geschenkt«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 11. Sonntag nach Trinitatis, an dem es um das Thema „Hochmut und Demut“ geht. Evangeliumslesung ist das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner, in der Epistel geht es um das Geschenk der Taufe. Predigttext war ein Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Galater Kapitel 2, für dessen Verstehen es viel Hintergrundwissen braucht. Ich habe ihn in der Predigt Vers für Vers besprochen:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  16 Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. 17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. 19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Predigt

  Auch in der Kirche wird gestritten

Die gute alte Zeit wird manchmal beschworen. Auch in der Kirche. Damals, als alles noch besser war, als man noch an einem Strang gezogen hat. Zurück zu den Anfängen, zurück zu den Wurzeln suchen manche die Lösung und das Heil. Aber die Anfänge der Kirche waren nicht das Paradies. Es gab erbitterten Streit. Mit einem Unterschied zu heute vielleicht, daß man sich um die zentralen Punkte gestritten hat. Heute sind es oft Randpunkte. Oder Gruppen mit Einzelinteressen versuchen, ihr Steckenpferd oder ihre Empfindlichkeit zu einem für alle zentralen Punkt zu machen.

Judenchristen und Heidenchristen

So gab es damals eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen, ohne die die Kirche nicht denkbar wäre: zwischen den Aposteln Paulus und Petrus. Und hinterher war offenbar das Tischtuch zwischen ihnen zerschnitten. Es ging um das Verhältnis zwischen den sog. Judenchristen und den sog. Heidenchristen. Ein Problem, das man heute nicht mehr so recht nachvollziehen kann. Worum ging es?

In ihren Anfängen war die christliche Kirche eine Art jüdische Sekte, eine Sonderbewegung, auch "Der neue Weg" genannt. Juden, die in Jesus von Nazareth den versprochenen jüdischen Messias sahen. In ihren täglichen Gewohnheiten waren und blieben sie Juden. Neu waren ihre zusätzlichen Auferstehungsfeiern am Sonntagmorgen. (Also sozusagen jeden Sonntag Osternacht.) Aber der neue Weg war nicht denkbar ohne die alte Wurzel. Paulus sagte es im Bild: Die Christen sind wie ein wilder Ölzweig, der zur Veredelung in einen alten Ölbaum eingepfropft wird.

Paulus – Wanderer zwischen den Welten

Paulus war ein Wanderer zwischen den damaligen Welten: Er war sowohl studierter jüdischer Schriftgelehrter als auch ein griechisch gebildeter Mensch, abseits von Jerusalem aufgewachsen. Er wußte sich nach seiner Bekehrung mit seiner Botschaft von Christus auch zu Menschen geschickt, die vorher keine Juden, also nach damaliger Vorstellung Heiden waren. Er erlebt, wie Menschen Jesus Christus als ihren Herrn annehmen, die vom jüdischen Glauben und Leben nichts wissen. Und so erstreitet er sich bei den Autoritäten in Jerusalem die Freiheit, daß nun auch Menschen dazugehören dürfen, ohne vorher jüdische Gewohnheiten anzunehmen.

Jüdische Reinheitsvorschriften

Ein wichtiger Teil dieser jüdischen Gewohnheiten waren nun die Reinheitsvorschriften beim Essen: Es gab Vorschriften, was man essen darf und was nicht, und wie das Fleisch geschlachtet worden sein muß. Es gab Vorschriften, mit wem man sich an einen Tisch setzte und mit wem nicht. Schon Jesus hatte ja großen Anstoß bei den Frommen seiner Zeit erregt, weil er sich mit Hinz und Kunz an den Tisch setzte.

Und so war Petrus als wichtiger Vertreter der Judenchristen aus Jerusalem zu Besuch im 800 km entfernten Antiochien, einem Zentrum der Heidenchristen. Er gibt sich dort ganz in diese Gemeinschaft hinein und genießt eine christliche Freiheit, die er zu Hause in Jerusalem nicht kennt. Er sitzt ohne Skrupel mit Menschen zu Tisch, die von jüdischen Gepflogenheiten nichts wissen. Der Glaube an denselben Herrn verbindet sie. Doch als dann einige Abgesandte der Jerusalemer Gemeinde kommen, meidet er auf einmal das gemeinsame Essen und damit vermutlich auch das gemeinsame Abendmahl. Man kann ihn verstehen: Er will den Gästen keinen Anstoß geben. Auch die Gastfreundschaft ist ein hohes Gut. Und er will, Gast in Antiochien, ja wohl auch wieder in Frieden nach Jerusalem zurück können. So fordert das Leben einfach Kompromisse.

Eklat zwischen Paulus und Petrus

Darüber kommt es zum öffentlichen Eklat mit Paulus vor der Gemeinde. Ein Eklat, der wie im Leben so oft, vielleicht auch mit den verschiedenen Charakteren zu tun hat. Wir kennen Petrus als den Impulsiven, den Spontanen, der sich ganz hineingibt in eine Situation. Und wir kennen Paulus als den Prinzipientreuen und Kompromißlosen. "Und wenn ein Engel vom Himmel käme und würde ein anderes Evangelium predigen als ich es euch gebracht habe, der sei er verflucht." schreibt er den Christen in Galatien aus aktuellem Anlaß. Paulus, ein Mensch, für den es nur Entweder-Oder gibt.

Vor der Gemeinde weist er Petrus zurecht und bezeichnet ihn als Heuchler. Wörtlich steht im griechischen Text: Er geht nicht den geraden Weg. Wenn er um jüdischer Vorschriften willen den Kontakt abbricht, dann sagt er damit, daß man ohne sie nicht Christ sein kann. Und da geht es Paulus ums Prinzip, um den Kern, um alles oder nichts: Er hat erlebt, daß man nur scheitern kann, wenn man sich durch das Halten von religiösen Gesetzen vor Gott Punkte sammeln will. Gott schenkt in Jesus seine Nähe. Man kann sie sich nicht erarbeiten. Oder mit den Worten des Briefes an die Galater in der Übersetzung Martin Luthers: 16 Weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen. ... Durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.

Nicht wieder neue Hürden

"Überlege, was du tust." sagt Paulus zu Petrus. In unseren Begegnungen mit Jesus haben wir beide gelernt, daß man sich Gottes Nähe nur schenken lassen kann. Und nun baust du wie durch die Hintertür wieder eine Hürde auf, die man auf dem Weg zu Gott erst überwinden muß. Auf einmal wird das jüdische Gesetz wieder zum Weg zu Gott. Mit den biblischen Worten: 18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Der Weg über das Gesetz, hier in Form der Speisevorschriften, wäre also ein Rückfall. Er würde eine Mauer aufrichten, die längst abgebrochen ist. Und vor allem: Petrus würde sich selbst zu einem Gesetzesübertreter machen. Will sagen: Ohne Skrupel saß er vorher mit den anderen zu Tisch. Will er das jetzt nicht mehr, würde er damit ja sagen, daß er vorher falsch gehandelt hat.

Nein, seit der Taufe hat der Mensch einen neuen Herrn. Das Gesetz hat keinen Anspruch mehr auf ihn. Es gibt eine direkte und unmittelbare Beziehung zu Gott. Mit den Worten des Paulus: 19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.

Die Unvollkommenenheit bleibt

Und dann scheint Paulus zu merken, daß sein kompromißloses "Alles ist anders geworden." im täglichen Leben nicht unbedingt stimmt. Wer begriffen hat, daß man sich Gottes Nähe nur schenken lassen kann, für den hat sich innerlich zwar Entscheidendes gewandelt, aber er wird im täglichen Leben nicht gleich zum Heiligen, sondern bleibt ein Sünder, ein Unvollkommener. Leistet damit Jesus und der Glaube an ihn gar der Sünde Vorschub? Mit den Worten des Paulus: 17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Ich lebe im Glauben an ihn, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.

Auf deutsch also: Wenn ein Mensch zwar innerlich das Entscheidende begriffen hat, daß das Leben im Kern Geschenk und nicht Leistung ist, aber er bleibt in seinem Tun unvollkommen, sollte man ihm im täglichen Leben nicht doch Gesetze, Vorschriften und Hilfestellungen geben, damit er den Weg zum Ziel findet? Nein, sagt Paulus kompromißlos. Wenn du begriffen hast und einfach nur im Glauben ja dazu sagst, daß Gott sich dir um Christi willen schenkt, dann braucht es weiter nichts. Geschenkt ist geschenkt. Gnade ist Gnade. Wenn es auch andere Wege gibt, dann hätte es in letzter Konsequenz auch Christus nicht gebraucht. Mit den Worten des Paulus: 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Geschenkt ist geschenkt

"Geschenkt ist geschenkt." Das ist für mich der kompromißlose Kern dieser kompromißlosen, aber vom Verstehen und von den Formulierungen her so schwierigen und sperrigen Worte des Paulus. "Geschenkt ist geschenkt." Das möchte ich denen immer wieder zurufen, die immer neuen selbstgesteckten Zielen und Gesetzen hinterlaufen mit dem verzweifelten Motto: "Das Leben muß doch irgendwie gelingen." Sie gleichen Menschen, die dem Leben hinterherlaufen und darüber vergessen zu leben. Sie gleichen der Ziege, die der Mann in der Schwäbschen Eisenbahne an den hinteren Eisenbahnwaggon gebunden hat. Hoffentlich findet sich jemand, der ihnen den Strick durchschneidet!

Nein, die wichtigsten und entscheidenden Dinge im Leben sind allemal geschenkt und nicht erarbeitet. Heilsam ist es, sich am Abend eines Tages einmal hinzusetzen und den Tag noch einmal meditierend an sich vorüberlaufen zu lassen, und dann ehrlich zu entdecken, was diesen Tag wirklich ausgemacht hat. "Geschenkt ist geschenkt." Gott sei Dank. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de