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Die Predigt |
Wer redet hier?
„Wer redet hier?“ haben Sie sich vielleicht beim Hören
gefragt. Wer ist dieser „Ich“, dieser „Knecht“,
mit dem Gott etwas Besonderes vor hat? Das Heil der ganzen Welt liegt
in ihm. Ein Licht für alle Völker.
Du und ich können es nicht sein. Wir sind nur kleine Lichter.
Beauftragte Gottes. Menschen, mit denen Gott Großes vor hat.
Oder vielleicht doch?
Beidem will ich ein wenig nachgehen: Zum einen dieser Frage, was es
mit dem sog. „Gottesknecht“ im Buch des Propheten Jesaja
auf sich hat. Aber dann auch der Frage, ob das Gesagte nicht doch
auch mit uns heute zu tun haben könnte. Eine Predigt darf ja
nicht nur eine geschichtliche Vorlesung sein.
Der „Gottesknecht“ bei Jesaja
Öfter ist beim Propheten Jesaja in dichterischer Form von diesem
Knecht die Rede, für den Gott einen besonderen Auftrag hat. Von
den „Gottesknechtsliedern“ reden die Theologen. Schon
bei deutschen Wort gehen die Schwierigkeiten los: Das Wort „Knecht“,
das Martin Luther bei seiner Bibelübersetzung damals verwendete,
hat heute einen anderen Klang als damals. Knecht – das hat heute
etwas Unterwürfiges an sich. Es hat einen negativen Klang. Es
will nicht recht zu einem Menschen passen, mit dem Gott etwas Besonderes
vor hat. So übersetzt die „Gute Nachricht“, die Bibelausgabe
im modernen Deutsch „Bevollmächtigter“. Das klingt
gestelzter, aber es trifft den Kern.
Hier, im 49. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja redet dieser Knecht
Gottes in der Ich-Form von seiner Berufung, von seiner Bevollmächtigung:
1 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne,
merket auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an.
Er hat einen Auftrag von Gott. Das sollen alle wissen: nicht nur das
eigene Volk, sondern auch die weit entfernten. Gott hatte schon etwas
mit ihm vor, als er noch nicht geboren war. Gott hat ihn berufen,
so wie im Alten Testament Propheten berufen werden. Sie sollen nicht
ihre eigenen Worte weitersagen. Sie reden im Namen Gottes.
Einer, der einen Auftrag hat
Was ist nun sein Auftrag, seine Berufung?
5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem
Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll
und Israel zu ihm gesammelt werde.
Israel und Jakob, das ist dieselbe Person. Der Stammvater Jakob bekommt
den Ehrennamen Israel, „Gottesstreiter“, als er in einer
schicksalshaften Nacht mit Gott ringt und sich durchkämpft. Hier
steht er stellvertretend für das Volk Gottes. Alle, die zu Gott
gehören, alle Zerstreuten und Verlorenen, soll der Gottesknecht
sammeln und zu Gott zurückbringen.
Wer könnte damit gemeint sein? Die meisten Ausleger verstehen
es so, dass der Prophet Jesaja hier von sich selbst und seiner Berufung
spricht. Er macht den Zerstreuten und Verlorenen in der Verbannung
in Babylonien Mut. Er spricht ihnen zu, dass sie nicht von Gott vergessen
sind.
Jesus und der Gottesknecht
Stutzig macht aber, dass er nicht nur für das jüdische Volk,
sondern weit darüber hinaus beauftragt ist:
6 (Gott) spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die
Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,
sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass
du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.
Die ersten Christen, die nach dem Tod und der Auferstehung Jesu ihre
Heilige Schrift, unser sog. Altes Testament, auf einmal mit anderen
Augen gelesen haben, die haben in diesem Bevollmächtigten Gottes
Jesus entdeckt:
Er war es, der die Menschen zu Gott zurück brachte. Und nicht
nur die Menschen im Gottesvolk Israel, sondern auch darüber hinaus.
Er ist scheinbar mit seinem Auftrag gescheitert. Doch Gott sich durch
seine Auferweckung zu ihm bekannt:
4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine
Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und
mein Lohn bei meinem Gott ist.
Auch uns braucht Gott
Und dennoch: Auch wenn wir nur kleine Lichter sind, nicht Jesaja,
geschweige denn Jesus, dürfen wir diese Worte des Jesaja auch
als Worte an uns verstehen. Wir können Sie nicht einfach wörtlich
übertragen. Dass wir Bedeutung hätten für das Heil
der ganzen Welt, das kann man nicht von einem einzelnen Christen,
wohl aber von der christlichen Kirche als Ganzes.
Doch wenn wir ernst nehmen, dass wir als Christen durch Taufe und
Konfirmation von Gott in den Dienst genommen werden, jeder auf seine
eigene Weise und an seinem kleineren oder größeren Platz,
dann sind auch wir gemeint:
Gott kennt uns. Gott braucht uns. Wir arbeiten und leben nicht vergeblich.
Gott kennt mich
Gott kennt uns:
Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens
gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.
Gott, der Schöpfer kennt mich von Anfang an. Ich habe einen Namen
vor ihm. Ich bin gewollt. Ich bin ein Individuum schon lange vor der
Geburt.
Gott kennt mich: Ich bin nicht nur eine Nummer unter vielen. Ich bin
nicht einfach nur ein Produkt des Zufalls. Ich bin nicht einfach nur
ein Ausrutscher meiner Eltern. Gott hat ein Auge auf mich geworfen,
bevor mein Vater und meine Mutter ein Auge aufeinander geworfen haben.
Er kennt mich von Anfang an. Mit anderen Worten:
5 - darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet, und mein Gott ist
meine Stärke -
Vor Gott bin ich als Getaufter etwas wert. Ich bin wichtig. Gott nimmt
mich, so wie ich bin. Das ist eine gute Botschaft für Menschen
an Wendepunkten des Lebens, wo jemand sich oft selbst nicht so nehmen
kann, wie er ist. Bei der Wende vom Kind zum Jugendlichen in der Pubertät.
Bei der Wende vom Arbeitsleben in den Ruhestand. Bei der Wende vom
tätigen Ruhestand hinein in die Phase, wo die Kräfte spürbar
und unwiederbringlich nachlassen.
Ich bin etwas vor Gott. Ich bin ihm wichtig. Vor Gott bin ich wichtig,
auch wenn ich mich manchmal selbst nicht mehr für wichtig halte.
Vor Gott bin ich wichtig, auch wenn ich manchmal meine, wenn ich nicht
mehr da wäre, würde auch kein Hahn mehr nach mir krähen.
Nein. Ich bin wichtig. Ich bin etwas wert. Allein, dass ich da bin,
hat einen Sinn.
Mein Leben ist nicht vergeblich
4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine
Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und
mein Lohn bei meinem Gott ist.
Auch der Gottesknecht aus dem Buch Jesaja hatte mit der Anfechtung
zu kämpfen, dass manche Arbeit und Bemühung misslingt. Offenbar
sind seine Prophetenworte nicht gehört worden. Vielleicht hat
man ihn ausgelacht.
Da ist es wieder, das heimliche Thema dieses Sonntags: Unser Leben
zwischen Glauben und Zweifeln.
„Vergeblich, umsonst, unnütz.“ In diesen Worten entdecken
sich immer wieder Menschen. Jesaja redet ihnen aus dem Herzen, um
dann aber gleich fortzufahren: „Es stimmt nicht. Es scheint
nur in manchen Situationen des Lebens so.“ Da sind immer wieder
solche Phasen, wo man alles vergessen hat, was man vorher glaubte.
Und dann macht ihm Gott klar: Du arbeitest nicht vergeblich. Du verzehrst
deine Kraft nicht umsonst. Du bist nicht unnütz.
Diese Botschaft müssen Menschen immer wieder hören. Junge
Menschen und alte Menschen. Menschen, die meinen, sie seien nur etwas,
wenn sie etwas leisten. Sie müssen hören: Du bist etwas,
weil Gott dich gewollt hat und weiterhin will.
Gott braucht mich
Und dann auch das dritte und letzte: Gott hat etwas mit dir vor. Er
braucht dich.
2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem
Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen
Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.
Für einen jeden hat Gott einen Auftrag. Jeder ist zu etwas nütze
in seinem Alter und an seinem Platz. Von Gott verwahrt und bereit
gelegt wie ein Pfeil, der im rechten Moment zum Einsatz kommt.
Aber nicht für alle gilt, was für den Gottesknecht gegolten
hat: das treffende, das rechte Worte zur rechten Zeit zu sagen. Nicht
jeder ist ein Mensch der Worte. Manche sind Menschen der Tat. Bei
ihnen sind es nicht die zupackenden Worte, sondern die zupackenden
Hände. Und wenn es die Worte oder die Hände nicht mehr sind,
dann sind es vielleicht die Ohren: Wen Gott vielleicht am Ende nicht
mehr mit seinen Händen und seiner Kraft brauchen kann, den braucht
er vielleicht zum Zuhören oder zum Beten. |
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