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Die Predigt |
Eine Liebesgeschichte
Eine Liebesgeschichte. (Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen
sind nicht beabsichtigt.)
Da hatten sich zwei einmal sehr gerne. Sie haben einander Treue versprochen,
Treue bis zum Tod. Im Laufe der Zeit aber wurde unversehens und unmerklich
– Wie kam es eigentlich? – ihre Liebe langsam kälter.
Sie lebten noch ein wenig nebeneinander her, machten den einen oder
anderen zaghaften Versuch, wieder zueinander zu finden – und
als die Kinder aus dem Haus waren ging einer von beiden (sagen wir
einmal, es war der Mann, doch das ist nicht entscheidend) seiner eigenen
Wege. Freiheit wollte er, die Fesseln abstreifen. Selbstständig
wollte er sein und ungebunden, sich selbst verwirklichen.
Richtig losgesagt hatte er sich nicht. Die Bindung bestand noch –
auf dem Papier. Er empfand auch noch etwas. Da waren so viele Erinnerungen,
die man nicht ungeschehen machen konnte. Nein, einen endgültigen
Schlussstrich wollte er nicht ziehen.
Noch einmal neu anfangen?
So lebte er vor sich hin. Es ging ihm gut, ohne Frage, äußerlich
zumindest. Er hatte, was er brauchte. Wenn es sein musste, auch einmal
einen Partner, für einige Zeit. Ganz allein war er nie. Doch
hin und wieder gingen seine Gedanken einmal zu der alten Liebe zurück,
anfangs nicht so sehr, dann immer öfter. Da schloss er dann für
einen Moment die Augen, manchmal mitten während der Arbeit: „Würde
es wohl noch einmal so werden können wie am Anfang?“ ging
es ihm durch den Kopf. „Wenn man doch noch einmal von vorne
anfangen könnte. Alles ungeschehen machen. Wieder einen haben,
auf den man sich verlassen kann, ein Heim, Geborgenheit."
Je älter er wurde, desto mehr spürte er, was ihm fehlte.
Zugegeben hätte er es vor anderen nicht, gab er es doch nicht
einmal vor sich selbst so richtig zu. Vor den anderen da spielte er
den Starken, den Selbständigen, den, der über den Dingen
stand.
Selber den ersten Schritt tun? Er überlegte es sich manchmal,
aber er konnte sich nicht überwinden. Manchmal erwischte er sich
dabei, wie er sich sogar die Worte zurechtlegte, die er sagen würde.
– Es blieben Gedankenspiele.
Dann stand sie vor der Tür ...
Da kam auf einmal ein Brief. Von ihr, ja, das sah er gleich an der
Handschrift. Es war ein harter Brief, deutlich und unmissverständlich,
so wie ihn wohl nur enttäuscht Liebende schreiben können.
Sie nahm kein Blatt vor dem Mund.
„Ich liebe dich noch immer“, stand da. „Aber gerade
deswegen kann ich deine Unentschlossenheit nicht ertragen. Das ist
nichts Halbes und nichts Ganzes: Du ziehst keinen Schlussstrich, du
sagst dich nicht los. Du fragst aber auch nicht nach einem neuen Anfang.
Weißt du überhaupt, wie es mir dabei geht? Sag ja oder
sag nein. Selbst wenn du nein sagst, ist es mir noch lieber als diese
halbe Sache jetzt. Um meinetwillen und um deinetwillen müssen
wir wissen, woran wir sind. Bist du denn wirklich zufrieden so? Willst
du so weiterleben? Ich habe gehört, du sagst den anderen, es
gehe dir gut. Ich kenne dich doch. Lüg' dir bitte nichts vor.“
Er nahm das Kuvert zur Hand, drehte es um und schaute auf die Adresse.
Es war dieselbe wir immer. Er hätte sie also die ganze Zeit erreichen
können. Ob er antworten sollte. Er war ihr nicht böse. Er
hatte ihre Schärfe, ihre deutlichen Worte wohl verstanden. Sie
kannte ihn ja so gut.
Am nächsten Morgen, er frühstückte wie immer etwas
später, da klingelte es. Er murmelte noch etwas von den aufdringlichen
Vertretern, die jetzt schon am Vormittag kommen – und dann stand
sie vor der Tür. Sie sah ihn nur an. ...
Das Ende meiner Liebesgeschichte ist offen. Sie müssen Sie selber
zu Ende denken. Denn es ist unser aller Geschichte.
Ich lese Ihnen eine Art Liebesbrief Gottes, geschrieben vor 2000 Jahren
an eine christliche Gemeinde in Kleinasien. Der Brief einer enttäuschten
Liebe, hart und unmissverständlich in der Sache. Doch der Brief
einer Liebe, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.
(Text siehe oben)
Gott, ein enttäuschter Liebhaber
Ach, dass du kalt oder warm wärest! 16 Weil du aber lau bist
und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
Hart und unmissverständlich in der Sache, aber doch ganz und
gar leidenschaftlich wird hier geredet. Aus einer enttäuschten
Liebe heraus, die weiterhin besteht und nicht ohne Antwort bleiben
will.
In der Art eines enttäuschten Liebhabers steht Gott vor der Lebenstür
in der Hoffnung, dass wir uns ihm nicht entziehen. Liebe treibt ihn.
Eine enttäuschte Liebe, die sich nicht damit zufrieden geben
kann, dass wir an der brüchig gewordenen Bindung zu ihm so wenig
leiden.
Luther formuliert das in der ihm eigenen bildhaften Sprache so: „Gott
ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde
bis an den Himmel reicht.“
Liebe erkaltet
Hat Gott nicht Grund genug, enttäuscht zu sein, enttäuscht
wie ein verletzter Liebender? Da wurde ihm seinerzeit Treue geschworen
in hehren Worten – in aller Öffentlichkeit z.B. bei der
Konfirmation, oder aber im Stillen in schwerer Lage: „Gott,
wenn ich das heil überstehe, dann ..., ja dann ..."
Und dann erkaltet diese Liebe und Treue unversehens, ob sie nun am
Anfang groß oder klein war. Sie erkaltet, so ähnlich wie
oft zwischen zwei Menschen in der Ehe. Die Lebensumstände sind's,
das schlechte Beispiel anderer, die Bequemlichkeit, die Zufriedenheit.
In seinen besten Jahren, da hat man anderes zu tun: das berufliche
Fortkommen nimmt einen gefangen, die Gründung einer Familie,
der Bau eines Hauses. Man kommt gut zurecht. Man ist reich. Man hat,
was man braucht. Man kehrt der Kirche nicht den Rücken, nein.
Aber bitte: alles im rechten Maß. Und: Kann man nicht auch Christ
sein ohne die Kirche?
Das ist nicht die Liebe, die Gott will. Wie zwischen zwei Menschen
auch will er ein unmissverständliches, ein ungeteiltes Ja, kein
Jein, kein ja-aber.
Es müsste sich etwas ändern
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach,
dass du kalt oder warm wärest! 17 Du sprichst: Ich bin reich
und habe genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du
elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. 18 Ich
rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert
ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie
anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde,
und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
Ja wie denn? Kann man äußerlich reich, zufrieden und gesegnet
sein, aber doch innerlich elend und arm? Ja, man kann. Viele wissen
es auch, ahnen es. Aber man gibt es nicht gerne zu, vor sich selber
nicht, geschweige denn vor anderen.
Gott sei Dank gibt es dieses Wissen und Gespür, diese innere
Unruhe, dass man im Leben mehr von diesen Dingen sammeln müsste,
die unvergänglich sind. Gold, im Feuer geläutert, so heißt
es hier im Bild. Etwas, was wirklich reich macht.
Augensalbe verschreibt Gott. Was für ein treffendes Bild! Einen
anderen Blick müsste man bekommen, andere Augen, die sich nicht
blenden lassen vom Aufdringlichen und Vordergründigen. Augen,
die merken, was wirklich wichtig ist. Durchblick.
Nicht wieder zur Tagesordnung zurück
So sei nun eifrig und tue Buße!
Buße am Buß- und Bettag – das alte Wort verstellt
manchmal das rechte Verständnis. „Tu Buße“,
das heißt nicht: „Setz dein Totensonntagsgesicht auf,
gehe gebeugt und zieh schwarze Kleider an.“ Buße, das
bedeutet: Schlag einen anderen Weg ein. Bleib nicht bei den Gedankenspielen,
mach' Ernst. Wenn du schon immer wieder einmal spürst, dass das
nicht alles sein kann, wenn du dir schon immer wieder einmal deine
Lauheit vor Gott eingestehst, dann tu um Gottes Willen und um deinetwillen
etwas und kehr nicht wieder zur Tagesordnung zurück.
Gott tut den ersten Schritt
20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.
Einen geharnischten Brief schreibt Gott, einen Brief in aller Deutlichkeit.
„Eigentlich kannst du mich nur ganz oder gar nicht haben“.
Und nun der springende Punkt: Der ungeduldige, in seiner Liebe enttäuschte
Gott wartet die Antwort erst gar nicht ab. Er steht selber vor der
Tür. Er geht von sich aus auf uns zu. Vor unseren zögerlichen
Schritten tut er den ersten Schritt. Er ist da. Ganz da, ohne Bedingung.
Er fordert unser Ja zu ihm geradezu heraus. Kann man da wirklich noch
nein sagen?
Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun,
zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und
er mit mir.
Gott weiß, wie schwer es ist, dass wir von uns aus einen neuen
Anfang mit ihm machen, dass wir aus eigener Kraft uns ändern.
So vertraue ich darauf, dass Gott selbst uns anders machen kann und
will, wenn wir ihm nur die Tür aufmachen, die Gemeinschaft mit
ihm suchen. Doch: Die Tür aufmachen, das kann uns niemand abnehmen.
„Siehe, heute stehe ich vor der Tür und klopfe an."
Amen |
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