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Die Predigt vom 17. Dezember 2000: »Trösten – wie geht das?«


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  Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Advent. Evangelium war die Anfrage Johannes des Täufers aus Matthäus 11, in der Epistel warnt Paulus davor, andere zu richten. Der Predigttext ist die alttestamentliche Lesung aus Jesaja 40, eine Trostbotschaft an die Verbannten in Babylonien:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet. 6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Predigt

  Trösten – wie geht das?

"Tröstet, tröstet mein Volk." Wie geht das, trösten? Wie tröstet man recht? Ich will versuchen, die 2.500 Jahre alten Trostworte des Propheten Jesaja in ihrer Zeit zu erklären, aber auch in unsere Zeit zu übersetzen.

Das Leid beim Namen nennen

Wie kann man recht trösten? Man tröstet nicht, indem man beschwichtigt und herunterspielt: "So schlimm ist es ja gar nicht." "Kopf hoch. Das wird schon wieder." Man tröstet nur, wenn man sein Gegenüber ernst nimmt und sein Leid beim Namen nennt. "Ja, es ist schlimm. Ja, es war schlimm."

2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat. "Jerusalem" - damit ist die ehemals Jerusalemer Bevölkerung gemeint, die sich nun 900 km weit weg von der Heimat in der Knechtschaft, in der babylonischen Verbannung befindet. Mehr als eine Generation schon sind sie in der Fremde. Die Verbannung und das Ende der stolzen Stadt haben sie damals an ihrem Gott und seiner Macht zweifeln lassen. Manche hatten schon die Hoffnung aufgegeben. Doch nun ist das Ende ihrer Verbannung zu erahnen.

Knechtschaft, das ist Hilflosigkeit, Ohnmacht, Opfer sein, Erleiden, ohne sich wehren zu können, Resignation, Glaubenszweifel, Fragen nach der Gerechtigkeit, Fragen nach Gott. Innerlich gesehen, übertragen gesehen, gibt es solche Knechtschaft auch heute. Im eigenen Haus wohnt sie oder auch ein Haus weiter.

Nach dem eigenen Anteil fragen

2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

Trösten, aber dabei die Vergangenheit nicht aussparen. Das ist eine heikle Angelegenheit: "Gott ist schuld." "Die anderen sind schuld." Das sind die ersten Antworten. Bei den Verbannten in Babylonien ist nach Jahren des Haderns und des Zweifels an Gott die Einsicht gereift, daß sie sich ihr Schicksal selbst zuzuschreiben haben. Die Gebote ihres Gottes haben sie gekannt. Doch zur Zeit der Könige war die Gesellschaft ungerecht geteilt zwischen den wenigen Reichen oben und den vielen Armen unten. Und politisch hatte Gott gar nichts zu sagen: Mit Taktik versuchte man sich damals durchzulavieren und ist zwischen die Mühlsteine der beiden Weltmächte, die Babylonier im Norden und die Ägypter im Süden, geraten. Und gerade die Verantwortlichen saßen ja dort in Babylonien, die ehemals reiche staatstragende Oberschicht. Die Armen, die politisch nicht gefährlich waren, hatten die Sieger im Land wohnen lassen.

Doch auch das ist nun wieder Geschichte. Sie haben die doppelte Strafe empfangen. Die doppelte Strafe, das war in Israel der übliche Schadensersatz bei schuldhaftem Verhalten. "Doppelte Strafe", d.h.: Alles ist abgebüßt. Die Freilassung steht bevor.

Nicht „Heile, heile, Gänschen“

Das ist eine ganz heikle Angelegenheit beim Trösten. Darf man den anderen, den man trösten will, nach dem eigenen Verschulden fragen? Tunkt man ihn damit nicht noch tiefer hinein? Darf man das? Wer darf es? Ärzte tun es manchmal. Sie müssen die ungeschminkte Wahrheit sagen, damit das Gegenüber begreift, wie ernst es ist. Trösten, das darf nicht einfach nur "Heile, heile, Gänschen" sein. Was wahr ist, muß gesagt werden. Einen neuen Weg gibt es nur, wenn jemand die Wahrheit hören kann. Ohne Diagnose gibt es keine Heilung.

Und doch glaube ich, was der Prophet Jesaja hier mit der Autorität Gottes ungeschminkt weitersagt, können wir als Tröster nicht so einfach nachmachen. Allemal besser ist, wenn der Betroffene seinen Anteil an der Schuld selbst erkennt. Das muß reifen. Man kann es ihm nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren hauen.

Freundlich reden

Wie sollen wir reden beim Trösten? 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

Freundlich sollen wir reden. Das Gewesene nicht beschönigen, aber nun den Blick nach vorne richten: "Jetzt ist es genug. Das war nicht Gottes letztes Wort. Er hat auch noch etwas anderes mit dir vor." Was ist Trösten also? Trösten ist nicht bemitleiden, sondern zu einem neuen Weg, zum Leben, das weitergeht, ermutigen:

Gott kommt

"Der Gott, dem du dich ferne gefühlt hast, oder den du fern gefühlt hast, er kommt dir wieder nahe. Er kommt auf dich zu." Mit den Worten des Jesaja an die Menschen in der Verbannung:

3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden.

Fern von Jerusalem leben die Verbannten. Zwischen ihnen in Babylonien und der alten Heimat liegen 900 km lebensfeindliche Syrische Wüste. Diesen direkten Weg hat damals niemand gewählt. Doch ihre Heimkehr, so hören sie, soll auf dem direkten Weg erfolgen. Gott kommt ihnen entgegen. Er kommt und wird den Zug der Heimkehrenden anführen. Doch damit Gott kommen kann, muß sein Volk sich vorbereiten. Gott kommt nur bei denen an, die vorbereitet sind.

Trösten: zun einem neuen Weg ermutigen

Wer tröstet, lädt also ein, nach vorne zu schauen. Wer tröstet, blickt nicht zurück. Es wird nicht nachgekartelt. Wer tröstet, schickt den anderen behutsam auf einen neuen Weg. Doch ein neuer Weg braucht auch neues Handeln. Man kann den neuen Weg nicht gehen mit den Methoden des alten. Man kann nicht weitermachen wie vorher. Für das Neue müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden: Die Unebenheiten, die den neuen Weg hindern könnten, sie müssen erst beseitigt werden.

Was können solche Unebenheiten sein? Es kommt auf die Diagnose an. Es kommt darauf an, was gewesen ist. Vielleicht müssen alte Gewohnheiten fallen. Gewohnheiten, was die Gesundheit angeht, die Ernährung, die Genußmittel, den Umgang mit sich selbst und mit anderen. Vielleicht braucht es endlich mehr Zeit: mehr Zeit für sich selbst, für die Familie, für Gott.

Trösten ist nicht leicht

Aber: Trösten, die ungeschminkte Wahrheit weitersagen, Mut machen, auf einen neuen Weg weisen, das ist nicht leicht. Der Prophet Jesaja ist skeptisch. Er traut seinen Worten und er traut den Hörern nicht genügend zu:

6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! – 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Wird es wirklich gut gehen, wenn jemand einen neuen Weg beginnt? Wird er, sobald es ihm gut geht, nicht alles wieder vergessen und vielleicht gar auf seinen alten Weg zurückfallen? Wird er, wenn alles wieder gut ist, vielleicht auch Gott wieder vergessen, der ihm doch jetzt so nahe gekommen ist? Begrenzt ist der Mensch. Sterblich ist er. Schnell vergeht er wie die Blumen in Israel, über die der heiße Wüstenwind hinwegweht. Aber, so betont der Prophet: Gottes Versprechen bleibt.

Wenn jemand seinen alten Weg erkannt hat, wenn jemand Schiffbruch erlitten hat, wenn jemand durch die Wüste mußte, und er bekommt von Gott einen neuen Weg geschenkt, dann nimmt Gott das nicht zurück. Versprochen ist versprochen. Nur du selbst kannst alles wieder rückgängig machen. Nur du selbst kannst von dir aus in die alten Fehler verfallen. Nur du selbst kannst hinter die Gnade Gottes zurück.

Trösten und Weihnachten

Wissen Sie, daß trösten etwas mit Weihnachten zu tun hat: Trösten kann ich mich nicht selber. Trost brauche ich von außen. Ich brauche einen Menschen, der mich tröstet, wenn ich untröstlich bin. Von außen muß mir geholfen werden. Münchhausen braucht keine Hilfe. Münchhausen braucht keinen Trost. Aber Münchhausen war ein Schwindler.

Das ist das tiefe Geheimnis von Weihnachten: Gott greift von außen in eine Welt ein, die sich nicht selbst helfen kann. Er selber kommt in seine Welt und hilft ihr. Und er zeigt durch sein Eingreifen auch, wie der Welt nur geholfen werden kann: nicht durch Macht, nicht durch Gewalt, nicht durch Stärke. Mit einem Kind, klein, hilflos und mißverständlich wird der Welt geholfen und die Welt getröstet.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de