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Die Predigt |
Eine ungewöhnliche
Begegnung
So lesen wir im Johannesevangelium im 4. Kapitel von der Begegnung
Jesu mit einer Frau aus Samarien. Eine überraschende, ja eigentlich
eine unwahrscheinliche, eine unmögliche Begegnung:
Juden und Samaritaner sind sich bewusst aus dem Weg gegangen. Dass
Jesus mit seinen Jüngern auf dem Weg von Galiläa im Norden
Israels in den Süden nach Jerusalem dort vorbei kommt und Halt
macht, war ungewöhnlich. Ein frommer Jude hätte einen Umweg
gemacht. Er hätte die Gegend und die Menschen gemieden. Als Volk
und vom Glauben her akzeptierten sich beide nicht. Es verband sie
der Glaube an den einen Gott und die fünf Bücher Mose. Ihre
Frömmigkeit aber hatte sich über die Jahrhunderte verschieden
entwickelt. Wir können uns das in etwa so vorstellen wie das
Verhältnis zwischen Evangelischen und Katholiken vor 50, 60 Jahren.
Und dann kommt noch dazu, dass ein jüdischer Mann eine Frau nie
in der Öffentlichkeit einfach so angesprochen hätte. Das
war ganz gegen die guten Sitten. Es war anstößig, ja unanständig.
Kein Wunder, wenn es im Text heißt:
9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich
um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische
Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.
Jesus durchbricht Konventionen
Etwas verkürzt könnte man sagen: Für Jesus sind die
Menschen wichtiger als die Sitten und Gebräuche. Über Konventionen,
über das, was an eigentlich tut oder nicht tut, setzt sich Jesus
zeitlebens hinweg: Er hat keine Scheu, sich mit kranken Menschen abzugeben,
von denen man damals pauschal meinte, sie seien von Gott gestraft.
Er scheut die Aussätzigen nicht, die sich aus der Gesellschaft
fern halten mussten. Er wagt es, vor der versammelten Männermannschaft
Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und zu sagen, dass sie einen
viel direkteren Weg zu Gott und zum Glauben haben. In seinen Begegnungen
mit Frauen macht er deutlich, dass er ihnen dieselbe Würde zuspricht
wie den Männern.
Dass Jesus die Frau um Wasser bittet, mag uns heute komisch vorkommen.
Kann er sich das Wasser nicht selber schöpfen? Entscheidend ist
für damaligen Ohren, dass Jesus die Frau wie einen Menschen und
nicht, wie damals üblich, wie Luft oder nur wie eine Sache behandelt.
Wasser ist Leben
Die Frau wird aufmerksam. Und vom äußeren Durst nach Wasser
her entwickelt sich zwischen Jesus und der Frau ein Gespräch
über den Lebensdurst. Auf zwei verschiedenen Ebenen verläuft
das Gespräch sozusagen: Jesus verspricht der Frau lebendiges
Wasser. Das war damals die Bezeichnung für Quellwasser, für
fließendes, frisches Wasser im Gegensatz zum stehenden Wasser,
das man aus Zisternen holte. Und er verspricht Wasser, dass den Durst
endgültig löscht. Das wäre schön, denkt die Frau,
wenn es so ein Wasser gäbe, das den Durst so löscht, dass
er nicht mehr wiederkommt. Das wäre schön, wenn man nicht
jeden Tag neu den weiten Weg zurücklegen und Wasser holen müsste.
Weit war der Weg oft zum nächsten Brunnen. Aus Afrika wissen
wir, dass Frauen und Mädchen, deren Aufgabe es ist, manchmal
den halben Tag brauche, um das nötige Wasser für die Familie
zu beschaffen.
Vom Durst nach Leben
Als Zuhörer dieses Zwiegesprächs zwischen Jesus und der
Frau merken wir: So ein Wasser gibt es nicht. In diesem wörtlichen
Sinne kann es nicht gemeint sein. Ein Wasser, das ewig satt macht,
muss noch einmal etwas ganz anderes sein. Erst als Jesus die Frau
durchschaut, was ihre Männerbeziehungen angeht, ahnt die Frau
etwas davon, dass es um mehr gehen muss: Sie ahnt etwas davon, dass
Jesus nicht nur äußerlich satt machen kann, sondern auch
vielleicht ihren inneren Durst stillen könnte.
Sind die ständig wechselnden Lebenspartner der Frau ein Ausdruck
ihres Durstes nach Leben? Nichts und niemand konnte sie offenbar bisher
innerlich zufrieden stellen. Wir wissen es nicht, weil wir ihre persönliche
Geschichte nicht kennen. Der Respekt, den Jesus ihr entgegenbringt,
gebietet auch uns, sie nicht gleich in eine eindeutige Ecke zu stellen.
Wer weiß, was sie in der ungerechten Männergesellschaft
damals für einen Lebensweg hinter sich hatte?
Aber trotz allem: Hinter ständig wechselnden Beziehungen offenbart
sich oft ein Beziehungsproblem. Sie müssen nicht bedeuten, dass
einem Menschen die Treue egal wäre. Sie können auch die
enttäuschte Sehnsucht nach der einen wahren Beziehung sein.
Hinter den meisten Süchten offenbart sich die Sehnsucht nach
wahrer, nach eigentlicher, nach echter Befriedigung. So wie die Frau
sich freuen würde über ein Wasser, dass den Durst endgültig
löscht, so sehnt sich mancher Süchtiger nach dem, was wirklich
seinen Lebensdurst stillt. Denn die Suchtmittel schaffen zwar eine
schnelle Befriedigung, aber keine bleibende. Der Lebensdurst kommt
wieder.
Wer und was stillen den Lebensdurst?
Vom 3. Sonntag nach Epiphanias wäre in dieser Jesusgeschichte
wichtig, dass es vor Gott keine Grenzen gibt: Männer und Frauen,
Kinder und Erwachsene, Juden und Samaritaner, Katholiken und Evangelische,
sie haben alle den gleichen Zugang zu ihm. Doch noch wichtiger und
gravierender scheint mir hinter den Worten diese andere Frage, was
wirklich satt macht, was wirklich den Lebensdurst der Menschen stillt.
In einem jeden Menschen steckt die Sehnsucht nach einem sinnvollen,
nach einem gelingenden Leben: Gute Beziehungen gehören dazu,
Gespräche und Menschen. Eine Würde haben, angenommen und
akzeptiert sein, so wie man ist. Nicht herabgewürdigt oder zum
Objekt gemacht werden. Körperliche und seelische Gesundheit gehören
dazu. Die eigene Arbeit, im Beruf, im Haushalt, in einem Ehrenamt,
sie soll anerkannt und gewürdigt, sie soll wertgeschätzt
werden.
Wenn das alles in Erfüllung geht, dann kann Lebenssehnsucht gestillt
werden. Wenn es aber nicht der Fall ist, dann erwacht immer wieder
neu der Hunger und der Durst nach Leben. Wenn Einsamkeit da ist. Wenn
man herabgewürdigt wird. Wenn die Wertschätzung fehlt. Wenn
Anerkennung und Erfolg ausbleiben.
Genussmittel zum Stillen des Durstes
Dann ist der Weg zu Ersatzmitteln nicht weit. Äußere Mittel,
die den inneren Durst stillen sollen. Sich in die Arbeit stürzen.
Sich in immer neue Vergnügungen stürzen, immer neue Beziehungen.
Mit Genussmitteln, mit Suchtmitteln den Durst löschen. Aber die
sind nach aller Erfahrung genau das Gegenteil von dem, was Jesus verspricht.
Sie sind nicht wie Wasser, das den Durst endgültig löscht.
Sie sind eher wie die süße Limonade, von der man immer
durstiger wird, je mehr man trinkt.
Sehen wir um Gottes willen nicht nur auf diese Frau oder auf Menschen
in unserer Nachbarschaft, von deren Sucht wir wissen oder die wir
erahnen. Gar zu leicht lenken wir, indem wir auf andere sehen, von
uns selbst ab. Fragen wir ruhig auch nach unseren eigenen unerfüllten
Sehnsüchten, nach fehlender Befriedigung, nach unserer eigenen
Gefährdung.
Und fragen wir auch selbstkritisch, wie weit unser Glaube, unser Gottvertrauen
den Lebensdurst stillen können. Fragen wir, wie es mit unserer
inneren Zufriedenheit steht.
Jesus und der Lebensdurst
Die Frau am Brunnen spürt, dass es um das Eigentliche geht, um
den Lebensdurst, um die wahre Befriedigung. Glaube an Jesus im eigentlichen
Sinne ist es erst einmal noch nicht. Erst einmal macht sie eine überraschende
Erfahrung: Jesus kennt sie. Er kennt sie durch und durch. Aber sie
fühlt sich ernst genommen, denn Jesus durchschaut sie zwar, aber
er tadelt sie nicht. Er erkennt ihr Lebensproblem, aber er wertet
sie nicht ab.
19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet
bist.
Das ist erst einmal noch nicht Glaube im eigentlichen Sinn. Es ist
ein erster Schritt. Und die Fortsetzung der Geschichte zeigt, dass
die Frau dann auch noch weitere Schritte tut.
Niemand von uns ist im Glauben schon fertig. Gottesbeziehung will
und muss gepflegt werden wie alle anderen Beziehungen auch. Wir wachsen
nur, indem wir Erfahrungen machen, Glaubenserfahrungen, die den Lebensdurst
so stillen, dass es keinen billigen Ersatz mehr braucht.
14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den
wird in Ewigkeit nicht dürsten.
Trinken, das zeigt, dass Glaube nicht einfach nur eine Kopfangelegenheit,
eine geistige Frage ist. Trinken, das ist leiblich. Es geht beim Glauben
um Leib und Seele. Und so muss, wer weiter kommen will, sich immer
neu auf Gott einlassen und seine Erfahrungen machen.
Dazu lade ich Sie ein. Amen |
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