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predigt[e].de

Die Predigt vom 11. März 2001: »Gott selbst am Kreuz?«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag der Passionszeit mit Namen Reminiscere („Gedenke meiner“). Thema des Sonntags ist die Frage nach dem Sinn des Todes Jesu am Kreuz. Das Evangelium erzählt das Gleichnis von den bösen Weingärtnern. Die Epistel handelt von der Versöhnung. Der Predigttext steht im Johannesevangelium Kapitel 8:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  Jesus spach zu den Juden: Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. 27 Sie verstanden aber nicht, daß er zu ihnen vom Vater sprach. 28 Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. 29 Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er läßt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. 30 Als er das sagte, glaubten viele an ihn.

Predigt

  Hinterher ist man klüger

Im Nachhinein ist man immer klüger. "Wie konnte ich nur?" fragt sich da mancher. "Wie konnte ich das nur übersehen?" "Wie konnte ich so blind sein?" "Wie konnte ich mich nur so hinreißen lassen?" Oder: "Wie konnten die damals nur?" Das müssen sich besonders in Deutschland vorhergehende Generationen von den Nachgeborenen anhören. "Ja, wenn wir damals gelebt hätten, wir hätten alles anders gemacht!" Hätten wir wirklich?

Hätten wir beim Einzug Jesu in Jerusalem nicht auch mitgejubelt: "Hosianna dem Sohne Davids!" Und hätten wir nicht auch fünf Tage später mit der enttäuschten Menge geschrien: "Kreuzige, kreuzige!"

"Wie konnten die Menschen damals Jesus nur ablehnen? Sie haben ihn doch persönlich erlebt. Umso leichter müßte ihnen das Verstehen doch gefallen sein!" So fragten die Evangelisten, die 30 Jahre später seine Geschichte aufschreiben. So fragten auch ihre Leser, die Nachgeborenen derer, die ihn noch persönlich erlebten. Die Evangelisten versuchten zu verstehen: Woher kam diese Ablehnung?

An Jesus scheiden sich die Geister

Am stärksten hat der Evangelist Johannes dieses Unverständnis und Mißverständnis der Zeitgenossen Jesu betont. Und sein Schlüssel zum Verständnis ist: Die Zeitgenossen haben nicht erkannt, daß Gott selber in diesem Jesus da ist. Er, Jesus, und sein himmlischer Vater sind eins. Was Jesus sagt, sind Gottes Worte. Was Jesus tut, sind Gottes Taten. Deswegen ist er der, an dem sich alles entscheidet.

Eine tiefe Tragik liegt in dieser Geschichte: Die, die Jesus am intensivsten ablehnten, die religiösen Führer, sie lehnten ihn ja um Gottes willen ab. Gott wollten sie die Ehre geben, indem sie Jesus als einen Gotteslästerer ablehnten. Daß sie aber mit ihm Gott selber ablehnten, das konnten sie nicht begreifen. Erst im Nachhinein, aus der Sicht der Evangelisten, aus unserer heutigen Sicht blickt man tiefer.

So lesen wir bei Johannes im 8. Kapitel. Ich habe dich schwierigen Worte ein wenig gekürzt und lese auch aus der modernen Übersetzung der "Guten Nachricht". Den vollständigen Text finden sie wie immer auf der Rückseite des Gottesdienstverteilblattes.

(Jesus sagte zu den Umstehenden): 23b»Ihr seid von hier unten, aber ich komme von oben. Ihr gehört zu dieser Welt, aber ich bin nicht von dieser Welt. 27 Sie verstanden nicht, daß Jesus vom Vater sprach. 28 Deshalb sagte er zu ihnen: »Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, werdet ihr es begreifen: Ich bin der, an dem sich alles entscheidet. Dann werdet ihr auch erkennen, daß ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was der Vater mich gelehrt hat. 29 Er, der mich gesandt hat, steht mir zur Seite und läßt mich nicht allein; denn ich tue stets, was ihm gefällt.«

Von drei und mehr Dimensionen

Johannes versucht zu verstehen, woher die Ablehnung Jesu durch seine Zeitgenossen kam. Er versucht zu verstehen, warum sie nicht begreifen konnten: 23b»Ihr seid von hier unten, aber ich komme von oben. Ihr gehört zu dieser Welt, aber ich bin nicht von dieser Welt. 27 Sie verstanden nicht, daß Jesus vom Vater sprach. Jesus kommt aus einer anderen Welt. Er gehört zu einer anderen Welt. Er kommt von oben: von Gott her. Wir Menschen kommen von unten: von der Erde her. Wir denken irdisch. Wir verstehen irdisch. Gott oben und die Welt unten: Das geht aus von der alten Vorstellung der Welt als einer Scheibe. Mit unseren heutigen Begriffen würden wir vielleicht sagen: Jesus kommt aus einer anderen Dimension, aus einer anderen Wirklichkeit. Die ganze Wirklichkeit ist größer als die drei Dimensionen, die wir sehen und verstehen können. Doch unser Verstand reicht nur dafür. So verstanden die Zeitgenossen nicht, daß sie in dem Menschen Jesus Gott selber begegneten. Könnten Sie doch jetzt schon annehmen, was sie erst im Nachhinein begreifen können:

Erhöhung: ans Kreuz und zu Gott

»Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, werdet ihr es begreifen: Ich bin der, an dem sich alles entscheidet. Dann werdet ihr auch erkennen, daß ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was der Vater mich gelehrt hat.

Nach Jesu Erhöhung werden sie begreifen. Erhöhung, damit ist die Erhöhung hinauf ans Kreuz, die Kreuzigung gemeint. Damit ist gleichzeitig aber auch die Auferweckung, die Erhöhung zur Rechten des Vaters gemeint. Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt, sie fallen für Johannes in eins.

Zwei Seiten einer Medaille

Eigentlich hätten wir heute wie der Evangelist Johannes eigentlich einen entscheidenden Vorteil den damaligen gegenüber: Wir sehen Jesus, sein Tun und sein Reden geschichtlich von einer höheren Warte aus. Wir wissen, wie alles hinausgegangen ist. Wir sehen durch die Auferstehung hindurch auf sein Leben und Sterben. Das konnten seine Zeitgenossen nicht.

Aber auch für uns gilt wie für die Damaligen: Wir sind von unten, er ist von oben. Wir sind und bleiben Menschen. Wir gehören den drei Dimensionen dieser sichtbaren Welt an. Wir können nur dreidimensional sehen, wir können auch nur dreidimensional denken und verstehen. Die anderen Dimensionen sind uns verschlossen. D.h. wir können letztlich auch Jesus nur unvollkommen sehen und verstehen. Wie bei zwei verschiedenen Seiten einer Münze sehen wir entweder das Menschliche oder das Göttliche an ihm. Doch in seiner Einheit mit Gott können wir ihn nicht begreifen. Versuchen Sie doch einmal, die beiden Seiten einer Münze zugleich anzuschauen, ohne mit Hilfe eines Spiegels die drei Dimensionen zu überlisten!

Ein blutrünstiger Gott?

Jesus in seiner Einheit mit Gott: Gerade im Blick auf die Passion haben sich die Glaubenden aller Zeiten immer wieder das Gehirn zermartert. Dann kommen solche Fragen wie: Was ist denn das für ein Gott, der seinen Sohn, der sein Fleisch und Blut sterben läßt? Was ist denn das für ein Gott, der nur durch so ein blutiges Opfer hindurch vergeben kann? Wenn er Gott ist: Hätte er es nicht anders, unblutiger, eleganter richten können? Hätte er nicht großzügig und großmütig vergeben können, ohne daß jemand unschuldig dafür sterben muß?

Oder es kommen solche klugen Antworten wie: Wenn Gott ein gerechter Gott ist, dann kann er die Ungerechtigkeit der Menschen nicht einfach so stehen lassen. Wenn er einfach so verzeihen würde, würde er unglaubwürdig werden. Nein, die Gerechtigkeit erfordert einen Ausgleich, eine Sühne. Nicht einmal Gott kann daran vorbei. Und deswegen mußte Jesus sterben.

Gott selbst am Kreuz?

Doch solche Fragen und solche Antworten übersehen genau dieses Geheimnis aus dem Johannesevangelium: Sie wollen etwas verstehen und erklären, was über ihre Möglichkeiten geht. Hier wird rein menschlich gefragt und auch rein menschlich geantwortet. Das Geheimnis der Passion übersteigt die drei Dimensionen unserer beschränkten Vernunft. Und vor allem: wenn Jesus und sein Vater im Himmel eins sind, das fällt die Voraussetzung für solche Fragen dahin: Dann gibt es keinen strengen Gott-Vater mehr, der irgendwo ferne oben unbeteiligt auf seinem Thron sitzt, der besänftigt und versöhnt werden muß und dem Geschehen der Passion zuschaut.

Wenn man das ganz konsequent ernst nimmt, daß Jesus und der Vater eins sind, dann hat sich – zu Ende gedacht –, Gott selber in die Hände der Menschen gegeben. Er hat sich verletzlich gemacht, er hat menschliche Ohnmacht angenommen. Er hat sich ganz auf die Seite der Menschen gestellt. Gott selber ist ans Kreuz gegangen.

Das Ende der Logik

Aber damit ist dann der Verstand am Ende. Wenn man jetzt weiterfragt, kommt nur noch gestammelter Unsinn heraus, z.B.: Ist Gott überhaupt noch Gott, wenn er sich in die Hände der Menschen begibt? War der Himmel leer, als Jesus am Kreuz hing? Hat Jesus am Kreuz mit sich selbst gesprochen? Da können wir nur noch schweigen.

Aber eines bleibt doch: Gott steht in der Passionsgeschichte nicht auf der Seite der unbeteiligten Zuschauer oder auf der Seite der Schreibtischtäter. Gott ist in der Passion auf der Seite der Leidenden. Er ist auf Jesu Seite in seiner Passion. Er ist auf unserer Seite in unseren Passionen: 29 Er, der mich gesandt hat, steht mir zur Seite und läßt mich nicht allein; denn ich tue stets, was ihm gefällt.

Gesandt war Jesus: Über seinem Leben lag eine Sendung. Sein Leben und sein Tun hatten von Gott her einen Sinn und ein Ziel. Und so liegt auch auf dem Lebensweg einer jeden und eines jeden von uns eine Sendung. Auch unser Leben hat in den Dimensionen Gottes gedacht Sinn und Ziel, auch wenn dieser Sinn in unseren drei Dimensionen ganz unverständlich sein und bleiben mag. Er steht auch uns zur Seite und läßt auch uns nicht allein.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de