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Die Predigt |
Über den Jordan
gehen
Jemand geht über den Jordan, so sagt man, und meint damit bildlich
seinen letzten Gang, das Sterben und den Tod. So war das von Hause
aus nicht gemeint. Die Bedeutung des Ausdrucks hat sich geändert.
Heute trennt der Jordanfluss, der das Heilige Land von Norden nach
Süden durchzieht, und im Toten Meer endet, die beiden Staaten
Israel und Jordanien. Damals war er für das Volk Israel unter
Mose die Grenze zum Gelobten Land. Endlich am Ziel! Hinter dem Jordan
würde die verheißene Zukunft beginnen. Wie oft hatte man
sich auf dem Weg schon ausgemalt, wie es werden könnte.
Und nun lässt Mose in Sichtweite des Ziels, kurz vor dem Überschreiten
des Jordan eine Pause einlegen. Er weiß, dass er selbst das
Ziel nicht erreichen wird. Er muss sein Volk alleine gehen lassen.
Er muss sie unter der Führung des jungen Josua in die Selbständigkeit
entlassen. Aber wie in einem Testament gibt er ihnen seine letzten
eindringlichen Worte mit:
(Text siehe oben)
Schwellensituationen im Leben
Nach 40 Jahren Wüstenwanderung stand also das Volk vor der entscheidenden
Schwelle. Ein Schritt noch, und dann würde eine andere Zeit beginnen.
Diesen Schritt sollte das Volk ganz bewusst und mit Bedacht tun. Was
ist die große Versuchung, wenn man kurz vor dem Ziel ist? Die
Versuchung, dass man alle bisherigen Entbehrungen und Ideale vergisst
und leichtsinnig und undankbar wird.
Entscheidende Schwellen im Leben soll man nicht überschreiten,
bevor man für einen Moment den Atem angehalten und sich besonnen
hat. Man tut es bei der Taufe, wenn ein Kind auf seinen Lebensweg
gesetzt wird. Man tut es bei einer Trauung, wenn man einen gemeinsamen
neuen Weg beginnt. Man tut es bei einer Bestattung, wenn sich die
Wege endgültig getrennt haben. Da überall hat es Tradition.
Doch sollte man es nicht viel öfter tun? Auch da wo es noch keine
Tradition hat? Auf der Schwelle stehen bleiben und um Segen bitten,
wenn eine Familie ein neugebautes Haus bezieht, zum Beispiel? Nachdenken
und um Segen bitten, wenn man die Schwelle vom Arbeitsleben in den
sog. Ruhestand hinein überschreitet? Ein neuer Ort, ein neuer
Beruf, eine neue Schule. Die Schwellensituationen sind in unserer
schnelllebigen Zeit mehr geworden.
Die Konfirmation als Schwelle
Deswegen wurde wohl auch dieser Abschnitt vor dem Überschreiten
des Jordan für die Konfirmation ausgewählt: Auch sie markiert
die Schwelle hinein in ein anderen Lebensabschnitt. Die Beichte am
Vortag und dieser Gottesdienst heute laden zum Nachdenken auf der
Schwelle ein.
Der HERR, euer Gott, wird euch segnen in dem Land, das ihr jetzt
in Besitz nehmt.
Der Gang in einen neuen, noch unbekannten Lebensabschnitt, das ist
wie das In-Besitz-nehmen eines neuen, unbekannten Landes. Wie ein
unbeschriebenes Blatt Papier liegt es vor euch, und wartet darauf,
gestaltet und beschrieben zu werden. Und dafür, dass es gelingt,
sollt Ihr gesegnet werden.
Ihr seid aufgerufen, Euren Glauben nun selbständig zu gestalten
und zu leben. Ihr bekommt das Recht, ein Patenamt zu übernehmen
und den Kirchenvorstand zu wählen. (Leider erst wieder in fünf
Jahren.) In unserer Gemeinde seid Ihr ab heute offiziell zum Heiligen
Abendmahl eingeladen.
Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Die Konfirmation steht mitten
in der Umbruchphase der Pubertät. Über den Jordan gehen,
das ist für viele eine abenteuerliche Angelegenheit voller Überraschungen
und Kämpfe. Auf dieser Suche nach Euch selber, auf der Suche
nach Eurem Platz im Leben fragt die Konfirmation Euch auch nach Eurer
inneren Einstellung, nach Eurem Glauben und danach, ob Ihr etwas habt,
worauf Ihr Euch verlassen könnt. Es geht in dieser Umbruchphase
auch um das Gelingen und Misslingen Eures Lebens und der Zukunft.
Es geht um Gelingen oder Misslingen
Gelingen oder Misslingen, so habe ich die Alternative genannt. In
den Worten des Mose heißt es noch viel schärfer:
15 »Ich stelle euch heute vor die Wahl zwischen Glück
und Unglück, zwischen Leben und Tod.«
Es geht, was Eure Loslösung von Eltern und Autoritäten und
Eure Suche nach dem eigenen Weg angeht, um Leben und Tod. Nicht im
wörtlichen Sinne so, dass jemand ohne Gott sterben würde.
Man kann sehr wohl ohne Gott leben, und viele leben auch gut so. Doch
die ernste Warnung lautet: Ohne Gott leben zu wollen, heißt,
sich den Boden unter den Füßen selbst schaffen zu wollen
und zu müssen. Im äußersten Fall: nach den eigenen
Gesetzen leben, nur nach dem eigenen Nutzen handeln, das Beste für
sich herausholen.
Diese Freiheit haben wir. Diese Freiheit gibt uns Gott. Ihr könnt
den einen Weg wählen oder den anderen. Aber ihr solltet bedenken,
was es bedeutet: Wählt ihre einen Lebensweg, der Gott und den
Mitmenschen mit einbezieht, dann wartet Segen auf euch. Wählt
ihr einen Weg, der ohne Gott und ohne die Mitmenschen auskommen will,
dann müsst ihr die Folgen tragen:
19 »Himmel und Erde sind meine Zeugen: Ich habe euch heute
Segen und Fluch, Leben und Tod vor Augen gestellt. Wählt das
Leben, damit ihr am Leben bleibt, ihr und eure Nachkommen! 20 Liebt
den HERRN, euren Gott! Gehorcht ihm und bleibt ihm treu!«
In Beziehung leben
Die Evangelische Jugend in Bayern versucht, den Jugendlichen ein gelingendes
Leben durch das Symbol des Dreiecks verständlich zu machen: ein
sogenanntes Beziehungsdreieck, an dessen einer Ecke ich selber stehe,
an der nächsten der Mitmensch, (mit einem biblischen Ausdruck,
der Nächste,) und an der dritten Ecke Gott.
Ein gelingendes Leben gibt es nur in diesem Dreieck: Blende ich eine
dieser Beziehungen aus, gerät mein Leben aus dem Gleichgewicht,
ganz egal, ob ich den Nächsten vergesse, ob ich Gott vergesse,
oder auch mich selbst.
Und auch andersherum: Wenn ich nur mich und meine Bedürfnisse
betone und alles andere um mich herum vergesse. Oder: Wenn ich nur
für den Mitmenschen da bin und mich und meine Bedürfnisse
dagegen ganz hintenan stelle. Und sogar im Extremfall auch, wenn mein
ganzes Leben Gott gehört und ich selber und der Mitmensch werden
darüber ganz klein. Gott will Menschen nicht klein machen.
Das Entscheidende ist ganz einfach
Wie findet man den Weg zu so einem gelingenden Leben? Mose sagt in
seinem Vermächtnis: Eigentlich ist es ganz einfach, fast zu einfach.
Ihr müsst dafür keine teuren Kurse in der Volkshochschule
besuchen. Ihr müsst euch nicht von irgendwelchen Gurus das Geld
aus der Tasche ziehen lassen. Ihr braucht keine esoterische Geheimlehre.
11 »Das Gesetz, das ich euch heute gebe, ist nicht zu schwer
für euch und auch nicht unerreichbar fern. 12 Es schwebt nicht
über den Wolken, so dass ihr fragen müsstet: 'Wer steigt
in den Himmel und holt es herab, damit wir es kennen lernen und dann
befolgen können?' 13 Es ist auch nicht am Ende der Welt, so dass
ihr fragen müsstet: 'Wer fährt übers Meer und holt
es herbei, damit wir es kennen lernen und dann befolgen können?'
14 Nein, Gottes Wort ist euch ganz nahe. Es ist auf euren Lippen und
in eurem Herzen. Ihr müsst es nur befolgen!«
Das Wort auf den Lippen und im Herzen: Damit meint Mose das, was man
damals den Kindern von Grund auf beigebracht hat, wenn sie zu sprechen
begonnen haben. Was sie alle mit dem Kopf und mit dem Herzen auswendig
gelernt haben. (Learning bei heart, sagen die Engländer so treffend.)
Das Grundbekenntnis des jüdischen Glaubens, das sog. Schema Israel.
Mit diesen Worten hat es Jesus zusammengefasst:
29 Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der
Herr, unser Gott, ist der Herr allein, 30 und du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem
Gemüt und von allen deinen Kräften« 31 Das andre ist
dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«.
Es ist kein anderes Gebot größer als diese. (Markus
12,29-31)
Da ist es wieder: dieses Beziehungsdreieck: Ich, der Mitmensch und
Gott. Und was alles zusammenbindet ist die Liebe. Mehr braucht man
nicht für ein gelingendes Leben, sagt Mose: Gott im Auge, im
Kopf und im Herzen behalten. Genauso auch den Mitmenschen. Und sich
selbst darüber nicht vergessen. Dieses Ziel behaltet fest im
Auge.
Und der HERR, euer Gott, wird euch segnen in dem Land, das ihr
jetzt in Besitz nehmt. Amen |
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