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Die Predigt vom 26. August 2001: »Du Pharisäer!«


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  Die Evangelische Kirche beging den 11. Sonntag nach Trinitatis, an dem es um Hochmut und Demut vor Gott geht. Evangelium ist das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner. Die Epistel-Lesung erinnert daran, daß das Leben Geschenk und nicht eigenes Verdienst ist. Predigttext war die Erzählung von Jesus und der Prostituierten („Die große Sünderin“) bei Lukas im 7. Kapitel:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, daß er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salböl. 39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es!
41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!

Predigt

  „Du Pharisäer“

"Du Pharisäer", das ist für die meisten, die dieses Wort kennen, gleichbedeutend mit "Du Heuchler". "Du redest schön und großspurig. Aber in Wirklichkeit ist nichts dahinter." Und wenn man eben erst die Erzählung von Pharisäer und Zöllner gehört hat, dann ahnt man, wo dieser unsympathische Eindruck her kommt.

Die Pharisäer

Doch die Pharisäer sind es wert, daß man sie erst einmal in Schutz nimmt und verteidigt. Trotz des Bildes, das uns das Neue Testament zeigt, waren sie erst einmal sehr hochanständige und ernst zu nehmende Menschen. Sie lebten konsequent nach dem Gesetz Gottes und bemühten sich im Alltag redlich darum. Ihre Bemühungen kamen sicher auch von Herzen. Aus diesem Grund hat es auch immer wieder Begegnungen zwischen Jesus und einzelnen Pharisäern gegeben. Sie sahen in ihn einen Rabbi, einen Gesetzeslehrer. Und Jesus sah ihren Eifer. Er sah jedoch auch die Gefahren ihres Eifers. Denn so streng sie mit sich selbst waren, so streng und unbarmherzig sahen sie auch ihre Mitmenschen. Von einer solchen Begegnung lesen wir im 7. Kapitel des Lukasevangeliums:

Jesus, der Pharisäer und die Prostituierte

36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, daß er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salböl. 39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.
40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.
44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!

Da lädt also in unserer Geschichte ein Pharisäer mit Namen Simon Jesus in sein Haus zum Essen ein. Er hat offenbar ein echtes Interesse an ihm. Die Anrede Rabbi - Lehrer zeigt seine Hochachtung, die er Jesus entgegenbringt. Vielleicht wollte er ihm einmal persönlich auf den Zahn fühlen, weil er schon viel Erstaunliches von ihm gehört hatte. Er wollte sich selbst ein Urteil bilden. Auf jeden Fall: In sein Haus und an seinen Tisch hat man damals wie heute nicht jeden x-beliebigen eingeladen. Da ist keine Spur von Feindschaft oder Vorurteil. Auch Jesus geht offenbar vorurteilslos auf diese Einladung ein. Er erkennt in dem Pharisäer einen Menschen, der sich um Gott bemüht. So nimmt er ihn genauso an, wie er auch die anderen angenommen hat, denen der Pharisäer ganz gewiß aus dem Weg gegangen wäre: die Gescheiterten, die am Rande, die Zöllner, die Sünder, die Bettler, die Ausgestoßenen.

Eine unerwartete Wendung

Doch die Einladung zum Essen und Diskutieren nimmt eine unerwartete Wendung: Unerwartet und unvermittelt tritt eine Frau in den Mittelpunkt des Geschehens. Das Ärgerliche war nicht so sehr, daß sie sich ungebeten dazu gesellte. Gespräche mit einem Rabbi waren immer auch öffentlich. Aber als Frau allein in einem fremden Haus! Und alle wissen, daß sie - so sagt es der Evangelist Lukas wörtlich - eine "Sünderin" war. Es steht zwar nicht deutlich da, aber er wollte wohl sagen, daß wir in ihr eine stadtbekannte Prostituierte sehen sollen. Wiederum steht es nicht da, doch die Fortsetzung läßt es erschließen, daß diese Frau Jesus vorher schon einmal begegnet ist. Diese Begegnung hatte offenbar ihr ganzes Leben umgekrempelt: Sie war ja durch ihren Beruf in den Augen der Frommen und Anständigen vor Gott unrettbar verloren. Und dann hat sie durch die Begegnung mit Jesus erfahren, daß sie trotz ihres Lebens ein Geschöpf Gottes ist, von Gott bejaht und angenommen. Ob das gleich Auswirkungen auf ihr Leben hatte, steht nicht da. Auf jeden Fall war sie voller Dankbarkeit seitdem. Sie war wieder wer. Sie war nicht einfach nur ein Werkzeug, ein Objekt, ein Ding. Sie hatte wieder Achtung vor sich selbst.

very shocking!

Als sie nun hört, daß Jesus in der Stadt ist, Jesus, dem sie diese Lebenswende verdankt, da kann sie nicht anders, da geht sie hin, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. So wichtig ist ihr das, daß sie dabei alle gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihrer Zeit übersieht. Weinend, von ihrer Dankbarkeit überwältigt, tritt sie von hinten zu ihm heran. Von hinten deswegen, weil man in feinen Häusern nach römischer Sitte in einem großen Kreis zu Tisch lag. Sie hat keine Angst vor dem Getuschel der Männergesellschaft, von denen manche vielleicht auch verstohlen weg geschaut haben. Eine ganze Reihe von Unschicklichkeiten leistet sie sich: Als ihre Tränen Jesus auf die Füße fallen, löst sie ihr Haar, um sie damit abzutrocknen. Dabei küßt sie ihm die Füße. Das wohlriechende und pflegende Öl, das sie offenbar dabei hat, um ihm nach damaliger Gewohnheit die Haare zu salben, schüttet sie ihm über die Füße.

Schubladendenken

Simon, der Pharisäer, der Gastgeber hat wie anderen die ganze Zeit schon wortlos die Szene betrachtet. Im Stillen denkt er sich: Nein, der versprochene Messias kann er nicht sein. Wenn er nur ein Fünkchen prophetischer Gabe in sich hätte, müßte er die Frau durchschauen. Er müßte sich ihrer Berührung entziehen. Er müßte es sich verbitten und ihr ihr verpfuschtes Leben vor aller Öffentlichkeit auf den Kopf hin zusagen. Simon ist zufrieden: Seine Welt ist wieder in Ordnung. Die Frau bleibt in der Schublade, in die er sie schon lange gesteckt hatte. Ihr aufdringliches und anzügliches Verhalten hat es klar bestätigt. Und für Jesus ist nun auch eine Schublade da: Er mag ein beachtlicher Lehrer sein, aber ein Prophet ist er nicht. Er brauchte ihn in Zukunft wohl nicht mehr einladen.

Wir sehen, wie eigentlich lobenswerte Tugenden wie Anstand, feste Grundsätze und klare Maßstäbe einem Menschen den Blick für den anderen ganz verbauen können. Simon ist so in seiner festgefügten, ordentlichen und heilen Welt gefangen, daß er nur noch wie durch eine Brille sehen kann: Er hat keinen Blick für seine eigene Selbstgerechtigkeit und Hartherzigkeit. Er hat kein Gespür für die Gefühle, die in dieser Frau rumoren, die Zwänge, in denen sie lebt. Und er hat keinen Blick für das Verhalten Jesu.

Neu sehen lernen

"Simon, ich habe dir etwas zu sagen." Jesus mag diesen Simon offenbar. Er möchte ihn aus seinem Gefängnis befreien. Er möchte, daß er die Menschen um sich herum wieder ohne Schubladen und mit dem Herzen sehen lernt. Er möchte auch, daß er sich selbst realistisch sehen lernt. Mit Tadel oder Kritik würde Jesus es nicht schaffen. Mit Argumenten würde er ihn nicht erreichen. Allenfalls seinen Verstand, aber nicht sein Herz. So nimmt Jesus in seiner unnachahmlichen Art ein Gleichnis, eine Beispielgeschichte zu Hilfe. Auf dieses Gleichnis kann sich Simon einlassen. Das ist eine Geschichte, die erst einmal mit ihm nichts zu tun hat und von einem Fremden handelt. Während Simon also immer noch in dem Glauben lebt, Jesus könne kein Prophet sein, hat Jesus nicht nur die Frau, sondern auch ihn schon bis ins Tiefste durchschaut.

Das geschenkte Leben

Von einem Geldverleiher und zwei Schuldnern erzählt Jesus. Es beginnt wie eine Geschichte aus dem Alltag. Doch der Geldverleiher handelt überraschend. Er handelt unvernünftig. Er erläßt beiden ihre Schulden, dem einen immens viel, dem anderen weniger. Und als einziger Grund wird angeführt, daß sie beide nicht zahlen können. Es ist nicht schwer, in diesem großzügigen Geldverleiher Gott zu entdecken, der uns alle immer wieder neu unverdient beschenkt. Jesus verharmlost also die Schuld dieser Frau nicht. Schuld bleibt Schuld und wird auch von ihm so benannt. Gleichnishaft wird von einer Schuld gesprochen, die zehnmal so groß ist, wie die des anderen Schuldners. Moralisch gesehen ist die Frau ja wirklich nicht mit dem Pharisäer zu vergleichen. Simon war im Vergleich zu ihr ein anständiger und gottesfürchtiger Mann.

Erlösung

Doch im Grunde geht es nicht um die Größe der Schuld. Jesus ist nicht gekommen, Schuld wie ein Buchhalter peinlich genau abzuwiegen und abzurechnen. Es geht darum, wie sich ein Mensch vor Gott sieht und vor ihm mit seiner Schuld umgeht. Es geht mit den Worten des Wochenspruchs um "Hochmut oder Demut". So ähnlich wie jener Zöllner in dem anderen Gleichnis, der sich im Tempel im Hintergrund hält, seine Augen senkt, sich auf die Brust schlägt und sagt: Gott sei mir Sünder gnädig! - so ähnlich hat es diese Frau in der Begegnung mit Jesus erkannt: Sie kann sich nicht einfach damit herausreden, daß halt jeder irgendwie sein Geld verdienen muß, daß sie doch immer nur ausgenutzt wird, daß sie die Gefangene einer ungerechten und heuchlerischen Männerwelt ist. Sie ist nicht, wie sie vor Gott sein sollte, und wird doch von diesem Jesus im Namen Gottes als Geschöpf angenommen. Und das erfüllt sie mit tiefer Dankbarkeit und Freude. An ihrem äußeren Verhalten kann man ihre innere Erlösung zeichenhaft ablesen.

Und du, Simon?

Und Simon muß es wohl oder übel bestätigen: Der, dem die größere Schuld erlassen wurde, ist auch dankbarer. Doch hat er nun wirklich erkannt, was Jesus ihm sagen will? Daß es nicht auf die Menge ankommt? Daß kleine Schuld und damit verbundene Rechthaberei genauso von Gott trennt wie große? Daß er nach seiner Dankbarkeit gefragt wird? Es kommt darauf an, Simon, worauf du dein Leben gründest: Gründest du dein Leben auf deine Anständigkeit, deine Leistung, deine Gerechtigkeit, die sich zweifellos sehen lassen kann? Wenn du das tust, mußt du hart und unbarmherzig werden gegen dich selbst und vor allem gegen die, die deinen Ansprüchen nicht genügen. Du wirst nur wenig Liebe zu Gott haben, denn du mußt dir ja nichts schenken lassen. Ja, eigentlich brauchst du Gott gar nicht.

Hast du deine Lektion gelernt?

Oder gründest du dein Leben auf die Vergebung Gottes wie diese Frau hier? Ihre Schuld ist vor ihr selbst und vor aller Augen offenbar. Sie steht zu ihr. Das hat sie Dir voraus: Sie ist auf Vergebung angewiesen und weiß es. Sie weiß, daß Leben Geschenkt ist. Die Erzählung des Lukas bleibt uns die Antwort schuldig, ob Simon seine Lektion gelernt hat. – Haben wir unsere Lektion gelernt?

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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