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Die Predigt vom 23. September 2001: »Glauben Sie an Schutzengel?«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 15. Sonntag nach Trinitatis, der aber als Sonntag vor dem Michaelstag („Tag des Erzengels Michael und aller Engel“ am 29. September) von diesem Thema bestimmt sein sollte. Evangelium ist die Macht der Jesusjünger über die bösen Geister (Lukas 10), Epistel der sog. Erdensturz des Satan Offenbarung 12. Predigttext war ein Abschnitt aus Matthäus Kapitel 18:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Die Jünger traten zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? 2 Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie 3 und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. 4 Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. 5 Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. 10 Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

Predigt

  Schutzengel-BildEin altes Schutzengel-Bild

(Mit dem Schutzengelbild durch die Kirche:) Ein altes Bild, vererbt von meinen Vorfahren, habe ich Ihnen heute mitgebracht. Ein Bild, wie es in vergangenen Generationen in vielen Häusern und in manchen Kinderzimmern hing. Ich halte das Bild in Ehren. Ich habe es auch wieder richten lassen. Aber mein Verhältnis zu diesem Bild ist dennoch zwiespältig: Eigentlich ist mir diese Art der Darstellung zu kitschig. Sie gehört in eine andere Zeit. So kitschig darf eigentlich Glaube an Kinder nicht vermittelt werden, sonst werfen sie ihn weg wie ein Kinderspielzeug, wenn sie älter werden und zu fragen beginnen.

Und trotz allem stecken in diesem Bild tiefe menschliche Empfindungen und Wahrheiten, die heute wieder mehr Aufmerksamkeit gewinnen als noch vor einigen Jahren. Sehen wir es uns an: Von zwei Hälften lebt das Bild: Denken Sie sich eine Linie von links unten nach rechts oben. Die Seite links oben wird beherrscht von einer geflügelten Frauengestalt, die segnend und schützend ihre Hände hebt. Ein Engel, so wie ihn viele Menschen sich vorstellen. Auf der Seite rechts unten zwei spielende Kinder. Sie haben Augen nur für ihr Spielzeug, für den Ball und den Reifen. Daß sie unmittelbar an einem drohenden Abgrund stehen, übersehen sie dabei.

Das Sichtbare und das Unsichtbare

(mit dem Bild auf der Kanzel:) Zwei Seiten unserer Welt, zwei Sichtweisen unserer Welt sind in diesem Bild vereint: die sichtbare Welt und die unsichtbare Welt. Die eine können wir mit unseren fünf Sinnen begreifen. Für die andere haben wir nur Ahnungen und Vermutungen. Manche können mit dieser anderen Welt gar nichts anfangen. Ich zeige dieses Bild gerne bei Taufen, wenn als Taufspruch gewählt wurde: "Denn er hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen." (Psalm 91,11) In den am Abgrund stehenden Kindern sind Ängste von Eltern eingefangen. Eltern wissen: Man kann Kinder nicht von allen Gefahren fernhalten. Man kann sie nicht einsperren. Man muß ihnen Freiheit lassen. Freiheit, die weiter geht, als die eigenen Hände und Augen reichen. Der Schutzengel aus der unsichtbaren Welt ist ein Bild dafür, daß es noch eine andere Macht gibt, die uns und unsere Kinder trägt. Nur mit diesem Vertrauen kann man Kinder auch laufen lassen und ihren Weg gehen lassen.

Haben Kinder einen Schutzengel?

Daß Kinder einen Schutzengel hätten, heißt es oft. Manche glauben fest daran, weil sie es erlebt haben, daß Kinder bewahrt geblieben sind. Andere können mit dieser Vorstellung nicht viel anfangen. Und das bedeutet nicht, daß sie kein Gottvertrauen hätten. Und so einfach ist es ja auch nicht. Nicht alle Kinder bleiben behütet: Denken wir nur an den Jungen, der aus dem Schullandheim verschwunden ist, dessen Eltern jetzt wochenlang in Unsicherheit und Angst gelebt haben, und nun hören: Der Körper des Kindes, der gefunden wurde, war ihr Sohn. Hatte er keinen Schutzengel? Oder hat der für einen Moment nicht aufgepaßt?

Das Böse hat Raum

Vor zwei Wochen sind Tausende zu Tode gekommen. Dagegen ist die Meldung über den kleinen Dennis halt nur eine kleine Schlagzeile, die vielleicht ohne das andere Geschehen größer herausgekommen wäre. Beide, so unvergleichbare, Geschehen treffen sich doch an einem Punkt: Da ist ohnmächtige Wut, wie Menschen zu so etwas fähig sein können. Und da ist die bittere Einsicht, daß man sich letztlich nie schützen kann. Und auch nach Gott wird gefragt: Zu seiner Schöpfung gehört unverzichtbar die menschliche Freiheit. Er hat offenbar seine Welt so geschaffen, daß der, der wirklich das abgrundtiefe Böse will, auch einen Weg finden wird. Indem Gott diese Möglichkeit gelassen hat, ist das Böse zwar nicht von ihm gewollt, aber der Raum dafür ist da.

Schutzengel in der Bibel?

Woher kommt die Vorstellung vom Schutzengel, mit der die einen mehr, die anderen weniger anfangen können? Da gibt es jene Geschichte aus dem Matthäusevangelium Kapitel 18:

1 Die Jünger traten zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? 2 Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie 3 und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. 4 Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. 5 Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. 10 Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

Kinder hatten keine Lobby

Daß jedes Kind einen Engel habe, und daß der eine unmittelbare Verbindung zu Gott hat, so lesen wir es hier. Doch es ist nur der letzte von mehreren Gedanken: Jesus betont, daß Kinder unseren Schutz brauchen. Wir werden uns einmal vor Gott verantworten müssen, wie wir mit ihnen umgegangen sind. Ja, in einer bestimmten Beziehung sollen wir selber wie Kinder sein oder wieder werden: Es geht um eine Frage der Jünger, die im Neuen Testament öfter begegnet: Wenn dein Reich kommt, wenn du deine Herrschaft antrittst, wer wird dann neben dir, Jesus, der Größte sein? Und die Antwort Jesu geht immer in die gleiche Richtung: "Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener." In der Welt, wie Gott sie will, zählen nicht Stolz und Macht, nicht das Oben-sein-wollen, nicht die Eitelkeit. Und Jesus verdeutlicht es hier noch, indem er ein Kind herruft und mitten unter die Zuhörer stellt. Machtlos und unbedeutend waren Kinder damals. Sie hatten, wie man heute sagen würde, keine Lobby.

Wie ein Kind werden?

Sich selbst niedriger machen und werden wie ein Kind? Heißt das, kindisch und unmündig werden? Ich denke, nein. Gott will mündige Christen. Er will Menschen, die mit beiden Beinen in der Welt stehen. Menschen, die ihren Verstand einsetzen. Nicht kindisch werden, eher kindlich werden: Auf Macht verzichten. Nicht die Machtspiele der Erwachsenen spielen, die, wenn sie zusammenkommen, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, im Verein, immer sehen und beweisen müssen, wer am lautesten krähen kann.

Heute könnte man vielleicht nachfragen: "Du hast wohl damals nicht gewußt, Jesus, wozu Kinder heute fähig sein können? Wie grausam sie untereinander sein können?" Und vielleicht würde er dann antworten: "Von Haus aus sind sie so nicht. Da seht ihr, was das Vorbild der Erwachsenen, das Vorbild von Medien und Filmen angerichtet hat."

Wichtiger ist es also offenbar, daß wir als Erwachsene den Kindern eine Lobby bieten, ihre Rechte stärken, sie vor der Gewalt und den Machtspielen der Erwachsenen schützen. Das ist die Kehrseite der Vorstellung vom Schutzengel: die Gefahr, daß wir unsere Verantwortung auf Gott und seine guten Mächte abschieben.

Schutzengel oder Gott selbst?

Und noch eine andere Anfrage an diese Vorstellung gibt es. So fragen manche: "Wir lehnen aus gutem Grund die katholische Heiligenverehrung ab. Die Bibel lehrt uns, uns direkt an Gott zu wenden, nicht über die Vermittlung eines Heiligen oder Maria. Warum sprechen wir nun nicht auch davon, daß Gott selbst auf die Menschen, auf die Kinder acht gibt? Warum braucht es da auf einmal Zwischenwesen und Mittlerwesen? Sollten wir nicht besser den Kindern sagen: "Gott selbst gibt auf dich acht!", anstatt zu sagen: "Du hast einen Schutzengel."

Die Frage ist bedenkenswert. Sie mahnt uns zur Vorsicht: Die bildhafte Rede von den Schutzengeln darf immer nur bildhafte Rede bleiben. Der persönliche Schutzengel, das ist nicht mehr und nicht weniger als die ganz persönliche Begleitung Gottes. Und daß jeder seinen Schutzengel hat, ist nur eine Eselsbrücke für unsere verwunderte Frage, wie Gott bei vielen Milliarden Menschen an vielen Milliarden Orten zugleich sein kann.

Aber wenn es jemand im Glauben hilft, Gottes persönliche Begleitung im Bild eines Schutzengels zu verstehen, warum nicht? Wenn im Bild des Schutzengels Gott für einen Menschen konkret wird, wenn er auf diese Weise von seinem persönlichen Gott reden kann, warum nicht? Oder wenn es Eltern hilft, die ihre Kinder loslassen und ziehen lassen müssen, daß Gott in der Form eines Schutzengels mit ihnen geht - wenn ihnen das hilft, warum nicht?

1. Gott, aller Schöpfung heilger Herr, zu deines Reiches Glanz und Ehr hast du der Engel Schar bestellt, für hohe Dienste sie erwählt. 6. Laß deine Engel um uns sein; durch sie geleite groß und klein, bis wir mit ihnen dort im Licht einst stehn vor deinem Angesicht. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de