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Die Predigt vom 14. Oktober 2001: »Die Zehn Freiheiten«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 18. Sonntag nach Trinitatis, an dem es um die Nächsten- und Feindesliebe geht. Evangelium ist die Frage nach dem höchsten Gebot, Epistel der Aufruf, dem Frieden nachzustreben. Predigttext sind die Zehn Gebote im 2. Buch Mose:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  20 1 Und Gott redete alle diese Worte: 2 Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. 3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, 6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. 7 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht mißbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht. 8 Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. 11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. 12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird. 13 Du sollst nicht töten. 14 Du sollst nicht ehebrechen. 15 Du sollst nicht stehlen. 16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. 17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.

Predigt

  Die Zehn Gebote im Alltag

Wir haben mit den Zehn Geboten unseren Frieden gemacht. Niemand würde ihre Wichtigkeit und Gültigkeit bestreiten. Aber man findet einen Weg, wie man sie zwar gelten läßt, wie sie einen aber bei zufriedenem Gewissen nicht unnötig einschränken:

Den Sonntag heiligen. - Nun ja, das muß ja nicht jeden Sonntag sein. Und die, die jeden Sonntag in die Kirche rennen, sind ja auch nicht besser.

Nicht töten. - Umgebracht habe ich noch keinen. Und die Kinderschänder, die sollte man wirklich einen Kopf kürzer machen. Und daß bei einem Krieg auch ein paar Unschuldige sterben, das muß man um der guten Sache willen halt einkalkulieren.

Nicht die Ehe brechen. – Nun ja, eine gute Ehe hält das aus. Und richtig lieben tue ich ja doch nur meinen Partner.

Nicht falsch Zeugnis reden. - Nun ja, den Raubrittern vom Finanzamt muß man ja doch nicht alles sagen. Und die Großen lassen sie sowieso laufen.

Nicht stehlen. - Nun ja, ich kann doch nichts dafür, wenn sich die Kassiererin zu meinen Gunsten verrechnet hat.

Die Zehn Gebote als Gängelung?

Woher kommt das: daß wir die Zehn Gebote nie in Frage stellen würden, aber doch trickreich versuchen, mit ihnen umzugehen, sie gerne zu unseren Gunsten auslegen? Der eine mehr, der andere weniger, jede und jeder an seinem neuralgischen Punkt. Die einen sagen: Nun ja, der Mensch ist und bleibt von Hause aus ein Egoist. Daran ändert auch der Glaube nur wenig. Der Egoismus, der Selbsterhaltungstrieb bricht immer wieder durch.

Ich denke, man muß ein wenig genauer hinschauen: Viele verstehen die Zehn Gebote als Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Da ist einer, der etwas zu sagen hat. Und ich muß gehorchen. Er sitzt ganz einfach am längeren Hebel. Doch in einer Art "Robin-Hood-Manier" hole ich mir als Kleiner den Teil, der mir zusteht. Oder psychologisch: Da ist ein unausrottbares Mißtrauen, ob es Gott wirklich gut mit mir meint.

Glaube ist Gehorsam?

Ist es nicht über Generationen den Menschen eingetrichtert worden: Christsein hat etwas mit Gehorchen zu tun. Ein Christ ist, wer Gott gehorcht. Wahrscheinlich kommt das auch daher, daß die mittlere und die ältere Generation in ihrer Erziehung, sei es zu Hause oder in der Schule, vor allem gehorchen gelernt hat. Gehorsam war das A und O. Gehorsam ist immer wieder kräftig eingebleut worden. Und das hat natürlich Folgen für das Bild, das sich ein Mensch von Gott macht: Ein Übervater, der Gehorsam verlangt.

Ich will mich nun nicht darüber auslassen, ob Gehorsam ein gutes oder gar das wichtigste Ziel der menschlichen Erziehung ist. Da gehen die Meinungen sicher auseinander. Da hat sich auch die Zeit gewandelt. Doch die Vorstellung, daß Glaube in erster Linie Gehorsam sei, die will ich doch erschüttern. Gott wird in der Bibel verschieden beschrieben, und auch vom Gehorchen ist die Rede. Doch daß er in erster Linie ein Gott wäre, der Gehorsam verlangt, das ist nicht richtig. Gott ist zuallererst einer, der die, die sich auf ihn verlassen, frei machen will. Freie und frohe Menschen werden dann automatisch so handeln, wie es recht ist. Viele Menschen in der mittleren und jüngeren Generation heute können mit dem Glauben an Gott nichts anfangen, weil sie denken oder gehört haben: "Als Christ darf man das nicht tun und das nicht tun. Gerade das, was das Leben interessant macht, ist verboten."

Die Gebote als Leitlinie

Das ist so nicht richtig. Gott will uns nicht gängeln, Gott will uns nicht mutwillig und böswillig in unserer Freiheit einschränken und seine Macht ausspielen. Gott will zeigen, wie man sinnvoll, frei und froh leben kann. So sind auch die Zehn Gebote nicht eine Gängelung Gottes, wie das oft verstanden wird, sondern in einem guten Sinn eine Wegweisung. Gott will durch die Zehn Gebote zeigen, auf welche Weise Leben gelingen kann. Wer nach den Zehn Geboten handelt, der wird nicht in seiner Freiheit eingeschränkt, sondern dem wird es mit einem gelingenden Leben gelohnt.

In einem Bild aus dem Straßenverkehr: Die Zehn Gebote sind nicht wie eine Straßensperre, die mich nicht weiterfahren läßt, auch nicht wie das Schild "Durchfahrt verboten", sondern wie die Leitpfosten an der Seite und die Leitlinien in der Straßenmitte, die mir zeigen, wo ich gefahrlos fahren kann, ohne mich selbst und andere in Gefahr zu bringen. Keinem würde es ernsthaft einfallen zu sagen: "So eine Gängelung, mich auf die rechte Spur zu zwingen, ich fahre schon immer lieber auf dem Bankett und noch lieber auf der linken Spur, das ist viel interessanter."

Der befreiende Gott

Ähnlich sind die Zehn Gebote von Gott gut gemeint als eine Wegweisung, die mein Leben und das Leben anderer bewahrt, nicht eine böswillige Einschränkung meiner Freiheit. Der Beginn der Zehn Gebote macht es deutlich. Der Satz vor dem 1. Gebot, der oft weggelassen wird, und doch die Überschrift über dem Ganzen ist: "Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus der Knechtschaft geführt habe." Gott ist der Gott, der befreit und der möchte, daß Menschen sich diese Freiheit bewahren und sie nicht verspielen. Deswegen steht da, wo im Deutschen zehnmal dieses eindringliche und hämmernde "Du sollst" steht, im hebräischen Text "Du wirst".

In anderen Worten: "Wenn du einmal erkannt hast, daß Gott es gut mit dir meint und dich frei macht, dann wirst du, dann brauchst du nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, nicht neiden." Wenn du einmal entdeckt hast, daß Gott es durch und durch gut mit dir meint, dann brauchst du keine anderen Glücklichmacher. Wenn du einmal entdeckt hast, wie ein Gottesdienst, eine Meditation, ein Gebet dir Kraft geben können, dann wirst du regelmäßig danach suchen. Wenn du einmal entdeckt hast, daß du bekommst, was du zum Leben brauchst, dann brauchst du dir nichts auf anderem Weg holen oder erschwindeln. Dann mußt du auch keinen Konkurrenten ausschalten oder übertrumpfen. Dann kannst du auch anderen Gutes gönnen.

Ernst Lange: Die zehn großen Freiheiten

Ein evangelischer Pfarrer, der damals seiner Zeit voraus war, dem damals sowohl die Kirchenleitung als auch die Gemeindeglieder nicht recht folgen konnten, hat die Zehn Gebote einmal die "Zehn großen Freiheiten" genannt. So hieß das Heftchen, das zum ersten Mal 1958 erschien und dann 30 Jahre lange weiter aufgelegt wurde. Die Bilder entsprechen nicht mehr unserer Zeit, auch z. T. die Sprache, der Inhalt schon. Es beginnt folgendermaßen:

Auf die Frage, was das Christentum sei, antwortete ein Junge: „Christentum ist das, was man nicht darf.“ So denken viele. Und wenn man sie nach dem Grund für diese merkwürdige Ansicht fragt, reden sie von den Zehn Geboten: „Da heißt es doch immer 'Du sollst nicht'!“ Was für ein ungeheuerliches Mißverständnis! Gott ist kein Zwingherr, sondern der Befreier. Er befreite sein Volk Israel aus der Knechtschaft in Ägypten. Dann führte er es zum Berg Sinai. Und vom Berg Sinai aus machte er ihm klar, wie groß die Freiheit ist, die man mit Gott hat. Er machte ihnen das klar in zehn Sätzen. Acht von diesen zehn Sätzen beginnen mit „Du wirst nicht ...“ Zwei beginnen mit „Du wirst ...“ Keiner beginnt mit „Es ist verboten ...“ Sondern alle fangen an: „Ich, Gott, und du, Mensch, wir gehören jetzt zusammen. Und wenn wir zusammenbleiben, dann wird dein Leben folgendermaßen aussehen: Du wirst keine anderen Götter haben. Du wirst meinem Namen Ehre machen. Du wirst dich nicht zu Tode hetzen. Du wirst in deiner Familie ein menschliches Leben finden ...“ Und so weiter. Die Zehn Gebote sind die zehn Artikel der großen Freiheit, die Gott schenkt.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de