Wenn
der Glaube verdurstet
Um Glaubenswüsten geht es im heutigen Predigttext. Glaube,
der am Verdursten, der am Austrocknen ist. Zwei Besinnungstexte
dazu aus dem Schatz unseres Gesangbuchs. Nach dem Lied Nr. 343:
Glaube ist ein Baum. / Er wächst / in der Wüste. /
Glaube lebt / in der Hoffnung / - vergeblich zuweilen - /
dass Gott den Regen schickt.
Glauben ist zärtliches Vertrauen / vergeblich zuweilen.
(Michael Francis Dei-Anang)
Und nach dem Lied Nr. 391:
Der Glaube
ist ein steter und unverwandter
Blick auf Christus.
(Martin Luther)
Wenn der Glaube müde wird
Glaubenswüsten. Glaube, der am Verdursten ist. Wie ein Baum
in der Wüste, der sich nach Regen sehnt. Und was bleibt in
solchen Glaubenswüsten: Auf Christus schauen. So lehrt es Martin
Luther.
Durch eine Glaubenswüste gingen auch die Menschen, an die der
Hebräerbrief unseres Neuen Testamentes gerichtet ist. Damals
war es v.a. die schmerzliche Erfahrung, dass das Kommen von Gottes
Reich, die Hoffnung auf soziale und politische Gerechtigkeit, die
freie Glaubensausübung so unerwartet lange ausblieben. Glaubensmüdigkeit
war die Folge.
Es gibt auch andere Wüsten, durch die Menschen hindurch müssen:
Lange Krankheitszeiten, die einen mürbe machen. Oder wenn einem
etwas Liebes genommen wird. Oder, oder ...
Kein Wunder, so sagt der Schreiber des Hebräerbriefes, dass
man im Glauben müde werden kann. Der Glaube ist so etwas wie
ein Langstreckenlauf, bei dem Durchhaltevermögen gefragt ist.
Hebräerbrief Kapitel 12:
1 ... Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst
uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns
ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf,
der uns bestimmt ist, 2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger
und Vollender des Glaubens, der (, obwohl er hätte Freude haben
können) im Hinblick auf die kommende Freude das Kreuz erduldete
und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten
des Thrones Gottes. 3 Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen
sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet
und den Mut nicht sinken lasst.
Der Glaube als Langstreckenlauf
Ein Kampf sei der Glaube, heißt es hier in der Bibelübersetzung
Martin Luthers. Der sportliche Wett-Kampf ist in der ursprünglichen
Bedeutung gemeint, genau genommen der Wettlauf, der Lauf auf ein
Ziel hin. Und wenn man den Glauben mit heutigen Laufdisziplinen
vergleicht, dann ist er keinesfalls ein Kurzstreckenlauf, bei dem
man in kürzester Zeit alles gibt und sehr schnell zum Ziel
kommt. Er ist auch nicht unbedingt ein Hindernislauf oder ein Hürdenlauf.
Nein, so sagt es der Schreiber des Hebräerbriefs, er ist eher
ein Langstreckenlauf, ja ein Marathonlauf, der einem Durchhaltevermögen
und Geduld abfordert, aber auch viel Befriedigung schenkt.
Was ist von diesem Langstreckenlauf gesagt: 1. Wir laufen nicht
allein. 2. Wir müssen ablegen, was beim Laufen hindert. 3.
Wir müssen nach vorne schauen. 4. Wir sollen den Mut nicht
verlieren.
Wir laufen nicht allein
Zum ersten: Wir laufen nicht allein
1 ... Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben ...
So beginnt der Abschnitt. Wolke, damit ist eine große Schar
gemeint. Und Zeugen, das sind die Glaubenszeugen, die Vorbilder,
an die im Kapitel vorher erinnert wird: angefangen bei Abraham und
Mose bis hin zu den Propheten des Alten Testaments. Und würden
wir heute die Reihe fortsetzen, so würden wir vielleicht bei
Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer und manchen anderen landen.
Alle diese Glaubensvorbilder umgeben uns bildlich gesprochen wie
eine Wolke: Wir sind mit unserem Glauben und Zweifeln nicht allein.
Vor uns haben Menschen geglaubt und nach uns werden welche glauben.
Wir sind auf dem Langstreckenlauf des Glaubens noch unterwegs. Die
einen sind vor uns. Die anderen sind hinter uns. Die einen haben
das Ziel schon erreicht. Andere haben noch gar nicht zu laufen begonnen.
Wir
müssen ablegen, was beim Laufen hindert
Zum zweiten: Wir müssen ablegen, was uns beim Laufen hindert
1 ... Weil wir nun eine solche Wolke von Zeugen um uns haben,
lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde,
die uns ständig umstrickt.
Wer sich auf einen Langstreckenlauf macht, kann nicht mit Mantel,
Hut und Koffer laufen. Nicht mit großem Gepäck. Nicht
mit enger Kleidung. Nicht mit vollem Magen.
Wer zum ersten Mal eine mehrtägige Wanderung macht, nimmt oft
viel zu viel mit. Beim zweiten Mal schon ist sein Gepäck leichter.
Er weiß besser, was er wirklich braucht. Und von mal zu mal
braucht man weniger.
Wer als älterer Mensch auf seinem Lebenslauf voran gekommen
ist, weiß, wie wenig er eigentlich zum Leben braucht. Er weiß,
dass er nicht viel mitnehmen kann, wenn er durchs Ziel geht.
Wer sich in der Passionszeit Fasten und Verzicht vorgenommen hat,
und jetzt auf die Zielgerade der letzten Woche läuft, der hat
vielleicht auf seine Weise erlebt, was er wirklich braucht und worauf
er verzichten kann.
Wenn einer also auf seinem Glaubenslauf nicht so recht vorankommt:
Vielleicht liegt es daran, dass er zu viel mitnehmen will und nicht
gelernt hat, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden.
Wir müssen nach vorne schauen
Zum dritten: Wir müssen nach vorne schauen.
2 (Lasst uns) aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender
des Glaubens, der im Hinblick auf die kommende Freude das Kreuz
erduldete ... und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
Wer läuft, muss nach vorne schauen, das gilt in mehrfacher
Hinsicht. Wer nicht nach vorne schaut, wird Hindernisse zu spät
erkennen und stolpern. Wer nicht nach vorne schaut, verliert das
Ziel aus den Augen und wird müde. Und: Wer aber nach vorne
schaut, kann sich orientieren an jemand, der ein wenig schneller
ist. Er kann sich von ihm anspornen lassen. Er muss nicht selbst
das Tempo machen.
In diesem Sinn wird hier von Jesus geredet als dem Anfänger
und Vollender des Glaubens. Er ist der Urzeuge in der Wolke der
Zeugen. Er ist den ganzen Weg schon vorausgegangen. Er hat durchgehalten.
Er wartet am Ziel auf uns, um uns in die Arme zu nehmen.
Er hat das Ziel erreicht, weil er es fest vor Augen hatte. Und weil
er sein Ziel kannte, hat er sich nicht irre machen lassen.
Damit lenkt der Hebräerbrief die Gedanken auf die kommende
Karwoche: Sie erinnert daran, dass Jesus auch ganz zuletzt noch
einen anderen Weg hätte gehen können. Die Provokation
im Tempel wäre nicht nötig gewesen. Er hätte Jerusalem
heimlich verlassen und seine Haut retten können. Doch er hätte
damit alle allein gelassen, die sich viel von ihm erwartet haben.
Und so ging auch er durch die Glaubenswüste im Garten Gethsemane
und rang sich durch zu der Erkenntnis: „Nicht mein, sondern
dein Wille geschehe.“ Er ging durch die Glaubenswüste
am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“
Und siehe da: Er war nicht verlassen, sondern aufgehoben.
Wir sollen den Mut nicht verlieren
Deswegen zum vierten: Wir sollen im Blick auf Jesus den Mut nicht
verlieren.
1 ... lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt
ist, 2 und aufsehen zu Jesus, ... 3 ... damit ihr nicht matt werdet
und den Mut nicht sinken lasst.
Der Langstreckenlauf des Glaubens braucht Geduld. Die Gefahr, müde
und matt zu werden, den Mut zu verlieren, das Ziel aus den Augen
zu verlieren, ist normal und verständlich. Zweifel und Müdigkeit
sind keine Schande.
Wer das weiß, der geht gnädiger mit sich selber um: Der
kann mit Zweifel und Müdigkeit leben. Sie haben nicht das letzte
Wort. Der kann mit seinen Wüsten leben. Gott wird wieder Regen
schicken.
Glaube ist ein Baum. / Er wächst / in der Wüste. /
Glaube lebt / in der Hoffnung / – vergeblich zuweilen –
/
dass Gott den Regen schickt.
Glauben ist zärtliches Vertrauen / vergeblich zuweilen.
Und deswegen:
Der Glaube
ist ein steter und unverwandter
Blick auf Christus. |