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predigt[e].de

Die Predigt vom 28. März 2002: »Als wären wir dabei gewesen«


Kirchenjahr

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Feiertagskalender (Tabelle)

  Die Evangelische Kirche beging den Donnerstag der Karwoche, den Gründonnerstag (von greinen = weinen). Evangelium ist die sog. Fußwaschung nach dem Johannesevangelium, Epistel die Abendmahlstradition, wie sie Paulus überliefert. Der Predigt lag nicht der vorgesehene Predigttext, sondern der Spruch des Tages zugrunde:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  "Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr."

Psalm 111 Vers 4 (Spruch des Tages)

Predigt

  Jubiläen feiern

Die meisten Menschen begehen gerne Klassentreffen, sie feiern Jubelkonfirmationen, sie begegnen sich mit ehemaligen Kriegs- oder Arbeitskollegen, und was es sonst noch Vergleichbares geben mag. Was ist das Reizvolle daran, das Faszinierende? Was holt Menschen zu einer Jubelkonfirmation gar über den Ozean zurück hierher in ihre ehemalige Heimat? Erinnerungen werden wieder lebendig in Gesprächen, durch Fotos und Erzählungen. Man erinnert sich also nicht einfach nur wehmütig und rückwärtsgewandt an alte Zeiten - auch wenn das nicht ausgeschlossen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass das Geschehene geradezu wieder lebendig werden kann. Es ist, als würde man manches noch einmal erleben. Da können dann Freuden und Schmerzen entstehen, so als wäre man noch einmal mittendrin.

Aus Vergangenheit wird Gegenwart

Wenn Erinnerungen wieder lebendig werden, dann wird sozusagen aus Vergangenheit Gegenwart. Denn empfinden, erleben, genießen und erleiden können wir immer nur jetzt, den gegenwärtigen Augenblick. Und wenn uns dann so etwas mit vergangenen Dingen passiert, dann nur deswegen, weil sie durch das intensive Erinnern Gegenwart werden: so, als würden sie eben gerade geschehen.

Für ein solches intensives Erinnern und Gedenken hat unsere deutsche Sprache einen eigenen Begriff: "Gedächtnis". Gedächtnis ist also nicht einfach nur Erinnerung. Gedächtnis ist Verlebendigung. Und so tragen z.B. die Konfirmationsjubiläen nicht umsonst den Namen "Gedächtnis der Konfirmation".

Die Gegenwart des Abendmahls

Warum erzähle ich das heute, wie Dinge wieder so lebendig und gegenwärtig werden können, als würden wir es noch einmal erleben? Ich erzähle es, weil auch das Heilige Abendmahl etwas von einer solchen Gedächtnisfeier an sich hat. Wir feiern am Gründonnerstag das Gedächtnis des ersten Abendmahles damals am Abend vor Jesu Tod, das "Gedächtnis der Einsetzung des Heiligen Abendmahls", wie es offiziell heißt. Und es soll nicht gefeiert werden als wehmütig zurückgewandte Erinnerung an die guten alten Zeiten. Das Geschehen von damals soll sozusagen unter uns lebendig werden. Nur ist da ein entscheidender Unterschied zu sonstigen Gedächtnisfeiern: Es wird etwas für uns lebendig und gegenwärtig, was wir persönlich nicht miterlebt haben. Geschichte, die lange vor uns stattgefunden hat, soll für uns so lebendig werden, als wären wir selbst dabei gewesen.

Als wären wir dabei gewesen ...

Ähnlich heißt es auch in der Ordnung für das jüdische Passafest, das Fest des Gedächtnisses der Befreiung aus Ägypten, das ja mit unserem Abendmahl eine enge Verwandtschaft hat: "In allen Zeitaltern ist es Pflicht eines jeden Einzelnen, sich vorzustellen, als sei er selbst aus Ägypten gezogen. ... Nicht unsere Vorfahren allein hat der Heilige, gepriesen sei Er, erlöst, sondern mit ihnen hat er auch uns erlöst."

So macht das Abendmahl, das wir feiern, uns Jesus und sein letztes Mahl lebendig und gegenwärtig. Wir gesellen uns in den Kreis derer, die mit ihm am Tisch saßen. Jesus Christus und wir werden gleichzeitig über den tiefen Graben von 2000 Jahren Geschichte hinweg. Doch nicht so, dass wir ihn mit Hilfe der Abendmahlsworte in unsere Mitte zaubern, dass er uns gehorchen und erscheinen müßte, wie der Geist, der dem Geisterbeschwörer zu Diensten sein muß. Nein: Er selbst tritt aus eigener Kraft und eigenem Willen in unseren Kreis.

Tut das zu meinem Gedächtnis

Wer gibt uns Menschen das Recht, ein solches Gedächtnis zu begehen, Christus in unsere Mitte zu rufen, sein Heil und seine Zuwendung für uns lebendig und gegenwärtig zu machen? Es ist Christus selbst, der damals im Abendmahl gesagt hat: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; solches tut zu meinem Gedächtnis. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden; solches tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis."

Die Befreiungstaten Gottes

Und es ist der Spruch für diesen Gründonnerstag. So heißt es im Psalm 111, Vers 4 in der Erinnerung an die großen Taten Gottes: "Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr." Mit diesem Psalm legte offenbar damals ein Mensch vor der versammelten Gemeinde Zeugnis davon ab, was Gott ihm Gutes getan hat. Und er reiht sich damit ganz persönlich ein in all die anderen Taten Gottes aus der Geschichte mit seinem Volk. Die Anklänge an die Einsetzungsworte Jesu sind deutlich. Und das hat offenbar die Menschen des Neuen Testaments ermutigt, dieses alttestamentliche Wort nachträglich auf das Abendmahl zu deuten. Und sie reihen damit zurecht die Befreiung, die sie in Jesus erlebt haben, ein in die Befreiungstaten Gottes im Alten Testament. Der befreiende Gott des Alten Testaments und der Gott und Vater Jesu sind eins.

Sehr wahrscheinlich ist ja das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern ein jüdisches Passamahl gewesen. Darauf weisen die in den Evangelien berichteten Vorbereitungen und auch der Zeitpunkt. Doch Jesus hat durch seine Deutungsworte offenbar diesem Mahl und dem dazugehörigen Brot und Wein einen anderen Inhalt gestiftet: Aus dem Gedächtnis der Befreiung aus Ägypten wird das Gedächtnis seiner heilsamen Lebenshingabe für seine Jünger. Doch beidemal ist es derselbe Gott, der befreiend an den Menschen wirkt.

Gelebte Vergebung

Wenn wir heute das Gedächtnis seines Mahles, das Gedächtnis seiner Lebenshingabe bedenken, welcher Jesus wird da unter uns lebendig und gegenwärtig? Es ist der, von dem der Spruch des Tages sagt: "Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr." Gnädig und barmherzig hat Jesus damals unter den Menschen gelebt. Die Gnade und Barmherzigkeit Gottes, seines Vaters, hat er in seiner Person lebendig werden lassen und den Menschen geschenkt. Das wird spürbar und greifbar in den Tischgemeinschaften Jesu mit den sog. Zöllnern und Sündern, den Verachteten und Ausgegrenzten seiner damaligen Zeit. Mit ihm am gleichen Tisch zu sitzen, hieß, einen Vorgeschmack des Reiches Gottes erleben zu dürfen. Dieses Reiches Gottes, von dem die Frommen damals zu wissen meinten, dass es für die Zöllner und Sünder endgültig verschlossen war.

Jesus brachte damit Gottes Gnade und Vergebung zu den Menschen. Nicht nur in Worten - sondern er lebte diese Vergebung auch durch seine Person. In Jesus geht Gott einen Schritt auf die Menschen zu. Er bricht damit den Bann. Nun brauchen sie sich nicht mehr zu verstecken und zu entschuldigen. Nun können sie ihrerseits einen Schritt auf Gott zugehen.

So als wäre er da

Diese Gnade und Vergebung, die Jesus damals lebte, den Ausgegrenzten gegenüber in den Mahlgemeinschaften, den Jüngern gegenüber in seinem letzten Mahl - diese Gnade und Vergebung gilt im Heiligen Abendmahl auch uns.

Seine Einladung an den gemeinsamen Tisch ohne Ansehen der Person, sie gilt auch uns.

Seine Einladung an die Feiernden, angesichts der Gnade Gottes das eigene Leben neu zu bedenken, sie gilt auch uns.

Wenn auch nicht sichtbar, so ist er doch genauso nah, genauso lebendig, als wären wir damals an seinem Tisch gesessen. Wer das von Herzen an sich geschehen lässt, der kann Wunder erleben wie damals. Wunder der Befreiung, Wunder der Vergebung, Wunder der Erneuerung. Und der Friede Gottes ...

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de